I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.496/2001
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1P.496/2001/bie I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG ********************************** 18. September 2001 Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes- richter Nay, Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiber Kölliker. --------- In Sachen M.________, zzt. Strafanstalt Sennhof, Chur, Beschwerde- führer, vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Weidmann, Schaffhauserstrasse 146, Postfach W-1155, Kloten, gegen Staatsanwaltschaft des Kantons G r a u b ü n d e n, Kantonsgericht von G r a u b ü n d e n, Strafkammer, betreffend Art. 9 und 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK (Strafverfahren), hat sich ergeben: A.- Die Staatsanwaltschaft Graubünden erliess am 18. Mai 1999 gegen M.________ eine Anklageverfügung wegen gewerbs- und bandenmässigem Diebstahl, mehrfachem Haus- friedensbruch, mehrfacher Fälschung von Ausweisen sowie mehrfachem Verweisungsbruch. Dem Angeschuldigten wurde ins- besondere die Beteiligung an zehn Einschleichdiebstählen in Ferienwohnungen sowie einem Diebstahl in einem Hotel in der Zeit zwischen Januar 1996 und März 1997 zur Last gelegt. Das Kantonsgericht Graubünden erachtete es als erwiesen, dass M.________ alle diese Straftaten begangen hatte und verur- teilte ihn am 23. August 1999 im Abwesenheitsverfahren zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren sowie Landes- verweisung auf Lebenszeit. B.- Am 22. Dezember 2000 wurde M.________ verhaftet. Seinem Gesuch um Aufhebung des Abwesenheitsurteils und Durchführung des ordentlichen Gerichtsverfahrens wurde in der Folge entsprochen. Am 13. Februar 2001 fand vor dem Kantonsgericht von Graubünden eine Hauptverhandlung statt. Der Angeschuldigte beantragte, er sei der mehrfachen Fäl- schung von Ausweisen und des mehrfachen Verweisungsbruchs schuldig zu sprechen, hinsichtlich der übrigen Anschuldi- gungen jedoch freizusprechen. Das Kantonsgericht sprach M.________ schliesslich mit Ausnahme des Hoteldiebstahls in allen Anklagepunkte schuldig und verurteilte ihn wiederum zu einer Gefängnisstrafe von 30 Monaten sowie Landesverweisung auf Lebenszeit. Die Schuldsprüche wegen Diebstahls und Haus- friedensbruch stützte das Gericht auf Indizien. Es erwog im Wesentlichen, die Diebstähle seien allesamt nach dem glei- chen Muster durchgeführt worden. Die Täterschaft sei mit Hilfe von in Briefkästen oder Schuhen deponierten Schlüs- seln in Ferienwohnungen eingedrungen und habe dort Bargeld und Wertsachen entwendet, ohne dabei das Inventar zu beschä- digen oder die Wohnung zu durchwühlen. Der Beschwerdeführer sei von einer Überwachungskamera gefilmt worden, als er die Briefkästen von Ferienwohnungen durchsucht habe. Bei seiner Anhaltung habe er einen Bund mit mehreren Schlüsseln von Wohnungen oder Häusern, in denen im fraglichen Zeitraum nach dem beschriebenen Muster Diebstähle stattgefunden hatten, auf sich getragen. Sodann habe er nachweislich in Zeiten, in welchen mehrere Einschleichdiebstähle stattfanden, in der näheren oder weiteren Umgebung der Tatorte übernachtet. Auch seien die Aussagen des Angeschuldigten widersprüchlich und unglaubwürdig; er habe gewisse Sachverhalte bestritten und auf entsprechende Vorhalte daraufhin nur so viel zugegeben, wie ihm durch eindeutige Beweismittel habe nachgewiesen wer- den können. Im Jahre 1990 sei der Angeschuldigte zudem an 13 Diebstählen beteiligt gewesen, bei denen gleich wie bei den hier zu beurteilenden Fällen vorgegangen worden sei. C.- M.________ hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts am 27. Juli 2001 eine staatsrechtliche Beschwerde einge- reicht. Er beantragt, das Urteil vom 13. Februar 2001 sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungs- folge; eventualiter stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Mit der staatsrechtlichen Beschwerde rügt er einen Verstoss gegen Art. 9 und 32 BV sowie Art. 6 Ziff. 2 EMRK. D.- Während die zuständige Staatsanwaltschaft auf die Einreichung einer Vernehmlassung verzichtet, beantragt das Kantonsgericht die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- Der Beschwerdeführer bestreitet die ihm zur Last gelegten Einschleichdiebstähle. Er macht geltend, es seien keine direkten Beweise für seine Täterschaft vorhanden. Die Täterschaft habe keine Spuren hinterlassen und mangels Zeu- gen habe auch nie ein Tatablauf rekonstruiert oder beobach- tet werden können. Es könne nicht ohne weiteres von einer eigentlichen Einbruchserie, an welcher stets dieselbe Täter- schaft beteiligt gewesen sei, ausgegangen werden. Auch sei nicht auszuschliessen, dass die bei ihm aufgefundenen Schlüs- sel zuvor bereits mehrmals die Hand gewechselt hätten. Das Kantonsgericht habe die Beweise willkürlich gewürdigt und den Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt. Soweit der Beschwerdeführer dabei in weiten Teilen der Beschwerde der gerichtlichen Argumentation bloss seine eigene Sichtweise entgegen hält, ohne aufzuzeigen, weshalb die Sachverhaltsannahmen des Kantonsgerichts willkürlich seien, stellt dies appellatorische Kritik dar, für welche im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde kein Raum bleibt. Insofern vermag die Beschwerde den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht zu genügen und ist darauf nicht einzutreten (vgl. BGE 127 I 38 E. 4 S. 43, 125 I 492 E. 1b S. 495, mit Hinweisen). 2.- a) Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach stän- diger Rechtsprechung des Bundesgerichts vor, wenn der ange- fochtene kantonale Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Dabei genügt es nicht, wenn der angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Er- gebnis verfassungswidrig ist (BGE 127 I 60 E. 5a S. 70, 54 E. 2b S. 56, je mit Hinweisen). Sodann gilt gemäss Art. 32 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 2 EMRK jede angeschuldigte Person bis zur rechtskräf- tigen Verurteilung als unschuldig. Die Maxime "in dubio pro reo" ist ein Aspekt der Unschuldsvermutung (BGE 120 Ia 31 E. 2b S. 35). Als Beweiswürdigungsregel besagt die Maxime, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklag- ten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich aber um erhebliche und nicht zu unterdrü- ckende Zweifel handeln, d.h. um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei der Beurteilung von Fra- gen der Beweiswürdigung beschränkt sich das Bundesgericht auf eine Willkürprüfung. Es kann demnach nur eingreifen, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des ganzen Beweisergebnisses offen- sichtlich erhebliche und schlechterdings nicht zu unterdrü- ckende Zweifel an dessen Schuld bestanden (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41, mit Hinweisen). b) Soweit die Rügen des Beschwerdeführers den Be- gründungsanforderungen genügen, sind sie offensichtlich unbegründet. Was die Beweiswürdigung betrifft, kann vorab auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Der Beschwerdeführer übersieht namentlich, dass das Kantonsgericht besonderes Gewicht auf die spezielle Vorgehensweise der Täter gelegt und keine Verurteilung mit bloss einem einzigen Indiz begründet hat. Während es dem Beschwerdeführer bezüglich einzelner Delikte offensicht- liche Falschaussagen vorhielt, würdigte das Gericht in andern Fällen die zeitliche und örtliche Nähe der Straf- taten. In einem weiteren Fall hat den Beschwerdeführer zusätzlich belastet, dass auf ihm der Schlüssel einer Woh- nung gefunden wurde, in welcher eine Kreditkarte gestohlen worden war und der Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben ein Lokal in Paris besucht hat, in welchem diese Kreditkarte nach dem Diebstahl benutzt worden ist. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ver- letzt das Heranziehen der bei ihm vorgefundenen Schlüssel als Teilindiz für seine Täterschaft keineswegs die Unschulds- vermutung; in diesem Zusammenhang beruft er sich auf wenig wahrscheinliche Hypothesen. Aus dem Umstand, dass er den Schlüssel einer Wohnung auf sich trug, in welcher sich zu- vor kein Diebstahl ereignet hatte, vermag er von vornherein nichts zu seinen Gunsten abzuleiten, zumal er selber nicht völlig auszuschliessen scheint, dass er jene Liegenschaft "zum Zwecke eines - möglicherweise geplanten - Diebstahls" hätte betreten können. Wenn das Gericht zudem bei zehn gleich gelagerten Einschleichdiebstählen innerhalb von rund 14 Monaten einen relativ engen zeitlichen Zusammenhang er- kennt und dies als Indiz gegen den Beschwerdeführer würdigt, ist dies nicht willkürlich. Dasselbe gilt für die vom Kan- tonsgericht aus dem Fehlen von Spuren am Tatort und dem raschen Wegschaffen des Deliktsgutes gezogenen Schlüsse; beides gehört fraglos zu dem vom Gericht dargelegten spezi- fischen Vorgehen der Täterschaft. Für die Verurteilung des Beschwerdeführers musste schliesslich auch nicht ein lücken- loser Nachweis seiner Übernachtungen in der fraglichen Zeit- spanne erbracht werden; das Kantonsgericht durfte sehr wohl die festgestellten Übernachtungen in der Region als Indiz - neben anderen - für die Delinquenz des Beschwerdeführers werten. Auch die Videoaufnahmen, auf denen erkennbar ist, wie der Beschwerdeführer systematisch Briefkästen absucht, durfte das Gericht willkürfrei als belastende Indizien qua- lifizieren. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beweiswürdi- gung des Kantonsgerichts nicht willkürlich ist. Weil sich objektiv keine Zweifel am deliktischen Verhalten des Be- schwerdeführers aufdrängen, verletzt der angefochtene Ent- scheid auch nicht die Unschuldsvermutung. 3.- Aus den dargestellten Gründen ist die staatsrecht- liche Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. Da sich die Beschwerde als offensichtlich aus- sichtslos erweist, sind die gesetzlichen Voraussetzungen zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht erfüllt (Art. 152 OG). Es erscheint umständehalber jedoch gerecht- fertigt, im vorliegenden Fall von der Erhebung einer Gerichtsgebühr abzusehen. Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 3.- Es werden keine Kosten erhoben. 4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht Graubünden schriftlich mitgeteilt. ______________ Lausanne, 18. September 2001 Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: