Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.500/2001
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1P.500/2001/sta

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                      11. Oktober 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Nay, Bundesrichter Favre und Gerichtsschreiber
Störi.

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                         In Sachen

A.C.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürspre-
cher Daniel Bögli, Schanzenstrasse 1, Postfach 8464, Bern,

                           gegen

Untersuchungsrichter 5 des Untersuchungsrichteramts I
B e r n e r  J u r a - S e e l a n d,
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons  B e r n,

                         betreffend
               Art. 8 und 18 BV, Art. 6 KV/BE
            (Strafverfahren, Sprachenfreiheit),

hat sich ergeben:

     A.- Das Untersuchungsrichteramt I Berner Jura-Seeland
führt gegen das Ärzteehepaar A.C.________ und B.C.________
eine Strafuntersuchung wegen Pfändungsbetrugs, Gläubiger-
schädigung durch Vermögensverminderung sowie Misswirtschaft.
B.C.________ wurde im Herbst 2000 erstmals zur Sache be-
fragt. Aufgrund dessen französischer Muttersprache wird das
Verfahren in französischer Gerichtssprache geführt.

        Am 3. Mai 2001 wurde A.C.________ erstmals einver-
nommen. Anlässlich dieser in deutscher Sprache geführten
Einvernahme nahm sie Kenntnis von der Eröffnung der Straf-
verfolgung und verweigerte ohne anwaltliche Verbeiständung
weitere Aussagen. In der Folge erhielt sie verschiedene in
französischer Sprache abgefasste Verfügungen des Untersu-
chungsrichters, darunter eine Beschlagnahmeverfügung vom
18. Mai 2001, mit welcher er über verschiedene Grundstücke
in Biel, Delley und Nendaz eine Grundbuchsperre verhängte.

        Am 23. Mai 2001 beschwerte sich A.C.________ beim
Untersuchungsrichter gegen die Beschlagnahmeverfügung und
machte namentlich geltend, sie sei deutscher Muttersprache,
weshalb es nicht zulässig sei, die Untersuchung gegen sie
auf Französisch zu instruieren.

        Der Untersuchungsrichter 5 des Bezirks Berner Jura-
Seeland, D.________, teilte A.C.________ am 5. Juni 2001 auf
Französisch mit, er habe ihr Schreiben zur Kenntnis genom-
men; gemäss konstanter Praxis werde er ihm erst Folge geben,
wenn ihr Verteidiger dazu Stellung genommen habe.

        Der damalige Vertreter von A.C.________ teilte dem
Untersuchungsrichter am 12. Juni 2001 mit, das Schreiben
seiner Klientin sei als Beschwerde entgegenzunehmen und dem-
entsprechend an die Anklagekammer weiterzuleiten.

        Die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern
wies die Beschwerde am 2. Juli 2001 ab. In Bezug auf die
Wahl der Verfahrenssprache führte sie aus, nach Art. 2
Abs. 2 lit. c der Verordnung über die Sprachregelung in der
Gerichts- und Justizverwaltung des Amtsbezirks Biel vom
18. Oktober 1995 (Sprachregelungsverordnung) seien in diesem
Amtsbezirk Strafverfahren in der Sprache der Angeschuldig-
ten, der Hauptangeschuldigten oder der Mehrheit der Hauptan-
geschuldigten zu führen. Im vorliegenden Fall sei der Haupt-
angeschuldigte, B.C.________, französischer Muttersprache,
weshalb das Verfahren zu Recht auf Französisch geführt wer-
de. Was das Beschwerdeverfahren vor der Anklagekammer be-
treffe, so sei es nach Art. 62 des Gesetzes über das Straf-
verfahren vom 15. März 1995 (StrV) in der Sprache des Amts-
bezirks zu führen, in welchem das strittige Verfahren hängig
sei, wobei die Parteien und ihre Vertreter das Recht hätten,
nach ihrer Wahl eine der beiden kantonalen Amtssprachen zu
verwenden. Diese Regelung stehe in Einklang mit Art. 6
Abs. 4 der Berner Kantonsverfassung vom 6. Juni 1993 (KV).

     B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 2. August 2001
wegen Verletzung der Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) und der
Sprachenfreiheit (Art. 18 BV) beantragt A.C.________, den
Entscheid der Anklagekammer insoweit aufzuheben, als ihr da-
mit der "Anspruch auf die Verfahrenssprache 'deutsch' in der
gegen sie laufenden Strafuntersuchung verweigert" werde.
Ausserdem ersucht sie, der Beschwerde in dem Sinn aufschie-

bende Wirkung zuzuerkennen, als dass die auf den 8. August
2001 angesetzte Gerichtsaudienz, die in französischer Spra-
che durchgeführt werden solle, ausgesetzt werde.

     C.- Der Untersuchungsrichter erklärte in der Vernehm-
lassung zum Gesuch um aufschiebende Wirkung, 4 der 5 auf den
8. August 2001 vorgeladenen Zeugen seien verhindert, sodass
deren Einvernahme auf einen späteren Zeitpunkt verschoben
werden müsse. Der verbleibende Zeuge werde auf Deutsch ein-
vernommen.

        Gestützt auf diese Vernehmlassung wies der Präsi-
dent der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesge-
richts das Gesuch um aufschiebende Wirkung am 7. August 2001
ab, soweit es nicht gegenstandslos geworden war.

     D.- Die Anklagekammer und der Untersuchungsrichter be-
antragen in ihren Vernehmlassungen, die Beschwerde abzuwei-
sen. A.C.________ hält in ihrer Replik an der Beschwerde
fest.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit
freier Kognition, ob und inwieweit auf eine Beschwerde ein-
zutreten ist (BGE 127 I 92 E. 1 S. 93; II 198 E. 2 S. 201).

        a) Der angefochtene Entscheid ist kantonal letztins-
tanzlich (Art. 86 Abs. 1 OG). Er bringt das Verfahren gegen
die Beschwerdeführerin weiter, schliesst es aber nicht ab.

Es handelt sich daher, da er weder eine Zuständigkeits- noch
eine Ausstandsfrage betrifft, um einen Zwischenentscheid im
Sinn von Art. 87 Abs. 2 OG, gegen den die staatsrechtliche
Beschwerde dann zulässig ist, wenn der Beschwerdeführerin
ein nicht wieder gutzumachender Nachteil droht.

        Dies ist der Fall. Hat die Beschwerdeführerin einen
sprachenrechtlichen Anspruch auf die Instruktion des Verfah-
rens gegen sie in ihrer Muttersprache Deutsch, so würde die
Weiterführung des Verfahrens auf Französisch diesen Anspruch
verletzen, und diese Verletzung der Sprachenfreiheit von
Art. 18 BV könnte nachträglich nicht mehr behoben werden.
Insofern droht der Beschwerdeführerin ein nicht wieder gut-
zumachender Nachteil im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG, weshalb
auf die Beschwerde einzutreten ist.

        b) Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind er-
füllt, sodass auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehö-
rig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; 125 I 492
E. 1b; 122 I 70 E. 1c), grundsätzlich einzutreten ist.

     2.- Die Beschwerdeführerin rügt, die Verfahrensführung
auf Deutsch verletze ihre Sprachenfreiheit und die Rechts-
gleichheit; die Strafverfolgungsbehörden hätten die ein-
schlägigen kantonalen Bestimmungen über die Verwendung der
Amtssprachen willkürlich ausgelegt. Sie macht hingegen nicht
substanziiert geltend, dadurch seien ihre verfassungs- und
konventionsrechtlichen Verteidigungsrechte und damit ihr An-
spruch auf ein faires Verfahren verletzt worden; es ist da-
her nicht zu prüfen, ob insoweit die Voraussetzungen von
Art. 87 Abs. 2 OG überhaupt erfüllt wären.

        a) Die früher ungeschriebene, jetzt in Art. 18 BV
enthaltene Sprachenfreiheit gewährleistet den Gebrauch der
Muttersprache. Soweit die Muttersprache gleichzeitig eine

Landessprache des Bundes ist, steht deren Gebrauch zudem un-
ter dem Schutz von Art. 4 BV, der vier Landessprachen aner-
kennt. Diese Bestimmung verbietet es den Kantonen insbeson-
dere, Gruppen, die eine Landessprache sprechen, aber im Kan-
ton eine Minderheit darstellen, zu unterdrücken und in ihrem
Fortbestand zu gefährden. Die Anerkennung von Landessprachen
in Art. 4 BV setzt der Sprachenfreiheit jedoch auch Grenzen,
denn diese Verfassungsbestimmung gewährleistet nach der
Rechtsprechung die überkommene sprachliche Zusammensetzung
des Landes (Territorialitätsprinzip). Die Kantone sind daher
aufgrund dieser Bestimmung befugt, Massnahmen zu ergreifen,
um die überlieferten Grenzen der Sprachgebiete und deren Ho-
mogenität zu erhalten, selbst wenn dadurch die Freiheit des
einzelnen, seine Muttersprache zu gebrauchen, beschränkt
wird. Solche Massnahmen müssen aber verhältnismässig sein,
d.h. sie haben ihr Ziel unter möglichster Schonung der Würde
und Freiheit des einzelnen zu erreichen (Zum Ganzen: BGE 121
I 196 mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts vom 8. Juli
1997 in ZBl 101/2000 610).

        b) Willkürlich ist ein Entscheid, der mit der tat-
sächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm
oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt
oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwider-
läuft. Dabei genügt es nicht, dass die Begründung unhaltbar
ist, der Entscheid muss sich vielmehr im Ergebnis als will-
kürlich erweisen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56; 60 E. 5a S. 70,
je mit Hinweisen).

        c) Der Gebrauch der Muttersprache steht unter dem
Schutz von Art. 18 BV. Es ist nicht ersichtlich und wird von
der Beschwerdeführerin auch nicht dargetan (Art. 90 Abs. 1
lit. b OG), inwiefern sie aus dem Rechtsgleichheitsgebot von
Art. 8 Abs. 1 BV in dieser Beziehung zusätzlich Ansprüche

ableiten könnte, die nicht schon vom spezielleren Grundrecht
der Sprachenfreiheit gewährleistet werden. Auf die Rüge, das
Rechtsgleichheitsgebot sei verletzt, ist nicht einzutreten.

     3.- a) Deutsch und Französisch sind sowohl schweizeri-
sche Landessprachen nach Art. 4 BV als auch Berner Landes-
und Amtssprachen nach Art. 6 Abs. 1 KV. Im Amtsbezirk Biel,
in welchem das Verfahren läuft, sind das Deutsche und das
Französische Amts- und Gerichtssprachen (Art. 6 Abs. 2
lit. b KV, Art. 52 Abs. 1 StV). Art. 6 Abs. 3 KV bestimmt,
dass der Kanton und die Gemeinden den besonderen Verhältnis-
sen, die sich aus der Zweisprachigkeit des Kantons ergeben,
Rechnung tragen. Nach dessen Abs. 4 kann sich jedermann in
der Amtssprache seiner Wahl an die kantonalen Behörden wen-
den. Nach Art. 2 Abs. 2 lit. c der Sprachregelungsverordnung
bestimmt sich die Gerichtssprache im Amtsbezirk Biel "in
Strafsachen nach der Sprache des Angeschuldigten, der Haupt-
angeschuldigten oder der Mehrheit der Hauptangeschuldigten".
Deren Abs. 6 bestimmt, dass Vorladungen und an die Parteien
gerichtete Verfügungen in beiden Landessprachen zu erlassen
sind, solange die Verfahrenssprache noch nicht feststeht.
Parteien, Auskunftspersonen und Zeugen sind in der Landes-
sprache ihrer Wahl einzuvernehmen, wobei ihre Aussagen auf
Verlangen einer Partei vom Gericht zu übersetzen sind.

        Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, diese
Regelung sei mit der Sprachenfreiheit unvereinbar, und das
ist auch nicht ersichtlich. Sie rügt nur, es sei willkür-
lich, ihren Mann als Hauptangeschuldigten anzusehen und das
Verfahren dementsprechend auf Französisch zu führen.

        b) Das Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin
und ihren Mann hat folgenden Hintergrund:

        Das Schiedsgericht KVG/UVG/MVG des Kantons Bern
verpflichtete den Ehemann der Beschwerdeführerin am 14. No-
vember 1997 auf Klage verschiedener Krankenkassen hin, die-
sen Fr. 540'520.-- wegen Überarztung zurückzuzahlen. Das
Eidgenössische Versicherungsgericht bestätigte diesen Ent-
scheid mit Urteil vom 30. November 1998. In der Folge ver-
weigerte der Ehemann der Beschwerdeführerin die Bezahlung
dieser Schuld. Die Betreibung verlief ergebnislos und endete
am 16. August 1999 mit der Ausstellung eines Verlustscheins
über Fr. 578'741.85. Daraufhin erstatteten die betreibenden
Krankenkassen Strafanzeige wegen Pfändungsbetrugs, Gläubi-
gerschädigung durch Vermögensminderung und Misswirtschaft,
weil sie argwöhnten, der Ehemann der Beschwerdeführerin habe
sich in strafbarer Weise seines Vermögens entledigt etwa
durch Übertragung auf seine Ehefrau, seine Töchter oder eine
Aktiengesellschaft, deren einzige Verwaltungsrätin seine
Ehefrau ist.

        c) Untersuchungsrichter und Anklagekammer behandeln
den Ehemann der Beschwerdeführerin als Hauptangeschuldigten,
da dieser verdächtigt wird, sein Vermögen zu Lasten seiner
Gläubiger vermindert zu haben. Der Beschwerdeführerin selber
wird "bloss" vorgeworfen, an dieser unlauteren Vermögensver-
schiebung - in welcher Form auch immer, ob als Anstifterin,
Gehilfin oder Mittäterin - möglicherweise mitgewirkt bzw.
davon profitiert zu haben. Ihr kommt in diesem Verfahren da-
her im Vergleich zu ihrem Mann objektiv eine Nebenrolle zu,
weshalb die Strafverfolgungsbehörden ohne Willkür Franzö-
sisch als Muttersprache ihres Mannes als Verfahrenssprache
bestimmen durften. Ihre Sprachenfreiheit wird dadurch nicht
verletzt, die Rüge ist unbegründet.

     4.- Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die
Beschwerdeführerin die Kosten (Art. 156 Abs. 1 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf ein-
zutreten ist.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Be-
schwerdeführerin auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Un-
tersuchungsrichter 5 des Untersuchungsrichteramts I Berner
Jura-Seeland und der Anklagekammer des Obergerichts des Kan-
tons Bern schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 11. Oktober 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: