Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.550/2001
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001


1P.550/2001/sta

Urteil vom 9. Januar 2002

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Störi.

R.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian
Widmer, Rämistrasse 3, Postfach 74, 8024 Zürich,

gegen

Statthalteramt des Bezirkes Pfäffikon, Hörnlistrasse 55, 8330 Pfäffikon ZH,
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, Postfach, 8023 Zürich,
Kassationsgericht des Kantons Zürich, Postfach 4875, 8022 Zürich.

Art. 9 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK (Nachtruhestörung, Übertretung des
Ruhetagsgesetzes)

(Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kassationsgerichts des
Kantons Zürich vom 13. Juni 2001)

Sachverhalt:

A.
Das Statthalteramt Pfäffikon verurteilte R.________ am 29. Juni 1999 wegen
Nachtruhestörung, Durchführung einer Tanzveranstaltung an einem hohen
Feiertag, Abgabe von Speisen und Getränken zum Genuss an Ort und Stelle ohne
Patent sowie Missachtung der gesetzlichen Schliessungszeiten zu einer Busse
von 5'000 Franken. Ausserdem verfügte es den Einzug des unrechtmässig
erlangten Vermögensvorteils von 15'000 Franken. Es warf ihm vor, als
Verantwortlicher des Vereins "M.________" über Pfingsten 1999 am B.________
in W.________ eine Techno-Party veranstaltet zu haben.

Am 20. Januar 2000 verurteilte der Einzelrichter des Bezirksgerichts
Pfäffikon R.________ wegen Übertretung des Straf- und Vollzugsgesetzes, des
Ruhetagsgesetzes und des Gastgewerbegesetzes zu zwei Monaten Haft unbedingt
und zur Ablieferung des unrechtmässig erlangten Deliktsvorteils in der  Höhe
von 10'000 Franken.

Auf dessen Berufung hin sprach das Obergericht des Kantons Zürich R.________
am 18. September 2000 vom Vorwurf der Übertretung des Gastgewerbegesetzes
frei. Es verurteilte ihn wegen Widerhandlung gegen das Straf- und
Vollzugsgesetz sowie das Ruhetagsgesetz zu 2'000 Franken Busse. Von einer
Einziehung des unrechtmässig erlangten Vermögensvorteils sah es ab.

Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die Nichtigkeitsbeschwerde von
R.________ am 13. Juni 2001 ab.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 13. Juni 2001 wegen Verletzung von Art.
9 BV beantragt R.________, dieses Urteil des Kassationsgerichts aufzuheben.
Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.

Das Statthalteramt Pfäffikon und das Kassationsgericht verzichten auf
Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Beim angefochtenen Entscheid des Kassationsgerichts handelt es sich um einen
letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Der
Beschwerdeführer ist durch die strafrechtliche Verurteilung in seinen
rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb er befugt ist,
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen. Da diese und die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde unter dem
Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38
E. 3c; 125 I 492 E. 1b) einzutreten. Soweit im Folgenden auf Ausführungen in
der Beschwerde nicht eingetreten wird, erfüllen sie die gesetzlichen
Anforderungen an die Beschwerdebegründung nicht, was namentlich etwa auf die
Rüge zutrifft, er hätte aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht wegen
Nachtruhestörung verurteilt werden dürfen.

2.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, die Beweise willkürlich
gewürdigt und gegen den Grundsatz in "dubio pro reo" verstossen zu haben.

2.1 Die Rechtsregel, wonach der Richter "im Zweifel zugunsten des
Angeklagten" zu entscheiden hat, ergibt sich für das schweizerische Recht aus
Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK. Als Beweiswürdigungsregel besagt
sie, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den
Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei
objektiver Betrachtungsweise Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so
verwirklicht hat. Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter an der
Schuld des Angeklagten hätte zweifeln müssen. Als Beweislastregel bedeutet
die Maxime, dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten
zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss.

Ob der Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel verletzt ist,
prüft das Bundesgericht nur auf Willkür. Bei der Berufung auf den Grundsatz
als Beweislastregel prüft es hingegen frei, ob sich bei objektiver
Betrachtungsweise aus dem Urteil des Sachrichters ergibt, dass dieser zu
einem Schuldspruch gelangte, weil der Angeklagte seine Unschuld nicht
nachwies (grundlegend BGE 120 Ia 31 E. 2 mit Hinweisen).

2.2 Willkürlich handelt ein Gericht, wenn es seinem Entscheid
Tatsachenfeststellungen zugrunde legt, die mit den Akten in klarem
Widerspruch stehen. Im Bereich der Beweiswürdigung besitzt der Richter einen
weiten Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift im Rahmen einer
staatsrechtlichen Beschwerde nur ein, wenn die Beweiswürdigung offensichtlich
unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht
oder auf einem offenkundigen Versehen beruht (BGE 124 I 208 E. 4a; 117 Ia 13
E. 2c; 18 E. 3c, je mit Hinweisen).

3.
Nach § 9 des kantonalen Straf- und Vollzugsgesetzes vom 30. Juni 1974 (StVG)
wird mit Haft oder Busse bestraft, wer die Nachtruhe durch Lärm oder Geschrei
in grober Weise stört.

3.1 Das Obergericht kam in seinem Entscheid vom 18. September 2000 zum
Schluss (S. 10 f.), dass die Nachtruhe durch die Techno-Party des Vereins
"M.________", für deren Durchführung der Beschwerdeführer
unbestrittenermassen verantwortlich war, die Nachtruhe der Bewohner im
näheren Umkreis des Festplatzes erheblich störte. Es sei gerichtsnotorisch,
dass die von der Techno-Musik ausgehenden Schallwellen, insbesondere deren
Basstöne, allgemein als sehr störend und lästig empfunden würden. Aufgrund
der Vielzahl der Reklamationen, die bei den Gemeindebehörden und der Polizei
eingegangen seien, müsse davon ausgegangen werden, dass eine nicht
unbedeutende Zahl von Anwohnern in ihrer Nachtruhe empfindlich gestört worden
seien. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer selber den Lärm als zumutbar
beurteilt habe und auch die Gemeindebehörden ihn nicht als übermässig laut
bezeichnet hätten, vermöge daran nichts zu ändern, da diese nur punktuell an
verschiedenen Orten einen "Ohrenschein" genommen hätten. Es sei aktenkundig,
dass viele Reklamationen nachts bei der Polizei eingegangen seien, mithin in
einem Zeitpunkt, in welchem man nur anrufe, wenn man sich wirklich erheblich
gestört fühle. Ein Verstoss gegen § 9 StVG sei daher klar zu bejahen.

3.2 Das Kassationsgericht hat im angefochtenen Entscheid den
obergerichtlichen Schluss, dass aufgrund der rund 20 bei den Gemeindebehörden
und der Polizei aus der Bevölkerung eingegangenen Klagen über den als stark
störend empfundenen Lärm erwiesen sei, dass die umstrittene Techno-Party die
Nachtruhe der Anwohner "in grober Weise" (§ 9 StVG) störte, haltbar gefunden.

Zu Recht. Nach dem Protokoll der Kantonspolizei Zürich sind bei ihr vom
Pfingstsamstag, 03:46 Uhr, bis zum Pfingstmontag, 13:05 Uhr, praktisch rund
um die Uhr über 20 Anrufe eingegangen, mit denen sich Bewohner von S.________
und X.________ über den als unerträglich empfundenen Lärm der Techno-Party
beschwert haben. Aufgrund dieser zu praktisch jeder Tages- und Nachtzeit
eingegangenen Reklamationen konnte das Obergericht ohne Willkür davon
ausgehen, dass die Techno-Party die Nachtruhe der im näheren Umkreis
Wohnenden erheblich gestört hat; anders wären diese doch in erheblicher Zahl
eingegangenen Anrufe nicht erklärbar. Für die vom Beschwerdeführer angetönte
These, es handle sich möglicherweise um eine konzertierte Aktion von Gegnern
der Techno-Musik, sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Entgegen seiner
Behauptung haben ihm die Gemeindebehörden auch keineswegs vorbehaltlos
bescheinigt, die Party würde keinen übermässigen Lärm verursachen. So ergibt
sich aus dem Protokoll der örtlichen Polizeivorsteherin L.________ etwa, dass
sie am Pfingstsamstag, um 23.15 Uhr, mit dem Gemeindeschreiber und einer
Polizeipatrouille zum Festplatz fuhr "mit der festen Absicht, den Generator
abzustellen". Am Pfingstmontag um 12 Uhr verlangte sie laut Protokoll vom
Beschwerdeführer "ein weiteres Mal", dass die Musik leiser gestellt werde.
Von willkürlicher Beweiswürdigung kann daher keine Rede sein. Erst recht
nicht ersichtlich ist, inwiefern der Grundsatz "in dubio pro reo" als
Beweislastregel verletzt worden sein soll, haben doch weder das Ober- noch
das Kassationsgericht vom Beschwerdeführer in irgend einer Weise verlangt,
seine Unschuld zu beweisen; sie sind vielmehr aufgrund einer willkürfreien
Beweiswürdigung zum Schluss gekommen, dass er der ihm vorgeworfenen
Nachtruhestörung schuldig sei. Die Rügen sind unbegründet.

4.
Nach § 3 Abs. 1 lit. d des an Pfingsten 1999 noch in Kraft stehenden
Ruhetagsgesetzes waren Tanzveranstaltungen an hohen Feiertagen, wozu der
Pfingstsonntag zählte, untersagt.

4.1 Das Obergericht kam im Urteil vom 18. September 2000 zum Schluss, bei der
Techno-Party, die unbestrittenermassen den ganzen Pfingstsonntag über
angedauert habe, habe es sich um eine Tanzveranstaltung gehandelt und hat die
Argumentation des Beschwerdeführers, man habe nicht getanzt, sondern sich
meditativ zur Musik bewegt, verworfen. Weiter hat es den Einwand verworfen,
das Ruhetagsgesetz betreffe nur öffentliche Tanzveranstaltungen, und die
Techno-Party des Vereins "M.________" sei eine Vereinsversammlung, mithin
eine nicht-öffentliche Veranstaltung gewesen. In § 3 lit. c des
Ruhetagsgesetzes spreche dieses ausdrücklich von öffentlichen Versammlungen
und in lit. d desselben Paragrafen von öffentlichen Filmvorführungen; da bei
den Tanzveranstaltungen der Zusatz "öffentliche" fehle, sei im Sinne eines
Umkehrschlusses davon auszugehen, dass das alte Ruhetagsgesetz an hohen
Feiertagen öffentliche wie private Tanzveranstaltungen habe verbieten wollen.

4.2 Das Kassationsgericht hat im angefochtenen Entscheid dargetan, weshalb
diese Auslegung zutreffend und keinesfalls willkürlich ist. Darauf kann
verwiesen werden, der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was diese sich am
klaren Gesetzeswortlaut orientierende Auslegung willkürlich erscheinen lassen
könnte.

5.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Damit wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 OG). Sein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die
Beschwerde aussichtslos war (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36 a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Statthalteramt Pfäffikon sowie
der Staatsanwaltschaft und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Januar 2002

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: