Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.393/2001
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001


1P.393/2001/sta

Urteil vom 18. Januar 2002

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Leuthold.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Blatter,
Thurgauerstrasse 68, Postfach 8846, 8050 Zürich,

gegen

Statthalteramt des Bezirkes Dielsdorf, Geissackerstrasse 24, 8157 Dielsdorf,
Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Dielsdorf, Spitalstrasse 7, 8157
Dielsdorf,
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich,
Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, Postfach, 8023 Zürich.

Art. 29 Abs. 1 und 2 BV (Strafverfahren)

(Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, III. Strafkammer, vom 3. Mai 2001)

Sachverhalt:

A.
Das Statthalteramt des Bezirkes Dielsdorf bestrafte X.________ mit Verfügung
vom 2. November 1998 in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 des
Strassenverkehrsgesetzes (SVG) und Art. 4a Abs. 1 der Verordnung über die
Verkehrsregeln (VRV) mit einer Busse von Fr. 290.--. Es legte ihm zur Last,
er habe am 25. September 1998 in Dällikon als Lenker eines Personenwagens die
zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 16 km/h überschritten. Der
Gebüsste verlangte gerichtliche Beurteilung der Sache. Der Einzelrichter in
Strafsachen des Bezirksgerichts Dielsdorf sprach X.________ mit Urteil vom
14. Juli 1999 des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im
Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG in Verbindung mit Art. 4a Abs. 1 lit. a VRV
schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 600.--. Gegen dieses
Urteil reichte X.________ eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ein. Mit
Beschluss vom 3. Mai 2001 wies das Obergericht des Kantons Zürich die
Beschwerde ab.

B.
X.________ erhob am 11. Juni 2001 gegen diesen Entscheid staatsrechtliche
Beschwerde. Er beantragt, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und die
Sache sei zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen.

C.
Das Statthalteramt des Bezirkes Dielsdorf, der Einzelrichter in Strafsachen
des Bezirksgerichts Dielsdorf, die Staatsanwaltschaft und das Obergericht des
Kantons Zürich verzichteten auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Einzelrichter hielt für erwiesen, dass der Beschwerdeführer am 25.
September 1998 mit seinem Personenwagen die zulässige Höchstgeschwindigkeit
von 50 km/h um 16 km/h überschritten habe. Er stützte sich dabei auf die
Fotos des Multanova-Radargerätes sowie auf das vom Polizeibeamten A.________
unterzeichnete Protokoll über die mit diesem Gerät vorgenommene
Geschwindigkeitskontrolle.

Der Beschwerdeführer machte in seiner Nichtigkeitsbeschwerde geltend, bei der
Beweiserhebung seien Vorschriften des kantonalen Strafverfahrensrechts
verletzt worden. Ausserdem sei sein Antrag, es sei über die
Geschwindigkeitsmessung ein Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, zu
Unrecht abgelehnt worden.

Das Obergericht erachtete diese Rügen als unbegründet.

2.
In der staatsrechtlichen Beschwerde wird dem Obergericht vorgeworfen, es habe
die §§ 109, 110 (Abs. 1), 111 und 113 der zürcherischen Strafprozessordnung
(StPO) willkürlich angewendet und damit "Art. 29 Abs. 1 BV" (richtig: das
Willkürverbot nach Art. 9 BV) verletzt.

2.1 Gemäss § 109 StPO werden Sachverständige beigezogen, wenn es zur
Feststellung oder tatsächlichen Würdigung eines Sachverhaltes besonderer
Kenntnisse oder Fertigkeiten bedarf. Die Wahl der Sachverständigen steht nach
§ 110 Abs. 1 StPO der Untersuchungsbehörde zu. Niemand darf als
Sachverständiger beigezogen werden, der als Richter abgelehnt werden könnte
(§ 111 StPO). Die Sachverständigen werden auf die Pflicht aufmerksam gemacht,
ihr Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben, unter Hinweis auf
die strafrechtlichen Folgen eines wissentlich unrichtigen Gutachtens (§ 113
StPO).

2.2 Der Beschwerdeführer brachte in seiner Nichtigkeitsbeschwerde vor, der
Einzelrichter habe mit dem Hinweis auf die besondere fachliche Ausbildung des
Polizeibeamten A.________ anerkannt, dass es zur Feststellung und Auswertung
des Messsachverhaltes besonderer Kenntnisse bedürfe, über welche der Richter
nicht verfüge. Der Polizeibeamte A.________ habe das Messgerät bedient und
die Messresultate in einem von ihm erstellten Protokoll ausgewertet. Diese
Ermittlungstätigkeit sei beweisrechtlich als Tätigkeit eines Sachverständigen
zu qualifizieren. Nach § 111 StPO müsse ein Sachverständiger unabhängig sein.
Wer bei einer Anzeige mitgewirkt habe, die zur Einleitung einer
Strafuntersuchung geführt habe, sei wegen fehlender Unabhängigkeit als
Sachverständiger ausgeschlossen. Der Polizeibeamte A.________ habe nicht
Gutachter sein können, weil das von ihm erstellte Protokoll wesentlicher
Inhalt der polizeilichen Anzeige gewesen sei. Überdies sei er weder von der
Untersuchungsbehörde beauftragt, noch auf die strafrechtlichen Folgen eines
wissentlich unrichtigen Gutachtens hingewiesen worden. Der Einzelrichter
hätte sich daher für die Richtigkeit des Messresultates nicht auf die Angaben
des Polizeibeamten A.________ stützen dürfen.

2.3 Das Obergericht hielt diese Argumentation des Beschwerdeführers für
unzutreffend. Es führte im angefochtenen Entscheid aus, wohl habe der
Polizeibeamte A.________, der das Radargerät bedient und das Messprotokoll
unterschrieben habe, für diese Tätigkeit besonderen Sachverstand benötigt und
gemäss Ausbildungs-Zertifikat auch gehabt. Das mache ihn im konkreten Fall
aber nicht zum Sachverständigen oder Gutachter im Sinne der §§ 109 ff. StPO.
Diese Bestimmungen würden die Bestellung eines Sachverständigen während eines
Verfahrens regeln. Der Polizeibeamte A.________ sei jedoch vorprozessual
tätig gewesen. Dazu habe er gar nicht von der Untersuchungsbehörde als
Sachverständiger bestellt und auf die strafrechtlichen Folgen eines
wissentlich unrichtigen Gutachtens aufmerksam gemacht werden können. Sodann
könnten die Ermittlungsergebnisse des Polizeibeamten A.________ nicht deshalb
unverwertbar sein, weil sie den wesentlichen Inhalt der polizeilichen Anzeige
gebildet hätten, ansonst polizeiliche Ermittlungen "überhaupt unbrauchbar"
würden. Abgesehen davon, habe der Polizeibeamte A.________ zumindest nicht
direkt "zu gerichtlichen Handlungen Auftrag gegeben"; dies seien der Polizist
B.________, der den Polizeirapport erstellt habe, und der Polizeibeamte
C.________ gewesen, der mit der Schlussverfügung die Verzeigung vorgenommen
habe. Im Übrigen seien konkrete Umstände, welche die Objektivität des
Polizeibeamten A.________ bei seinen Ermittlungen in Frage stellen könnten,
weder behauptet worden noch ersichtlich.

2.4 In der staatsrechtlichen Beschwerde wird nichts vorgebracht, was geeignet
wäre, diese Überlegungen des Obergerichts als verfassungswidrig  erscheinen
zu lassen. Es ist unbestritten, dass die Bedienung eines Radargerätes und die
Auswertung der durch dieses Gerät gewonnenen Daten besondere Kenntnisse und
Fertigkeiten erfordert. Das bedeutet indessen nicht, dass ein Polizeibeamter,
der im Rahmen seiner Ermittlungstätigkeit ein solches Gerät bedient und in
einem konkreten Fall die Messergebnisse in einem Protokoll festhält, als
Sachverständiger im Sinne von § 109 StPO tätig wäre. Beim Sachverständigen
bzw. Gutachter oder Experten handelt es sich um eine Person, welche durch ein
Justizorgan bestellt wird, um demselben mit seiner Sachkunde bei der
Beurteilung des prozessrelevanten Sachverhaltes behilflich zu sein (Andreas
Donatsch, in: Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons
Zürich, 2. Lieferung, Dezember 1997, N. 1 zu § 109 StPO). Die Tätigkeit eines
Sachverständigen setzt voraus, dass dieser seine Feststellungen nach seiner
Bestellung durch das Justizorgan trifft (Donatsch, a.a.O., N. 5 zu § 109
StPO). Das traf in Bezug auf die hier in Frage stehende Tätigkeit des
Polizeibeamten A.________ nicht zu. Es war noch kein Strafverfahren
eingeleitet, als der Polizeibeamte das Messgerät bediente und die Daten
auswertete. Wie im angefochtenen Entscheid mit Grund ausgeführt wird, hatte
er zu dieser Tätigkeit gar nicht durch die Untersuchungsbehörde beauftragt
und auf die strafrechtlichen Folgen eines wissentlich unrichtigen Gutachtens
hingewiesen werden können. Das Obergericht hat das kantonale Recht nicht
willkürlich angewendet, wenn es zum Schluss gelangte, der Polizeibeamte
A.________ sei nicht als Experte im Sinne von § 109 StPO tätig gewesen,
weshalb bei der Geschwindigkeitsmessung die Vorschriften der §§ 110 (Abs. 1),
111 und 113 StPO nicht verletzt worden seien.

3.
Sodann wird in der staatsrechtlichen Beschwerde geltend gemacht, das
Obergericht habe gestützt auf die erwähnte Begründung, mit der es eine
Verletzung dieser Vorschriften verneinte, den Antrag des Beschwerdeführers
auf Einholung eines Gutachtens abgelehnt. Es habe damit den in Art. 29 Abs. 2
BV gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Wie dargelegt wurde, hält die oben (E. 2.3) angeführte Begründung vor dem
Willkürverbot stand. Verhält es sich so, dann verletzte das Obergericht den
Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, wenn es gestützt auf diese Begründung
den Antrag des Beschwerdeführers auf Einholung eines Gutachtens ablehnte. Im
Übrigen hat es ein Gutachten mit einer zutreffenden und hier nicht
angefochtenen Begründung als nicht notwendig bezeichnet.

Nach dem Gesagten erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde als
unbegründet. Sie ist daher abzuweisen.

4.
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens sind gemäss Art. 156 Abs. 1 OG
dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. Ein Anspruch auf eine Parteientschädigung
besteht nicht (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Statthalteramt und dem
Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Dielsdorf sowie der
Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Januar 2002

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: