Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.415/2001
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1P.415/2001/sta

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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                      20. August 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Aeschlimann, Ersatzrichterin Pont Veuthey und Ge-
richtsschreiberin Widmer.

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                         In Sachen

X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher
Dr. René Müller, Steinackerstrasse 7, Postfach 160, Brugg,

                           gegen

Bezirksgericht  B r e m g a r t e n,
Staatsanwaltschaft des Kantons  A a r g a u,
Obergericht des Kantons  A a r g a u, 3. Strafkammer,

                         betreffend
             Beweiswürdigung, rechtliches Gehör
     (Art. 6 Ziff. 1 und 2 EMRK, Art. 9, 29 und 32 BV),

hat sich ergeben:

     A.- X.________ wird vorgeworfen, am 25. April 2000 in
Bremgarten einen Personenwagen gelenkt zu haben, obwohl ihr
mit Verfügung des Strassenverkehrsamts des Kantons Aargau
vom 8. April 1998 der Führerausweis mit Wirkung ab 14. April
1997 auf unbestimmte Zeit entzogen worden war. Der Verdacht
ergab sich aufgrund eines Hinweises ihrer Nachbarin
A.________, welche sich an besagtem Tag telefonisch auf dem
Polizeiposten Bremgarten erkundigte, ob X.________ wieder
ein Fahrzeug lenken dürfe, und dabei ausführte, wie sie die-
se von ihrem Garten aus in einem roten BMW herannahen und
vor die Garage fahren gesehen habe. Nach einer polizeilichen
Befragung von A.________ und X.________ wurde diese mit
Strafbefehl des Bezirksamts Bremgarten vom 5. Juli 2000 ge-
stützt auf Art. 10 Abs. 2 und Art. 95 Ziff. 1 SVG wegen Füh-
rens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises
zu einer Haftstrafe von 10 Tagen und zur Bezahlung einer
Busse von Fr. 100.-- verurteilt. Auf Einsprache hin führte
das Bezirksgericht Bremgarten am 31. August 2000 eine Ver-
handlung durch und befragte X.________ und A.________. Glei-
chentags sprach es X.________ des Fahrens ohne Führerausweis
nach Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 95 Ziff. 2 SVG für schuldig
und bestrafte sie mit einem Monat Haft, bedingt vollziehbar
bei einer Probezeit von einem Jahr, und einer Busse von
Fr. 500.--. Gegen dieses Urteil erhob X.________ Berufung
und beantragte, von Schuld und Strafe freigesprochen zu wer-
den. Die 3. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Aargau
wies die Berufung ab.

     B.- Gegen das Urteil des Obergerichts führt X.________
staatsrechtliche Beschwerde. Sie beantragt, das Urteil wegen
willkürlicher Beweiswürdigung sowie Verletzung des rechtli-

chen Gehörs aufzuheben. Weiter sei die Sache an das Oberge-
richt zurückzuweisen, damit dieses B.________, Affoltern am
Albis, als Zeugin einvernehme und neu entscheide.

        Das Bezirksgericht Bremgarten, die Staatsanwalt-
schaft und das Obergericht haben auf eine Stellungnahme aus-
drücklich verzichtet.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die Beschwerdeführerin bestreitet, am 25. April
2000 in Bremgarten den Personenwagen ihrer Tochter gelenkt
und damit den Straftatbestand des Führens eines Motorfahr-
zeugs trotz Entzugs des Führerausweises erfüllt zu haben.
Sie wirft dem Obergericht Willkür in der Beweiswürdigung
vor, weil es den dahingehenden Aussagen ihrer Nachbarin
Glauben geschenkt habe, ohne dabei den Einwand zu berück-
sichtigen, dass das nachbarliche Verhältnis angespannt sei,
weil sie zum fraglichen Zeitpunkt Einsprache gegen ein Bau-
gesuch der Familie A.________ erhoben habe. Die Beschwerde-
führerin macht geltend, der Wagen sei nicht von ihr, sondern
von B.________, Affoltern am Albis, gelenkt worden. Es sei
unhaltbar, dass das Obergericht der von B.________ unter-
zeichneten Bestätigung keinen Glauben schenke und diese ent-
gegen dem Beweisantrag nicht als Zeugin einvernommen habe.

     2.- Die verfassungsmässigen Anforderungen an die Be-
weiswürdigung im Strafprozess ergeben sich aus der Un-
schuldsvermutung (in dubio pro reo), die in Art. 6 Ziff. 2
EMRK und in Art. 32 Abs. 1 BV gewährleistet ist. Nach dem

Grundsatz in dubio pro reo ist bis zum gesetzlichen Nachweis
der Schuld zu vermuten, dass der wegen einer strafbaren
Handlung Angeklagte unschuldig ist (BGE 120 Ia 31 E. 2b
S. 35). Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz, dass
sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den
Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären
darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, dass
sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Der Grundsatz ist
verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklag-
ten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und
theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer
möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden
kann. Entscheidend ist, ob die Zweifel erheblich und nicht
zu unterdrücken sind, das heisst, sich nach der objektiven
Sachlage aufdrängen (BGE 124 IV 86 E. 2a; 120 Ia 31 E. 2c
S. 37).

        Das Obergericht erachtet die Aussagen der Zeugin
A.________ insbesondere wegen ihres hohen Detailgrads und
ihrer Einheitlichkeit in der Darlegung vor den verschiedenen
Instanzen als glaubwürdig. Die Zeugin habe präzis beschrie-
ben, wie sie während des Verrichtens der Gartenarbeit aus
höchstens drei Metern Entfernung den roten BMW habe heranna-
hen sehen und hinter dem Lenkrad die Beschwerdeführerin er-
kannt habe. Als lebensnahes Detail hebt das Obergericht her-
vor, dass die Beschwerdeführerin nach Angaben der Zeugin
nicht sogleich aus dem Wagen gestiegen, sondern auffallend
lange darin sitzen geblieben sein soll, wohl um nicht er-
kannt zu werden. Demgegenüber hätten sich die Aussagen der
Beschwerdeführerin als widersprüchlich erwiesen, insbeson-
dere was die angebliche Lenkerin des Fahrzeugs betreffe: Vor
der Polizei und vor Bezirksgericht habe sie noch ausgesagt,
ihre Tochter C.________ habe den Wagen gelenkt; sie hätte
sie an jenem Tag besucht. Nachdem sich ihre Tochter an den
Besuch offenbar nicht mehr habe erinnern können, habe sie

sich vor Obergericht auf B.________ als Lenkerin berufen und
eine entsprechende Bestätigung beigebracht. Die Beschwerde-
führerin hat zu diesem Argument nicht Stellung genommen.
Entsprechend lässt ihr Einwand, B.________ habe den roten
BMW gefahren, keine erheblichen Zweifel an ihrer Schuld auf-
kommen. Das Obergericht hat in haltbarer Weise den weiteren
Umstand, dass B.________ nicht in der Umgebung Bremgarten,
sondern in Affoltern am Albis wohnt, als gegen diese Sach-
verhaltsversion sprechend beurteilt. Ebenfalls vertretbar
ist die Erwägung, dass in allfälligen Unstimmigkeiten zwi-
schen den Nachbarn kein ausreichendes Motiv für eine falsche
Anschuldigung oder ein falsches Zeugnis liege. Es kann voll-
umfänglich auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid
verwiesen werden (Art. 36a Abs. 3 OG).

        Als unbegründet erweist sich sodann der Vorwurf,
B.________ hätte als Zeugin einvernommen werden müssen.
Durfte das Obergericht im Rahmen einer antizipierten Beweis-
würdigung davon ausgehen, bei der (undatierten) Erklärung
handle es sich um eine Gefälligkeitsbestätigung, so ist es
nur folgerichtig, wenn es den Antrag ablehnte, B.________
als Zeugin einzuvernehmen. Das aus den Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und 29 Abs. 2 BV fliessende Recht auf Abnahme von rechtzei-
tig und formgerecht angebotenen Beweisen gilt nur insoweit,
als solche überhaupt geeignet sind, die umstrittene Tatsache
zu belegen (BGE 124 I 241 E. 2 mit Hinweisen).

     3.- Demnach ist die staatsrechtliche Beschwerde abzu-
weisen. Bei diesem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfah-
rens sind die Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen
(Art. 156 Abs. 1 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht
               im Verfahren nach Art. 36a OG:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Be-
schwerdeführerin auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Be-
zirksgericht Bremgarten sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Aargau, 3. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.
                       ______________

Lausanne, 20. August 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                  Die Gerichtsschreiberin: