Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.668/2001
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1P.668/2001/bie

Urteil vom 21. Mai 2002

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Féraud, Catenazzi,
Gerichtsschreiberin Widmer.

F. ________, 4058 Basel,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Niklaus Ruckstuhl, Postfach
924, 4123 Allschwil 1,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach,
4001 Basel,
Strafgericht des Kantons Basel-Stadt, Rekurskammer, Schützenmattstrasse 20,
Postfach, 4003 Basel.

Art. 9 und 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 u. 3 lit. d EMRK
(Verteidigungsrechte)

(Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Strafgerichts des
Kantons Basel-Stadt, Rekurskammer,
vom 7. September 2001)
Sachverhalt:

A.
F. ________ wird u.a. des gewerbsmässigen Betrugs verdächtigt. Im Rahmen des
gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens teilte die Staatsanwaltschaft
seinem Verteidiger am 13. Juni 2001 mit, dass sie am 11. Juli 2001 eine
Zeugenbefragung durchführen werde. Der Verteidiger ersuchte daraufhin die
Staatsanwaltschaft um Benennung der einzuvernehmenden Person, da er sich ohne
Kenntnis des Namens des Zeugen nicht auf die Einvernahme vorbereiten und
somit das Fragerecht nicht ausreichend wahrnehmen könne. Der zuständige
Staatsanwalt verfügte am 18. Juni 2001, dass der Name des vorgeladenen Zeugen
nicht bekannt gegeben werde, da ein Angeschuldigter weder einen Anspruch noch
faktisch die Möglichkeit habe, Ergänzungsfragen vorzubereiten. Die gegen
diese Verfügung erhobene Einsprache wies die Staatsanwaltschaft am 21. Juni
2001 ab.

Gegen den Einspracheentscheid erhob F.________ Rekurs an das Strafgericht
Basel-Stadt und beantragte, die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, jeweils
zusammen mit der Vorladung zu einer Beweiserhebung bekannt zu geben, worum es
sich handelt bzw. welche Person befragt wird. Die Rekurskammer des
Strafgerichts gelangte in ihrem Entscheid vom 7. September 2001 zu einer
Abweisung.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 12. Oktober 2001 beantragt F.________
die Aufhebung des Entscheids des Strafgerichts und, für den Fall des
Unterliegens, die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Er macht eine
Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 Ziff. 1 EMRK),
seines Anspruchs auf Konfrontation mit den Belastungszeugen (Art. 6 Ziff. 3
lit. d EMRK, Art. 32 Abs. 2 BV) sowie eine Verletzung der Wirtschaftsfreiheit
(Art. 27 BV) geltend.

Die Staatsanwaltschaft und das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt
beantragen, die Beschwerde abzuweisen. In seiner Replik hält F.________ an
seinen Ausführungen und Anträgen seiner Beschwerde fest. Das Strafgericht hat
auf eine Duplik verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat sich zur Replik
vernehmen lassen und hält darin an ihrem Abweisungsantrag fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und
inwieweit auf eine Beschwerde einzutreten ist (BGE 126 I 207 E. 1 mit
Hinweisen).

1.1 Im angefochtenen Entscheid hat das Strafgericht den vom Beschwerdeführer
geltend gemachten Anspruch verneint, wonach ihm zusammen mit der Einladung
zur Teilnahme an einer Zeugenbefragung jeweils auch der Name des Zeugen
bekannt zu geben sei. Der Beschwerdeführer ist als Angeschuldigter durch
diesen Entscheid in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88
OG) und legitimiert, eine Verletzung seiner verfassungsmässig gewährleisteten
Verteidigungsrechte geltend zu machen (Art. 84 Abs. 1 lit. b OG). Nicht
zugelassen ist er demgegenüber mit der Rüge, der angefochtene Entscheid
stelle eine unzulässige Beschränkung der Ausübung des Anwaltsberufs und damit
der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) dar; da er selber nicht Anwalt ist, hat
er kein eigenes rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des
angefochtenen Entscheids.

1.2 Der Entscheid des Strafgerichts ist kantonal letztinstanzlich ergangen
(Art. 86 Abs. 1 OG). Er schliesst das gegen den Beschwerdeführer hängige
Strafverfahren nicht ab, sondern führt dieses einen Schritt weiter auf dem
Weg zum Endentscheid. Als selbständig eröffneter Zwischenentscheid (zu diesem
Begriff: s. BGE 123 I 325 E. 3b; 122 I 39 E. 1a/aa; 120 III 143 E. 1a; 117 Ia
251 E. 1a), der weder eine Zuständigkeits- noch eine Ausstandsfrage betrifft,
fällt er unter die Regelung von Art. 87 Abs. 2 und 3 OG. Demnach ist die
staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig, wenn der Zwischenentscheid einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann; ansonsten kann er nur mit
Beschwerde gegen den Endentscheid angefochten werden. Beim nicht wieder
gutzumachenden Nachteil muss es sich nach der bundesgerichtlichen Praxis um
einen solchen rechtlicher Natur handeln, der - im Unterschied zu einer
blossen Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens - auch mit einem
späteren günstigen Entscheid nicht gänzlich behoben werden kann (BGE 126 I
207 E. 2; 123 I 325 E. 3c). Dabei ist es nicht nötig, dass sich der Nachteil
schon im kantonalen Verfahren beheben lässt. Es genügt, wenn er in einem
anschliessenden bundesgerichtlichen Verfahren beseitigt werden kann. Indessen
genügt die blosse Möglichkeit eines solchen Nachteils, damit der
Zwischenentscheid angefochten werden kann (BGE 126 I 97 E. 1b und 207 E. 2
mit Hinweisen).

1.3 Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur wird etwa bei
Entscheiden betreffend Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege
regelmässig angenommen, da einem Angeschuldigten mangels einer rechtlichen
Verbeiständung Nachteile entstehen können, die auch durch eine Wiederholung
des Verfahrens nach einem erfolgreich durchlaufenen Rechtsmittelverfahren
kaum je gänzlich zu beheben sind. Dies gilt besonders dann, wenn die
unentgeltliche Rechtspflege gleich zu Beginn eines Strafverfahrens abgelehnt
wird, da die Anwesenheit eines Verteidigers bei den ersten - und oft zugleich
wichtigeren - Beweisabnahmen für den weiteren Verfahrensverlauf wesentlich
ist; hier sprechen ausserdem prozessökonomische Gesichtspunkte für die
Annahme eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur (BGE
126 I 207 E. 2a). Bei der Abweisung eines Gesuchs um Wechsel des amtlichen
Verteidigers ist angesichts der weniger einschneidenden Folgen für den
Angeschuldigten ein solcher Nachteil in der Regel zu verneinen (BGE 126 I 207
E. 2b und c). Dies gilt auch für Zwischenentscheide, in denen ein Gesuch um
Akteneinsicht abgelehnt (Urteil des Bundesgerichts 1P.572/2000 vom 24.
November 2000, E. 1d), auf die Abnahme angebotener Beweise verzichtet (Urteil
1P.359/2000 vom 28. Juni 2000, E. 1b) oder die Beschaffung eines
Entlastungsbeweises erschwert wird (Urteil 1P.711/2000 vom 23. Januar 2001,
E. 2b). Generell wird nach ständiger Praxis bei Zwischenentscheiden, welche
die Beweisführung betreffen, angenommen, dass allfällige Nachteile durch eine
erfolgreiche Anfechtung des Endentscheids in der Hauptsache behoben werden
können (BGE 101 Ia 162; Urteil 1P.179/2000 vom 11. April 2000, E. 1, publ.
in: RDAT 2000 II 66 247).

2.
2.1
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Vorenthalten der Namen der Zeugen bis
zur Einvernahme selbst mache es unmöglich, Ergänzungsfragen vorzubereiten und
die Verteidigungsrechte wirksam auszuüben. Indem der angefochtene Entscheid
ein solches Vorgehen der Staatsanwaltschaft generell zulasse, bewirke er
einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil, zumal nicht anzunehmen sei, dass
sämtliche einvernommenen Zeugen nochmals zur Hauptverhandlung vorgeladen
würden.

Das Strafgericht ist der Auffassung, es bestünden konkrete Anhaltspunkte,
wonach der Verteidiger im Falle einer vorgängigen Bekanntgabe der Namen der
Zeugen mit diesen Kontakt aufnehmen und sie beeinflussen würde, wodurch der
Verfahrenszweck gefährdet würde. Aus diesem Grund verstosse das Vorgehen der
Staatsanwaltschaft vorliegend nicht gegen das Prinzip der Waffengleichheit.
Der Beschwerdeführer erachtet die Annahme, er beabsichtige, mit gewissen
Zeugen in Kontakt zu treten, als aktenwidrig.

2.2
Der Beschwerdeführer hat auch aufgrund des angefochtenen Entscheids die
Möglichkeit, an den Zeugeneinvernahmen teilzunehmen und Ergänzungsfragen zu
stellen. Der Umstand, dass er keine Fragen vorbereiten kann, die auf den
einzelnen Zeugen zugeschnitten sind, stellt eine gewisse Erschwerung der
Verteidigung dar. Dass dem Beschwerdeführer daraus ein nicht wieder
gutzumachender Nachteil entstehen könnte, ist aber nicht ersichtlich. Sollte
der Beschwerdeführer zum Schluss kommen, dass er wesentliche Fragen, die zu
seiner Entlastung hätten beitragen können, an der Einvernahme deshalb nicht
stellte, weil er ohne entsprechende Vorbereitung - etwa aufgrund der Akten -
dazu keinen Anlass sehen musste, so kann er immer noch im Hinblick auf die
Hauptverhandlung oder in einem allfälligen Rechtsmittelverfahren ergänzende
Beweismassnahmen verlangen.

Möglicherweise wäre anders zu entscheiden, wenn sich aus Art. 6 Ziff. 3 lit.
d EMRK, Art. 32 Abs. 2 BV oder aus den §§ 106 ff. der Strafprozessordnung des
Kantons Basel-Stadt (StPO/BS) ergäbe, dass ein umfassendes
Konfrontationsrecht bereits im Untersuchungsverfahren vollumfänglich gewährt
werden muss. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr genügt es, dass der
Angeschuldigte einmal im Verlauf des ganzen Strafverfahrens ausreichende
Gelegenheit erhält, belastende Aussagen zu bestreiten und den Zeugen in
kontradiktorischer Weise Fragen zu stellen (BGE 125 I 127 E. 6b S. 132 f. mit
zahlreichen Hinweisen).

2.3 Vorliegend wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, zahlreiche Personen
durch betrügerisches Verhalten in ihrem Vermögen geschädigt zu haben. Es
besteht kein Grund zur Annahme, dass sich unter diesen Personen wichtige
Zeugen befinden, bei denen eine spätere Befragung erschwert oder
verunmöglicht sein könnte. Dem Beschwerdeführer bleibt es unbenommen, im
Falle einer Verurteilung mit Beschwerde gegen den kantonal letztinstanzlichen
Endentscheid noch einmal das Bundesgericht anzurufen und zu verlangen, dass
gewisse Einvernahmen vor der zuständigen kantonalen Instanz wiederholt würden
(Art. 87 Abs. 3 OG).

3.

Demnach ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Dem Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege kann entsprochen werden (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt:
2.1Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Advokat Dr. Niklaus Ruckstuhl, Allschwil, wird als amtlicher Verteidiger
des Beschwerdeführers bezeichnet und für das bundesgerichtliche Verfahren aus
der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Basel-Stadt und dem Strafgericht des Kantons Basel-Stadt, Rekurskammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Mai 2002

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: