I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.321/2001
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1P.321/2001/boh I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG ********************************** 28. Mai 2001 Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes- richter Féraud, Ersatzrichterin Pont Veuthey und Gerichts- schreiber Forster. --------- In Sachen A.X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechts- anwalt Marco Unternährer, Sempacherstrasse 6, Postfach 2070, Luzern, gegen Staatsanwaltschaft des Kantons L u z e r n, Obergericht des Kantons L u z e r n, Präsident der II. Kammer, betreffend Haftprüfung, hat sich ergeben: A.- Seit 3. April 1996 befand sich A.X.________ in strafprozessualer Haft (seit 21. August 1996 im vorzeitigen Straf- bzw. Massnahmenvollzug). Ihr wird vorgeworfen, sie habe am 3. April 1996 (gemeinsam mit ihrem Sohn B.X.________) ihren Ehemann C.X.________ betäubt, gefesselt, mit einem Messer, einem Feuerzeug und weiteren Gegenständen traktiert und schliesslich mit einem Kissen erstickt und getötet. Mit Strafurteil vom 8. Mai 2000 sprach das Kriminalgericht des Kantons Luzern A.X.________ wegen Zurechnungsunfähigkeit (Art. 10 StGB) von Schuld und Strafe frei. Gleichzeitig ord- nete es als sichernde Massnahme (gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) die Verwahrung von A.X.________ an. B.- Eine gegen das Strafurteil erhobene Appellation wies das Obergericht (II. Kammer) des Kantons Luzern mit Urteil vom 29. März 2001 ab. Mit Verfügung vom 3. April 2001 ordnete das Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern den Vollzug der stationären Massnahme in der Strafanstalt Hindelbank an. C.- Am 5. April 2001 stellte A.X.________ beim Oberge- richt des Kantons Luzern das Gesuch, sie sei "aus dem vor- zeitigen Strafvollzug zu entlassen". Mit Entscheid vom 18. April 2001 trat der Präsident der II. Kammer des Ober- gerichtes des Kantons Luzern auf das Haftentlassungsgesuch nicht ein. D.- Dagegen gelangte A.X.________ mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 8. Mai 2001 an das Bundesgericht. Sie stellt zur Hauptsache das Begehren, "der Entscheid des Oberge- richtes des Kantons Luzern sei aufzuheben und die Beschwer- deführerin sei aus dem vorzeitigen Strafvollzug zu entlas- sen". E.- Der Präsident des Obergerichtes (II. Kammer) des Kantons Luzern beantragt mit Vernehmlassung vom 15. Mai 2001 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Von der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern ist keine Stellungnahme eingegangen. Die Beschwerdeführerin hat am 22. Mai 2001 auf eine Replik ausdrücklich verzichtet. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, auf das Gesuch der Beschwerdeführerin vom 5. April 2001 um Entlas- sung aus dem "vorzeitigen" Massnahmenvollzug könne "nicht eingetreten werden". Gestützt auf das rechtskräftige Straf- urteil des Obergerichtes vom 29. März 2001 habe "das Sicher- heitsdepartement des Kantons Luzern als zuständige Behörde" mit Verfügung vom 3. April 2001 den Vollzug der Massnahme (Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) angeordnet. Das Obergericht bzw. der Obergerichtspräsident sei für die Prüfung der freiheitsentziehenden Massnahme nicht mehr zu- ständig. a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Beru- fungsurteil könne "bis Vorliegen der Urteilsbegründung und Ablauf der Rechtsmittelfrist gar nicht rechtskräftig wer- den". Dies bedeute, dass das Obergericht "nach wie vor Haft- richterfunktion" habe. Anders zu entscheiden hiesse, dass die Beschwerdeführerin bis zum Vorliegen der Urteilsbegrün- dung "an keinen Haftrichter gelangen könnte". Dies verletze "ihren Anspruch auf richterliche Überprüfung ihrer Haft im Sinne von Art. 31 Abs. 2 und Abs. 4 BV sowie Art. 5 Abs. 5 EMRK". "Zusätzlich verletzt" würden namentlich "auch Art. 32 BV sowie Art. 29 BV". b) Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Be- handlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV). Tritt eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht ein, obschon sie darüber entscheiden müsste, begeht sie eine formelle Rechts- verweigerung (vgl. BGE 117 Ia 116 E. 3a S. 117 f.). Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen, wel- ches so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Frei- heitsentzugs entscheidet (Art. 31 Abs. 4 BV). c) Der streitige Nichteintretensentscheid erfolgte in Anwendung des kantonalen Verfahrensrechtes. Wie sich aus den Akten ergibt, wurde das Berufungsurteil des Obergerich- tes am 29. März 2001 gefällt und am 4. April 2001 (im Dispo- sitiv) eröffnet. Nach luzernischer Strafprozessordnung wird das Urteil des Obergerichtes mit der Eröffnung rechtskräftig (§ 231 Abs. 2 StPO/LU). Dass Rechtsmittelfristen nach luzernischem Straf- prozessrecht erst mit der Zustellung des begründeten Urteils zu laufen beginnen (§ 232 StPO/LU), ändert an der Rechts- kraft des Berufungsurteils nichts. Unbestrittenermassen ist das Urteil des Obergerichtes kantonal letztinstanzlich. Es ist dagegen kein ordentliches, die Rechtskraft hemmendes kantonales Rechtsmittel mehr gegeben. Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen ist ein ausserordent- liches Rechtsmittel, welches grundsätzlich nicht suspensiv wirkt (vgl. Hans Wiprächtiger, Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen, in: Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl., Basel 1998, Rz. 6.6). Der Vollzug des letztinstanzlichen kantonalen Urteils wird nur ausnahmsweise gehemmt, wenn der Kassationshof oder sein Präsident dies verfügt (Art. 272 Abs. 7 BStP). Auch die staatsrechtliche Beschwerde hemmt die Vollstreckbarkeit des angefochtenen Entscheides nur, sofern der zuständige Abteilungspräsident im Rahmen einer vorsorg- lichen Massnahme (Art. 94 OG) die aufschiebende Wirkung be- willigt. d) Das Berufungsurteil wurde der Beschwerdeführerin am 4. April 2001 im Dispositiv eröffnet. Damit ist das Strafurteil in Rechtskraft erwachsen (§ 231 Abs. 2 StPO/LU). Das Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern erliess (ge- stützt auf das Urteil des Obergerichtes vom 29. März 2001) am 3. April 2001 (mit Rechtskraftvermerk) eine entsprechende Massnahmenvollzugsverfügung. Seit 4. April 2001 befindet sich die Beschwerdeführerin somit nicht mehr in strafpro- zessualer Haft, d.h. nicht mehr im vorzeitigen Massnahmen- vollzug (vgl. BGE 126 I 172 E. 3a S. 174). Anträge auf Ent- lassung aus dem Massnahmenvollzug sind nicht auf dem Wege der strafprozessualen Haftprüfung, sondern bei der zuständi- gen Vollzugsbehörde zu stellen (vgl. Art. 43 - 45 StGB). Das Obergericht als erkennendes Strafgericht ist nach Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils und Antritt des Mass- nahmenvollzuges für die Haftprüfung nicht mehr zuständig. e) Dass die Beschwerdeführerin die Entlassung aus dem richterlich angeordneten Massnahmenvollzug auf dem ge- setzlich vorgesehenen Rechtsweg zu beantragen hat, wider- spricht weder der Bundesverfassung noch den angerufenen Grundrechten der EMRK. Gegen das rechtskräftige kantonale Strafurteil stehen ihr im Übrigen die ausserordentlichen Rechtsmittel ans Bundesgericht offen. Dass der Obergerichts- präsident auf das Haftprüfungsgesuch nicht eingetreten ist, hält namentlich vor Art. 29 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 4 BV stand. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Freiheitsent- zug der Beschwerdeführerin (stationärer Massnahmenvollzug) auf richterlichen Urteilen beruht. Ein strafprozessualer An- spruch, "jederzeit" den Haftrichter anzurufen (Art. 31 Abs. 4 BV), ist im Massnahmenvollzug nach rechtskräftiger Verurteilung nicht mehr gegeben. Der Anspruch auf regelmäs- sige Haftkontrolle in vernünftigen Abständen (Art. 5 Ziff. 4 EMRK) ist durch die von Amtes wegen zu erfolgende Prüfung der bedingten bzw. probeweisen Entlassung aus dem Massnah- menvollzug (Art. 45 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) gewährleistet (vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl u.a. 1996, Art. 5 N. 137 f.). f) Bei dieser Sachlage ist nicht zusätzlich zu prü- fen, ob auch noch die Eventualbegründung des angefochtenen Entscheides verfassungskonform erschiene (wonach das Haft- entlassungsgesuch ohnehin abzuweisen gewesen wäre, falls darauf hätte eingetreten werden können). 2.- a) Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die im ange- fochtenen Entscheid erfolgte Verweigerung der unentgeltli- chen Rechtsverbeiständung verletze Art. 9 und Art. 29 Abs. 3 BV. b) Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspfle- ge, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand (Art. 29 Abs. 3 BV). c) Es kann offen bleiben, ob die Begründung für die verweigerte unentgeltliche Rechtsverbeiständung, wonach das Offizialverteidigermandat "mit dem obergerichtlichen Urteil abgeschlossen" sei, vor der Verfassung standhielte. Der an- gefochtene Entscheid ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu be- anstanden. Die Rechtskraft des obergerichtlichen Urteils er- gibt sich aus dem Wortlaut von § 231 Abs. 2 StPO/LU. Ausser- dem musste es der Beschwerdeführerin angesichts der aus- drücklichen Massnahmenvollzugsverfügung des kantonalen Sicherheitsdepartementes vom 3. April 2001 klar sein, dass sie sich nicht mehr im "vorzeitigen Strafvollzug" befand (vgl. auch BGE 126 I 172 E. 3a S. 174). Es verletzt die Bun- desverfassung daher nicht, wenn das Obergericht das Begehren vom 5. April 2001, wonach die Beschwerdeführerin "aus dem vorzeitigen Strafvollzug zu entlassen" sei, als aussichtslos bzw. offensichtlich unzulässig im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV ansah und die unentgeltliche Rechtsverbeiständung verwei- gerte. Die übrigen erhobenen Rügen haben im vorliegenden Zusammenhang keine über das bereits Gesagte hinausgehende selbstständige Bedeutung. 3.- Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegrün- det abzuweisen. Da die Beschwerde sich als zum Vornherein aus- sichtslos erweist, kann dem Begehren um unentgeltliche Rechtspflege nicht stattgegeben werden (Art. 152 OG). Aller- dings rechtfertigt es sich im vorliegenden Fall, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 156 Abs. 1 OG). Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 3.- Es werden keine Kosten erhoben. 4.- Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Luzern, Präsident der II. Kammer, schriftlich mitgeteilt. ______________ Lausanne, 28. Mai 2001 Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: