I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.635/2001
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1P.635/2001/sta I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG ********************************** 30. Oktober 2001 Es wirken mit: Bundesrichter Nay, präsidierendes Mitglied der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Aeschlimann, Bundesrichter Féraud und Gerichtsschreiberin Widmer. --------- In Sachen X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Christoph Schönberg, Postfach 130, Solothurn, gegen Untersuchungsrichteramt des Kantons S o l o t h u r n, Geschäftsstelle Oensingen, Obergericht des Kantons S o l o t h u r n, Strafkammer, betreffend Art. 10 Abs. 2 und 31 BV, Art. 5 EMRK (Haftprüfung; Fluchtgefahr), hat sich ergeben: A.- X.________ wird vorgeworfen, am 8. Juli 2001 um ca. 3 Uhr morgens in Neuendorf die ihm unbekannte Y.________, die er an einem Dorffest angetroffen hatte, sexuell genötigt zu haben. Seit August 2001 wird gegen ihn auch wegen mehrfa- cher Drohung, Nötigung und Vergewaltigung seiner Ehefrau er- mittelt. X.________ wurde wegen dieser Tatverdächtigungen sowie Kollusions- und Fluchtgefahr am 13. Juli 2001 in Un- tersuchungshaft genommen. Die Strafkammer des Obergerichts hat auf entsprechende Gesuche des Untersuchungsrichters hin die Haft bereits drei Mal verlängert, letztmals mit Be- schluss vom 5. Oktober 2001 bis einstweilen 31. Oktober 2001. Das Obergericht befürchtet, X.________ könnte die Flucht ergreifen, weil ihm eine längere Freiheitsstrafe dro- he, die Aufenthaltsbewilligung kaum verlängert werde und seine nahen Familienangehörigen in seiner Heimat im Kosovo lebten. B.- Der letzte Haftverlängerungsbeschluss des Oberge- richts ist allerdings erst im Laufe des bundesgerichtlichen Verfahrens ergangen. Mit staatsrechtlicher Beschwerde ange- fochten hat X.________ den vorangehenden Beschluss vom 30. August 2001. X.________ beantragt die Aufhebung dieses Beschlusses sowie seine umgehende Entlassung aus der Haft. Für das bundesgerichtliche Verfahren beantragt er die unent- geltliche Rechtspflege. Das Obergericht und das Untersuchungsrichteramt be- antragen die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hält in seiner Replik an seinen Anträgen fest. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- Im angefochtenen Beschluss hat das Obergericht die Haft bis zum 5. Oktober 2001 verlängert. Diese Frist ist kurz nach Einreichen der staatsrechtlichen Beschwerde abge- laufen und das Obergericht hat, wie aus den aktuellen Akten hervor geht, gestützt auf ein Ende September 2001 gestelltes Gesuch des Untersuchungsrichters die Haft ein drittes Mal bis einstweilen 31. Oktober 2001 verlängert. Der Beschwerde- führer befindet sich somit immer noch in Haft und hat, trotz abgelaufener Gültigkeit des hier angefochtenen Beschlusses, ein aktuelles praktisches Interesse an der Prüfung seiner Haftbeschwerde (vgl. BGE 125 I 394 E. 4b S. 397 mit Hinwei- sen). 2.- a) Die Anordnung und Aufrechterhaltung einer Haft ist als Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 und 31 BV) nur zulässig, wenn sie auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist. Zudem darf sie den Kerngehalt der persönlichen Freiheit nicht antasten: Diese darf weder völlig unterdrückt noch ihres Gehalts als Insti- tution der Rechtsordnung entleert werden (Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 36 BV; vgl. BGE 125 I 361 E. 4a; 124 I 80 E. 2c, je mit Hinweisen). Art. 5 EMRK geht in seinem Gehalt nicht über den verfassungsmässigen Anspruch auf persönliche Frei- heit hinaus. Das Bundesgericht berücksichtigt bei der Kon- kretisierung dieses Anspruchs indessen die Rechtsprechung der Konventionsorgane (BGE 114 Ia 281 E. 3; 108 Ia 64 E. 2c mit Hinweisen). Angesichts der Schwere des mit einem Freiheitsent- zug verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheit prüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung der kantonalen Eingriffsnormen mit freier Kognition (BGE 124 I 80 E. 2; 123 I 31 E. 3a). Auf eine Willkürprüfung beschränkt es sich, so- weit Sachverhaltsfeststellungen sowie Fragen der Beweiswür- digung in die Beurteilung miteinzubeziehen sind (BGE 123 I 31 E. 3a und 268 E. 2d; 117 Ia 72 E. 1, je mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür: BGE 127 I 38 E. 2a S. 41). b) Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die An- nahme von Fluchtgefahr und macht geltend, die Haftvorausset- zungen nach § 42 Abs. 2 lit. a der Strafprozessordnung vom 13. Mai 1977 des Kantons Solothurn (StPO/SO) seien nicht er- füllt. Danach darf Untersuchungshaft nur angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn die Person einer mit Frei- heitsstrafe bedrohten Tat verdächtigt wird und die ernstli- che Gefahr besteht, dass sie sich der Strafverfolgung durch Flucht entziehen würde. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird für die Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse Wahrschein- lichkeit gefordert, dass sich der Betreffende, in Freiheit belassen, der Strafverfolgung durch Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als Indiz für Flucht- gefahr gewertet werden. Sie genügt für sich allein jedoch nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die ge- samten Lebensverhältnisse des Angeschuldigten in Betracht gezogen und konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Dauer der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsa- chen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a; 117 Ia 69 E. 4a; 108 Ia 64 E. 3). c) Der Beschwerdeführer hat aufgrund der Tatvorwür- fe mit einer längeren Freiheitsstrafe zu rechnen, die nach der Einschätzung des Obergerichts 18 Monate übersteigen könnte; darin liegt ohne Zweifel ein gewisser Fluchtanreiz. Hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des Beschwerde- führers ist zu beachten, dass seine nahen Angehörigen, das heisst seine Eltern und seine Schwestern, in seiner Heimat im Kosovo leben. Eine eigene Familie hat der Beschwerdefüh- rer hier nicht. Auch wenn sein Bruder und sein Onkel eben- falls in der Schweiz leben und er zu diesen eine gute Be- ziehung hat, ist er damit noch nicht in diesem Land verwur- zelt. Der Beschwerdeführer ist erst im Juni 1998 in die Schweiz gekommen und hat sich im August 2000 mit einer Schweizerin verheiratet. Seine Ehefrau lebt allerdings seit Ende Mai 2001 von ihm getrennt und hält aus Angst vor ihm ihren Aufenthaltsort geheim; das Scheidungsverfahren ist be- reits hängig. Der Beschwerdeführer kann im Falle einer Ver- urteilung nicht damit rechnen, dass seine Aufenthaltsbewil- ligung verlängert wird. Angesichts dieser Umstände bieten seine Vorbringen, er habe bis zur Verhaftung immer in der Schweiz gearbeitet und den Behörden ausdrücklich erklärt, dass er hier bleiben wolle, keine ausreichende Gewähr dafür, dass er sich im Falle einer Freilassung nicht der Strafver- folgung durch Flucht entziehen würde. Das Obergericht geht zu Recht von Fluchtgefahr aus. 3.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die bisherige Haftdauer sei unverhältnismässig. Dies müsse zu seiner Ent- lassung führen. Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innert einer angemessenen Frist abgeurteilt oder während des Verfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Auch aus dem Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 36 Abs. 3 BV) ergibt sich, dass eine Person nicht übermässig lange in Haft gehalten werden darf. Die Haftdauer erweist sich dann als zu lang, wenn sie die mut- massliche Dauer der konkret zu erwartenden Freiheitsstrafe übersteigt. Die Haft darf nur solange erstreckt werden, als ihre Dauer nicht in grosse Nähe der konkret zu erwartenden Freiheitsstrafe rückt (BGE 126 I 172 E. 5a; 124 I 208 E. 6 S. 215; 123 I 268 E. 3a). Vorliegend stehen mit den Vorwür- fen der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung schwere De- likte in Frage, für die dem Beschwerdeführer ein längerer Freiheitsentzug droht. Das Obergericht geht dabei von mehr als 18 Monaten aus. Der Beschwerdeführer befindet sich erst seit rund drei Monaten in Haft. Er tut nicht dar, dass ein Strafantrag im erwähnten Ausmass überrissen wäre. Die bishe- rige Haftdauer rückt demnach noch nicht in die Nähe der Freiheitsstrafe, mit welcher der Beschwerdeführer zu rechnen hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Strafuntersu- chung bisher nicht genügend vorangetrieben worden wäre. Der Vorwurf der Überhaft erweist sich ebenfalls als unbegründet. 4.- Demnach ist die staatsrechtliche Beschwerde abzu- weisen. Dem Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechts- pflege kann entsprochen werden, da die finanzielle Bedürf- tigkeit glaubhaft erscheint und die Beschwerde noch nicht als geradezu aussichtslos zu betrachten war (Art. 152 OG). Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 2.- Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt: a) Es werden keine Kosten erhoben; b) Fürsprecher Christoph Schönberg, Solothurn, wird als amtlicher Rechtsvertreter des Beschwerdeführers bezeich- net und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundes- gerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt. 3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem Untersuchungsrichteramt und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. ______________ Lausanne, 30. Oktober 2001 Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin: