Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.583/2001
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001


1P.583/2001/zga

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                     11. Dezember 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Aeschlimann, Ersatzrichterin Pont Veuthey und
Gerichtsschreiber Pfäffli.

                         ---------

                         In Sachen

F.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher
Dr. Peter Stauffer, Schauplatzgasse 9, Postfach 7235, Bern,

                           gegen

a.o. Generalprokurator des Kantons  B e r n,
Obergericht des Kantons  B e r n, II. Strafkammer,

                         betreffend
        Art. 9 und 32 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 2 EMRK
                     (Strafverfahren),

hat sich ergeben:

     A.- Das Untersuchungsrichteramt Bern ermittelte ab
August 1995 gegen A.________, B.________ und C.________
wegen Verletzung von Amtspflichten zum Nachteil ihres
Arbeitgebers, der damaligen Telecom/PTT. Im Zuge dieses
Verfahrens eröffnete der Untersuchungsrichter am 17. Mai
1996 die Strafverfolgung gegen F.________ durch Einleitung
einer Voruntersuchung wegen Gehilfenschaft zu ungetreuer
Amtsführung, Bestechens sowie Anstiftung zu Urkundenfäl-
schung im Amt. F.________ war Alleininhaber der Firma
F.________ Marketing und Verwaltungsratspräsident der
ZI.________ AG, welche geschäftliche Beziehungen zur Telecom
unterhielten. An der ZI.________ AG war er zu einem Drittel
finanziell beteiligt.

        Mit übereinstimmendem Beschluss des zuständi-
gen Untersuchungsrichters, der Staatsanwaltschaft Bern-
Mittelland und des stellvertretenden Generalprokurators
des Kantons Bern vom 27. Juni 1997/31. Dezember 1998 wurde
F.________ wegen Bestechens und Gehilfenschaft zu ungetreuer
Amtsführung mit sieben weiteren Angeschuldigten zur Beur-
teilung an den Strafeinzelrichter des Gerichtskreises VIII
Bern-Laupen überwiesen. Der Einzelrichter sprach ihn mit
Urteil vom 31. Mai 2000 von diesen Vorwürfen frei.

     B.- Die Staatsanwaltschaft ergriff gegen das Urteil
des Einzelrichters die Appellation. In Gutheissung dieses
Rechtsmittels wurde F.________ vom Obergericht des Kantons
Bern mit Urteil vom 6. März 2001 des Bestechens und der Ge-
hilfenschaft zu ungetreuer Amtsführung schuldig erklärt.
Das Obergericht verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe von
drei Monaten, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges,
sowie einer Busse von Fr. 1'000.-- und auferlegte ihm einen

Anteil der erstinstanzlichen Verfahrenskosten. Es erwog na-
mentlich, zwischen den drei erwähnten Bundesbediensteten und
verschiedenen, von der Telecom mit Aufträgen bedienten Un-
ternehmen sei ein Netzwerk errichtet worden. Die an diesem
Netzwerk Beteiligten, darunter die Firma F.________ Marketing
und die ZI.________ AG, hätten vereinbart, dass die Auftrag-
nehmer als Gegenleistung für den Erhalt von Aufträgen den
drei involvierten Telecom-Angestellten Provisionszahlungen
von insgesamt 10% des jeweiligen Auftragsvolumens ausrichte-
ten. Über eine Drittfirma, die Y.________ AG, habe F.________
nach vorgängiger Absprache mit A.________ den drei beteiligten
Beamten für Aufträge der Telecom an die F.________ Marketing
angebliche Provisionen von insgesamt Fr. 19'323.95 zukommen
lassen. Zudem sei er den drei Telecom-Mitarbeitern bei der
verdeckten Gründung der ZII.________ AG behilflich gewesen,
obwohl er gewusst habe, dass diese zufolge ihres faktischen
Beamtenstatus' zur Gründung und dem Betrieb einer eigenen
Gesellschaft nicht berechtigt waren.

     C.- F.________ hat gegen das Urteil des Obergerichts
am 7. September 2001 eine Nichtigkeitsbeschwerde sowie eine
staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Mit der Nichtigkeits-
beschwerde verlangt er die Aufhebung des angefochtenen Ent-
scheids hinsichtlich seiner Verurteilung wegen Gehilfenschaft
zu ungetreuer Amtsführung. Mit der staatsrechtlichen Beschwer-
de beantragt er sinngemäss die Aufhebung des Urteils, soweit
seine Verurteilung wegen Bestechens betreffend, sowie die
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung;
er rügt einen Verstoss gegen Art. 9 und 32 Abs. 1 BV sowie
Art. 6 Ziff. 2 EMRK.

     D.- Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde hat
das Obergericht des Kantons Bern auf eine Vernehmlassung

verzichtet. Der a.o. Generalprokurator des Kantons Bern
beantragt die kostenfällige Abweisung der staatsrechtlichen
Beschwerde.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Der Beschwerdeführer hat gegen den angefochte-
nen Entscheid gleichzeitig eine Nichtigkeitsbeschwerde und
eine staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Für die Beur-
teilung dieser beiden Rechtsmittel ist grundsätzlich der
Kassationshof des Bundesgerichts zuständig (Art. 7 Ziff. 1
und 2 des Reglements für das Schweizerische Bundesgericht;
SR 173.111.1). Entgegen dieser Regelung ist die vorliegende
staatsrechtliche Beschwerde von der I. öffentlichrechtlichen
Abteilung des Bundesgerichts zu beurteilen, da hier zwei
weitere staatsrechtliche Beschwerden mit identischem Wort-
laut rechtshängig sind (Art. 8 Abs. 2 des Reglements).

     2.- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des
Grundsatzes "in dubio pro reo".

        a) Gemäss Art. 32 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 2
EMRK gilt jede angeschuldigte Person bis zur rechtskräftigen
Verurteilung als unschuldig. Die Maxime "in dubio pro reo"
ist ein Aspekt der Unschuldsvermutung (BGE 120 Ia 31 E. 2b
S. 35).

        Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es
Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten zu
beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss.
Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter einen An-
geklagten (einzig) mit der Begründung verurteilt, er habe

seine Unschuld nicht nachgewiesen. Solche Fälle, in denen
der Richter seinen Schuldspruch ausdrücklich auf die Erwä-
gung stützt, der Angeklagte habe seine Schuldlosigkeit nicht
bewiesen, kommen in der Praxis nur selten vor. Der Satz "in
dubio pro reo" ist aber auch dann verletzt, wenn sich aus
der Begründung des Urteils ergibt, dass der Strafrichter von
der falschen Meinung ausging, der Angeklagte habe seine Un-
schuld zu beweisen, und dass er ihn verurteilte, weil ihm
dieser Beweis misslang (BGE 127 I 38 E. 2a S. 40; 120 Ia 31
E. 2c S. 37).

        Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz,
dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für
den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären
darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob
sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Maxime ist
verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklag-
ten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und
theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer
möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden
kann. Das Bundesgericht legt sich bei der Überprüfung von
Beweiswürdigungen im Strafprozess Zurückhaltung auf. Es
greift mit anderen Worten nur ein, wenn der Sachrichter den
Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung
des ganzen Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche und
schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen
Schuld fortbestanden (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 124 IV 86
E. 2a S. 88; 120 Ia 31 E. 2c und d S. 37 f.).

        b) Der Beschwerdeführer macht ausdrücklich eine
Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" als Beweis-
lastregel geltend.

        aa) Soweit er in diesem Zusammenhang zu behaup-
ten scheint, das Obergericht habe Art. 288 aStGB fehlerhaft
angewendet, hätte er dies mit einer Nichtigkeitsbeschwerde

gemäss Art. 268 ff. BStP rügen müssen. Insofern ist auf
die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten (Art. 84
Abs. 2 OG).

        bb) Im Übrigen sind die Vorbringen des Beschwer-
deführers offensichtlich nicht geeignet darzutun, dass
das Obergericht ihn lediglich verurteilte, weil er seine
Unschuld nicht beweisen konnte. Er beanstandet im Wesent-
lichen, dass das Obergericht gestützt auf die Angaben der
angeschuldigten Telecom-Angestellten das Bestehen eines
Netzwerkes und einer Provisionsabsprache angenommen und
seine eigenen Einwendungen als nicht stichhaltig verworfen
habe; den Beweis einer vorgängigen Absprache sei das Ober-
gericht jedoch schuldig geblieben. Diese Ausführungen be-
treffen indes nicht Fragen der Beweislast. Sie richten sich
vielmehr gegen einzelne Teilergebnisse des Beweisverfahrens
und damit gegen die Beweiswürdigung als solche. Darauf ist
nachfolgend (E. 1c) einzugehen. Die Beschwerde erweist sich
demnach hinsichtlich der behaupteten Verletzung des Grund-
satzes "in dubio pro reo" als Beweislastregel als unbegrün-
det, soweit sie den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b
OG (BGE 127 I 38 E. 3c S. 43, 125 I 492 E. 1b S. 495, je mit
Hinweisen) überhaupt zu genügen vermag.

        c) aa) Nach Auffassung des Beschwerdeführers
hat das Obergericht die Beweise willkürlich gewürdigt und
falsche Annahmen getroffen. Es habe interne Absprachen der
Telecom-Angestellten A._______, B.________ und C.________,
welche diese im Rahmen der von ihnen betriebenen ZII.________
AG getroffen hatten, unbesehen auf aussenstehende Dritte über-
tragen und gestützt darauf angenommen, dass ein Netzwerk so-
wie eine "flächendeckende" Provisionsabsprache bestanden ha-
be. Eine solche Absprache unter allen Beteiligten sei jedoch
nicht klar und eindeutig bewiesen. Während das Obergericht
Eingeständnisse der Telecom-Mitarbeiter als glaubhaft be-
zeichne, habe es die Gegenargumente weiterer Angeschuldigter

mit willkürlicher Begründung verworfen. Es treffe zu, dass
für bestimmte Aufträge der Telecom 10% des Auftragsvolumens
an die Y.________ AG bezahlt wurden, doch seien diese Über-
weisungen aufgrund von Einzelabsprachen erfolgt und hätten
mit einer generellen Provisionierung nichts zu tun.

        bb) Im angefochtenen Entscheid hat sich das Ober-
gericht einlässlich mit den vom Beschwerdeführer und weite-
ren Angeschuldigten erbrachten Zahlungen an die Y.________
AG auseinandergesetzt. Es kommt zum Schluss, dass die frag-
lichen Überweisungen auf der Basis einer vorgängigen Provi-
sionsabsprache erfolgt seien. Zur Begründung weist es darauf
hin, der Beschwerdeführer und die mit ihm angeschuldigten
E.________ und D.________ hätten von sich aus auf eine Sit-
zung vom 29. April 1995 in Egerkingen hingewiesen, an wel-
cher zusammen mit A.________ der Aufbau eines Netzwerkes be-
sprochen worden sei. Den Angaben von A.________, B.________
und C.________ zufolge sei sowohl dem Beschwerdeführer als
auch E.________ und D.________ bekannt gewesen, dass die
von den Auftragnehmern an die Y.________ AG überwiesenen
Gelder für die drei Telecom-Mitarbeiter bestimmt seien. Für
das Bestehen einer Provisionsabsprache spreche zudem der
Bericht über die Aktionärsversammlung der ZII.________ AG
vom 12. Juli 1995, eine von C.________ am 17. Juli 1995 ver-
fasste Zusammenstellung der vorzunehmenden Provisionsbezüge
sowie der Umstand, dass die Aufträge der Telecom an die be-
teiligten Firmen nach der Gründung der ZII.________ AG und
der Zusammenkunft vom 29. April 1995 schlagartig zugenommen
hätten. Die Aussagen der Angeschuldigten seien nicht geeig-
net, die sie belastenden Beweismittel zu entkräften.

        cc) Diese Erwägungen sind verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden. Das Obergericht hat sich im Beweis-
verfahren zu Recht nicht darauf beschränkt, das Handeln

aller Beteiligten individuell zu würdigen, sondern hat de-
ren Verhalten in einen Gesamtzusammenhang gestellt. Dabei
hat es nicht nur die Aussagen der an den fraglichen Geschäf-
ten partizipierenden Personen, sondern auch die greifbaren
schriftlichen Unterlagen in die Beweiswürdigung miteinbe-
zogen. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers hat es
die von den Telecom-Angestellten im Rahmen der ZII.________
AG getroffenen internen Absprachen adäquat gewichtet. So-
dann hat es sich in der schriftlichen Urteilsbegründung über
zwölf Seiten hinweg mit den Einwendungen des Beschwerdefüh-
rers sowie der Angeschuldigten D.________ und E.________
auseinandergesetzt. Auf jene umfangreichen und schlüssigen
Ausführungen kann an dieser Stelle verwiesen werden. Wenn
das Obergericht im angefochtenen Entscheid namentlich fest-
hält, für die Zahlungen sei ein realer Hintergrund nicht
ersichtlich und sie stellten kein Entgelt für allfällige Un-
teraufträge der Auftragnehmer an die Y.________ AG dar, hat
es die Beweise nicht offensichtlich falsch oder einseitig
gewürdigt. Die Vorbringen des Beschwerdeführers vermögen
daran nichts zu ändern. Er selber hat die markante Zunahme
von Aufträgen der Telecom an die F.________ Marketing, die
ZI.________ AG und die X.________ AG ab 29. April 1995 nicht
bestritten. Dieser Umstand stellt zweifellos ein gewichtiges
Indiz für das Bestehen einer Provisionsabrede dar, und dies
selbst dann, wenn nicht für sämtliche Aufträge, sondern
bloss für einzelne davon Provisionszahlungen geleistet wur-
den. Die Einwände des Beschwerdeführers schlagen unter die-
sen Umständen fehl.

     3.- Aus den dargestellten Gründen ist die staats-
rechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie eingetreten
werden kann. Bei diesem Ausgang des bundesgerichtlichen Ver-
fahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzu-
erlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf eingetreten werden kann.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Be-
schwerdeführer auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem a.o.
Generalprokurator des Kantons Bern und dem Obergericht des
Kantons Bern, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 11. Dezember 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: