Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.424/2001
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1P.424/2001/bmt

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                      5. Oktober 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bun-
desrichter Aeschlimann, Ersatzrichterin Geigy-Werthemann
und Gerichtsschreiberin Tophinke.

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                         In Sachen

M.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher
Dr. René Müller, Steinackerstrasse 7, Postfach 160, Brugg,

                           gegen

H.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt
Giuseppe Dell'Olivo-Wyss, Römerstrasse 20, Postfach 1644,
Baden,
Bezirksgericht  B r u g g,
Obergericht des Kantons  A a r g a u, 2. Strafkammer,

                         betreffend
                      Strafverfahren,

hat sich ergeben:

     A.- Am 19. Mai 2000 unterbreitete H.________ dem
Friedensrichteramt des Kreises Windisch ein Begehren um
Ansetzung einer Sühneverhandlung. Sie machte geltend,
M.________ habe sie am 25. April 2000 um ca. 9.30 Uhr
vor der Migros in Windisch angespuckt. Sie beantragte,
M.________ sei wegen Beschimpfung gemäss Art. 177 StGB
zu bestrafen und zu verpflichten, ihr eine Genugtuung
von Fr. 1'000.-- zu bezahlen. Nachdem M.________ den
Vorwurf bestritten hatte, erteilte der Friedensrichter-
Statthalter H.________ den Weisungsschein in Privatstraf-
sachen.

     B.- Mit Urteil vom 12. Dezember 2000 hiess das Be-
zirksgericht Brugg die am 6. Juli 2000 erhobene Klage von
H.________ gegen M.________ teilweise gut, sprach die Be-
klagte der Beschimpfung schuldig und bestrafte sie gestützt
auf Art. 177 in Verbindung mit Art. 48 StGB mit einer Busse
von Fr. 100.--. Die Gerichtskosten sowie die richterlich
genehmigten Parteikosten der Klägerin auferlegte es der
Beklagten.

     C.- Die gegen das Urteil des Bezirksgerichts Brugg er-
hobene Berufung der M.________ wies die 2. Strafkammer des
Obergerichts des Kantons Aargau mit Urteil vom 23. April
2001 ab. Das Obergericht erklärte, mit der Vorinstanz keine
erheblichen Zweifel an der Schuld der Beklagten zu haben.

     D.- Gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau hat M.________ am 25. Juni 2001 staatsrechtliche

Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Sie beantragt,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu
ihrem Freispruch an das Obergericht zurückzuweisen. Die
Beschwerdeführerin beanstandet die Protokollierung der
Verhandlungen des Bezirksgerichts vom 18. August und vom
31. Oktober 2000 und rügt die Feststellung des Sachverhalts
als willkürlich.

     E.- H.________ hat sich mit dem Antrag auf Abweisung
der staatsrechtlichen Beschwerde vernehmen lassen.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Das angefochtene Urteil des Obergerichts des Kan-
tons Aargau ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endent-
scheid (Art. 86 Abs. 1 und Art. 87 OG). Die Beschwerdefüh-
rerin anerkennt die Subsumtion des vom Obergericht ange-
nommenen Sachverhalts unter Art. 177 StGB ausdrücklich als
richtig und rügt keine Bundesrechtsverletzung. Die eidge-
nössische Nichtigkeitsbeschwerde ist somit nicht gegeben.
Für die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Rüge der
willkürlichen Feststellung des Sachverhalts ist die staats-
rechtliche Beschwerde grundsätzlich zulässig. Soweit die
Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfahren allerdings neue
Rügen vorbringt, die sie im kantonalen Verfahren nicht gel-
tend gemacht hat, ist auf diese nicht einzutreten, da in
einer staatsrechtlichen Beschwerde gestützt auf Art. 4 aBV
beziehungsweise Art. 9 BV neue tatsächliche und rechtliche
Vorbringen grundsätzlich unzulässig sind (BGE 118 Ia 20 E. 5
S. 26, mit Hinweis).

     2.- Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht in
verschiedener Hinsicht Willkür in der Feststellung des Sach-
verhalts vor. Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichts vor, wenn der angefochtene kantonale Ent-
scheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen
unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stos-
sender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE
127 I 54 E. 2b S. 56 mit Hinweisen).

     3.- Die Beschwerdeführerin rügt die Feststellung des
Obergerichts als willkürlich, sie habe ein Motiv zur Tat-
begehung gehabt, da sie bereits vor der Tatzeit mit der
Beschwerdegegnerin Streit gehabt habe. Es sei durchaus
denkbar, dass jemand mit einer anderen Person Streit habe,
ohne daraus für sich ein Motiv zur Beschimpfung zu erblic-
ken. Diese Rüge geht fehl. Wohl führt nicht jeder Streit zu
einer Beschimpfung wie auch nicht jeder Streit zu Tätlich-
keiten oder gar zu einer Körperverletzung führt. Es ist je-
doch notorisch und bedarf keiner weiteren Begründung, dass
ein bestehender Streit ein Motiv für eine Beschimpfung sein
kann. Eine solche Möglichkeit ist im vorliegenden Fall umso
eher zu bejahen, als durch den Protokollauszug des Friedens-
richteramtes des Kreises Windisch vom 2. November 1999 nach-
gewiesen ist, dass die Beschwerdeführerin am 13. September
1999 gegen die Beschwerdegegnerin Klage wegen Ehrverletzung
erhoben hatte. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführe-
rin findet sich in den Akten somit ein konkreter Hinweis
darauf, dass die Beschwerdeführerin ein Motiv für eine Be-
schimpfung gehabt haben könnte. Eine diesbezügliche Frage an
die Beschwerdeführerin, die eine solche Frage ohnehin kaum
bejaht hätte, erübrigte sich somit.

     4.- Im weiteren erachtet die Beschwerdeführerin die
Feststellung des Obergerichts, sie habe sich in Widersprü-
che verwickelt, als willkürlich. Insbesondere hält sie die
Feststellung des Obergerichts, sie habe am betreffenden
25. April 2000 bei Frau O.________ gebügelt, für will-
kürlich.

        a) Die Beschwerdeführerin begründet dies zunächst
damit, anlässlich der Verhandlung vor dem Bezirksgerichts-
präsidenten vom 18. August 2000 sei für sie keine Dolmet-
scherin anwesend gewesen, obwohl sie des Deutschen nur sehr
beschränkt mächtig sei. Diese Rüge, welche allenfalls unter
dem Gesichtspunkt des von der Beschwerdeführerin nicht als
verletzt gerügten Anspruchs auf rechtliches Gehör von Bedeu-
tung sein könnte, hat die Beschwerdeführerin in ihrer Beru-
fung an das Obergericht nicht vorgebracht. Die Rüge ist im
vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren neu und
daher unzulässig. Sie würde sich zudem als unbegründet er-
weisen, da die Beschwerdeführerin anlässlich dieser Verhand-
lung durch ihren Anwalt begleitet war. Dieser verneinte die
einleitende Frage des Gerichtspräsidenten nach allfälligen
Vorfragen beziehungsweise Vorbemerkungen, unterliess es ins-
besondere, für die Beschwerdeführerin den Beizug eines Dol-
metschers zu verlangen, und übernahm es gemäss dem Verhand-
lungsprotokoll (S. 3) selbst, für die Beschwerdeführerin ins
Spanische zu übersetzen, da sie nicht alles verstand.

        b) Ferner beanstandet die Beschwerdeführerin, das
Protokoll der Verhandlung vom 18. August 2000 sei ihrem An-
walt trotz seines Begehrens vom 16. November 2000 nie zuge-
stellt worden, weshalb er keine Korrektur dieses Protokolls
habe verlangen können. Auch diese Rüge ist, nachdem die
Beschwerdeführerin im Verfahren vor Obergericht diesbezüg-
lich nichts vorgebracht hat, im bundesgerichtlichen Verfah-
ren neu und damit unzulässig. Im Übrigen findet sich bei den

Akten keine Eingabe des Anwalts der Beschwerdeführerin mit
Datum vom 16. November 2000. Eine Eingabe vom 6. November
2000 betraf ein Gesuch um Berichtigung des Protokolls der
Verhandlung vom 31. Oktober 2000 hinsichtlich einer Aussage
der Beschwerdegegnerin (vgl. unten Erwägung 4d).

        c) Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid
ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe sich von allem An-
fang an in Widersprüche verwickelt, indem sie einerseits
behauptet habe, sie habe am fraglichen Tag von 09.00 bis
11.00 Uhr in Hausen bei Frau O.________ gebügelt, während
sie andererseits geltend mache, sie habe zum selben Zeit-
punkt zwischen 8.50 und 9.10 Uhr zu Hause telefoniert. Für
die erste Darstellung stützte sich das Obergericht auf das
Protokoll der Verhandlung vom 18. August 2000 (Akten des
Bezirksgerichts Brugg, act. 10). Auf den Vorhalt, die Be-
schwerdegegnerin sage, sie sei von der Beschwerdeführerin
vor der Migros in Windisch angespuckt worden, erklärte die
Beschwerdeführerin wörtlich: "Dieser Vorwurf stimmt nicht.
An diesem Tag habe ich in Hausen bei O.________ gearbeitet.
Von 9 bis 11 Uhr habe ich dort gebügelt". Diese Aussage ist
klar und unmissverständlich. Die Beschwerdeführerin selbst
hat den Namen ihrer Arbeitgeberin genannt. Anlässlich der
Verhandlung vom 31. Oktober 2000, bei welcher eine Dolmet-
scherin für die Beschwerdeführerin anwesend war, erklärte
diese auf die Frage, wo sie durchgelaufen sei, sie sei auf
dem Weg zur Arbeit zu Frau O.________ gewesen, was mit ihrer
Aussage vom 18. August 2000 übereinstimmt. In der Eingabe
ihres Anwalts an das Bezirksgericht Brugg vom 4. Dezember
2000 liess die Beschwerdeführerin dagegen ausführen und
unter Beweis stellen, dass sie sich am fraglichen Tag in
der Zeit von 8.30 bis 9.10 in ihrer Wohnung aufgehalten
und von dort aus vier Telefonate getätigt habe (Akten des
Bezirksgerichts Brugg, act. 57). Dass das Obergericht

diese Darlegungen als widersprüchlich qualifizierte, er-
scheint jedenfalls nicht als willkürliche Würdigung dersel-
ben, da die Beschwerdeführerin nicht um 9 Uhr ihre Arbeit
aufgenommen und um 9.10 aus ihrer Wohnung ein Telefon ge-
tätigt haben konnte.

        d) Die in der vorliegenden staatsrechtlichen Be-
schwerde vorgetragene Version der Beschwerdeführerin, sie
habe am fraglichen 25. April 2000 überhaupt nicht bei Frau
O.________ gearbeitet, ist neu und somit unzulässig. Ange-
sichts der oben wiedergegebenen Aussagen der Beschwerde-
führerin anlässlich der Verhandlungen vor dem Bezirksge-
richtspräsidenten vom 18. August und vom 31. Oktober 2000
ist ihre neu erhobene Behauptung, sie habe "nie und nimmer
gesagt, sie hätte am 25.4.2000 bei O.________ gearbeitet",
geradezu aktenwidrig. Der Anwalt der Beschwerdeführerin hat
zwar mit Eingabe vom 6. November 2000 (Akten des Bezirks-
gerichts Brugg, act. 49) dem Bezirksgerichtspräsidenten ein
Gesuch um Berichtigung des Protokolls vom 31. Oktober 2000
unterbreitet. Dieses Gesuch betraf jedoch nicht die Aus-
sage der Beschwerdeführerin, sie sei auf dem Weg zu Frau
O.________ gewesen, sondern die Stellung, in der sich die
Beschwerdegegnerin anlässlich des Spuckens befand.

     5.- a) Ob die Beschwerdeführerin am fraglichen Tag bei
Frau O.________ arbeitete, erscheint indes von geringerer
Bedeutung als die Frage, ob sie sich zum fraglichen Zeit-
punkt zumindest in der Nähe der Migros aufgehalten hat, was
das Obergericht bejaht hat. Auch diese Feststellung bean-
standet die Beschwerdeführerin als willkürlich. Unter Hin-
weis auf die oben erwähnten Telefonate, die sie zwischen
8.30 und 9.10 getätigt habe, macht sie geltend, sie könne
sich daher zum fraglichen Zeitpunkt nicht am Tatort auf-
gehalten haben.

        Die Nichtberücksichtigung dieses Umstandes sowie
der unterschiedlichen Aussagen der Beschwerdegegnerin zur
Tatzeit erachtet die Beschwerdeführerin als willkürlich.

        b) Die Beschwerdegegnerin hat in ihrem Begehren
um Ansetzung einer Sühneverhandlung vom 19. Mai 2000 die
Tatzeit mit 25. April 2000 "ca. 9.30 Uhr" angegeben. An-
lässlich der ersten Verhandlung vor dem Bezirksgerichts-
präsidenten vom 18. August 2000 hat sie auf die Frage, wann
sich der Vorfall ereignet habe, erklärt: "Es war so zwischen
8.45 Uhr und 9 Uhr. Ich war gerade am einkaufen". Anlässlich
der zweiten Verhandlung vom 31. Oktober 2000 sagte sie aus:
"Ich war einkaufen. Um 8.45 Uhr kauerte ich auf dem Boden
vor den Blumentöpfen". Das Obergericht hat hinsichtlich der
Tatzeit auf die erste Zeitangabe der Beschwerdegegnerin ab-
gestellt und erklärt, es sei verständlich, dass sie sich an
der vorinstanzlichen Verhandlung, die rund ein halbes Jahr
nach der Tat stattfand, nicht mehr an den genauen Tatzeit-
punkt erinnern konnte. An der sonst schlüssigen Darstellung
der Beschwerdegegnerin würden sich daraus keine erheblichen
Zweifel ergeben. Diese Würdigung der Aussagen der Beschwer-
degegnerin hinsichtlich der Tatzeit erscheint jedenfalls
unter Mitberücksichtigung der Umstände, dass das Spucken
in die Richtung der Beschwerdegegnerin durch den Zeugen
O.________ nachgewiesen und nicht ersichtlich ist, wer
ausser der Beschwerdeführerin hiefür als Täter hätte in
Frage kommen können, nicht als willkürlich. Hinzu kommt,
dass die Beschwerdegegnerin, die im fraglichen Zeitpunkt
in Begleitung ihres dreijährigen Kindes vor der Migros beim
Aussuchen von Blumentöpfen war, sich nach der Tat umgehend
in Begleitung des Zeugen O.________ zur Polizei begab und
dort gemäss dem Rapport der Gemeindepolizei vom 7. November
2000 "ziemlich aufgelöst" erschienen ist. Diese Betroffen-
heit der Beschwerdegegnerin durfte das Obergericht ohne
Willkür als Indiz für die Richtigkeit ihrer Anschuldigung
werten.

     6.- Die Beschwerdeführerin hat bereits vor Bezirks-
gericht geltend gemacht, es sei unmöglich, einer auf dem
Boden kauernden Person auf die Füsse zu spucken, da in
dieser Stellung die Füsse unter dem Körper versteckt seien.
Das Obergericht hat dieses Argument verworfen. Die Beschwer-
deführerin erachtet die diesbezügliche Feststellung des
Obergerichts als willkürlich. Die Beschwerdegegnerin hat
anlässlich der Verhandlung vom 31. Oktober 2000 erklärt, die
Beschwerdeführerin habe ihr direkt vor die Füsse gespuckt.
Die Annahme des Obergerichts, dass dies objektiv möglich
sei, und die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen
Urteil erscheinen jedenfalls nicht als willkürlich.

     7.- Zusammenfassend erweist sich die staatsrechtliche
Beschwerde als unbegründet. Sie ist daher abzuweisen, soweit
überhaupt darauf einzutreten ist.

        Bei diesem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfah-
rens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig. Sie hat
die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen
(Art. 156 Abs. 1 OG) und die Beschwerdegegnerin angemessen
zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der
Beschwerdeführerin auferlegt.

     3.- Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin
für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu
entschädigen.

     4.- Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bezirksgericht
Brugg und dem Obergericht des Kantons Aargau, 2. Strafkam-
mer, schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 5. Oktober 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                  Die Gerichtsschreiberin: