Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.721/2001
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001


1P.721/2001/bmt

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                      7. Dezember 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung,
Bundesrichter Nay, Bundesrichter Féraud und Gerichts-
schreiber Störi.

                         ---------

                         In Sachen

J.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher
Marcel Chr. Grass, Effingerstrasse 16, Bern,

                           gegen

Untersuchungsrichteramt IV  B e r n e r  O b e r l a n d,
a.o. Untersuchungsrichter 4,
Haftgericht IV  B e r n e r  O b e r l a n d, Haftrichter 1,
Prokurator der Staatsanwaltschaft IV  B e r n e r
O b e r l a n d,
Obergericht des Kantons  B e r n, Anklagekammer,

                         betreffend
      persönliche Freiheit, Art. 5 Ziff. 1 lit. C und
               Ziff. 3 EMRK, Art. 9 und 10 BV
                     (Haftentlassung),

hat sich ergeben:

     A.- Das Untersuchungsrichteramt IV Berner Oberland
führt gegen J.________ eine Strafuntersuchung wegen quali-
fizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Es
verdächtigt ihn insbesondere, zusammen mit einem weiteren
Angeschuldigten mehrere Hanfläden betrieben und darin seit
April 1995 mehrere hundert Kilogramm Cannabispflanzen ver-
kauft zu haben. Nach einer ersten Verhaftung wurde
J.________ am 11. November 1999 wieder freigelassen, nachdem
er sich bereit erklärt hatte, bis zu einem Freispruch oder
einer Gesetzesänderung in seinen Läden kein Hanfkraut mehr
zu verkaufen.

        Am 11. Juli 2000 stellte die Stadtpolizei Bern in
einem von J.________ geführten Hanfladen rund 26 kg Hanf-
kraut bzw. -blüten sicher. Analysen von Hanfproben ergaben
mit wenigen Ausnahmen einen THC-Gehalt zwischen 2 und 12 %.
Am 15. März 2001 wurde J.________ erneut verhaftet und am
19. März 2001 wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft
versetzt.

        Ein Haftentlassungsgesuch vom 18. Juni 2001 wies
die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern am
19. Juli 2001 kantonal letztinstanzlich ab. Das Bundesge-
richt schützte diesen Entscheid am 30. August 2001.

     B.- Am 11. September 2001 beantragte J.________ erneut,
aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Das Haftge-
richt IV Berner Oberland wies das Haftentlassungsgesuch am
18. September 2001 ab. Die Anklagekammer des Obergerichts
des Kantons Bern wies den von J.________ dagegen erhobenen
Rekurs am 11. Oktober 2001 ab.

        Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 13. November
2001 wegen Verletzung von Art. 9 und Art. 10 Abs. 2 BV
sowie von Art. 5 Ziff. 1 lit. c und Ziff. 3 EMRK beantragt
J.________, diesen Entscheid der Anklagekammer aufzuheben
und ihn, eventuell unter Auferlegung adäquater Ersatzmass-
nahmen, unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

        C.- Das Haftgericht IV Berner Oberland und die An-
klagekammer des Obergerichts verzichten auf Vernehmlassung.
Der Untersuchungsrichter 4 des Untersuchungsrichteramtes IV
Berner Oberland beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

        J.________ verzichtet auf Bemerkungen zur Ver-
nehmlassung des Untersuchungsrichters und hält an seiner
Beschwerde fest.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Auf die Beschwerde ist aus den gleichen Gründen
einzutreten wie auf diejenige, welche das Bundesgericht am
30. August 2001 entschieden hat.

        b) Der Beschwerdeführer erhebt verschiedene Rügen,
die er bereits in seiner letzten Beschwerde in dieser Sache
vorbrachte. Er legt nicht dar, und das ist auch nicht er-
sichtlich, dass sich die für den Entscheid erheblichen Um-
stände, abgesehen vom Zeitablauf, seither geändert hätten.
Es sind somit nur diejenigen Rügen erneut zu prüfen, deren
Begründetheit von der Haftdauer bzw. von der (beförderlichen
oder schleppenden) Untersuchungsführung abhängig sind, wäh-

rend in Bezug auf die übrigen Rügen vollumfänglich auf den
Entscheid des Bundesgerichts vom 30. August 2001 verwiesen
wird.

        c) Konkret erhebt der Beschwerdeführer zwei in
diesem Sinne vom Zeitablauf abhängige Rügen: Einerseits
macht er geltend, die Untersuchungshaft rücke in grosse Nähe
der zu erwartenden Strafe. Anderseits wirft er den Untersu-
chungsbehörden eine massive, durch keine objektiven Umstän-
den erklärbare Verschleppung des Verfahrens vor, welche
ihnen die Legitimation nehme, ihn weiter in Untersuchungs-
haft zu halten.

     2.- Für die dem Beschwerdeführer vorgeworfene qualifi-
zierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sieht
das geltende und damit auf dieses Verfahren anwendbare Recht
eine Mindeststrafe von einem Jahr Zuchthaus oder Gefängnis
vor (vgl. den Entscheid des Bundesgerichts vom 30. August
2001, E. 2d/cc S. 10). Der Beschwerdeführer befindet sich
seit rund 8 1/2 Monaten in Untersuchungshaft; deren Dauer
liegt noch deutlich unter der minimalen Strafdrohung. Die
Untersuchungshaft ist damit noch nicht in grosse Nähe der zu
erwartenden Strafe gerückt. Sie ist daher nicht schon wegen
ihrer absoluten Dauer unverhältnismässig. Die Rüge ist unbe-
gründet.

     3.- a) Die Tragweite des Beschleunigungsgebotes von
Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat das Bundesgericht in seinem Ent-
scheid vom 30. August 2001 bereits dargelegt (E. 3a). Kon-
kret hat es dabei ausgeführt, in Bezug auf die geltend ge-
machte Verletzung von Art. 5 Ziff. 3 EMRK sei entscheidend,
ob das Verfahren seit der Inhaftierung des Beschwerdeführers
mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden sei. Es kam

zum Schluss, dass das Verfahren bis anhin "nicht sehr spedi-
tiv" geführt worden sei und insbesondere die Einarbeitung
des neuen Untersuchungsrichters unweigerlich eine gewisse
Zeit in Anspruch nehme. Immerhin sei dieser aktiv geworden
und habe verschiedene Untersuchungshandlungen (Ausdehnung
des Verfahrens, Edition von Unterlagen, Kontensperrungen,
Hausdurchsuchungen) angeordnet. In seiner Vernehmlassung ans
Bundesgericht habe er dargelegt, er werde so schnell wie
möglich den polizeilichen Schlussbericht erstellen, sodass
die Fristansetzung gemäss Art. 249 des Gesetzes über das
Strafverfahren vom 15. März 1995 (StrV) nach Durchführung
der noch notwendigen Einvernahmen im Monat Oktober 2001 er-
folgen könne. Auf diesen Zusicherungen sei er zu behaften;
es sei davon auszugehen, dass die bisher eingetretenen Ver-
fahrensverzögerungen durch die Untersuchungsbehörden mit
einer besonders beförderlichen Bearbeitung der Sache noch
ausgeglichen werden können (a.a.O. E. 3b/cc S. 15). Die
zuständigen Behörden hätten sodann möglichst rasch die
Überweisung an das urteilende Gericht vorzunehmen und den
Termin zur Hauptverhandlung anzusetzen; im Falle weiterer
Verzögerungen sei der Beschwerdeführer aus der Haft zu
entlassen (a.a.O. E. 3b/dd S. 15).

        b) Den Vorwurf der Verfahrensverschleppung belegt
der Beschwerdeführer vorab mit der Hausdurchsuchung bei
W.________, welche vom Untersuchungsrichter am 8. Juni 2001
angeordnet und ausdrücklich als dringlich bezeichnet worden
war, jedoch erst am 4. September 2001 vollzogen wurde. Nach
dem Bericht des zuständigen Polizeibeamten vom 14. September
2000 konnte er die Hausdurchsuchung so lange nicht durchfüh-
ren, weil er W.________ bei verschiedenen Besuchen nicht zu
Hause angetroffen habe und er dann im Ausland einen Kurs be-
sucht habe, anderweitig beschäftigt oder ferienhalber abwe-
send gewesen sei.

        Der Untersuchungsrichter macht geltend, dieser Um-
stand sei dem Bundesgericht bei seinem Entscheid vom 30. Au-
gust bekannt gewesen und könne daher nicht als Beleg für
eine weitere, eine Haftentlassung rechtfertigende Verzöge-
rung herangezogen werden. In der Tat enthält die Vernehm-
lassung des Untersuchungsrichters an das Bundesgericht vom
15. August 2001 einen Hinweis auf einen noch "hängigen Auf-
trag", und der Aktenverweis führt zur untersuchungsrichter-
lichen Verfügung vom 8. Juni 2001. Dass es indessen nach
dieser Vernehmlassung nochmals rund drei Wochen dauern wür-
de, bis die Hausdurchsuchung bei W.________ endlich
durchgeführt wurde, konnte das Bundesgericht bei seinem
Entscheid vom 30. August 2001 nicht wissen. Diese nochmalige
Verzögerung von drei Wochen nach der letzten Stellungnahme
des Untersuchungsrichters im damaligen Verfahren ist daher
in dem Sinne neu, als sie dem Bundesgericht am 30. August
2001 nicht bekannt war, auch wenn sie teilweise vor diesem
Datum eintrat. Diese erneute Verzögerung haben, wie sich
schon aus dem Bericht des zuständigen Polizeibeamten ergibt,
offensichtlich die Untersuchungsbehörden zu vertreten.

        c) Abgesehen davon haben die Untersuchungsbehörden
indessen den zeitlichen Ablauf, auf dem sie vom Bundesge-
richt im Urteil vom 30. August 2001 behaftet worden sind,
im Grossen und Ganzen eingehalten und dem Beschwerdeführer
am 16. bzw. 17. Oktober 2001 die Frist nach Art. 249 StrV
angesetzt, um sich zum Ergebnis der Untersuchung zu äussern,
weitere Untersuchungshandlungen oder Ergänzungsfragen zu
beantragen und Anträge zum Ausgang des Verfahrens zu stel-
len; diese Frist begann ab dem 22. Oktober 2001 zu laufen,
dem Datum, an welchem der Vertreter des Beschwerdeführers
die Akten einsehen konnte.

        Allerdings war damit, wie der Beschwerdeführer zu
Recht geltend macht, die Voruntersuchung noch nicht abge-

schlossen, weil seinem Verteidiger vor der Fristansetzung
keine Einsicht in die Buchhaltungsunterlagen, welche sowohl
für die Berechnung der Deliktssumme als auch für die Beur-
teilung des Tatvorwurfs der ordnungswidrigen Führung von
Geschäftsbüchern von Bedeutung seien, gewährt worden war.
Aus diesem Grund wurde dem Beschwerdeführer am 7. November
2001 eine 8-tägige Nachfrist im Sinne von Art. 249 StrV ab
Erhalt dieser Akten eingeräumt. Diese Verzögerung von rund
einer Woche auf die Vorgabe ist indessen so geringfügig,
dass sie bei entsprechenden Anstrengungen bis zur Haupt-
verhandlung wieder wett gemacht werden kann.

        d) Von solchen besonderen Anstrengungen der Unter-
suchungsbehörden zur Beschleunigung des Verfahrens, um die
bereits im Entscheid vom 30. August 2001 festgestellten
Verfahrensverzögerungen auszugleichen, ist allerdings noch
nicht viel zu erkennen. Dementsprechend hat sich die Situa-
tion in Bezug auf die Verletzung des Beschleunigungsgebotes
seither zwar nicht wesentlich verschlechtert, aber auch
nicht verbessert. Das hat zur Folge, dass zur Zeit eine
Haftentlassung wegen Verletzung des Beschleunigungsgebotes
zwar abzulehnen ist, die weitere Untersuchungshaft bis zur
Hauptverhandlung indessen nur aufrecht erhalten werden kann,
wenn der Fall nun effektiv beschleunigt behandelt wird. Da
das Urteil vom 30. August 2001 die Untersuchungsbehörden
nicht zu einer markanten Beschleunigung der Verfahrensfüh-
rung bewegen konnte, ist es heute erforderlich, verbindliche
zeitliche Vorgaben aufzustellen, um die persönliche Freiheit
des Beschwerdeführers nicht wegen überlanger Haftdauer zu
verletzen.

        e) Nach der Einschätzung des Untersuchungsrichters
in der Vernehmlassung stehen die Anträge des Beschwerdefüh-
rers im Verfahren nach Art. 249 StrV dem Abschluss der Vor-
untersuchung bzw. der Überweisung nicht entgegen. Da die

8-tägige Nachfrist am 8. November 2001 angesetzt wurde, wird
sie in der Zwischenzeit abgelaufen sein; es ist daher davon
auszugehen, dass die Überweisung bereits erfolgt ist oder
unmittelbar bevorsteht. Weiter ist davon auszugehen, dass
eine Überweisung ans Kreisgericht ansteht, da dieses für
Fälle zuständig ist, in welchen eine Freiheitsstrafe von
über einem Jahr in Betracht fällt (Art. 29 StrV). Nach
Art. 278 StrV bedeutet dies, dass die Hauptverhandlung in
einem Haftfall innert vier Monaten nach der Überweisung
durchzuführen ist. In Anlehnung daran sind die Berner Straf-
verfolgungsbehörden bzw. das zuständige Gericht gehalten,
die Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer vor Ende
März 2002 durchzuführen oder ihn aus der Haft zu entlassen.
Eine Verlängerung dieser Frist fällt nur in Betracht, wenn
sich zu Zeit nicht voraussehbare neue Tatsachen ergeben,
welche eine weitere Haftverlängerung gebieten oder wenn dem
Beschwerdeführer selber erhebliche Verfahrensverzögerungen
anzulasten wären.

     4.- Die Beschwerde ist somit im Sinne der Erwägungen
abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist dem Be-
schwerdeführer bloss eine reduzierte Gerichtsgebühr auf-
zuerlegen (Art. 156 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen
abgewiesen.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem
Beschwerdeführer auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Unter-
suchungsrichteramt IV Berner Oberland, a.o. Untersuchungs-
richter 4, dem Haftgericht IV Berner Oberland, Haftrich-
ter 1, dem Prokurator der Staatsanwaltschaft IV Berner Ober-
land sowie dem Obergericht des Kantons Bern, Anklagekammer,
schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 7. Dezember 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: