Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.466/2001
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1P.466/2001/zga

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                      1. Oktober 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung,
Bundesrichter Féraud, Ersatzrichterin Pont Veuthey und
Gerichtsschreiber Forster.

                         ---------

                         In Sachen

A.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin
Brigit Rösli, Kernstrasse 8/10, Postfach 2122, Zürich,

                           gegen

B.________, privater Beschwerdegegner, vertreten durch
Rechtsanwalt Marcel Zirngast, c/o. Rioult & Partner,
Möhrlistrasse 55, Zürich,
Staatsanwaltschaft des Kantons  Z ü r i c h,
Obergericht des Kantons  Z ü r i c h, II. Strafkammer,
Kassationsgericht des Kantons  Z ü r i c h,

                         betreffend
                        Strafprozess
       (Opferbeschwerde gegen Rückweisungsentscheid),

hat sich ergeben:

     A.- Das Bezirksgericht Zürich (3. Abteilung) sprach
B.________ mit Strafurteil vom 13. Dezember 1999 der
sexuellen Nötigung zu Lasten von A.________ sowie weite-
rer Straftaten schuldig und verurteilte ihn zu vier Jahren
Zuchthaus sowie zehn Jahren Landesverweisung. Ausserdem
wurde er verpflichtet, A.________ eine Genugtuung von
Fr. 25'000.-- sowie eine Umtriebsentschädigung von
Fr. 300.-- zu bezahlen. Gleichzeitig wurde der Strafaufschub
bezüglich einer gegen den Verurteilten bereits früher aus-
gefällten bedingten Gefängnisstrafe und Landesverweisung
widerrufen.

     B.- Auf Berufung des Verurteilten hin bestätigte
das Obergericht (II. Strafkammer) des Kantons Zürich mit
Urteil vom 27. Juni 2000 zur Hauptsache (namentlich be-
züglich der Anklage der sexuellen Nötigung) die Schuld-
sprüche. Teilweise trat das Obergericht auf unterdessen
verjährte Anklagepunkte nicht ein. Das Obergericht redu-
zierte das Strafmass auf 3 3/4 Jahre Zuchthaus und die
zugesprochene Genugtuung auf Fr. 15'000.--. Im Übrigen
bestätigte es das erstinstanzliche Urteil.

     C.- Gegen das Urteil des Obergerichtes erhob
B.________ kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, welche
vom Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom
7. Mai 2001 gutgeheissen wurde. Das Kassationsgericht hob
das obergerichtliche Urteil vom 27. Juni 2000 auf und wies
die Strafsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

     D.- Dagegen gelangte A.________ mit staatsrecht-
licher Beschwerde vom 11. Juli 2001 an das Bundesgericht.
Sie rügt eine Verletzung von Art. 5 Abs. 2 - 3, Art. 9,
Art. 10 Abs. 2 sowie Art. 29 Abs. 2 BV, und sie beantragt
die Aufhebung des angefochtenen Rückweisungsentscheides.

     E.- Das Kassationsgericht des Kantons Zürich liess
sich am 27. August 2001 im abschlägigen Sinne zur Beschwerde
vernehmen, während die Staatsanwaltschaft und das Oberge-
richt des Kantons Zürich am 17. Juli 2001 je ausdrücklich
auf eine Stellungnahme verzichtet haben.

        Der private Beschwerdegegner beantragt mit Vernehm-
lassung vom 31. August 2001 die Abweisung der Beschwerde,
soweit darauf eingetreten werden kann.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der Be-
schwerde von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 127
I 92 E. 1 S. 93 mit Hinweis).

        a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist zulässig
gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide
über die Zuständigkeit und den Ausstand. Diese Entscheide
können später nicht mehr angefochten werden (Art. 87 Abs. 1
OG).

        Gegen andere selbstständig eröffnete Vor- und
Zwischenentscheide ist die staatsrechtliche Beschwerde
nur zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken können (Art. 87 Abs. 2 OG). Ist diese

Beschwerde nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch
gemacht, ist ein solcher Zwischenentscheid durch Beschwerde
gegen den Endentscheid anfechtbar (Art. 87 Abs. 3 OG).

        Zwischenentscheide, die unter Art. 87 Abs. 1 OG
fallen, können nur unmittelbar nach ihrer selbstständigen
Eröffnung, solche nach Abs. 2 unmittelbar oder auch erst
mit einer Beschwerde gegen den Endentscheid angefochten
werden (BGE 126 I 207 E. 1b S. 209).

        b) Mit dem angefochtenen Rückweisungsentscheid
wird das vorliegende Strafverfahren nicht abgeschlossen.
Es handelt sich um einen Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 Abs. 2 OG, der nur im Falle eines nicht wieder
gutzumachenden Nachteils anfechtbar ist.

        Ein solcher irreparabler Nachteil muss recht-
licher Natur sein. Die Irreparabilität ist nur dann ge-
geben, wenn der fragliche Nachteil auch durch einen güns-
tigen Endentscheid (in einem kantonalen oder bundesgericht-
lichen Verfahren) nicht mehr behoben werden könnte. Eine
blosse tatsächliche Beeinträchtigung (wie etwa die Verlän-
gerung oder Verteuerung des Verfahrens) genügt nicht (BGE
127 I 92 E. 1c S. 94 f.; 126 I 207 E. 2 S. 210 f.; 118 Ib
335 E. 1c S. 338 f.; 117 Ia 251 E. 1a - b S. 253 f., 396
E. 1 S. 398 f., je mit Hinweisen).

     2.- a) Im angefochtenen Entscheid weist das Kassa-
tionsgericht die Strafsache zur Neubeurteilung an das
Obergericht zurück, da in dessen Urteil vom 27. Juni 2000
zu Unrecht auf eine unverwertbare belastende Zeugenaus-
sage abgestellt worden sei. Es handelt sich dabei um einen
Zwischenentscheid ohne nicht wieder gutzumachenden Nachteil
im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG.

        b) Es kann offen bleiben, ob im allfälligen
Umstand, dass die Beschwerdeführerin vom Obergericht vor-
geladen werden könnte, um nochmals als Zeugin zur Sache
auszusagen, ein nicht wieder gutzumachender Nachteil recht-
licher Natur läge. Die Frage, ob die Beschwerdeführerin
nochmals zu befragen sei, bildet nicht Gegenstand des an-
gefochtenen Entscheides und wird darin nicht entschieden.
Das Kassationsgericht stellt lediglich fest, die Beweis-
würdigung des Obergerichtes (zum Anklagepunkt der sexuellen
Nötigung) habe sich auf formungültige und damit unverwert-
bare belastende Zeugenaussagen gestützt, und auf Grundlage
dieser Beweiswürdigung sei eine strafrechtliche Verurteilung
des Angeklagten nicht zulässig. Da dem Strafurteil "unver-
wertbare Zeugenaussagen" zugrunde lägen, leide dieses "an
einem Nichtigkeitsgrund (...), was in Gutheissung der Nich-
tigkeitsbeschwerde zur Aufhebung" des Strafurteils "und zur
Zurückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung
im Sinne der Erwägungen" führe. Zwar erwägt das Kassations-
gericht in diesem Zusammenhang, der festgestellte Prozess-
fehler könne (entgegen der Auffassung des Angeklagten) durch
formrichtige Wiederholung der Zeugenbefragung "grundsätzlich
behoben" werden. Ob und allenfalls in welchem Umfang zusätz-
liche Beweisvorkehren aus der Sicht des erkennenden Straf-
richters notwendig erscheinen, hat das Kassationsgericht
jedoch nicht selbst entschieden. Dies zu prüfen bleibt viel-
mehr Aufgabe des Obergerichtes.

        c) In der blossen Rückweisung der Strafsache zur
Neubeurteilung durch das kantonale Berufungsgericht ist nach
ständiger Rechtsprechung kein Nachteil rechtlicher Natur (im
Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG) ersichtlich, der durch einen für
die Beschwerdeführerin günstigen Endentscheid in der Sache
nicht mehr korrigiert werden könnte.

     3.- a) Nach dem Gesagten kann auf die Beschwerde nicht
eingetreten werden.

        b) Die Beschwerdeführerin stellt das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege. Da die gesetzlichen Voraus-
setzungen von Art. 152 OG erfüllt erscheinen und insbesondere
die Bedürftigkeit der Gesuchstellerin ausreichend glaubhaft
gemacht wird, kann dem Begehren entsprochen werden.

        c) Der private Beschwerdegegner stellt ebenfalls
das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Ausserdem bean-
tragt er die Zusprechung einer Parteientschädigung. Diese
sei "infolge der Illiquidität" der Beschwerdeführerin "auf
die Gerichtskasse zu nehmen".

        Mit dem Entscheid über die Streitsache selbst hat
das Bundesgericht zu bestimmen, ob und in welchem Masse die
Kosten der obsiegenden Partei zu ersetzen seien (Art. 159
Abs. 1 OG). Zwar kann eine Partei auf Begehren der Gegenpar-
tei vom Präsidenten oder Instruktionsrichter zur Sicherstel-
lung für eine allfällige Parteientschädigung (Art. 159 i.V.m.
Art. 160 OG) angehalten werden, wenn sie in der Schweiz kei-
nen festen Wohnsitz hat oder erweislich zahlungsunfähig ist
(Art. 150 Abs. 2 OG). Von der Beschwerdeführerin, die ein
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt hat, konnte
jedoch keine Sicherstellung verlangt werden (Art. 152 Abs. 1
OG).

        Einer bedürftigen Partei kann ein Rechtsanwalt bei-
gegeben werden, dessen Honorar im Falle des Unterliegens
oder der Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung im
Rahmen des in Art. 160 OG vorgesehenen Tarifes vom Bundes-
gericht festgesetzt und von der Bundesgerichtskasse ausge-
richtet wird (Art. 152 Abs. 2 OG). Die Voraussetzungen von
Art. 152 OG erscheinen auch im Falle des privaten Beschwer-
degegners erfüllt. Bei dieser Sachlage kann ihm das Bundes-

gericht direkt eine angemessene Parteientschädigung aus der
Bundesgerichtskasse zusprechen (vgl. Geiser, in: Prozessieren
vor Bundesgericht, Basel 1998, Rz. 1.40-41).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht
eingetreten.

     2.- Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche
Rechtspflege gewährt:
        a) Es werden keine Kosten erhoben.
        b) Rechtsanwältin Brigit Rösli, Zürich, wird als
unentgeltliche Rechtsvertreterin ernannt und für das bundes-
gerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit einem
Honorar von Fr. 1'000.-- entschädigt.

     3.- Dem privaten Beschwerdegegner wird die unentgelt-
liche Rechtspflege gewährt. Rechtsanwalt Marcel Zirngast,
Zürich, wird als unentgeltlicher Rechtsvertreter ernannt und
für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichts-
kasse mit einem Honorar von Fr. 1'000.-- entschädigt.

     4.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staats-
anwaltschaft, dem Obergericht (II. Strafkammer) und dem
Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 1. Oktober 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
      Der Präsident:           Der Gerichtsschreiber: