Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.279/2001
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1P.279/2001/mks

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                       12. Juli 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Nay, Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiber
Kölliker.

                         ---------

                         In Sachen

A.________,  Beschwerdeführerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. Dieter Kehl, Poststrasse 22, Postfach 118,
Heiden

                           gegen

B.________, Beschwerdegegner,
Verhöramt des Kantons  A p p e n z e l l  A.Rh,
Staatsanwaltschaft des Kantons  A p p e n z e l l  A.Rh,

                        betreffend
           Strafverfahren; Einstellungsverfügung,

hat sich ergeben:

     A.- A.________ erhielt in den ersten Monaten des Jahres
1996 einen Barbetrag von Fr. 660'000.-- zur Aufbewahrung. Im
Mai 1996 gab sie davon Fr. 500'000.-- an B.________ weiter,
der das Geld (oder jedenfalls den grössten Teil davon)
umgehend in Deutschland in ein Anlageprogramm einbrachte.
Die Verantwortlichen dieses deutschen Investitionsgeschäfts
handelten jedoch in betrügerischer Absicht und verwendeten
das Geld anderweitig. A.________ erhielt die B.________
übergebenen Fr. 500'000.-- in der Folge nicht mehr (vollum-
fänglich) zurück. Sie wurde daraufhin wegen Veruntreuung des
ihr anvertrauten Barbetrages angezeigt. Am 22. August 1997
liess sie ihrerseits durch ihren Anwalt gegen B.________
eine Anzeige wegen Betrugs, evtl. Veruntreuung sowie Urkun-
denfälschung einreichen.

        Während das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh im
Verfahren gegen A.________ die Akten am 18. August 2000 an
die Staatsanwaltschaft überwies und das Unterbreiten einer
Anklage vor dem Kantonsgericht beantragte, stellte es das
Verfahren gegen B.________ mit Verfügung gleichen Datums
ein. Die Abklärungen hätten gezeigt, dass dieser selber
einem Betrüger zum Opfer gefallen sei und ihm kein straf-
rechtlich relevantes Verhalten zur Last gelegt werden könne.
Die kantonale Staatsanwaltschaft genehmigte die Einstel-
lungsverfügung am 21. August 2000.

     B.- Am 7. September 2000 reichte A.________ gegen die
Einstellungsverfügung Rekurs ein. Mit Entscheid vom 15. März
2001 wies die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh
den Rekurs ab.

     C.- A.________ hat gegen den Rekursentscheid der
Staatsanwaltschaft am 18. April 2001 eine staatsrechtliche
Beschwerde eingereicht. Sie beantragt die kostenfällige
Aufhebung des Entscheids. Mit der staatsrechtlichen Be-
schwerde rügt sie Verstösse gegen Art. 4 aBV bzw. - in der
bereinigten Eingabe vom 30. April 2001 - gegen die Art. 8,
9, 29 und 30 BV. Die Beschwerdeführerin bringt vor, es seien
Einvernahmen mit dem Beschuldigten B.________ und einer
Zeugin ohne vorgängige Orientierung ihres Rechtsvertreters
durchgeführt worden, obschon dieser bereits in der Anzeige
vom 22. August 1997 verlangt habe, dass ihm Gelegenheit zur
Teilnahme an allen Untersuchungshandlungen zu geben sei.
Auch seien ihre Beweisanträge nicht wegen Unerheblichkeit
oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung abgewiesen,
sondern überhaupt nicht behandelt worden. Dadurch habe die
Untersuchungsbehörde den Anspruch der Beschwerdeführerin auf
rechtliches Gehör verletzt und sei willkürlich vorgegangen.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin verletzt sodann der
angefochtene Entscheid das Rechtsgleichheitsgebot, da sie
selber und B.________ bei gleichem Kenntnisstand gemeinsam
gehandelt hätten und darum auch gleich zu behandeln seien.

     D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh
und B.________ beantragen die Abweisung der staatsrecht-
lichen Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit
freier Kognition, ob und in welchem Umfang auf eine staats-
rechtliche Beschwerde einzutreten ist (BGE 126 I 207 E. 1
S. 209).

        a) aa) Nach Art. 88 OG steht das Recht zur Be-
schwerdeführung Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüg-
lich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein
verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Ver-
fügungen erlitten haben. Nach ständiger Rechtsprechung zu
Art. 88 OG kann mit der staatsrechtlichen Beschwerde nur die
Verletzung rechtlich geschützter eigener Interessen gerügt
werden; zur Verfolgung bloss tatsächlicher Vorteile steht
dieses Rechtsmittel nicht zur Verfügung. Die eigenen recht-
lichen Interessen, auf die sich der Beschwerdeführer berufen
muss, können entweder durch kantonales oder eidgenössisches
Gesetzesrecht oder aber unmittelbar durch ein angerufenes
spezielles Grundrecht geschützt sein, sofern sie auf dem
Gebiet liegen, welches die betreffende Verfassungsbestimmung
beschlägt (BGE 122 I 44 E. 2b S. 45 f., mit Hinweis).

        bb) Praxisgemäss ist der durch eine strafbare Hand-
lung angeblich Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert,
gegen die Einstellung des Strafverfahrens oder gegen ein
freisprechendes Urteil staatsrechtliche Beschwerde zu er-
heben. Er hat an der Verfolgung und Bestrafung des Ange-
schuldigten nur ein tatsächliches oder mittelbares Interes-
se im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 88 OG. Der Strafan-
spruch, um den es im Strafverfahren geht, steht ausschliess-
lich dem Staat zu, und zwar unabhängig davon, ob der Geschä-
digte als Privatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte
Handlung auf seinen Antrag hin verfolgt wird. Insbesondere
verschaffte das in Art. 4 aBV enthaltene allgemeine Willkür-
verbot dem Geschädigten, soweit er Mängel in der Rechtsan-
wendung rügte, für sich allein noch keine geschützte Rechts-
stellung im Sinne von Art. 88 OG (BGE 123 I 279 E. 3c/aa
S. 280; 121 I 267 E. 2 S. 269, 367 E. 1b S. 369, je mit
Hinweisen). An dieser Rechtsprechung ist, wie das Bundes-
gericht entschieden hat (BGE 126 I 81 E. 3-6), auch unter
der Herrschaft der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999

(in Kraft seit 1. Januar 2000) festzuhalten, welche letztere
das bisher aus Art. 4 aBV abgeleitete Willkürverbot nunmehr
ausdrücklich vorschreibt (Art. 9 BV).

        Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der
Sache selbst, ist der Geschädigte aber befugt, mit staats-
rechtlicher Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten
geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle Rechts-
verweigerung darstellen würde. Das nach Art. 88 OG erforder-
liche Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus einer Be-
rechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am
Verfahren teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer in diesem
Sinne Partei, kann er die Verletzung jener Parteirechte
rügen, die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder
unmittelbar auf Grund der Bundesverfassung zustehen (BGE 120
Ia 101 E. 1a S. 102, E. 3b S. 110, 157 E. 2a/aa S. 159 f.,
je mit Hinweisen). Der in der Sache selbst nicht Legitimier-
te (dem im kantonalen Verfahren jedoch Parteistellung zukam)
kann beispielsweise geltend machen, auf ein Rechtsmittel sei
zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei nicht angehört
worden, habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu
stellen, oder er habe nicht Akteneinsicht nehmen können.
Hingegen kann er weder die Würdigung der beantragten Beweise
noch die Tatsache rügen, dass seine Anträge wegen Unerheb-
lichkeit oder auf Grund antizipierter Beweiswürdigung abge-
lehnt wurden. Die Beurteilung dieser Fragen kann von der
Prüfung der materiellen Sache nicht getrennt werden. Auf
eine solche hat der in der Sache selbst nicht Legitimierte
jedoch keinen Anspruch (BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb S. 160 mit
Hinweisen).

        cc) Soweit die Beschwerdeführerin eine willkürliche
Beweisführung durch das Verhöramt rügt, ist sie dazu aus den
dargestellten Gründen nicht legitimiert. Gleiches gilt mit
Bezug auf die Rüge der Verletzung des Rechtsgleichheits-

gebots, da deren Beurteilung im Ergebnis auf eine materielle
Überprüfung des angefochtenen Rekursentscheids hinausläuft.
Darauf aber besteht wie erwähnt bei fehlender Legitimation
in der Sache selbst kein Anspruch.

        An der fehlenden Legitimation in der Sache selbst
ändert sich im Übrigen auch unter Berücksichtigung des
Opferhilfegesetzes nichts. Als Opfer ist gemäss Art. 2
Abs. 1 OHG jede Person anzusehen, "die durch eine Straftat
in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität
unmittelbar beeinträchtigt worden ist". Die Beschwerdefüh-
rerin macht nicht geltend und es ist aus den Akten auch
nicht ersichtlich, dass sie durch die behauptete Straftat
von B.________ körperliche oder psychische Schäden erlitten
hat. Entsprechend kommt ihr auch keine Opferstellung im
Sinne des Opferhilfegesetzes zu.

        Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach
hinsichtlich der geltend gemachten Verletzung von Art. 8 und
9 BV nicht einzutreten.

        b) Die Beschwerdeführerin macht weiter eine Verlet-
zung von Art. 30 BV geltend. Grundsätzlich ist sie zur Er-
hebung dieser formellen Rüge berechtigt. Die Beschwerdefüh-
rerin hat es jedoch unterlassen, die Rüge rechtsgenüglich zu
begründen. Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die Beschwer-
deschrift unter anderem die wesentlichen Tatsachen und eine
kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfas-
sungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern
sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind.
Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundes-
gericht nur klar und detailliert erhobene Rügen. Auf unge-
nügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am
angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 125 I 492
E. 1b S. 495, mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin be-

schränkt sich darauf, die Verletzung von Art. 30 BV zu be-
haupten. Sie legt aber in keiner Art und Weise dar, inwie-
fern die ihr aus dieser Norm zustehenden Rechte verletzt
sein sollen. Damit vermag die Beschwerdeschrift in diesem
Punkt den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht
zu genügen. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist deshalb
auch nicht einzutreten, soweit damit die Verletzung von
Art. 30 BV gerügt wird.

        c) Demnach bleibt zu prüfen, ob auf die an sich
ebenfalls zulässige Rüge der Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör eingetreten werden kann. Die Beschwerde-
führerin macht in diesem Zusammenhang geltend, obwohl sie
gleichzeitig mit der Anzeige die Teilnahme an Untersuchungs-
handlungen beantragt habe, sei sie über die Durchführung von
Einvernahmen mit dem Beschuldigten und einer Zeugin nicht
orientiert worden; sie habe deshalb ihre Parteirechte nicht
wahrnehmen können.

        Diesen Einwand bringt die Beschwerdeführerin zum
ersten Mal im Rahmen des bundesgerichtlichen Verfahrens vor.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde können indessen grundsätz-
lich keine neuen Tatsachen und Beweismittel oder neue recht-
liche Argumente vorgebracht werden (sog. Novenverbot; BGE
118 Ia 20 E. 5a S. 26; vgl. auch Walter Kälin, Das Verfahren
der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Auflage, Bern 1994,
S. 369 ff.). Auch bei staatsrechtlichen Beschwerden wegen
behaupteter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
sind neue Vorbringen rechtlicher oder tatsächlicher Art
grundsätzlich nur erlaubt, wenn zu deren Geltendmachung
erst die Begründung des angefochtenen Entscheides Anlass
gab oder wenn sie Gesichtspunkte betreffen, die sich derart
aufdrängen, dass sie von den kantonalen Instanzen offen-
sichtlich von Amtes wegen hätten berücksichtigt werden
müssen. Weder das eine noch das andere trifft hier zu.

Der angefochtene Rekursentscheid bietet keinen unmittelbaren
Anlass zur Rüge der Gehörsverletzung. Der Beschwerdeführerin
wurde die in Aussicht genommene Einstellung des Strafverfah-
rens gegen B.________ mit Schreiben vom 10. Juli 2000 an-
gezeigt; zugleich wurde ihr Gelegenheit zur Akteneinsicht
gewährt sowie Frist zur Stellungnahme angesetzt. In der
Folge stellte das Verhöramt der Beschwerdeführerin die Ver-
fahrensakten zu, aus welchen die durchgeführten Untersu-
chungsmassnahmen ersichtlich waren. Die Beschwerdeführerin
hätte demnach eine allfällige Gehörsverletzung bereits im
kantonalen Verfahren rügen können. Sie hat dies jedoch so-
wohl in ihrer Eingabe vom 10. August 2000 an das Verhöramt
als auch in der Rekursschrift vom 7. September 2000 unter-
lassen. Gegenteiliges macht die Beschwerdeführerin nicht
geltend. Zu Recht behauptet sie auch nicht, es sei ihr zur
Erhebung der Rüge vor den kantonalen Instanzen keine Gele-
genheit geboten worden. Unter diesen Umständen ist auf die
staatsrechtliche Beschwerde auch nicht einzutreten, soweit
die Beschwerdeführerin mit einem unzulässigen rechtlichen
Novum eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV rügt.

     2.- Aus den genannten Gründen ist auf die staatsrecht-
liche Beschwerde nicht einzutreten, und zwar ohne dass zuvor
Gelegenheit zur Replik einzuräumen wäre.

        Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die
Beschwerdeführerin die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen
(Art. 156 Abs. 1 OG). Der Beschwerdegegner ist nicht durch
einen Anwalt vertreten. Er hat praxisgemäss keinen Anspruch
auf Ersatz von Parteikosten, da ihm durch das vorliegende
Verfahren keine besonderen, entschädigungswürdigen Umtriebe
entstanden sind (vgl. Art. 159 OG; BGE 113 Ib 353 E. 6b
S. 357, mit Hinweisen).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht ein-
getreten.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Be-
schwerdeführerin auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Verhör-
amt und der Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh
schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 12. Juli 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: