Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.371/2001
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1P.371/2001/sta

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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                       19. Juli 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Aeschlimann, Ersatzrichter Seiler und Gerichts-
schreiber Haag.

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                         In Sachen

A.C.________ und B.C.________, Beschwerdeführer, vertreten
durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Zwyssig, Brisenstrasse 9, Stans,

                           gegen

Gemeinderat  H e r g i s w i l, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Beat Zelger, Alter Postplatz 6, Stans,
Regierungsrat des Kantons  N i d w a l d e n,

                         betreffend
               nachträgliche Baubewilligung,
                     Rechtsverzögerung,

hat sich ergeben:

     A.- Am 24. Dezember 1998 erteilte der Gemeinderat
Hergiswil D.________ die nachträgliche Baubewilligung für
eine bereits erstellte Palisadenwand auf der Parzelle GB
Hergiswil Nr. 1'039. A.C.________ und B.C.________ erhoben
dagegen am 11. Januar 1999 Beschwerde beim Regierungsrat des
Kantons Nidwalden. Dieser hiess am 20. September 1999 die
Beschwerde gut, hob die Baubewilligung auf und wies die Sa-
che zur Neubeurteilung an den Gemeinderat zurück. In den Er-
wägungen führte der Regierungsrat aus, der Gemeinderat habe
zur Abklärung der materiellen Baurechtskonformität insbeson-
dere die Höhe der Palisadenwand und deren Grenzabstand fest-
zustellen. Dieser Entscheid wurde rechtskräftig.

     B.- Am 17. August 2000 erhoben A.C.________ und
B.C.________ gegen den Gemeinderat Hergiswil Aufsichtsbe-
schwerde an den Regierungsrat gemäss § 111 Abs. 1 Ziff. 1
der kantonalen Verwaltungsrechtspflegeverordnung vom 8. Feb-
ruar 1985 mit dem Antrag, der Gemeinderat sei zu verhalten,
innert 30 Tagen die widerrechtlich erstellte Palisadenwand
auf ihre materielle Baurechtskonformität zu prüfen und eine
entsprechende Verfügung zu erlassen. Zu diesem Zweck sei
insbesondere die Höhe der Palisadenwand und deren Grenzab-
stand festzustellen. Zudem sei der Gemeinderat Hergiswil zu
verhalten, D.________ innert 30 Tagen angemessen zu bestra-
fen. Zur Begründung führten sie unter anderem aus, der Ge-
meinderat habe sich bisher geweigert, den regierungsrätli-
chen Beschluss vom 20. September 1999 korrekt zu vollziehen.
Der Regierungsrat wies die Beschwerde am 1. Mai 2001 ab. Er
erwog, die Aufsichtsbeschwerde sei als Rechtsverzögerungsbe-
schwerde entgegenzunehmen. Die Dauer, die seit dem regie-
rungsrätlichen Beschluss vom 20. September 1999 verstrichen
sei, erscheine zwar für

sich allein betrachtet überaus lang, doch sei der Vorwurf
der Rechtsverzögerung in Anbetracht der konkreten Umstände
haltlos. Zur Bestrafung von D.________ sei der Gemeinderat
nicht zuständig, weshalb die Beschwerde auch in diesem Punkt
abzuweisen sei.

     C.- A.C.________ und B.C.________ haben am 29. Mai 2001
staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, der Auf-
sichtsbeschwerdeentscheid vom 1. Mai 2001 sei aufzuheben und
die Aufsichtsbeschwerde vom 17. August 2000 sei vollumfäng-
lich gutzuheissen. Der Regierungsrat des Kantons Nidwalden
beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzu-
treten sei. Der Gemeinderat Hergiswil stellt den Antrag, auf
die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie
abzuweisen. A.C.________ und B.C.________ haben am 16. Juli
2001 (Postaufgabe) unaufgefordert eine weitere Stellungnahme
eingereicht.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts
ist die staatsrechtliche Beschwerde unzulässig gegen Ent-
scheide, mit denen eine Aufsichtsbeschwerde abgewiesen oder
ihr keine weitere Folge gegeben wird (BGE 124 I 231 E. 1c
S. 234; 121 I 42 E. 2a S. 45, 87 E. 1a S. 90, je mit Hinwei-
sen). Zulässig ist hingegen eine Rechtsverzögerungsbeschwer-
de, sofern der Beschwerdeführer einen Anspruch darauf hat,
dass die Behörde in seiner Sache entscheidet (Art. 29 Abs. 1
BV; BGE 119 Ia 237 E. 2a S. 238; Walter Kälin, Das Verfahren
der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994,

S. 148 f.). Zulässig ist ebenso eine staatsrechtliche Be-
schwerde gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid
über eine Rechtsverzögerungsbeschwerde.

        b) Die "Aufsichtsbeschwerde" gemäss § 111 Abs. 1
Ziff. 1 der nidwaldnerischen Verwaltungsrechtspflegeverord-
nung kann erhoben werden gegen die unberechtigte Verweige-
rung oder Verzögerung einer Amtshandlung. Entgegen der Auf-
fassung des Gemeinderats Hergiswil handelt es sich dabei
nicht um eine eigentliche Aufsichtsbeschwerde, sondern um
eine Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerde.
Der Regierungsrat hat sie denn auch mit Recht als solche
entgegengenommen. Die Beschwerdeführer waren im Baubewilli-
gungsverfahren, welches zum Entscheid des Regierungsrats vom
20. September 1999 geführt hat, als Partei beteiligt. Sie
haben als Nachbarn, die in jenem Verfahren eine Verletzung
von baurechtlichen Bestimmungen über Höhe und Grenzabstand
gerügt haben, ein rechtlich geschütztes Interesse daran,
dass der Gemeinderat als Baubewilligungsbehörde innert ange-
messener Frist den vom Regierungsrat getroffenen Anweisungen
nachkommt. Sie können daher staatsrechtliche Beschwerde er-
heben, soweit der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid
eine Rechtsverweigerung verneint hat.

        c) Hingegen ist - vorbehältlich der hier nicht zur
Diskussion stehenden Bestimmungen des Bundesgesetzes vom
4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten
(Opferhilfegesetz, OHG; SR 312.5) - der durch eine angeblich
strafbare Handlung Geschädigte nicht legitimiert zur staats-
rechtlichen Beschwerde gegen die Nichteröffnung oder Ein-
stellung eines Strafverfahrens, da der Strafanspruch nur dem
Staat zusteht (BGE 125 I 253 E. 1b S. 255; 120 Ia 101 E. 1a
S. 102 und E. 2b S. 106, 157 E. 2a/aa S. 159 f. und E. 2c
S. 161). Soweit die Beschwerdeführer rügen, der Gemeinderat

Hergiswil wäre verpflichtet gewesen, D.________ strafrecht-
lich anzuzeigen, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten
werden.

     2.- a) Rechtsverzögerung liegt vor, wenn eine Sache
innert angemessener Frist nicht entschieden wird (Art. 29
Abs. 1 BV). Ob eine gegebene Verfahrensdauer als angemessen
zu betrachten ist, muss im Hinblick auf die Natur und den
Umfang des Rechtsstreites beurteilt werden (BGE 117 Ia 193
1c S. 197). In Betracht zu ziehen ist auch, ob die Behörde
oder der Beschwerdeführer durch sein Verhalten zur langen
Verfahrensdauer beigetragen hat (BGE 125 V 188 E. 2a S. 191;
119 Ib 311 E. 5b S. 325). Ein Verschulden der Behörde bzw.
der betreffenden Amtspersonen ist nicht erforderlich;
Rechtsverzögerung kann auch vorliegen, wenn die Verzögerung
auf Umstände zurückgeht, die nicht einzelnen Beamten anzu-
lasten sind (vgl. BGE 107 Ib 160 E. 3c S. 165).

        b) Vorliegend ist der Gemeinderat Hergiswil durch
den Entscheid des Regierungsrates vom 20. September 1999
verpflichtet worden, nachzuprüfen, ob die bereits erstellte
Palisadenwand dem materiellen Baurecht entspricht. Um dies
festzustellen, war bloss erforderlich, die Höhe der beste-
henden Wand und deren Abstand von der Parzellengrenze zu
messen. Der Gemeinderat hat damit ein Vermessungsbüro beauf-
tragt und dessen Aufnahme den Parteien zur Vernehmlassung
zugestellt. Anschliessend hat er das Vermessungsbüro um
Stellungnahme zu den Äusserungen der Parteien ersucht. Nach
verzögertem Eingang dieser Stellungnahme hat der Gemeinderat
D.________ mit Schreiben vom 15. Mai 2000 aufgefordert, bis
zum 31. Mai 2000 die Palisadenwand bis auf "die bewilligte
Höhe, d.h. bis UK Fenstersturz" zu kürzen. Dieses Schreiben
ist zwar innert vertretbarer Frist seit dem Regierungsrats-
beschluss ergangen, insbesondere wenn die nicht dem Gemein-

derat Hergiswil anzulastende Verzögerung durch das Vermes-
sungsbüro berücksichtigt wird. Es stellt indessen nicht eine
ordnungsgemässe neue Baubewilligung dar, zu deren Erlass der
Gemeinderat Hergiswil durch den Regierungsratsbeschluss ver-
pflichtet worden ist. Sowohl der Gemeinderat Hergiswil als
auch der Regierungsrat gehen denn auch davon aus, dass bis
zur Einreichung der Aufsichtsbeschwerde vom 17. August 2000
in der streitigen Angelegenheit nicht materiellrechtlich
entschieden worden ist.

        c) Der Regierungsrat vertritt im angefochtenen
Entscheid die Auffassung, eine Bearbeitungsdauer von rund
zehn Monaten sei zwar überaus lang, in Anbetracht der doku-
mentierten Bemühungen der Gemeinde aber noch keine Rechts-
verzögerung. Diese Beurteilung mag allenfalls noch angehen
für die Zeit bis zum August 2000. Hingegen hat der Gemeinde-
rat nicht nur bis zu diesem Zeitpunkt, sondern auch während
des anschliessenden regierungsrätlichen Verfahrens nichts
weiter unternommen. Er hat sich dabei auf § 78 der Verwal-
tungsrechtspflegeverordnung gestützt, wonach die Vorinstanz
während des Rechtsmittelverfahrens ihren Entscheid weder än-
dern noch aufheben kann. Diese Auffassung war offensichtlich
unzutreffend, da die Gemeinde ja gar keinen Entscheid ge-
fällt hatte; es ist ein allgemeiner Grundsatz, dass das Ein-
reichen einer Rechtsverzögerungsbeschwerde die Vorinstanz
nicht daran hindert, den verlangten Entscheid zu treffen
(was zur Gegenstandslosigkeit der Rechtsverzögerungsbe-
schwerde führt). Der Regierungsrat hat denn auch festge-
stellt, dass der Gemeinderat während der Rechtshängigkeit
des Aufsichtsbeschwerdeverfahrens in der Hauptsache durchaus
materiell hätte entscheiden können.

        d) Insgesamt ist damit von September 1999 bis Mai
2001 die vom Regierungsrat in seinem ersten Entscheid vom
20. September 1999 angeordnete neue Beurteilung nicht ord-

nungsgemäss erfolgt. Diese Dauer ist für die Prüfung des
äusserst einfachen Sachverhalts eindeutig zu lang. Die Be-
schwerdeführer müssen sich nicht gefallen lassen, dass eine
formell und möglicherweise auch materiell baurechtswidrige
Baute während über 18 Monaten nicht beurteilt und gegebe-
nenfalls auf das zulässige Mass reduziert wird. Den Be-
schwerdeführern kann auch nicht vorgehalten werden, sie
hätten durch ihre eigene Intervention die Länge des Verfah-
rens verursacht. Sie haben, nachdem ihnen am 20. Dezember
1999 der Aufnahmeplan des Vermessungsbüros zugestellt worden
war, bereits am 30. Dezember 1999 eine Stellungnahme dazu
abgegeben. Das war ihr gutes Recht und hat das Verfahren
nicht übermässig verzögert.

        e) Die Rechtsverzögerungsbeschwerde erweist sich
damit, soweit auf sie eingetreten werden kann, als begrün-
det, und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Der Re-
gierungsrat wird den Gemeinderat Hergiswil umgehend anzuwei-
sen haben, eine baurechtliche Verfügung über die Palisaden-
wand zu erlassen.

     3.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Ver-
fahrenskosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Die Gemeinde
Hergiswil hat den obsiegenden Beschwerdeführern die Partei-
kosten zu ersetzen (Art. 159 Abs. 2 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird, soweit darauf
eingetreten werden kann, gutgeheissen, und der Entscheid des
Regierungsrats des Kantons Nidwalden vom 1. Mai 2001 wird
aufgehoben.

     2.- Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

     3.- Die Gemeinde Hergiswil hat die Beschwerdeführer für
das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu ent-
schädigen.

     4.- Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem
Gemeinderat Hergiswil sowie dem Regierungsrat des Kantons
Nidwalden schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 19. Juli 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: