Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.98/2001
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1P.98/2001/hzg
1P.99/2001

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                      28. Februar 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Féraud, Bundesrichter Catenazzi und Gerichts-
schreiber Sigg.

                         ---------

                         In Sachen

A.________, zur Zeit in Untersuchungshaft, Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprech Konrad Jeker, Bielstrasse 9, Cen-
tralhof, Postfach 525, Solothurn,

                           gegen

Untersuchungsrichteramt (Wirtschaftsdelikte) des Kantons
S o l o t h u r n,
Obergericht (Strafkammer) des Kantons  S o l o t h u r n,

                         betreffend
   persönliche Freiheit, Art. 31 BV, Art. 5 Ziff. 1 EMRK
                     (Haftentlassung),

hat sich ergeben:

     A.- Das Untersuchungsrichteramt des Kantons Solo-
thurn führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen
des Verdachts auf Betrug und Veruntreuung in vielen Fällen.
Am 21. September 2000 setzte es A.________ in Untersuchungs-
haft. Die Haft wurde zunächst bis zum 3. November 2000 ver-
längert. Als besonderen Haftgrund nannte das Obergericht
des Kantons Solothurn Kollusionsgefahr. Der Untersuchungs-
richter stellte am 30. Oktober 2000 ein Haftverlängerungs-
gesuch. Mit Beschluss vom 3. November 2000 bewilligte das
Obergericht unter Verweisung auf die weiterbestehende Kol-
lusionsgefahr die Fortdauer der Haft bis 10 Tage nach Ab-
schluss der Voruntersuchung, einstweilen bis am 31. Januar
2001. Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 21. November 2000
stellte A.________ die Anträge, der Beschluss des Oberge-
richts vom 3. November 2000 sei aufzuheben und er sei aus
der Haft zu entlassen. Mit Urteil vom 14. Dezember 2000
hiess das Bundesgericht die staatsrechtliche Beschwerde gut,
wies aber das Gesuch um Entlassung aus der Untersuchungshaft
ab (1P.730/2000).

     B.- Mit Entscheid vom 5. Januar 2001 bewilligte das
Obergericht des Kantons Solothurn die Fortdauer der Haft bis
10 Tage nach Abschluss der Voruntersuchung, einstweilen bis
31. Januar 2001. Begründet wurde der Entscheid mit Wieder-
holungsgefahr. Auf ein neues Haftverlängerungsgesuch hin
bewilligte das Obergericht am 31. Januar 2001 die Fortdauer
der Haft mit derselben Begründung bis 10 Tage nach Abschluss
der Voruntersuchung, einstweilen bis am 30. April 2001.

     C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 7. Februar
2001 stellt A.________ folgende Anträge:

        "1. Die Beschlüsse des Obergerichts (Strafkammer)
            des Kantons Solothurn vom 5. und vom 31. Januar
            2001 seien aufzuheben.

         2. Der Beschwerdeführer sei aus der Haft zu ent-
            lassen.

         3. Dem Beschwerdeführer sei die unentgeltliche
            Prozessführung zu bewilligen.

         4. Der unterzeichnete amtliche Verteidiger sei
            als unentgeltlicher Rechtsbeistand einzusetzen.

         5. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge."

        Das Untersuchungsrichteramt nimmt zur Beschwerde
Stellung, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen. Das
Obergericht schliesst auf Abweisung der staatsrechtlichen
Beschwerde.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der
persönlichen Freiheit, des Beschleunigungsgebotes und sei-
nes Anspruchs auf rechtliches Gehör. Dazu ist er als Unter-
suchungsgefangener, dessen Untersuchungshaft verlängert
wurde, legitimiert (Art. 88 OG). Mit einer staatsrechtlichen
Beschwerde, die sich gegen die Aufrechterhaltung der Haft
richtet, kann in Abweichung vom Grundsatz der kassatorischen
Natur der Beschwerde nicht nur die Aufhebung des angefochte-
nen Entscheids, sondern ausserdem die Entlassung aus der
Haft verlangt werden (BGE 124 I 327 E. 4a und b/aa; 116 Ia
143 E. 5c; 115 Ia 293 E. 1a, je mit Hinweisen). Auch die
übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, so dass
auf die Beschwerde einzutreten ist.

     2.- Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf
das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen
der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuchs erhoben werden,
prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Ein-
griffs die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kanto-
nalen Rechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen
und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind,
greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen
Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE
124 I 80 E. 2; 123 I 31 E. 3a, 268 E. 2d, je mit Hinweisen).

     3.- Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung
des Beschleunigungsgebotes, weil das Obergericht erst am
5. Januar 2001 über die Haftverlängerung entschieden habe,
obwohl die Stellungnahme des Beschwerdeführers schon am
21. Dezember 2000 eingegangen sei.

        Die Rüge ist offensichtlich unbegründet, lagen
doch die Weihnachtsferien zwischen dem 21. Dezember 2000
und dem 5. Januar 2001. Ausserdem musste das Obergericht
über ein Haftverlängerungsgesuch des Untersuchungsrichters
entscheiden. Aus diesem Grund galt ein etwas weniger stren-
ges Beschleunigungsgebot, als wenn der Beschwerdeführer
selbst ein Haftentlassungsgesuch gestellt oder es sich um
eine erstmalige Haftüberprüfung gehandelt hätte.

     4.- Der Beschwerdeführer rügt weiter eine Verletzung
eines Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil sich der Unter-
suchungsrichter in der Stellungnahme vom 29. Dezember 2000
auf Aussagen der Polizei stütze, der Beschwerdeführer aber
keine Möglichkeit gehabt hätte, der Polizei Ergänzungsfragen
zu stellen.

        Das Haftverlängerungsverfahren wurde indessen vom
Obergericht durchgeführt auf einen Antrag des Untersuchungs-
richters hin. Hätte das Obergericht in diesem Verfahren
einen Polizeibeamten einvernommen, so könnte sich die Frage
stellen, ob dem Beschwerdeführer die Möglichkeit hätte ge-
geben werden müssen, Ergänzungsfragen zu stellen. Da das
Obergericht keine derartige Einvernahme durchgeführt hat,
wurde der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches
Gehör in dieser Hinsicht nicht verletzt. Seine Rüge ist
offensichtlich unbegründet.

     5.- a) Gemäss § 42 Abs. 2 lit. d der kantonalen Straf-
prozessordnung vom 7. Juni 1970 (StPO) ist die Verhaftung
einer Person unter anderem zulässig, wenn Verdacht eines
Verbrechens und die ernstliche Gefahr besteht, dass der Ver-
dächtige, in Freiheit belassen, seine strafbare Tätigkeit
fortsetzen würde. Das Obergericht beruft sich in den ange-
fochtenen Beschlüssen ausschliesslich auf diesen besonderen
Haftgrund.

        b) Sinn und Zweck der Anordnung von Haft wegen
Wiederholungsgefahr im Sinne von § 42 Abs. 2 lit. d StPO
ist die Verhütung von Verbrechen; die Haft ist somit über-
wiegend Präventivhaft. Die Notwendigkeit, den Angeschuldig-
ten an der Begehung einer strafbaren Handlung zu hindern,
wird von Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich als Haft-
grund anerkannt (BGE 125 I 361 E. 4c S. 365 f.; 123 I 268
E. 2c, S. 270). Bei der Annahme, der Angeschuldigte könnte
weitere Verbrechen verüben, ist allerdings Zurückhaltung
geboten. Da Präventivhaft einen schwerwiegenden Eingriff
in das Recht der persönlichen Freiheit darstellt, muss sie
auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruhen, im
öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. Die
Anordnung von Untersuchungshaft wegen Fortsetzungsgefahr ist
verhältnismässig, wenn einerseits die Rückfallprognose sehr

ungünstig und anderseits die zu befürchtenden Delikte von
schwerer Natur sind. Die rein hypothetische Möglichkeit der
Verübung weiterer Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass
nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen dagegen
nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen. Schliesslich
gilt auch bei der Präventivhaft - wie bei den übrigen Haft-
arten -, dass sie nur als ultima ratio angeordnet oder auf-
rechterhalten werden darf. Wo sie durch mildere Massnahmen
ersetzt werden kann, muss von der Anordnung oder Fortdauer
der Haft abgesehen und an ihrer Stelle eine dieser Ersatz-
massnahmen angeordnet werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 124
I 208 E. 5 S. 213; 123 I 268 E. 2c S. 271, je mit Hinwei-
sen).

        Das Bundesgericht erkannte in dem vom Beschwerde-
führer zitierten Urteil vom 7. Oktober 1992 i.S. B., E. 4
(EuGRZ 1992 553), Präventivhaft könne selbst dann zulässig
sein, wenn neue Vermögensdelikte verhindert werden sollen.
Allerdings ging es in diesem Urteil um die Verhinderung
weiterer Beschaffungskriminalität eines Drogenabhängigen,
dem neben Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz
gewerbs- und bandenmässiger Diebstahl (mehrere Einbruchdieb-
stähle), Hehlerei und Urkundenfälschung vorgeworfen wurden.

        c) Die kantonalen Behörden befürchten, der Be-
schwerdeführer könnte nach einer Freilassung weitere Hand-
lungen begehen, die den Tatbestand des Betruges erfüllen
würden. Aus dem Abschlussbericht der Kantonspolizei Solo-
thurn vom 20. Dezember 2000 geht hervor, dass gegen den
Beschwerdeführer der Verdacht besteht, er habe sich gegen-
über einer Vielzahl von Personen des Anlagebetrugs schuldig
gemacht, wobei er das so genannte Umlageverfahren benützt
habe. In einem der Fälle scheint es, dass er ein Rentner-
paar um seine gesamten Ersparnisse gebracht hat. Gemäss
der polizeilichen Strafanzeige vom 20. Dezember 2000 be-
laufe sich die Gesamtinvestitionssumme auf Fr. 1'233'160.--,

wobei Rückzahlungen an Investoren lediglich im Umfang von
Fr. 314'345.90 erfolgt seien. Auch nach der Eröffnung des
Strafverfahrens und sogar nach einer früheren Entlassung aus
der Untersuchungshaft, die vom 19. Oktober 1998 bis 23. De-
zember 1998 gedauert hat, soll sich der Beschwerdeführer
weiter in der gleichen Weise betätigt haben. Erst Ende Juli/
Anfang August 2000 soll er erneut einem Opfer Fr. 2'500.--
abgenommen haben, ohne dafür eine Gegenleistung zu erbrin-
gen. Demnach ist die Rückfallprognose sehr ungünstig, und
die zu befürchtenden Delikte sind - gemessen an der Vor-
gehensweise in den ermittelten Fällen - von schwerer Natur.
Das Obergericht hat daher die persönliche Freiheit des Be-
schwerdeführers nicht verletzt, als es die Untersuchungshaft
wegen Fortsetzungsgefahr verlängerte. Die staatsrechtliche
Beschwerde erweist sich auch in dieser Beziehung als offen-
sichtlich unbegründet.

     6.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist aus diesen
Gründen abzuweisen.

        Dem Begehren des Beschwerdeführers um Bewilligung
der unentgeltlichen Rechtspflege kann mit Rücksicht auf die
gesamten Umstände des Falles entsprochen werden (Art. 152
OG). Fürsprech Konrad Jeker ist als amtlicher Anwalt des
Beschwerdeführers zu bezeichnen.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

     2.- Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechts-
pflege gewährt:

        a) Es werden keine Kosten erhoben;
        b) Fürsprech Konrad Jeker wird als amtlicher Anwalt
des Beschwerdeführers bezeichnet und für das bundesgericht-
liche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit einem Hono-
rar von Fr. 1'000.-- entschädigt.

     3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem
Untersuchungsrichteramt (Wirtschaftsdelikte) und dem Ober-
gericht (Strafkammer) des Kantons Solothurn schriftlich
mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 28. Februar 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: