Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.64/2001
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1P.64/2001/boh

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                      13. Februar 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Féraud, Bundesrichter Catenazzi und Gerichtsschrei-
berin Leuthold.

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                         In Sachen

H.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat
Dr. Stefan Suter, Clarastrasse 56, Basel,

                           gegen

Haftrichter des Strafgerichts  B a s e l - S t a d t,
Präsident des Appellationsgerichts des Kantons  B a s e l -
S t a d t,

                         betreffend
                     Haftverlängerung,

hat sich ergeben:

     A.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt
führt gegen H.________ eine Strafuntersuchung wegen Ver-
dachts mehrfachen Raubes, Vergewaltigung, Menschenhandels,
Förderung der Prostitution und weiterer Delikte. Der Vorwurf
des Raubes betrifft mehrere bewaffnete Raubüberfälle, die am
24., 29. und 30. August 2000 auf Massagesalons in Basel ver-
übt wurden. H.________ hat zugegeben, an zwei dieser Raub-
überfälle beteiligt gewesen zu sein; weitere Straftaten will
er nicht begangen haben. Der Angeschuldigte wurde am
26. September 2000 festgenommen und vom Haftrichter des
Strafgerichts Basel-Stadt mit Verfügung vom 28. September
2000 wegen Flucht- und Kollusionsgefahr in Untersuchungshaft
genommen. Diese wurde wiederholt erstreckt. Mit Verfügung
vom 20. Dezember 2000 verlängerte der Haftrichter die Unter-
suchungshaft bis 1. Februar 2001. Gegen diese Verfügung
reichte der Angeschuldigte Beschwerde beim Appellations-
gericht des Kantons Basel-Stadt ein. Mit Urteil vom 9. Ja-
nuar 2001 wies der Präsident des Appellationsgerichts die
Beschwerde ab.

     B.- H.________ liess gegen diesen Entscheid am 29. Ja-
nuar 2001 durch seinen Anwalt staatsrechtliche Beschwerde
beim Bundesgericht erheben. Er beantragt, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben und es sei seine sofortige Haftent-
lassung anzuordnen. Ferner ersucht er um Gewährung der un-
entgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Ver-
fahren.

     C.- Der Haftrichter verzichtete auf eine Stellungnahme
zur Beschwerde. Der Präsident des Appellationsgerichts ver-
zichtete ebenfalls auf eine Vernehmlassung und stellte ge-
stützt auf das angefochtene Urteil den Antrag, die Beschwer-
de sei abzuweisen.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen
den Entscheid des Präsidenten des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt vom 9. Januar 2001, mit dem die vom
Haftrichter am 20. Dezember 2000 verfügte Verlängerung der
Untersuchungshaft bis 1. Februar 2001 bestätigt wurde. Der
Haftrichter hat am 30. Januar 2001 die Haft bis 29. März
2001 verlängert. Der Beschwerdeführer befindet sich somit
weiterhin in Haft und hat demzufolge nach wie vor ein aktu-
elles praktisches Interesse an der Überprüfung des angefoch-
tenen Entscheids (Art. 88 OG).

        b) Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde, die sich
gegen die Aufrechterhaltung der Haft richtet, kann in Abwei-
chung vom Grundsatz der kassatorischen Natur der Beschwerde
nicht nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, son-
dern ausserdem die Entlassung aus der Haft verlangt werden
(BGE 124 I 327 E. 4b/aa S. 332 f.; 115 Ia 293 E. 1a S. 297,
je mit Hinweisen). Die mit der vorliegenden Beschwerde ge-
stellten Anträge sind daher zulässig.

     2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die Abweisung
seiner Beschwerde gegen die Haftverlängerung verletze das
Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 und
Art. 31 BV) sowie das Willkürverbot (Art. 9 BV).

        a) Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt
auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit
wegen Fortdauer der Haft oder Ablehnung eines Haftentlas-
sungsgesuchs erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hin-
blick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwen-
dung des entsprechenden kantonalen Rechts frei. Soweit je-
doch reine Sachverhaltsfeststellungen und damit Fragen der
Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht
grundsätzlich nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen
der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 123 I 31 E. 3a
S. 35, 268 E. 2d S. 271, je mit Hinweisen). Der Berufung auf
das Willkürverbot kommt im vorliegenden Fall neben der Rüge
der Verletzung der persönlichen Freiheit keine selbständige
Bedeutung zu.

        b) Nach § 69 der Strafprozessordnung des Kantons
Basel-Stadt (StPO) ist die Anordnung oder Aufrechterhaltung
der Untersuchungshaft zulässig, wenn die angeschuldigte Per-
son einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Tat dringend ver-
dächtig ist und überdies Flucht-, Kollusions- oder Fortset-
zungsgefahr besteht. Es ist unbestritten, dass im vorliegen-
den Fall die allgemeine Haftvoraussetzung des dringenden
Tatverdachts gegeben ist. Was die besonderen Haftgründe an-
geht, so stützte sich der Haftrichter in seiner Verfügung
vom 20. Dezember 2000 ausschliesslich auf Fortsetzungsge-
fahr; er liess die Frage offen, ob auch der von der Staats-
anwaltschaft im Haftverlängerungsantrag angeführte Haftgrund
der Fluchtgefahr gegeben sei. Der Präsident des Appella-
tionsgerichts vertrat im angefochtenen Entscheid die An-
sicht, es bestehe sowohl Fortsetzungs- als auch Flucht-
gefahr.

        Der Beschwerdeführer bestreitet, dass diese beiden
Haftgründe gegeben seien. Ausserdem hält er es für unzuläs-
sig, dass der Präsident des Appellationsgerichts, nachdem
sich der Haftrichter nur auf Fortsetzungsgefahr gestützt
hatte, "zusätzlich einen neuen Haftgrund" angenommen habe.

        c) Gemäss § 69 StPO setzt Fortsetzungsgefahr vo-
raus, dass konkrete Umstände vorliegen, die befürchten las-
sen, der Angeschuldigte werde die Freiheit benützen, um Ver-
brechen oder Vergehen zu begehen. Nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts ist Fortsetzungsgefahr zu bejahen, wenn
einerseits die Rückfallprognose sehr ungünstig ist und an-
derseits die zu befürchtenden Delikte von schwerer Natur
sind. Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung wei-
terer Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur gering-
fügige Straftaten verübt werden, reichen dagegen nicht aus
(BGE 123 I 268 E. 2c S. 270).

        Wie den Akten zu entnehmen ist, erhob die Staats-
anwaltschaft des Kantons Basel-Stadt am 27. September 2000
gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen versuchten und
vollendeten Betrugs, Veruntreuung, Irreführung der Rechts-
pflege sowie Fahrens trotz aberkannten Führerausweises. Die
Vermögensdelikte, welche einen Deliktsbetrag von insgesamt
über Fr. 110'000.-- ausmachen, soll er in der Zeit zwischen
Juli 1999 und August 2000 begangen haben. Während der Hän-
gigkeit dieses Verfahrens musste im September 2000 gegen den
Beschwerdeführer die hier zur Diskussion stehende Straf-
untersuchung eröffnet werden, in welcher es um schwere De-
liktsvorwürfe, insbesondere um die Teilnahme an mehreren be-
waffneten Raubüberfällen sowie um Vergewaltigung, Menschen-
handel und Förderung der Prostitution geht. Im angefochtenen
Entscheid wird betont, dies zeige, dass sich der Beschwerde-
führer durch die im ersten Strafverfahren erfolgten Ermitt-
lungsmassnahmen der Staatsanwaltschaft und die Aussicht auf

eine gerichtliche Beurteilung in keiner Weise habe beein-
drucken lassen. Das Tatmotiv sei darauf zurückzuführen, dass
der Beschwerdeführer möglichst leicht zu hohen Geldbeträgen
kommen wolle, um seinen aufwändigen Lebensstil im Milieu
weiterführen zu können. Sodann wird im angefochtenen Ent-
scheid darauf hingewiesen, der Beschwerdeführer habe nach
eigenen Angaben bereits als Minderjähriger wiederholt mit
der Jugendanwaltschaft zu tun gehabt; er sei am 9. Februar
2000 u.a. wegen Fahrens trotz Aberkennung bzw. Verweigerung
des Führerausweises zu 30 Tagen Gefängnis bedingt sowie zu
einer Busse von Fr. 1'100.-- verurteilt worden, was ihn in
der Folge aber nicht am Autofahren in der Schweiz gehindert
habe. Die kantonale Instanz hat mit Grund angenommen, schon
in Anbetracht des geschilderten Verhaltens des Beschwerde-
führers sei die Rückfallprognose sehr ungünstig.

        Im Weiteren vertrat sie die Ansicht, beim Beschwer-
deführer bestünden zur Zeit auch aufgrund seiner Lebensum-
stände geringe Aussichten auf Bewährung. Sie führte aus, der
Beschwerdeführer habe seine sozialen Kontakte "ausschliess-
lich im Verbrecher- und Sexmilieu gesucht" und sich auch im
Berufsleben bislang nicht integrieren können, sondern "nach
dem Abbruch einer Kochlehre wegen Unfähigkeit, die Autorität
von Vorgesetzten zu akzeptieren", als Callboy gearbeitet. In
der staatsrechtlichen Beschwerde werden die beiden zitierten
Feststellungen als willkürlich bezeichnet. Die zweitgenannte
Feststellung ist sachlich vertretbar, hat doch der Beschwer-
deführer bei der Einvernahme zur Person am 7. März 2000 sel-
ber erklärt, er habe die Kochlehre abgebrochen, weil er es
nicht habe ertragen können, dass ihm jemand immer gesagt
habe, was er machen müsse. Wie es sich mit der erstgenannten
Feststellung verhält, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn
sie unhaltbar wäre, würde das nichts daran ändern, dass die
kantonale Instanz ohne Willkür annehmen konnte, aufgrund der
Lebensumstände des Beschwerdeführers und seines Verhaltens

während des Strafverfahrens betreffend die bereits zur An-
klage gebrachten Taten bestünden konkrete Anhaltspunkte
dafür, dass er im Falle einer Haftentlassung erneut ähnlich
gelagerte Delikte wie die ihm in der laufenden Untersuchung
zur Last gelegten begehen würde. Was diese Delikte angeht,
so hat der Beschwerdeführer zugegeben, an zwei bewaffneten
Raubüberfällen auf Massagesalons beteiligt gewesen zu sein.
Bewaffnete Raubüberfälle stellen schwere Gewaltdelikte dar,
und bei solchen Delikten dürfen an die Annahme von Wieder-
holungsgefahr keine allzu hohen Anforderungen gestellt
werden, ansonst die potentiellen Opfer allfälliger neuer
Gewalttaten des Beschwerdeführers einem nicht verantwort-
baren Risiko ausgesetzt wären (vgl. BGE 123 I 268 E. 2e
S. 271). Der Präsident des Appellationsgerichts verletzte
daher das Grundrecht der persönlichen Freiheit nicht, wenn
er zum Schluss gelangte, beim Beschwerdeführer bestehe Fort-
setzungsgefahr.

        d) Obgleich es für die Fortdauer der Haft genügt,
wenn ein einziger besonderer Haftgrund (neben der allgemei-
nen Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts) vorliegt,
hat der Präsident des Appellationsgerichts geprüft, ob beim
Beschwerdeführer auch noch Fluchtgefahr bestehe, und diese
Frage bejaht. Er führte aus, der Beschwerdeführer müsse im
Falle eines Schuldspruchs wegen der ihm vorgeworfenen massi-
ven Delinquenz mit einer freiheitsentziehenden Massnahme
oder einer nicht mehr bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe
rechnen, weshalb er ein erhebliches Interesse habe, sich der
Strafverfolgung zu entziehen. Was die persönlichen Verhält-
nisse des Beschwerdeführers betreffe, so habe dieser als
Kind ungarischer Flüchtlinge im Jahre 1995 zwar das
Schweizer Bürgerrecht erhalten, doch besitze er auch noch
die ungarische Staatsangehörigkeit. Der Beschwerdeführer
habe sich bis in die jüngste Vergangenheit häufig in Ungarn
aufgehalten, wo er auch einen Führerausweis erworben habe;

gemäss eigenen Angaben verfüge er in Ungarn über ein viel-
fältiges Beziehungsnetz, das ihm den Verbleib in diesem Land
ermöglichen würde. Der Präsident des Appellationsgerichts
gelangte zum Schluss, nicht nur die Höhe der drohenden Frei-
heitsstrafe, sondern auch die persönlichen Verhältnisse des
Beschwerdeführers sprächen im Falle einer Haftentlassung für
dessen Flucht, so dass eine solche nicht nur als möglich,
sondern als wahrscheinlich zu erachten sei.

        aa) In der staatsrechtlichen Beschwerde wird dem
Präsidenten des Appellationsgerichts vorgeworfen, er habe
das Verbot der reformatio in peius verletzt, weil er zusätz-
lich den Haftgrund der Fluchtgefahr angenommen habe, ob-
gleich sich der Haftrichter lediglich auf Fortsetzungsgefahr
gestützt und die Frage der Fluchtgefahr offen gelassen habe.

        Das Verbot der reformatio in peius gehört nicht zu
den verfassungsmässigen Rechten, sondern bildet Bestandteil
des kantonalen Verfahrensrechts (Urteil des Bundesgerichts
vom 23. März 1973, publiziert in SJ 95/1973, S. 402 E. 3;
nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom
25. Juni 1996 i.S. Z., E. 2b). In der baselstädtischen StPO
ist es in § 164 Abs. 2 enthalten. Danach kann, wenn Verur-
teilte oder zu ihren Gunsten die Staatsanwaltschaft ein
Rechtsmittel einlegen, die Entscheidung nicht zu ihren Un-
gunsten geändert werden. Allgemein und auch nach dieser Vor-
schrift kommt das Verbot der reformatio in peius nur zur An-
wendung, wenn gegen einen Entscheid, mit dem der Angeschul-
digte zu einer Strafe (oder Massnahme) verurteilt wurde, ein
Rechtsmittel ergriffen wird, nicht aber dann, wenn - wie im
vorliegenden Fall - gegen eine Haftverfügung Beschwerde ein-
gereicht wird. Die Berufung des Beschwerdeführers auf das
Verbot der reformatio in peius ist klarerweise verfehlt.

        bb) Im Übrigen ist es verfahrensrechtlich nicht zu
beanstanden, wenn der Präsident des Appellationsgerichts
- im Gegensatz zum Haftrichter - die Frage der Fluchtgefahr
geprüft hat, nachdem sich die Staatsanwaltschaft in ihrer
Vernehmlassung zur Haftbeschwerde auf diesen Haftgrund be-
rufen hatte, und dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben
worden war, zu dieser Vernehmlassung Stellung zu nehmen.

        cc) Die Überlegungen, mit denen der Präsident des
Appellationsgerichts das Vorhandensein von Fluchtgefahr be-
jahte, lassen sich mit guten Gründen vertreten. Was in der
staatsrechtlichen Beschwerde dagegen eingewendet wird, ist
nicht geeignet, den angefochtenen Entscheid in diesem Punkt
als verfassungswidrig erscheinen zu lassen.

        Nach dem Gesagten verletzte der Präsident des Ap-
pellationsgerichts das Grundrecht der persönlichen Freiheit
nicht, wenn er die vom Haftrichter am 20. Dezember 2000 ver-
fügte Verlängerung der Untersuchungshaft bestätigte. Die
staatsrechtliche Beschwerde ist daher abzuweisen.

     3.- Dem Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 152 Abs. 1
und 2 OG kann mit Rücksicht auf die gesamten Umstände des
Falles entsprochen werden.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

     2.- Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche
Rechtspflege gewährt:

        a) Es werden keine Kosten erhoben.

        b) Advokat Dr. Stefan Suter, Basel, wird als amtli-
cher Anwalt des Beschwerdeführers bezeichnet und für das
bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit
Fr. 1'500.-- entschädigt.

     3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Haft-
richter des Strafgerichts Basel-Stadt und dem Präsidenten
des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt schriftlich
mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 13. Februar 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                  Die Gerichtsschreiberin: