Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.549/2001
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1P.549/2001/bmt
Urteil vom 11. Januar 2002

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Féraud,
Gerichtsschreiber Forster.

L.________, Beschwerdeführer,
handelnd durch den gesetzlichen Vertreter (Vater) T.________,  dieser
vertreten durch Rechtsanwalt Hans Suppiger, Alpenstrasse 1, 6004 Luzern,

gegen

H.________, privater Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat
Frischkopf, Bahnhofstrasse 24, 6210 Sursee,
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
Amtsgericht Sursee, I. Abteilung, Rathausplatz 9, 6210 Sursee,
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, Postfach, 6002 Luzern.

Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 12 UNO-Kinderrechtskonvention (Strafverfahren;
rechtliches Gehör)

(Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Luzern, II. Kammer, vom 11. Juni 2001)
Sachverhalt:

A.
Am 20. Mai 2000 erstattete T.________ als gesetzlicher Vertreter seines
damals knapp siebenjährigen Sohnes L.________ Strafanzeige gegen H.________
wegen Tätlichkeiten, angeblich begangen am 16. Mai 2000. Am 7. Juli 2000
reichte T.________ gegen H.________ Strafklage wegen einfacher
Körperverletzung zum Nachteil L.________s ein.

B.
Nach durchgeführter Strafuntersuchung stellte das Amtsstatthalteramt Sursee
das Verfahren mit Verfügung vom 7. Dezember 2000 ein. Auf Einsprache
(Weiterzugserklärung) L.________s hin sprach das Amtsgericht Sursee (I.
Abteilung) H.________ am 6. März 2001 vom Vorwurf der Tätlichkeiten bzw.
einfachen Körperverletzung frei.

C.
Eine von L.________ gegen das Urteil des Amtsgerichtes Sursee erhobene
Kassationsbeschwerde wies das Obergericht (II. Kammer) des Kantons Luzern mit
Entscheid vom 11. Juni 2001 ab. Dagegen gelangte L.________ mit
staatsrechtlicher Beschwerde vom 24. August 2001 an das Bundesgericht. Er
rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 12 der
UNO-Kinderrechtskonvention, und er beantragt u.a. die Aufhebung des
angefochtenen Entscheides.

D.
Der private Beschwerdegegner und das Obergericht des Kantons Luzern
beantragen mit Stellungnahmen vom 17. bzw. 21. September 2001 je die
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
Amtsgericht Sursee liess sich am 4. September 2001 ebenfalls im abschlägigen
Sinne vernehmen, während von der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern keine
Stellungnahme einging.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei als Geschädigter und Strafkläger
von den kantonalen Instanzen (entgegen entsprechenden Anträgen) nicht
persönlich zur Sache einvernommen worden. Darin liege ein Verstoss gegen Art.
29 Abs. 2 BV (rechtliches Gehör) und gegen Art. 12 der
UNO-Kinderrechtskonvention.

1.1 Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG räumt Opfern im Sinne des eidgenössischen
Opferhilfegesetzes eine auf materiellrechtliche Fragen erweiterte
Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde ein. Insbesondere können Opfer
im Falle von Freisprüchen und Verfahrenseinstellungen die Beweiswürdigung der
kantonalen Instanzen als willkürlich anfechten (BGE 120 Ia 157 E. 2c S. 161
f.). Als Opfer ist gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG jede Person anzusehen, welche
durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen
Integrität unmittelbar beeinträchtigt wurde. Mutmassliche Geschädigte ohne
Opferstellung können mit staatsrechtlicher Beschwerde nur die Verletzung
jener formellen Parteirechte geltend machen, die ihnen nach dem kantonalen
Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung (oder
völkerrechtlicher Bestimmungen) zustehen. Dazu gehört namentlich der von Art.
29 Abs. 2 BV gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör (BGE 120 Ia 157 E.
2a/bb S. 160, 220 E. 2a S. 222, 227 E. 1 S. 229 f.).

Die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs
bzw. des Anspruches auf persönliche Befragung ist nach dem Gesagten zulässig.
Es kann offen bleiben, ob ihm darüber hinaus eine Opferstellung im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 OHG zukäme.

1.2 Von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, ist die staatsrechtliche
Beschwerde rein kassatorischer Natur (BGE 125 I 104 E. 1b S. 107; 125 II 86
E. 5a S. 96, je mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer nicht nur die
Aufhebung des angefochtenen Entscheides verlangt, sondern darüber hinaus
beantragt, die kantonalen Behörden seien anzuweisen, besondere
Beweis-vorkehren zu treffen (persönliche Anhörung des Beschwerdeführers),
kann daher auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.

2.
Der Inhalt des rechtlichen Gehörs bestimmt sich zunächst nach kantonalem
Recht und sodann gestützt auf Art. 29 Abs. 2 BV (vgl. BGE 126 I 97 E. 2 S.
102 f.; 119 Ia 136 E. 2c S. 138 f., je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer
beruft sich in diesem Zusammenhang nicht auf kantonales Verfahrensrecht,
sondern direkt auf die in Art. 29 Abs. 2 BV (bzw. in Art. 12
UNO-Kinderrechtskonvention) enthaltenen Minimalgarantien.

2.1 Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichtes dient das Gehörsrecht der
Sachaufklärung. Es gewährt dem Betroffenen ein Mitwirkungsrecht, das ihm
namentlich den Anspruch gibt, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung
eingreifenden Entscheids zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen,
Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu
werden, und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder
sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den
Entscheid zu beeinflussen (BGE 126 I 7 E. 2b S. 10 f., 97 E. 2 S. 102 f.; 118
Ia 17 E. 1c S. 19, je mit Hinweisen).

2.2 Nach ständiger Praxis kann jedoch das Beweisverfahren geschlossen werden,
wenn die gestellten Beweisanträge eine nicht erhebliche Tatsache betreffen
oder offensichtlich untauglich sind, oder wenn der Richter, ohne dabei
geradezu in Willkür zu verfallen, annehmen darf, die verlangten zusätzlichen
Beweisvorkehren würden am relevanten Beweisergebnis voraussichtlich nichts
mehr ändern (sogenannte "antizipierte" oder "vorweggenommene"
Beweiswürdigung, vgl. BGE 125 I 127 E. 6c/cc S. 135; 124 I 208 E. 4a S. 211;
121 I 306 E. 1b S. 308 f.; 119 Ib 492 E. 5b/bb S. 505 f., je mit Hinweisen).

Willkür liegt vor, wenn der angefochtene kantonale Entscheid offensichtlich
unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht,
eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in
stos sender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 127 I 38 E. 2a
S. 41; 125 II 10 E. 3a S. 15, 129 E. 5b S. 134; 124 I 208 E. 4a S. 211; 124
IV 86 E. 2a S. 88, je mit Hinweisen).

3.
Am 26. März 1997 ist für die Schweiz das UNO-Übereinkommen über die Rechte
des Kindes vom 20. November 1989 (SR 0.107) in Kraft getreten. Art. 12 der
UNO-Kinderrechtskonvention lautet wie folgt:
(1)Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene
Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden
Angelegenheiten frei zu äussern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes
angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.
(2)Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen
das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar
oder durch einen Vertreter oder eine andere geeignete Stelle im Einklang mit
den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.

3.1 Gemäss luzernischem Strafprozessrecht ist der Privatkläger "in der Regel"
einzuvernehmen (§ 90 Abs. 1 StPO/LU). Als Zeugen dürfen Kinder unter 15
Jahren nur befragt werden, wenn "ihre Aussage unerlässlich ist und ihnen
nicht selber zum Schaden gereicht" (§ 90 Abs. 1 StPO/LU). Genügt eine
Einvernahme als Auskunftsperson, so ist von der Zeugeneinvernahme abzusehen
(§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 91 Abs. 3 StPO/LU).

Kinder üben ihre Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit aus (Art. 11 Abs. 2
BV).

3.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes handelt es sich bei Art. 12
UNO-Kinderrechtskonvention um eine direkt anwendbare
Staatsvertragsbestimmung, deren Verletzung mit staatsrechtlicher Beschwerde
angefochten werden kann (BGE 126 II 377 E. 5d S. 391 f.; 125 I 257 E. 3c/bb
S. 262; 124 III 90 E. 3a S. 91 f., je mit Hinweisen). In einem
zivilrechtlichen Verfahren betreffend Gewährung des kindesrechtlichen
Besuchsrechtes erwog das Bundesgericht, dass eine persönliche Anhörung des
Kindes nicht zwingend vorgesehen sei. Eine unmittelbare Befragung sei nur
geboten, wenn das Kind fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden. Ist
diese Fähigkeit aufgrund der Entwicklung des Kindes noch nicht gegeben, sehe
die Konvention eine Vertretung des Kindes oder die Einbeziehung anderer
geeigneter Fachpersonen vor (BGE 124 III 90 E. 3b S. 93). Das neue
Scheidungsrecht (in Kraft seit 1. Januar 2000) verlangt eine persönliche
Anhörung der betroffenen Kinder "in geeigneter Weise durch das Gericht oder
durch eine beauftragte Drittperson", soweit nicht "ihr Alter oder andere
wichtige Gründe dagegen sprechen" (Art. 144 Abs. 2 ZGB). Analoges gilt
bereits im Massnahmeverfahren nach Art. 137 ZGB (BGE 126 III 497 E. 4b S. 498
f.).
3.3 In der kinderpsychologischen Doktrin wird die Auffassung vertreten, dass
es erst ab einem Alter von ca. 11 Jahren (Beherrschung der sog.
"formallogischen Operationen") möglich sei, mit Kindern ein Gespräch über
Fragen der Kindeszuteilung, Besuchsregelung und Kindesschutzmassnahmen zu
führen. Kinder im Vor- und Grundschulalter verfügten demgegenüber noch nicht
über die erforderliche emotionale und kognitive Reife, was eine ergänzende
richterliche Befragung in begründeten Fällen jedoch nicht ausschliesse. Falls
dabei entscheiderhebliche Gesichtspunkte zutage treten, sei bei Kindern im
Alter zwischen fünf und elf Jahren eine vertiefte Abklärung durch eine
Fachperson unerlässlich (vgl. Wilhelm Felder/Heinrich Nufer, Richtlinien bei
der Anhörung des Kindes aus kinderpsychologischer/kinderpsychiatrischer Sicht
gemäss Art. 12 der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes, SJZ 95 [1999]
318 f.; s. auch Heinrich Nufer, Die Kommunikationssituation bei der Anhörung
von Kindern, SJZ 95 [1999] 317).

3.4 Im ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahren kann die Anhörung des Kindes
"je nach der zu behandelnden Problematik und den Umständen des Einzelfalles
auch schriftlich oder über einen Vertreter" erfolgen. Das Kind ist in
angemessener Weise anzuhören, was jedoch nicht in jedem Fall zwingend eine
persönliche Befragung voraussetzt (BGE 124 II 361 E. 3c S. 368; vgl. auch Bea
Verschraegen, Die Kinderrechtekonvention, Wien 1996, S. 84 f.). Die
Zielsetzungen der UNO-Kinderrechtskonvention und von Art. 11 BV sind im
Übrigen identisch (BGE 126 II 377 E. 5d S. 391; vgl. auch Giovanni Biaggini,
Wie sind Kinderrechte in der Schweiz geschützt? Tragweite, Umsetzung und
Durchsetzung des Übereinkommens in der Schweiz. Bedeutung des
"Kinderschutzartikels" [Art. 11] der neuen Bundesverfassung, in: Rechte des
Kindes, Basel 2001, S. 25 ff.).
3.5 Diese Rechtsprechung ist grundsätzlich auch auf den Strafprozess
übertragbar. Zum einen kann sich die Notwendigkeit einer persönlichen
Anhörung zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Kindes aufdrängen. Zum
anderen ist im einzelnen Fall zu prüfen, ob sich eine förmliche Befragung im
Strafprozess unter dem Gesichtspunkt der Beweiserheblichkeit sowie der
Schutzbedürftigkeit kindlicher Opfer und Zeugen sachlich rechtfertigen lässt.
Kinder und Jugendliche üben ihre Parteirechte im Rahmen ihrer
Urteilsfähigkeit aus (Art. 11 Abs. 2 BV). Kindern ist in der Regel
Gelegenheit zur eigenen unmittelbaren Meinungsäusserung zu geben, wenn sie
gesundheits- und entwicklungsbedingt in der Lage sind, eine persönliche
Meinung zu bilden und diese sachadäquat auszudrücken. Bei förmlichen
Beweisaussagen im Rahmen von Justizverfahren ist insbesondere dem Alter, dem
Erinnerungsvermögen und der Kommunikationsfähigkeit des Kindes Rechnung zu
tragen, aber auch der Komplexität von streitigen Sachverhalten oder den
verfahrensrechtlichen Anforderungen an verwertbare Beweisaussagen. Zu
berücksichtigen ist dabei auch, ob das Kind im Rahmen der anwendbaren
kantonalen Prozessvorschriften durch seinen gesetzlichen Vertreter oder (etwa
im Fall von Interessenkonflikten) durch eine andere geeignete Fachperson
ausreichend verbeiständet ist.

3.6 Die Verlässlichkeit von Beweisaussagen, insbesondere das
Erinnerungsvermögen von Gewährspersonen, ist naturgemäss beschränkt und daher
vom Richter mit Zurückhaltung zu beurteilen. Das gilt namentlich für Aussagen
von Kindern im Vor- und Grundschulschulalter (zu sog. Wahrnehmungs-,
Erinnerungs- und Wiedergabefehlern vgl. Friedrich Arntzen, Psychologie der
Zeugenaussage. System der Glaubwürdigkeitsmerkmale, 3. Aufl., München 1993,
S. 65, 77; Stephan Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenprozesses, in: Stephan
Barton [Hrsg.], Redlich aber falsch, Baden-Baden 1995, S. 23 ff.; Rolf
Bender/Armin Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. 2:
Vernehmungslehre, 2. Aufl., München 1995, S. 6 ff.; Volker Dittmann, Zur
Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, Plädoyer 1997 Nr. 2, S. 28 ff.; Ulrich
Eisenberg, Persönliche Beweismittel in der StPO, München 1993, S. 371 ff.;
Wilhelm Felder, Die Anhörung des Kindes aus kinderpsychologischer Sicht, in:
Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, Bern 1999, S. 211 ff.; Thomas Fischer,
Glaubwürdigkeitsbeurteilung und Beweiswürdigung, Neue Zeitschrift für
Strafrecht 14 [1994] 1 ff.; Mario Gmür, Das psychiatrische
Glaubwürdigkeitsgutachten, Kriminalstatistik 54 [2000] 128 ff.; Luise
Greuel/Thomas Fabian/Michael Stadler [Hrsg.], Psychologie der Zeugenaussage,
Weinheim 1997; Markus Hug, Glaubhaftigkeitsgutachten bei Sexualdelikten
gegenüber Kindern, ZStrR 118 [2000] 19 ff., 23 f.; Arnulf Möller, Grenzen und
Möglichkeiten von Glaubwürdigkeitsbegutachtungen im Strafprozess, SJZ 96
[2000] 249 ff.; Richard Rebmann, Die Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen
im schweizerischen Strafprozess, Diss. BS 1981; Udo Undeutsch, Redlich aber
falsch. Zur psychologischen Problematik des Beweiswertes von Zeugenaussagen,
AJP 2000, S. 1354 ff.; Susanne Vogel, Die Auskunftsperson im Zürcher
Strafprozessrecht, Diss. ZH 1999, S. 128 ff.; Thomas Zweidler, Die Würdigung
von Aussagen, oder Susanna im Bade, und die Lehren daraus, ZBJV 132 [1996]
105 ff.).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kinder in besonderem Masse dem Einfluss
ihrer engsten Bezugspersonen und von anderen beteiligten Erwachsenen
ausgesetzt sind. Bei Kindern im Vor- und Grundschulalter besteht nach den
Erkenntnissen der forensischen Psychologie eine erhöhte Gefahr, dass sie
"ihre Angaben unbewusst ihrer eigenen Erinnerung zuwider verändern, um den
von ihnen angenommenen Erwartungen eines Erwachsenen, der sie befragt, zu
entsprechen oder um sich an dessen vermuteter grösserer Kompetenz
auszurichten". Oft werde ein Kind, seine Angaben, die es unbewusst der
Erwartungshaltung Erwachsener angepasst hat (sog. "fremdsuggestive
Einflüsse"), subjektiv für wahr halten (BGHStr, Urteil vom 30. Juli 1999, NJW
52 [1999] 2746 ff., 2747 f.; vgl. auch BGE 124 III 90 E. 3c S. 93 in fine).

3.7 Hinzu kommt, dass Kinder aufgrund ihres Entwicklungsstandes (hinsichtlich
Selbstbewusstsein, Sozialkompetenz, Argumentationsfähigkeit, Informiertheit,
Sensibilität, soziale Unabhängigkeit usw.) als besonders schutzbedürftige
Verfahrensbeteiligte im Strafprozess anzusehen sind. Von ihrer förmlichen
Befragung ist - nach Massgabe der konkreten Umstände - auch unter diesem
Gesichtspunkt eher zurückhaltend Gebrauch zu machen.

Gerade mutmassliche Opfer sind durch das Vorgefallene in der Regel bereits
stark emotional belastet (sog. "posttraumatische Belastungsstörungen").
Befragungen und Vernehmungen durch dem Kind nicht vertraute Amts- und
Fachpersonen können nach den Erkenntnissen der forensischen Kinderpsychiatrie
zusätzliche schwere Belastungen darstellen und sogar zu erneuten
Traumatisierungen (sog. "Sekundärviktimisierungen") der Betroffenen führen.
Dies gilt besonders dann, wenn kindliche Opfer über erlebte Straftaten
auszusagen haben und dadurch erneut mit schmerzhaften Erinnerungen an
erlittene Verletzungen und Übergriffe konfrontiert werden, oder wenn gar eine
Gegenüberstellung mit der mutmasslichen Täterschaft erfolgt (vgl. Bericht vom
23. August 1999 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates zur
OHG-Revision [verbesserter Schutz von Kindern] sowie Stellungnahme des
Bundesrates vom 20. März 2000 [BBl 2000, S. 3744 ff./3766 ff.]; Hans-Jörg
Bart, Kinder als Zeugen im Strafverfahren. Insbesondere als Opfer sexuellen
Missbrauchs, Österreichische Juristen-Zeitung 53 [1998] 818 ff.; Andreas
Brunner, Viktimisierung von kindlichen Opfern durch Strafverfahren? in:
Jugend und Strafrecht, Chur 1998, S. 59 ff.; Monika Frommel, Das Dilemma
zwischen Beschuldigtenrechten und Opferschutz, in: Jugend und Strafrecht,
Chur 1998, 307 ff.; Adrian Jent, Sexualdelikte gegenüber Kindern im
Verhältnis zu Strafprozessordnung und Opferhilfe, Publikationen der
Basellandschaftlichen Richtervereinigung 1995, S. 21 f.; Heinrich Kintzi,
Stellung des Kindes im Strafverfahren, Deutsche Richterzeitung 74 [1996] 184
ff.; Klaus Laubenthal, Schutz sexuell missbrauchter Kinder durch Einsatz von
Videotechnologie im Strafverfahren, Juristenzeitung 51 [1996] 335 ff.; Katja
Lerch, Strafprozessuale Probleme im Bereich des Kindesschutzes, in:
Strafrecht als Herausforderung, Zürich 1999, S. 435 ff.; Patrizia Pesenti,
Schutz des minderjährigen Opfers im Strafprozess, in: Jugend und Strafrecht,
Chur 1998, S. 281 ff.).
3.8 Am 23. März 2001 hat die Bundesversammlung denn auch eine Änderung des
eidgenössischen Opferhilfegesetzes beschlossen (Verbesserung des Schutzes von
Kindern als Opfer, vgl. BBl 2001, S. 1341 ff.). Art. 10c der OHG-Vorlage
bestimmt, dass Opfer unter 18 Jahren während des ganzen Verfahrens in der
Regel nicht mehr als zweimal einvernommen werden dürfen. Die erste
Einvernahme hat so rasch als möglich zu erfolgen. Eine Gegenüberstellung mit
dem Beschuldigten ist lediglich unter eingeschränkten Voraussetzungen
zulässig (Art. 5 Abs. 5, Art. 10b OHG-Vorlage).

4.
Im hier zu beurteilenden Fall käme einer allfälligen Beweisaussage des Kindes
keine entscheiderhebliche Wirkung zu. Selbst wenn das Kind die Aussagen
seines Vaters sinngemäss bestätigen könnte, erschiene die Auffassung der
kantonalen Instanzen, dass dies am Beweisergebnis nichts Wesentliches ändern
würde, nicht geradezu unhaltbar.

4.1 Zunächst liegt der streitige Vorfall bereits 1 1/2 Jahre zurück. Dass
sich ein achtjähriges Kind an derart lange zurückliegenden Ereignisse noch
mit ausreichender Genauigkeit erinnern könnte, muss als fraglich bezeichnet
werden. Ausserdem liegt die Gefahr der Beeinflussung durch Bezugspersonen auf
der Hand. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes kann die
Meinungsbildung eines Kindes im Vorschulalter sogar durch "die
unausgesprochene Erwartungshaltung" seines sozialen Umfeldes beeinflusst
werden (vgl. BGE 124 III 90 E. 3c S. 93 in fine; BGHStr, NJW 52 [1999] 2747
f.). Dem gesetzlichen Vertreter (Vater) des Kindes geht es denn laut
Beschwerdeschrift auch in erster Linie um den Nachweis, dass das Kind die
Sachverhaltsdarstellung des Vaters bestätige und damit glaubhafter erscheinen
lasse. Sodann ist zu berücksichtigen, dass das Kind im Zeitpunkt des
streitigen Vorfalls erst 6 1/2 Jahre alt und damit noch im Vorschulalter war
(vgl. BGE 124 III 90 E. 3c S. 93 f.).
4.2 Im Weiteren erscheint die Darstellung des Vaters (ungeachtet der
möglichen Aussage seines Kindes) bereits aufgrund der übrigen
Beweisergebnisse als nicht sehr glaubwürdig. Die kantonalen Instanzen weisen
darauf hin, dass der Vater einerseits zu Protokoll gegeben habe, das Kind sei
nach dem streitigen Vorfall vom 16. Mai 2000 (ca. 21.00 Uhr) "voller Blut"
gewesen, und eine "Blutspur" habe "vom Spielplatz bis zum Veloraum und von
dort bis zur Hausnummer 9" geführt. Anderseits habe der Vater das Kind erst
zwei Tage später (am 18. Mai 2000) ärztlich untersuchen lassen. Der Arzt habe
ausser geringen Blutresten in der Nase des Kindes keine Verletzungen
feststellen können. In der Strafklage vom 7. Juli 2000 habe der Vater
ausserdem vorbringen lassen, sein Sohn sei "klarerweise" nicht am
Erdbeerdiebstahl beteiligt gewesen, der zur (angeblichen) "brutalen"
Auseinandersetzung mit dem privaten Beschwerdegegner Anlass gegeben habe. Bei
der untersuchungsrichterlichen Befragung vom 18. Oktober 2000 habe der Vater
hingegen eingeräumt, dass sein Sohn Erdbeeren vom Feld des privaten
Beschwerdegegners weggenommen habe. Widersprüchliche Angaben habe der Vater
auch zum Ort der behaupteten tätlichen Auseinandersetzung gemacht.

Angesichts der vorliegenden Akten ist in diesen Erwägungen keine Willkür
ersichtlich.

4.3 Schliesslich ist auch noch darauf hinzuweisen, dass es sich im
vorliegenden Fall nicht um eine schwerwiegende Strafsache handelt. Laut
Beschwerdeschrift habe der private Beschwerdegegner das Kind am 16. Mai 2000
(im Rahmen von Retorsionsmassnahmen gegen mutmassliche "Erdbeerdiebe")
mehrmals auf den Kopf geschlagen. Gemäss Arztzeugnis vom 18. Mai 2000 seien
in den Nasenöffnungen des Kindes "geringe Reste von Blutkrusten"
festzustellen gewesen. Ausserdem habe es unter Schlafschwierigkeiten bzw.
Angstträumen gelitten.

4.4 Im hier zu beurteilenden Fall läge eine persönliche Befragung des Kindes
weder in dessen wohlverstandenem Interesse, noch drängt sie sich im Interesse
der Strafverfolgung bzw. der Wahrnehmung schutzwürdiger Parteirechte auf. Der
heute acht Jahre alte Beschwerdeführer wurde als Privatkläger im
Strafverfahren durch zwei erwachsene Personen wirksam vertreten, nämlich
durch seinen Vater und dessen Anwalt. Der Strafrichter durfte in
willkürfreier antizipierter Beweiswürdigung davon ausgehen, dass eine
Befragung des Kindes am ermittelten Beweisergebnis nichts Entscheidendes mehr
zu ändern vermöchte. Eine Verletzung des anwendbaren kantonalen
Verfahrensrechtes wird vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. Bei dieser
Sachlage hält der Verzicht auf weitere Beweisvorkehren bzw. auf persönliche
Anhörung des Beschwerdeführers sowohl vor Art. 29 Abs. 2 BV als auch vor Art.
12 der UNO-Kinderrechtskonvention stand.

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde als unbegründet abzuweisen
ist, soweit auf sie eingetreten werden kann.

Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Ausserdem ist dem
anwaltlich vertretenen privaten Beschwerdegegner eine angemessene
Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten
werden kann.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat dem privaten Beschwerdegegner eine
Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- zu entrichten.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Amtsgericht Sursee, I. Abteilung, sowie
der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Januar 2002

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber