Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.406/2001
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001


1P.406/2001/boh

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                       29. Juni 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Nay, Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiber
Störi.

                         ---------

                         In Sachen

X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin
Susanne Ackermann Fioroni, Spittelerhof, Kasernen-
strasse 22a, Postfach 569, Liestal,

                           gegen

Besonderes Untersuchungsrichteramt des Kantons  B a s e l -
L a n d s c h a f t,
Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons  B a s e l -
L a n d s c h a f t,

                         betreffend
         persönliche Freiheit, Art. 9, 10 und 29 BV
                     (Haftentlassung),

hat sich ergeben:

     A.- X.________ wurde am 30. Oktober 2000 bei der Auto-
bahnraststätte Windrose in Pratteln polizeilich angehalten,
wobei im von ihm gelenkten Auto 8,7 kg Heroin sichergestellt
wurden. Aufgrund eines Haftbefehls der Schweizerischen Bun-
desanwaltschaft wegen des Verdachts auf qualifizierte Wider-
handlung gegen das Betäubungsmittelgesetz wurde er umgehend
verhaftet und tags darauf vom stellvertretenden eidgenössi-
schen Untersuchungsrichter in Untersuchungshaft genommen.

        Das Strafverfahren gegen X.________ wurde in der
Folge vom Besonderen Untersuchungsrichteramt des Kantons
Basel-Landschaft übernommen.

     B.- Am 3. Mai 2001 stellte das Besondere Untersuchungs-
richteramt dem Verfahrensgericht in Strafsachen den Antrag,
die Untersuchungshaft gegen X.________ um acht Wochen, bis
zum 10. Juli 2001, zu verlängern. Dieser sei schon aufgrund
seines Geständnisses dringend verdächtig, am 30. Oktober
2000 für eine Entschädigung von 5'000 Franken eine Tasche
mit 8,7 kg 50 - 70 %-reinem Heroin von Basel nach Pratteln
transportiert zu haben. Darüber hinaus werde er von
Y.________ belastet, das Heroin "besorgt" zu haben. Es be-
stehe Fluchtgefahr, da X.________ im Falle einer Verurtei-
lung mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe und einer unbe-
dingten Landesverweisung rechnen müsse, und er nach wie vor
enge familiäre und wirtschaftliche Bindungen zu seiner maze-
donischen Heimat habe.

        In seiner Stellungnahme zum Haftverlängerungsgesuch
des Besonderen Untersuchungsrichteramtes beantragte
X.________, er sei aus der Haft zu entlassen, eventuell

unter Auferlegung einer Schriftensperre und einer Kaution,
subeventuell unter Anordnung von technischen Überwachungs-
massnahmen. Es bestehe keine konkrete Fluchtgefahr, da er
seit über 12 Jahren in der Schweiz lebe und sich hier ein
soziales Netz aufgebaut habe. Seine Frau und seine drei
Kinder lebten hier, und er habe die Zusicherung von zwei
Arbeitgebern, ihn nach seiner Haftentlassung weiter zu be-
schäftigen. In Mazedonien habe er kein wirtschaftliches Aus-
kommen, und er könnte es nicht verantworten, durch eine
Flucht zu bewirken, dass seine Familie ins von Kriegswirren
geschüttelte Mazedonien abgeschoben würde.

        Mit Präsidialbeschluss vom 15. Mai 2001 hiess die
Vizepräsidentin des Verfahrensgerichts das Haftverlänge-
rungsgesuch gut und verlängerte die Untersuchungshaft um
acht Wochen bis zum 10. Juli 2001.

     C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 14. Juni 2001
wegen Verletzung von Art. 9, 10 und 29 BV beantragt
X.________, den Beschluss des Verfahrensgerichts aufzuheben;
er sei aus der Haft zu entlassen, eventuell unter Anordnung
einer Schriftensperre und einer Kaution. Subeventuell sei
die Sache zur Festsetzung geeigneter Ersatzmassnahmen an das
Verfahrensgericht zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

        Das Besondere Untersuchungsrichteramt und das Ver-
fahrensgericht verzichten auf Vernehmlassung, wobei letzte-
res unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid die Abwei-
sung der Beschwerde beantragt.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Beim angefochtenen Entscheid vom 15. Mai 2001,
mit welchem das Verfahrensgericht die Haft bestätigte, han-
delt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endent-
scheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig
ist. Der Beschwerdeführer wirft dem Verfahrensgericht die
Verletzung von verfassungsmässigen Rechten vor, wozu er be-
fugt ist (Art. 84 und 88 OG). Die übrigen Sachurteilsvoraus-
setzungen sind ebenfalls erfüllt, sodass auf die Beschwerde
einzutreten ist.

        b) Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die
Fortsetzung von Untersuchungshaft kann, ausser der Aufhebung
des angefochtenen Entscheids, auch die sofortige Entlassung
aus der Haft verlangt werden (BGE 115 Ia 293 E. 1a). Der
entsprechende Antrag des Beschwerdeführers ist daher zuläs-
sig.

        c) Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt
auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit
gegen die Haftanordnung erhoben werden, prüft das Bundes-
gericht die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts
grundsätzlich frei (BGE 117 Ia 72 E. 1; 114 Ia 281 E. 3).
Der Willkürrüge kommt daher keine selbständige Bedeutung zu.

        d) Im Zusammenhang mit der Rüge, die Untersuchungs-
haft werde in Anbetracht der zu erwartenden Strafe unver-
hältnismässig, macht der Beschwerdeführer eine Verletzung
des in Art. 29 Abs. 1 BV garantierten Anspruchs auf ein
faires Verfahren geltend, weil bei überlanger Untersuchungs-
haft die Gefahr bestehe, dass der Strafrichter unabhängig
von der Tatschuld eine diese übersteigende Strafe ausspre-
che.

        Vorliegend ist einzig die Verfassungsmässigkeit des
Haftprüfungsverfahrens zu beurteilen, nicht diejenige des in
Aussicht stehenden gerichtlichen Strafverfahrens gegen den
Beschwerdeführer, weshalb auf diese Rüge nicht eingetreten
werden kann. Dies schadet dem Beschwerdeführer allerdings
nicht, da die Verhältnismässigkeit der Untersuchungshaft
unter dem Gesichtspunkt von Art. 10 Abs. 2 BV ohnehin zu
prüfen ist.

     2.- a) Untersuchungshaft kann im Kanton Basel-Land-
schaft (u.a.) angeordnet werden, wenn die angeschuldigte
Person eines Vergehens oder Verbrechens dringend verdächtig
ist und Fluchtgefahr besteht (§ 77 Abs. 1 der Strafprozess-
ordnung vom 3. Juni 1999; StPO). Liegt ausser dem hier unbe-
strittenen allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts
Fluchtgefahr als besonderer Haftgrund vor, steht einer In-
haftierung auch unter dem Gesichtswinkel der von Art. 10
Abs. 2 BV geschützten persönlichen Freiheit grundsätzlich
nichts entgegen.

        b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ge-
nügt die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe für sich
allein nicht für die Annahme von Fluchtgefahr. Eine solche
darf nicht schon angenommen werden, wenn die Möglichkeit der
Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr müssen konkrete
Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als mög-
lich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe
der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur neben
anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsachen herangezogen
werden (BGE 125 I 60 E. 2a; 117 Ia 69 E. 4a; 108 Ia 64 E. 3;
107 Ia 3 E. 6).

        c) Aufgrund seines Geständnisses ist unbestritten,
dass der Beschwerdeführer dringend verdächtig ist, aus rein
finanziellen Gründen 8,7 kg relativ hochwertiges Heroin

transportiert zu haben. Es droht ihm daher eine Verurteilung
nach Art. 19 Ziff. 2 BetmG und damit eine Freiheitsstrafe,
deren Dauer den bedingten Vollzug jedenfalls ausschliesst.

        Unbestreitbar ist zwar, dass der Beschwerdeführer
starke Bindungen zur Schweiz hat. Es ist indessen fraglich,
ob diese einer Verurteilung zu einer unbedingten Freiheits-
strafe standhalten, läuft er in einem solchen Fall doch er-
hebliche Gefahr, seine Aufenthaltsbewilligung B zu verlie-
ren, selbst wenn von einer unbedingten strafrechtlichen Lan-
desverweisung abgesehen würde. Unbestritten ist auch, dass
der Beschwerdeführer familiäre Beziehungen zu seiner Heimat
hat, was ihm ermöglichen könnte, nach einer allfälligen
Flucht bei seiner Verwandtschaft Unterschlupf zu finden. Die
politischen Wirren und wirtschaftlichen Schwierigkeiten in
Mazedonien machen zwar einerseits eine Flucht dorthin un-
attraktiv; anderseits sind die Chancen, sich dort den straf-
rechtlichen Konsequenzen einer schweizerischen Verurteilung
auf Dauer zu entziehen, erheblich grösser als in einem voll
funktionsfähigen Rechtsstaat, in welchem er weit eher damit
rechnen müsste, dass dieser die Strafverfolgung gegen ihn
übernehmen oder ihn an die Schweiz ausliefern würde. Insge-
samt ist daher die Einschätzung des Verfahrensgerichts, dass
der Beschwerdeführer in Freiheit versucht sein könnte, sich
der weiteren Strafverfolgung durch Flucht zu entziehen,
nicht zu beanstanden.

        d) Ebenfalls zuzustimmen ist dem Verfahrensgericht
darin, dass die Fluchtgefahr durch die vom Beschwerdeführer
vorgeschlagenen Ersatzmassnahmen nicht entscheidend gesenkt
werden könnte. Die eher bescheidene Kaution von 9'000 Fran-
ken, die einer seiner Arbeitgeber für ihn stellen würde,
könnte den Beschwerdeführer wohl kaum von einer Flucht ab-
halten. Selbst wenn ihm sein Ehrgefühl verbieten sollte,
seinen Gönner zu schädigen, könnte er versuchen, diesem die

nach einer Flucht verfallene Kaution später zu ersetzen.
Eine Schriftensperre hätte nur eine ungenügende Wirkung, ist
es doch ein Leichtes, die Schweiz zu verlassen, ohne sich an
der Grenze kontrollieren zu lassen. Ebenso untauglich wäre
die vom Beschwerdeführer vorgeschlagene technische Überwa-
chung ("Electronic Monitoring"), verbunden mit einer Auf-
sicht durch seine Arbeitgeber. Der Beschwerdeführer räumt
selber ein, dass diese nicht lückenlos ist und eine Kontrol-
le durch die Arbeitgeber bietet nicht die erforderliche Si-
cherheit.

        e) Die Fortsetzung der Haft ist zur Zeit noch kei-
neswegs unverhältnismässig. Nach dem oben in E. 2c Gesagten
hat der Beschwerdeführer selbst bei der für ihn günstigsten
Sachverhaltsvariante eine unbedingte, d.h. 18 Monate über-
steigende Strafe zu gewärtigen. Nach der unbestrittenen Dar-
stellung des Verfahrensgerichts wird er sich beim Ablauf der
mit dem angefochtenen Entscheid genehmigten Haftfrist 8 1/2
Monate in Untersuchungshaft befunden haben. Sie erreicht da-
mit noch nicht die Hälfte der zu erwartenden unbedingt voll-
ziehbaren Freiheitsstrafe, weshalb die Verhältnismässigkeit
auch nach den strengen Voraussetzungen von § 78 Abs. 2
lit. b StPO gewahrt wird.

     3.- Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist.

        Damit wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kos-
tenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat jedoch ein Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt.
Dieses ist gutzuheissen, da die Mittellosigkeit des Be-
schwerdeführers ausgewiesen scheint und die Beschwerde nicht
von vornherein aussichtslos war (Art. 152 OG). Dementspre-
chend sind keine Kosten zu erheben, und Advokatin Susanne

Ackermann Fioroni, Liestal, ist als unentgeltliche Vertei-
digerin einzusetzen und aus der Gerichtskasse angemessen zu
entschädigen.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

     2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gut-
geheissen:

        a) Es werden keine Kosten erhoben.
        b) Advokatin Susanne Ackermann Fioroni wird als un-
entgeltliche Rechtsvertreterin eingesetzt und aus der Bun-
desgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.

     3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem
Besonderen Untersuchungsrichteramt und dem Verfahrensgericht
in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mit-
geteilt.

                       ______________

Lausanne, 29. Juni 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
      Der Präsident:           Der Gerichtsschreiber: