Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.370/2001
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2A.370/2001/sch

            II. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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                     19. September 2001

Es wirken mit: Bundesrichter Wurzburger, Präsident der
II. öffentlichrechtlichen Abteilung, Hungerbühler, Müller
und Gerichtsschreiber Uebersax.

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                         In Sachen

X.________, zzt. Regionalgefängnis Bern, Bern,
Beschwerdeführer,

                           gegen

Regierungsstatthalteramt von  T h u n,
Haftgericht III  B e r n  -  M i t t e l l a n d,

                         betreffend
          Ausschaffungshaft gemäss Art. 13b ANAG,

         wird festgestellt und in Erwägung gezogen:

     1.- a) Mit Verfügung vom 30. November 1998 ordnete das
Regierungsstatthalteramt Thun den Vollzug einer dem algeri-
schen Staatsangehörigen X.________ auferlegten strafrecht-
lichen Landesverweisung an. Auf eine Ausschaffungshaft wurde
dabei ausdrücklich verzichtet.

        Mit Eingabe vom 22. August 2001 unterbreitete der
Ausländer- und Bürgerrechtsdienst der Kantonspolizei Bern
dem Haftgericht III Bern-Mittelland "gemäss beiliegender
Haftanordnung des Regierungsstatthalteramts Thun" den
Antrag, X.________ in Ausschaffungshaft zu nehmen. Am
23. August 2001 prüfte und bestätigte die Haftrichterin 2
am Haftgericht III Bern-Mittelland die Haft.

        b) Mit handschriftlicher Eingabe vom 30. August
2001 in französischer Sprache wandte sich X.________ an das
Bundesgericht und äusserte sich unter anderem gegen die
Haft. Der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Bundesgerichts eröffnete daraufhin ein Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde in der Haftsache.

        Das Haftgericht III Bern-Mittelland schloss in sei-
ner ersten Stellungnahme vom 4. September 2001 auf Abweisung
der Beschwerde. Mit Schreiben vom 5. September 2001 teilte
der Migrationsdienst des Kantons Bern dem Bundesgericht mit,
die Ausschaffungshaft sei vom Regierungsstatthalteramt Thun
angeordnet worden, da sie auf der dem Beschwerdeführer auf-
erlegten Landesverweisung beruhe, weshalb das genannte Re-
gierungsstatthalteramt und nicht der Migrationsdienst zur
Vernehmlassung einzuladen sei. Das Regierungsstatthalteramt
Thun liess sich am 10. September 2001 in dem Sinne verneh-
men, dass es sich nicht als zuständig erachte, habe es doch
die Ausschaffungshaft nicht angeordnet.

        Das Bundesamt für Ausländerfragen reichte innert
Frist keine Vernehmlassung ein, stellte jedoch dem Bundesamt
für Flüchtlinge eine Kopie der Beschwerdeschrift zu, worauf-
hin dieses aufgrund der darin ebenfalls angerufenen asylwe-
sentlichen Umstände unverzüglich ein Asylverfahren eröffne-
te. Am 11. September 2001 wurde das Asylgesuch offenbar ab-
gewiesen.

        c) Mit Verfügung vom 12. September 2001 zog der In-
struktionsrichter in Erwägung, dass nach vorläufiger Prüfung
der Akten die Haftgenehmigung anscheinend ergangen sei, ohne
dass im Sinne von Art. 13c Abs. 1 ANAG durch die zuständige
kantonale Behörde erstinstanzlich Haft angeordnet worden
sei. Alle Verfahrensbeteiligten erhielten die Gelegenheit,
sich nochmals zur Sache zu äussern. Mit Eingabe vom 17. Sep-
tember 2001 verzichtete das Haftgericht III Bern-Mittelland
auf eine Stellungnahme, hielt aber doch fest, es sei offen-
bar übersehen worden, dass vom Haftrichter "die Versetzung
in Ausschaffungshaft innert 96 Stunden nach deren Anordnung
zu überprüfen" sei. In seiner Vernehmlassung vom 17. Septem-
ber 2001 unterstrich der Migrationsdienst des Kantons Bern
nochmals, er habe die Haft nicht angeordnet und sei deshalb
in der Sache nicht zuständig.

        Das Regierungsstatthalteramt Thun liess sich innert
gesetzter Frist nicht mehr vernehmen. Auch der Beschwerde-
führer nahm die Gelegenheit nicht wahr, sich nochmals zur
Sache zu äussern.

     2.- a) Nach Art. 13c Abs. 1 ANAG wird die Haft von der
Behörde des Kantons angeordnet, welcher für den Vollzug der
Weg- oder Ausweisung zuständig ist. Die Rechtmässigkeit und
die Angemessenheit der Haft sind gemäss Art. 13c Abs. 2 ANAG
spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde
aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen.

        Gemäss der gesetzlichen Regelung hat der Richter
die Haft lediglich zu überprüfen; nicht er, sondern eine
dafür eingesetzte kantonale Behörde ordnet sie an (vgl.
Andreas Zünd, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht: Verfah-
rensfragen und Rechtsschutz, in AJP 1995 854). Welche Be-
hörde zuständig ist, ergibt sich aus dem kantonalen Recht.

        Nach Art. 1 und 1a der bernischen Verordnung vom
19. Juli 1972 über Aufenthalt und Niederlassung der Aus-
länder ist das Amt für Migration und Personenstand zustän-
dig für alle fremdenpolizeilichen Obliegenheiten ausser im
Vollstreckungsverfahren der strafrechtlichen Landesverwei-
sung, wo der Regierungsstatthalter die Vorbereitungs- oder
Ausschaffungshaft gemäss Art. 13a bzw. 13b ANAG anordnet.
Vorliegend haben sowohl der Migrationsdienst des Kantons
Bern als auch das Regierungsstatthalteramt gegenüber dem
Bundesgericht erklärt, die Ausschaffungshaft nicht angeord-
net zu haben. Aus den Akten ergibt sich denn auch, dass die
Haft dem Haftgericht direkt vom Ausländer- und Bürgerrechts-
dienst der Kantonspolizei Bern beantragt worden ist unter
unzutreffendem Verweis auf eine angebliche, tatsächlich aber
nicht erfolgte Haftanordnung des Regierungsstatthalteramts
Thun. Der Ausländer- und Bürgerrechtsdienst der Kantonspoli-
zei Bern wird wohl vom Migrationsdienst und von den Regie-
rungsstatthalterämtern zur Durchführung von Ausschaffungen
beigezogen oder sogar damit beauftragt, er ist aber nicht
zuständig für die Anordnung von Ausschaffungshaft. Diese
Kompetenz verbleibt allein beim Migrationsdienst bzw. den
Regierungsstatthalterämtern. Im vorliegenden Fall wurde
demnach die Haft gar nie gesetzmässig erstinstanzlich ver-
fügt, was die Haftrichterin 2 am Haftgericht III Bern-
Mittelland bei der Genehmigung der Haft - bzw. bei der
Prüfung des Antrags der Kantonspolizei auf Haftgenehmi-
gung - übersehen hat.

        Der Beschwerdeführer ist immer noch ohne gültige
erstinstanzliche Haftanordnung inhaftiert. Die angefochtene
Ausschaffungshaft leidet damit an einem offensichtlichen
Verfahrensmangel und ist aus diesem Grunde unabhängig davon,
ob allenfalls die materiellen Voraussetzungen der Ausschaf-
fungshaft erfüllt sind, insbesondere ein Haftgrund vorliegt,
aufzuheben. Gleichzeitig ist der Beschwerdeführer unverzüg-
lich aus der Haft zu entlassen.

        b) Das schliesst nicht aus, den Beschwerdeführer
gegebenenfalls erneut in Ausschaffungshaft zu nehmen, sofern
die materiellen Voraussetzungen erfüllt sein sollten und die
gesetzlichen Verfahrensbestimmungen, namentlich diejenigen
über die Zuständigkeit, eingehalten werden.

     3.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist im verein-
fachten Verfahren nach Art. 36a OG gutzuheissen, der ange-
fochtene Entscheid aufzuheben und der Beschwerdeführer un-
verzüglich aus der Ausschaffungshaft zu entlassen.

        Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu
erheben. Der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer
hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung für das bundes-
gerichtliche Verfahren.

             Demnach erkennt das Bundesgericht
               im Verfahren nach Art. 36a OG:

     1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheis-
sen, und der Entscheid des Haftgerichts III Bern-Mittelland,
Haftrichterin 2, vom 23. August 2001 wird aufgehoben.

     2.- Der Beschwerdeführer ist unverzüglich aus der Aus-
schaffungshaft zu entlassen.

     3.- Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädi-
gungen zugesprochen.

     4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migra-
tionsdienst des Kantons Bern, dem Haftgericht III Bern-Mit-
telland, der Kantonspolizei des Kantons Bern, Ausländer-
und Bürgerrechtsdienst, dem Regierungsstatthalteramt Thun
sowie dem Bundesamt für Ausländerfragen und dem Bundesamt
für Flüchtlinge schriftlich und vorweg per Fax mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 19. September 2001

      Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
      Der Präsident:            Der Gerichtsschreiber: