Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.266/2001
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1P.266/2001
1P.654/2000/zga

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                       12. Juni 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann, Féraud, Catenazzi,
und Gerichtsschreiber Dreifuss.

                         ---------

                         In Sachen

X.________, Beschwerdeführer,

                           gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons  A a r g a u,
Obergericht des Kantons  A a r g a u, 2. Strafkammer,

                         betreffend
         Garantie gleicher und gerechter Behandlung
                    (Art. 29 Abs. 1 BV);
          Anspruch auf Revision im Strafverfahren,

hat sich ergeben:

     A.- X.________ wurde vom Bezirksgericht Bremgarten
am 27. Januar 2000 der einfachen Körperverletzung, der Ge-
walt und Drohung gegen Beamte und der Hinderung einer Amts-
handlung schuldig gesprochen und zu einer bedingt vollzieh-
baren Strafe von 3 Monaten Gefängnis sowie einer Busse von
Fr. 500.-- verurteilt. Gleichzeitig widerrief das Bezirks-
gericht den bedingten Vollzug einer vom selben Gericht am
16. Dezember 1997 ausgesprochenen Strafe von 1 1/2 Monaten
Gefängnis.

        X.________ erhob gegen das Urteil vom 27. Januar
2000 Berufung beim Obergericht des Kantons Aargau und be-
antragte sinngemäss, er sei von Schuld und Strafe freizu-
sprechen. Das Obergericht (I. Strafkammer) trat am 25. Au-
gust 2000 auf die mit Datum vom 30. Mai 2000 versehene Be-
rufung nicht ein, weil X.________ diese erst am 2. Juni 2000
der schweizerischen Post übergeben und damit die am 31. Mai
2000 abgelaufene Berufungsfrist nicht eingehalten habe.

     B.- Dagegen gelangte X.________ mit einer als "Be-
rufung" bezeichneten Eingabe vom 9. Oktober 2000 an das
Obergericht und machte im Wesentlichen geltend, er habe
die auf den 30. Mai 2000 datierte Berufung bereits am Tage
vor Auffahrt, dem 31. Mai 2000, nach Erkundigung bei einem
SBB-Angestellten in einen Briefkasten der schweizerischen
Post am Bahnhof H. eingeworfen und nicht erst am 2. Juni 2000.
Er habe die Berufungsfrist nicht überschritten. Das Urteil
vom 25. August 2000 sei zu widerrufen.

        Das Obergericht überwies die Eingabe am 17. Oktober
2000 dem Bundesgericht zur Behandlung. X.________ stellte

am 30. Oktober 2000 beim Bundesgericht ein Gesuch um Gewäh-
rung der unentgeltlichen Prozessführung.

        Am 4. Dezember 2000 sandte der Instruktionsrichter
des Bundesgerichts die Eingabe vom 9. Oktober 2000 zur all-
fälligen Behandlung als Begehren um Revision des obergericht-
lichen Urteils an das Obergericht zurück. Gleichzeitig ver-
fügte er eine Sistierung des eröffneten bundesgerichtlichen
Verfahrens (1P.654/2000) bis zum Entscheid über das Begeh-
ren.

     C.- Das Obergericht trat auf das Revisionsbegehren
mit Beschluss vom 1. März 2001 nicht ein, da eine Revision
des Prozessurteils vom 25. August 2000 weder nach § 230 der
Strafprozessordnung des Kantons Aargau noch nach Art. 397
StGB zulässig sei.

     D.- Gegen diesen Beschluss erhob X.________ mit Ein-
gabe vom 9. April 2001 staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Willkürverbots
(Verfahren 1P.266/2001). Gleichzeitig stellte er ein wei-
teres Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

        Das Obergericht verzichtete auf eine Vernehmlassung
zur Beschwerde vom 9. April 2001. Die Staatsanwaltschaft des
Kantons Aargau liess sich nicht vernehmen.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die beiden erhobenen Beschwerden hängen sachlich
eng zusammen, weshalb es sich rechtfertigt, sie gemeinsam in

einem Urteil zu behandeln.

     2.- Ob es sich beim Urteil vom 25. August 2000 um
einen mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbaren, kan-
tonal letztinstanzlichen Entscheid im Sinne von Art. 86
Abs. 1 OG handelt, hängt davon ab, ob das Obergericht die
Zulässigkeit der Revision dieses Urteils in seinem Beschluss
vom 1. März 2001 zu Recht verneint hat. Es ist deshalb zu-
nächst die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde vom
9. April 2001 zu beurteilen.

     3.- Der Entscheid vom 1. März 2001 ist kantonal letzt-
instanzlich (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer ist
davon im Sinne von Art. 88 OG persönlich betroffen. Er macht
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend, wozu er
nach Art. 84 Abs. 1 OG befugt ist.

        Das Gesuch um Revision des Urteils vom 25. August
2000, auf welches das Obergericht nicht eintrat, begründete
der Beschwerdeführer allein aufgrund von Tatsachen, welche
die Fristwahrung als eine vom kantonalen Prozessrecht be-
herrschte Frage betreffen. Der Verurteilte hat nach Art. 397
StGB einen Anspruch auf Wiederaufnahme, wenn er in Anwen-
dung eidgenössischen Rechts verurteilt worden ist, und er
neue Tatsachen und Beweismittel in Bezug auf die ihm vorge-
worfene Tat oder die damit verbundene Rechtsfolge vorbringt,
nicht aber, wenn es um vom kantonalen Prozessrecht beherrsch-
te Fragen geht. Der Beschwerdeführer macht daher zu Recht
nicht geltend, die Verneinung der Zulässigkeit seines Revi-
sionsgesuches verletze Art. 397 StGB. Die eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde ist daher nicht gegeben und der Grund-
satz der Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde mit-
hin gewahrt (Art. 84 Abs. 2 OG und Art. 269 BStP).

        Da diese und auch die übrigen Sachurteilsvorausset-
zungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

     4.- Das Obergericht trat gestützt auf § 230 Ziff. 1
der Strafprozessordnung des Kantons Aargau vom 11. November
1958 (StPO/AG) auf die Eingabe vom 9. Oktober 2000 nicht
ein. Nach dieser Bestimmung kann:

     "gegen jedes rechtskräftige Strafurteil die Wiederauf-
     nahme des Verfahrens verlangt werden, wenn erhebliche
     Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die dem Gericht
     zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren und
     die allein oder zusammen mit den früher festgestellten
     Tatsachen geeignet sind, die Freisprechung des Verurteil-
     ten oder eine erheblich geringere Bestrafung herbeizufüh-
     ren oder eine andere Beurteilung des Zivilpunktes zu be-
     wirken".

        Das Obergericht führte dazu aus, die Vorausset-
zung, dass die neuen erheblichen Tatsachen oder Beweismittel
allein oder zusammen mit den früher festgestellten Tatsachen
geeignet sein müssen, die Freisprechung des Verurteilten oder
eine erheblich geringere Bestrafung herbeizuführen, seien vor-
liegend nicht erfüllt. Werde von der Sachdarstellung des Be-
schwerdeführers ausgegangen, wonach er die Berufung am 31. Mai
2000 in den Briefkasten geworfen habe, so würde dies lediglich
zu einer Aufhebung des Nichteintretensentscheids der I. Straf-
kammer vom 25. August 2000 führen. Dies würde jedoch nicht zu
einem Freispruch oder einer Besserstellung des Gesuchstellers
führen, sondern hätte lediglich zur Folge, dass die Berufung
behandelt werden müsste. Erst dies könnte eine Besserstellung
bewirken, weshalb die Prüfung der Frage der Erheblichkeit nur
indirekt möglich wäre. Ferner ergebe sich aus § 234 StPO/AG
zwingend, dass bei der Wiederaufnahme das erstinstanzlich
zuständige Gericht, d.h. das Bezirksgericht, im gleichen
Verfahren wie bei der ersten Beurteilung einen neuen Entscheid
zu fällen hätte. Dies würde indessen keinen Sinn machen, da es
nur darum gehen könne, dass die Berufung behandelt werde. Eine
Revision gegen das Prozessurteil vom 25. August 2000 sei
deshalb nicht zulässig.

     5.- Der Beschwerdeführer macht geltend, der Nichtein-
tretensentscheid des Obergerichts verletze das rechtliche
Gehör und stelle eine "willkürliche Prozessführung" dar,
"welche im gröbsten Masse die Grundrechte des einfachen
Bürgers mit Händen und Füssen" trete. Dies halte "im Lichte
des Art. 4 BV nicht stand." Sinngemäss macht der Beschwer-
deführer damit eine Verletzung der Bundesverfassung in der
Form einer formellen Rechtsverweigerung geltend. Neben die-
ser Rüge kommt einer Willkürrüge keine selbständige Bedeu-
tung zu. Das Bundesgericht prüft frei, ob eine formelle
Rechtsverweigerung vorliegt (BGE 125 I 166 E. 3a; 121 I 177
E. 2b/aa; 120 II 425 E. 2a; 119 Ia 4 E. 2a).

        Eine willkürliche Auslegung und Anwendung von § 230
Ziff. 1 StPO/AG macht der Beschwerdeführer jedenfalls nicht
substantiiert geltend; er legt nicht näher dar, inwiefern
eine solche vorliegen würde. Dies wohl zu Recht. Diese Be-
stimmung ist gemäss ihrem Wortlaut, insbesondere auch im
Zusammenhang mit § 234 StPO/AG, allein auf die Revision von
Sachurteilen zugeschnitten.

        Es ist daher zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer
unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung das Recht zusteht,
die Revision des Urteils des Obergerichts bzw. die Wieder-
aufnahme des Verfahrens zu verlangen, mit welchem dieses auf
seine Berufung wegen verspäteter Einreichung nicht eintrat.

     6.- Nach der unter Art. 4 aBV entwickelten bundesge-
richtlichen Rechtsprechung, die unter Art. 29 Abs. 1 und 2
BV ihre Gültigkeit behält (vgl. Botschaft über die neue
Bundesverfassung, BBl 1997 I 1 ff., S. 181 f.), ist eine

Verwaltungsbehörde von Verfassungs wegen verpflichtet, auf
einen rechtskräftigen Entscheid zurückzukommen und eine neue
Prüfung vorzunehmen, wenn ein klassischer Revisionsgrund vor-
liegt. Dies ist der Fall, wenn der Gesuchsteller erhebliche
Tatsachen oder Beweismittel anführt, die ihm im früheren Ver-
fahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu
machen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder
keine Veranlassung bestand (BGE 120 Ib 42 E. 2b S. 46/47; 113
Ia 146 E. 3a S. 150 ff.; 109 Ib 246 E. 4c S. 253; 100 Ib 368
E. 3 S. 371 ff.; André Grisel, Traité de droit administratif,
Bd. II, 1984, S. 949; Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspfle-
ge, Bern 1983, S. 262 f.; Alfred Kölz/Isabelle Häner, Verwal-
tungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Auf-
lage, Zürich 1998, Rz. 428 ff.).

        Ein Urteil, das formell und materiell rechts-
kräftig ist, und daher anders nicht mehr abgeändert wer-
den kann, muss im Interesse der Wahrheitsfindung mit dem
ausserordentlichen Rechtsmittel der Revision korrigiert
werden können, wenn sich nachträglich herausstellt, dass
es auf einer falschen tatsächlichen Grundlage beruht. Eine
entsprechende Korrekturmöglichkeit sehen denn auch grund-
sätzlich alle Prozessgesetze vor (vgl. für den Bund: Art. 137
OG, Art. 66 VwVG, Art. 229 BStP, Art. 84 VStrR; für die
kantonalen Strafverfahren: vgl. u.a. Robert Hauser/Erhard
Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 4. Aufl., Basel
1999, § 102 Rz. 1 ff., und § 53 Rz. 1 ff. allgemein zum
Grundsatz der materiellen Wahrheit im Strafverfahren;
Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1997,
Rz. 1134; Jürg Aeschlimann, Einführung in das Strafprozess-
recht, Bern 1997, Rz. 1913 f.; Thomas Maurer, Das bernische
Strafverfahren, Bern 1999, S. 525). Ein Urteil, das mit der
materiellen Wahrheit nicht übereinstimmt, unter bestimmten
Voraussetzungen nachträglich korrigieren zu können, stellt
eine grundlegende, grundsätzlich in allen Prozessverfahren
in gleicher Weise Geltung beanspruchende Verfahrensgarantie

dar. Deshalb ist die angeführte Rechtsprechung des Bundes-
gerichts, die sich auf das Verwaltungsverfahren bezieht,
auch auf das Strafverfahren anzuwenden. In BGE 113 Ia 146
E. 3b S. 153 erachtete das Bundesgericht diese Rechtspre-
chung bereits auch auf Wahl- und Abstimmungsverfahren für
anwendbar. Sieht ein Strafverfahrensgesetz ein Revisions-
recht nicht oder nicht in genügender Weise vor, gebietet
die Garantie einer gleichen und gerechten Behandlung in
Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen, wie sie
heute in Art. 29 Abs. 1 BV festgehalten ist, dieses Recht
unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung zu gewähren. Aus
Gründen der Rechtssicherheit ist dabei das Geltendmachen
neuer Tatsachen oder Beweismittel an die gleich strengen
Voraussetzungen geknüpft, die in der Praxis bei der Beja-
hung eines Revisionsgrundes in den gesetzlich geregelten
Fällen gelten. Insbesondere dürfen Revisionsgesuche nicht
dazu dienen, rechtskräftige Entscheide immer wieder in Fra-
ge zu stellen oder gesetzliche Vorschriften über die Rechts-
mittelfristen zu umgehen (BGE 120 Ib 42 E. 2b S. 46/47 mit
Hinweisen; Grisel, a.a.O., S. 948).

     7.- a) Die Strafprozessordnung des Kantons Aargau
sieht, wie bereits angeführt wurde, allein eine Revision
von Sachurteilen vor (vgl. Dieter Gerspach, Die Wiederauf-
nahme des Verfahrens im aargauischen Strafprozess, Diss.
Zürich 1973, S. 59 ff.). Die Bestimmungen der kantonalen
Strafprozessordnungen über die Revision sind allgemein auf
die erstinstanzlichen Sachurteile zugeschnitten, zumal sie
Art. 397 StGB zu genügen haben und sich so an diese Geset-
zesvorschrift anlehnen. Sie lassen die Revision hingegen
grundsätzlich gegen alle formell und materiell rechtskräf-
tigen Entscheide zu. Gegen Verfügungen, die nicht in mate-
rielle Rechtskraft erwachsen, bedarf es des ausserordent-
lichen Rechtsmittels der Revision nicht, um diese nötigen-
falls korrigieren zu können. Gegen nicht in materielle

Rechtskraft erwachsende Entscheide, wie prozessleitende
Verfügungen oder Einstellungsverfügungen ist die Revision
dementsprechend ausgeschlossen (vgl. Hauser/Schweri, a.a.O.,
§ 102 Rz. 8 f.; Gérard Piquerez, Procédure pénale suisse,
Zürich 2000, Rz. 3493 ff.; Schmid, a.a.O., Rz. 1138 ff.;
Maurer, a.a.O., S. 526; Aeschlimann, a.a.O., Rz. 1919;
Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, Bern
1994, S. 554; vgl. auch Max Guldener, Schweizerisches Zi-
vilprozessrecht, Zürich 1979, S. 533). Anders verhält es
sich indessen mit einem Prozessurteil, mit dem die zustän-
dige kantonale Instanz auf ein Rechtsmittel wegen Fehlens
einer Prozessvoraussetzung nicht eintrat. Ein solches be-
wirkt nicht nur die Rechtskraft des erstinstanzlichen Ur-
teils - wie dies hier gemäss § 169 Ziff. 4 und § 221 StPO/AG
der Fall ist -, sondern wird hinsichtlich der beurteilten
Zulässigkeitsfrage auch selber materiell rechtskräftig (vgl.
BGE 115 II 187 E. 3a; Hauser/Schweri, a.a.O., § 84 Rz. 13;
Schmid, a.a.O., Rz. 580 und 583; Aeschlimann, a.a.O., Rz.
1660 und 1664; Gygi, a.a.O., S. 324; Kölz/Häner, a.a.O.,
Rz. 715). Es versperrt dem davon Betroffenen den ordentli-
chen Rechtsmittelweg gegen eine Verurteilung endgültig und
muss daher aufgrund der angeführten Verfahrensgarantie nach
Art. 29 Abs. 1 BV nötigenfalls nachträglich auf dem Wege der
Revision korrigiert werden können.

        Der Beschwerdeführer, auf dessen Berufung nicht
eingetreten wurde, weil er diese erst nach Fristablauf
der Post übergeben haben soll, muss danach dieses Urteil
rückgängig machen können, wenn er mit neuen Tatsachen und
Beweismitteln dartun kann, dass er die Berufung doch vor
Ablauf der Berufungsfrist der Post übergab. Andernfalls
würde er seines Berufungsrechts - und damit seines Rechts,
seine strafrechtliche Verurteilung durch eine zweite In-
stanz überprüfen zu lassen -, verlustig gehen, obwohl er
die Berufungsfrist allenfalls in Tat und Wahrheit nicht

verpasste. Dies ist mit der erwähnten verfassungsmässigen
Verfahrensgarantie nicht vereinbar.

        b) Mit der Behauptung, die Berufungseingabe vom
30. Mai 2000 am darauffolgenden Tag in einen Briefkasten
der schweizerischen Post eingeworfen zu haben, macht der
Beschwerdeführer eine neue Tatsache geltend, die zwar im
Zeitpunkt des Erledigungsentscheids vom 25. August 2000
bestand, dem Obergericht aber nicht bekannt war (vgl. zu
Art. 137 lit. b OG: BGE 121 IV 317 E. 2; 110 V 138 E. 2
S. 141; 108 V 170 E. 1 S. 171, je mit Hinweisen; Hauser/
Schweri, a.a.O., § 102 Rz. 20 ff.; Schmid, a.a.O., Rz. 1152;
Piquerez, a.a.O., Rz. 3524 ff.). Zu einer früheren Geltend-
machung hatte der Beschwerdeführer keinen Anlass.

        Die geltend gemachte Behauptung betrifft sodann,
soweit die übrigen Voraussetzungen für das Eintreten auf
die Berufung vom 30. Mai 2000 erfüllt sind, eine erheb-
liche Tatsache, genügt doch der fristgerechte Einwurf in
einen Briefkasten für die Wahrung der Rechtsmittelfrist
(§ 52 StPO/AG i.V.m. Art. 82 ZPO/AG; BGE 109 Ia 183). So-
weit sie sich im Revisionsverfahren beweisen lässt, kann
sie zu einer Gutheissung des Revisionsgesuchs und damit zu
einer Aufhebung des Prozessurteils vom 25. August 2000 und
einem Eintreten auf die Berufung führen. Es genügt, dass das
Recht des Beschwerdeführers, gegen seine erstinstanzliche
Verurteilung beim Obergericht Berufung zu führen, auf dem
Spiele steht, um die Erheblichkeit der geltend gemachten
neuen Tatsachen als Voraussetzung zum Eintreten auf ein Re-
visionsgesuch zu bejahen. Keine Rolle spielt dabei, dass es
sich beim Urteil des Obergerichts vom 25. August 2000 um ein
Prozess- und nicht um ein Sachurteil handelt. Entscheidend
ist, wie dargelegt, dass es sich dabei um einen formell und
materiell rechtskräftigen Entscheid handelt, der für den Be-
schwerdeführer einen rechtlichen Nachteil zur Folge hat und
anders nicht abgeändert werden kann.

        c) Der Beschwerdeführer wandte sich mit seiner
Eingabe vom 9. Oktober 2000 an das Obergericht und stellte
unter Nennung von Beweismitteln substantiierte Behauptungen
über die Wahrung der Frist auf. Das Obergericht wäre unter
diesen Umständen von Verfassungs wegen verpflichtet gewesen,
die Eingabe als zulässiges Gesuch um Wiederaufnahme des Be-
rufungsverfahrens im Sinne der analog als anwendbar zu be-
trachtenden §§ 230 ff. StPO/AG entgegen zu nehmen und zu be-
handeln. Seine Weigerung dies zu tun, stellt eine formelle
Rechtsverweigerung dar, die Art. 29 Abs. 1 BV verletzt.

        d) Die staatsrechtliche Beschwerde vom 9. April
2001 (Verfahren 1P.266/2001) ist demnach gutzuheissen und
der angefochtene Entscheid vom 1. März 2001 aufzuheben.

     8.- Hat das Obergericht danach die Eingabe vom 9. Ok-
tober 2000 als Gesuch um Wiederaufnahme des Berufungsver-
fahrens zuzulassen, steht fest, dass sein Entscheid vom
25. August 2000 nicht kantonal letztinstanzlich ist. Auf
die Eingabe vom 9. Oktober 2000 (Verfahren 1P.654/2000)
kann demnach nicht eingetreten werden (Art. 86 Abs. 1 OG).

     9.- Im Verfahren 1P.266/2001 sind ausgangsgemäss
keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Beschwer-
deführer hat seine Eingabe vom 9. Oktober 2000 nicht selber
beim Bundesgericht eingereicht, weshalb auch im Verfahren
1P.654/2000 keine Kosten zu erheben sind. Dem nicht anwalt-
lich vertretenen Beschwerdeführer ist keine Parteientschä-
digung zuzusprechen (BGE 115 Ia 12 E. 5 S. 21). Die gestell-
ten Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege sind damit gegen-
standslos.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde vom 9. April 2001
wird gutgeheissen und der angefochtene Beschluss des Oberge-
richts des Kantons Aargau vom 1. März 2001 aufgehoben.

     2.- Auf die Eingabe vom 9. Oktober 2000 wird nicht ein-
getreten.

     3.- Es werden keine Kosten erhoben.

     4.- Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

     5.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staats-
anwaltschaft und dem Obergericht, 2. Strafkammer, des Kantons
Aargau schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 12. Juni 2001

       Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: