Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.356/2001
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1P.356/2001/dxc

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                      29. Oktober 2001

Es wirken mit: Bundesrichter Nay, präsidierendes Mitglied
der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Aeschlimann, Bundesrichter Catenazzi und Gerichtsschreiberin
Tophinke.

                         _________

                         In Sachen

K.________,
Beschwerdeführerin,

                           gegen

F.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Dr.
iur. Peter Conrad, Schwertstrasse 1, Postfach, Baden,
Obergericht des Kantons  Z ü r i c h, II. Strafkammer,
Staatsanwaltschaft des Kantons  Z ü r i c h,
Kassationsgericht des Kantons  Z ü r i c h,

                         betreffend
                       Strafverfahren,

hat sich ergeben:

     A.- Am 24. Dezember 1995 verteilte K.________ vor dem
Eingang der Klosterkirche Fahr an die Besucher der Mitter-
nachtsmesse in Couverts verpackte Tierschutzinformationen
sowie Flugblätter des "Vereins gegen Tierfabriken". Im Flug-
blatt wurde die Tierhaltung im Landwirtschaftsbetrieb des
Klosters Fahr scharf kritisiert. Als dies der Betriebsleiter
des Klosters bemerkte, versuchte er, der Frau die Drucksa-
chen zu entreissen und sie so an deren weiteren Verteilung
zu hindern, was ihm jedoch nicht gelang.

     B.- K.________ erstattete gegen den Betriebsleiter
Strafanzeige. Nachdem das Verfahren zweimal eingestellt
worden war, wurde dieser der versuchten Nötigung im Sinne
von Art. 181 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB an-
geklagt. Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksge-
richts Zürich sprach den Angeklagten mit Urteil vom 14. De-
zember 1999 frei. Das von der Geschädigten angerufene Ober-
gericht des Kantons Zürich bestätigte den Freispruch am
19. Mai 2000. Das Gericht erachtete den Tatbestand von
Art. 181 StGB zwar als erfüllt. Es befand jedoch, der Ange-
klagte habe sich aufgrund des persönlichkeitsverletzenden
Inhalts des Flugblatts in einer Notwehrsituation befunden
und sei berechtigt gewesen, sich gegen dessen weitere
rechtswidrige Verteilung zur Wehr zu setzen. Die Geschädigte
führte gegen das obergerichtliche Urteil kantonale Nichtig-
keitsbeschwerde, welche das Kassationsgericht des Kantons
Zürich am 21. April 2001 abwies, soweit es auf sie eintrat.
Die gegen das obergerichtliche Urteil ebenfalls angemeldete
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde begründete die Geschä-
digte innert Frist nicht.

     C.- Gegen das Urteil des Kassationsgerichts des Kantons
Zürich führt K.________ mit Eingabe vom 22. Mai 2001 staats-
rechtliche Beschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragt,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben und der Fall zur Neu-
beurteilung an das Kassationsgericht zurückzuweisen. Ferner
sei festzustellen, dass das Verfahren in menschenrechtswid-
riger Weise verzögert worden sei, wofür die Beschwerdeführe-
rin angemessen zu entschädigen sei. Sie macht eine Verlet-
zung der Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 10 EMRK) geltend
und rügt eine Missachtung des Willkürverbots bei der Rechts-
anwendung und der Beweiswürdigung (Art. 9 BV) sowie eine
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29
Abs. 2 BV).

     D.- Die Staatsanwaltschaft, das Obergericht und das
Kassationsgericht des Kantons Zürich sowie der Beschwerde-
gegner verzichten auf eine Vernehmlassung.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit
freier Kognition, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang
auf eine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist (BGE
126 I 257 E. 1a S. 258).

        b) Die Rügen der Beschwerdeführerin richten sich
zur Hauptsache gegen die Anwendung von Bundesstrafrecht
(Art. 181 und Art. 33 Abs. 1 StGB) durch das Obergericht.
Daneben wirft die Beschwerdeführerin diesem auch eine will-
kürliche Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung vor.

Die Beschwerdeführerin beruft sich darauf, der Freispruch
des Angeklagten verletze ihre Meinungsäusserungsfreiheit im
Sinne von Art. 10 EMRK. Ferner bringt sie vor, das Kassa-
tionsgericht habe zu Unrecht die Anwendung von Bundesrecht
nicht überprüft und zudem ihren Anspruch auf rechtliches Ge-
hör verletzt. Des Weiteren macht sie eine menschenrechtswid-
rige Verzögerung des Verfahrens geltend. Es stellt sich die
Frage nach dem Umfang der Beschwerdelegitimation.

        c) Nach Art. 88 OG steht das Recht zur Beschwerde-
führung Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich sol-
cher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbind-
liche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen
erlitten haben. Nach der Praxis des Bundesgerichts ist der
durch eine angeblich strafbare Handlung Geschädigte grund-
sätzlich nicht legitimiert, gegen die Nichteröffnung oder
Einstellung eines Strafverfahrens oder gegen ein freispre-
chendes Urteil staatsrechtliche Beschwerde zu erheben. Der
Geschädigte hat an der Verfolgung und Bestrafung des Täters
nur ein tatsächliches oder mittelbares Interesse im Sinne
der Rechtsprechung zu Art. 88 OG. Der Strafanspruch, um den
es im Strafverfahren geht, steht ausschliesslich dem Staat
zu, und zwar unabhängig davon, ob der Geschädigte als Pri-
vatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte Handlung auf
seinen Antrag hin verfolgt wird (BGE 126 I 97 E. 1a S. 99;
125 I 253 E. 1b S. 255; 120 Ia 101 E. 1a S. 102; 120 Ia 157
E. 2a/aa S. 159 f. mit weiteren Hinweisen).

        Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der
Sache selbst, ist der Geschädigte aber befugt, mit staats-
rechtlicher Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten
geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle Rechts-
verweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG erforderliche

rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht
aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berech-
tigung, am Verfahren teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer
in diesem Sinne nach kantonalem Recht Partei, kann er die
Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem kan-
tonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bun-
desverfassung zustehen. Der in der Sache selbst nicht Legi-
timierte (dem im kantonalen Verfahren jedoch Parteistellung
zukam) kann beispielsweise geltend machen, auf ein Rechts-
mittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei nicht
angehört worden, habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisan-
träge zu stellen, oder er habe nicht Akteneinsicht nehmen
können. Hingegen kann er weder die Würdigung der beantragten
Beweise noch die Tatsache rügen, dass seine Anträge wegen
Unerheblichkeit oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung
abgelehnt wurden. Die Beurteilung dieser Fragen kann von der
Prüfung der materiellen Sache nicht getrennt werden. Auf
eine solche hat der in der Sache selbst nicht Legitimierte
jedoch keinen Anspruch (BGE 120 Ia 157 E. 2a/aa und bb
S. 160 mit weiteren Hinweisen).

        Eine auf materiellrechtliche Fragen erweiterte Le-
gitimation des angeblich Geschädigten zur staatsrechtlichen
Beschwerde gegen Einstellungsbeschlüsse und freisprechende
Urteile ergibt sich allenfalls aufgrund des Bundesgesetzes
vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten
(Opferhilfegesetz, OHG, SR 312.5). Wer durch eine Straftat
in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen Integri-
tät unmittelbar beeinträchtigt worden und demzufolge Opfer
im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG ist, kann sich auf die beson-
deren Legitimationsvoraussetzungen gemäss Art. 8 Abs. 1 OHG
berufen (BGE 126 I 97 E. 1a S. 99; 125 I 253 E. 1c S. 255;
120 Ia 157 E. 2b-d S. 161 ff.; 120 Ia 101 E. 2 S. 104 ff.).

        d) Die Beschwerdeführerin beruft sich zu Recht
nicht darauf, Opfer im Sinne des OHG zu sein. Sie ist folg-
lich gemäss Art. 88 OG in der Sache nicht legitimiert. Das
Bundesgericht kann weder auf die Rüge eintreten, Bundes-
strafrecht, namentlich der Notwehrtatbestand des Art. 33
Abs. 1 StGB sei unter Verletzung der Meinungsäusserungs-
freiheit bzw. des Willkürverbots angewendet worden noch auf
die Rüge der willkürlichen Tatsachenfeststellung bzw. Be-
weiswürdigung. Die Beurteilung dieser Rügen würde auf eine
materielle Prüfung der Frage hinauslaufen, ob die kantonalen
Behörden eine mögliche Strafbarkeit des Angeklagten zu Un-
recht verneint haben. Eine solche Prüfung kann die Beschwer-
deführerin mangels Berechtigung in der Sache nicht verlan-
gen. Der Strafanspruch steht einzig dem Staat zu. Daran än-
dert auch eine Berufung auf die Meinungsäusserungsfreiheit
nichts. Das Recht auf freie Meinungskundgabe wurde im vor-
liegenden Fall nicht durch einen staatlichen Hoheitsakt be-
rührt, sondern durch Handeln eines Privaten. Dieses Handeln
bildete Gegenstand eines Strafverfahrens. Bei der Anwendung
der massgeblichen Strafnormen trugen die kantonalen Instan-
zen der Meinungsäusserungsfreiheit der Beschwerdeführerin
Rechnung. Die kantonalen Gerichte sprachen den Angeklagten
frei, weil sie den Inhalt des von der Beschwerdeführerin
verteilten Flugblattes als persönlichkeitsverletzend ein-
stuften und deshalb das Handeln des Angeklagten als gerecht-
fertigt betrachteten. Die Rüge der Beschwerdeführerin, die
Schweiz habe die Meinungsäusserungsfreiheit des Art. 10 EMRK
verletzt, da sie eine rechtswidrige, gewaltsame Unterdrü-
ckung der freien Meinungsäusserung durch Private nicht ge-
ahndet habe, geht fehl. Immerhin beschäftigten sich mehrere
kantonale Strafinstanzen mit dem inkriminierten Verhalten.
Dass das Bundesgericht im staatsrechtlichen Beschwerdever-
fahren den Freispruch mangels Legitimation der Beschwerde-
führerin nicht mehr überprüfen kann, stellt keine Verletzung
der EMRK dar.

        e) Da der Beschwerdeführerin im kantonalen Verfah-
ren Parteistellung zukam, ist sie zur Erhebung von Verfah-
rensrügen grundsätzlich legitimiert. Die Rüge, das Verfah-
ren sei in menschenrechtswidriger Weise verschleppt worden,
begründet die Beschwerdeführerin indessen nicht in einer
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise. Namentlich legt
sie nicht dar, welches verfassungsmässige Recht bzw. welche
EMRK-Garantie ihr als Geschädigten einen Anspruch auf zügige
Durchführung des Strafverfahrens gegen den Angeklagten ein-
räumte. Zudem wird nicht begründet, worin angesichts der
auch von ihr selber initierten zahlreichen Verfahrens-
schritte eine Verschleppung des Verfahrens liegen sollte.

        Auch die Rüge, das Kassationsgericht hätte sich
nicht für unzuständig erklären dürfen, im vorliegenden Fall
die Anwendung von Bundesrecht zu überprüfen, genügt den An-
forderungen an die Begründung einer staatsrechtlichen Be-
schwerde im Sinne von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht. Die
Beschwerdeführerin setzt sich in keiner Weise mit den Aus-
führungen des Kassationsgerichts auseinander, wieso dieses
auf die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde nicht eintrat, so-
weit die Beschwerdeführerin Bundesrecht rügte. Das Argument,
es gehe im vorliegenden Fall nicht um eine selbständige Prü-
fung der Anwendung von Bundesrecht, sondern um die Prüfung
der gesetzlichen Grundlage des Menschenrechtseingriffes geht
an der Sache vorbei. Wie bereits erwähnt, wurde die Mei-
nungsäusserungsfreiheit im vorliegenden Fall nicht durch
einen staatlichen Hoheitsakt tangiert, sondern durch priva-
tes Handeln. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verhalten
strafbar ist, geht es um die Anwendung von Bundesstrafrecht.
Daran ändert nichts, wenn im Rahmen einer konventionskon-
formen Auslegung der Bestimmungen des Strafgesetzbuches der
Meinungsäusserungsfreiheit Rechnung getragen wird.

        Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich, das Ober-
gericht habe sich geweigert, ihre zur Tierhaltung des Klos-
ters Fahr angebotenen Beweise abzunehmen. Dadurch sei ihr
Recht auf Beweis verletzt worden. Zudem bringt sie vor, auch
das Kassationsgericht habe die von ihr geltend gemachten Ge-
setzwidrigkeiten der klösterlichen Tierhaltung nicht zur
Kenntnis genommen. Ferner sei das Kassationsgericht auf ihre
Interpretation des Flugblattes nicht eingegangen. Darin lie-
ge eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtlichen Gehörs.
Die Behandlung der vorgebrachten Rügen würde auf eine mate-
rielle Prüfung der Sache hinauslaufen. Die Beschwerdefüh-
rerin bemängelt im Wesentlichen, dass die kantonalen Instan-
zen nicht ihre Sicht der Dinge übernommen haben. Sowohl das
Obergericht als auch das Kassationsgericht haben sich mit
den Vorbringen der Beschwerdeführerin eingehend auseinan-
der gesetzt (Obergerichtsurteil, E. 2d S. 8; Urteil des Kas-
sationsgerichts, E. 3 S. 5 ff.; E. 5 und 6 S. 8 ff.). Sie
wurde also sehr wohl gehört. Da sich ihre Rügen indessen
letztlich auf die Würdigung der Beweise bzw. die rechtliche
Beurteilung des fraglichen Flugblattes beziehen, sind sie
mangels Legitimation der Beschwerdeführerin in der Sache im
Rahmen des staatsrechtlichen Beschwerdeverfahrens unzuläs-
sig.

     2.- Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde nicht ein-
zutreten. Da die Beschwerdeführerin unterliegt, trägt sie
die Gerichtskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Der Beschwerdegeg-
ner hat auf eine Beteiligung am Verfahren verzichtet, wes-
halb ihm die Beschwerdeführerin keine Parteientschädigung zu
entrichten hat.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht ein-
getreten.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Be-
schwerdeführerin auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht,
II. Strafkammer, sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Oktober 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                Das präsidierende Mitglied:

                  Die Gerichtsschreiberin: