Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.257/2001
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1P.257/2001/bie

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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                      16. August 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Nay, Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschrei-
ber Härri.
                         ---------

                         In Sachen

A.________, Beschwerdeführerin,
B.________, Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Eduard
M. Barcikowski, Florastrasse 49, Zürich,

                           gegen

C.________, Beschwerdegegner 1,
D.________, Beschwerdegegner 2,
beide vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Urban Bieri, Ober-Emmenweid 46, Emmenbrücke,
Staatsanwaltschaft des Kantons  L u z e r n,
Obergericht des Kantons  L u z e r n,

                         betreffend
                     rechtliches Gehör,
  (Zustellung der Vorladung zur Appellationsverhandlung),

(staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Oberge-
richts des Kantons Luzern vom 23. Januar 2001 [21 00 43/44]),

hat sich ergeben:

     A.- Am 1. April 1998 kam es auf der Liegenschaft
E.________ in der Gemeinde W.________ zu einer tätlichen
Auseinandersetzung zwischen A.________ und ihrem Ehemann
B.________ einerseits sowie C.________ und seinem Schwie-
gersohn D.________ anderseits. C.________ brach sich den
Arm; D.________, von Beruf Polizist, zog sich Kopfver-
letzungen zu.

     B.- Gestützt darauf und auf weitere Sachverhalte verur-
teilte das Amtsgericht Entlebuch A.________ am 7. Dezember
1999 wegen einfacher Körperverletzung und Ungehorsams gegen
eine amtliche Verfügung zu 10 Tagen Gefängnis, bedingt bei
einer Probezeit von 2 Jahren, und Fr. 1'000.-- Busse;
B.________ wegen einfacher Körperverletzung mit einem gefähr-
lichen Gegenstand, Nichtmeldens kontrollpflichtiger Hunde,
Laufenlassens von Hunden im Freien ohne Kontrollmarken und
mehrfacher mangelnder Beaufsichtigung von Hunden zu einem
Monat Gefängnis, bedingt bei einer Probezeit von 2 Jahren,
und Fr. 1'000.-- Busse.

        Das Amtsgericht sprach C.________ vom Vorwurf
der Körperverletzung und der Tätlichkeiten frei; ebenso
D.________ vom Vorwurf der Körperverletzung, der Tätlich-
keiten, des Amtsmissbrauchs und der Drohung.

     C.- Dagegen erhoben A.________ und B.________ Appella-
tion.

        Mit Verfügung vom 10. Juli 2000 lud das Obergericht
des Kantons Luzern die Appellanten auf den 19. September
2000 zur Appellationsverhandlung vor. Sie leisteten der Vor-

ladung ohne Entschuldigung keine Folge. Am 10. Oktober 2000
lud sie das Obergericht unter Androhung des Dahinfallens der
Appellation auf den 23. November 2000 zur Appellationsver-
handlung vor. Am 22. November 2000 ersuchte Rechtsanwalt
Matthias Brunner das Obergericht um Verschiebung der Ver-
handlung, da er von den Appellanten mit ihrer Verteidigung
beauftragt worden sei und sich innert der kurzen Frist nicht
vorbereiten könne. Das Obergericht verschob darauf die Ver-
handlung. Es lud die Appellanten am 8. Januar 2001 auf den
23. Januar 2001 unter Androhung des Dahinfallens der Appel-
lation zur Appellationsverhandlung vor. Inzwischen hatte
Rechtsanwalt Brunner das Mandat niedergelegt. Die Appellan-
ten holten die mit eingeschriebenem Brief zugestellte Vor-
ladung nicht ab und blieben der Appellationsverhandlung ohne
Entschuldigung fern.

        Am 23. Januar 2001 schrieb deshalb das Obergericht
das Appellationsverfahren als erledigt von der Geschäftskon-
trolle ab. Es erwog, dass die Appellanten die Vorladung
nicht abholten, helfe ihnen nicht. Nach ständiger Rechtspre-
chung gelte die Vorladung als zugestellt, nachdem die beiden
vom Appellationsverfahren Kenntnis gehabt hätten und mit der
Vorladung hätten rechnen müssen. Androhungsgemäss falle da-
mit die Appellation dahin. Das Obergericht verweist auf § 242
der Strafprozessordnung des Kantons Luzern (im Folgenden:
StPO), wonach die Appellation dahinfällt, wenn der Appellant
nicht zur Verhandlung erscheint (Abs. 1).

     D.- A.________ und B.________ führen staatsrechtliche
Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid des Obergerichts
aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an dieses
zurückzuweisen.

     E.- Das Obergericht hat sich vernehmen lassen mit dem
Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten
sei.

        C.________ und D.________ haben ebenfalls eine
Vernehmlassung eingereicht mit dem Antrag, die Beschwerde
abzuweisen.

        Die Staatsanwaltschaft hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

     F.- Auf die von A.________ und B.________ gegen den
Entscheid des Obergerichtes eingereichte eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde ist der Kassationshof des Bundes-
gerichtes am 9. April 2001 nicht eingetreten.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung ihres
Anspruchs auf rechtliches Gehör "gemäss Art. 8 Abs. 1 BV".

        Der Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich aus
Art. 29 Abs. 2 BV. Die Angabe des falschen Artikels schadet
den Beschwerdeführern nicht. Die Rüge ist unter dem Gesichts-
winkel von Art. 29 Abs. 2 BV zu prüfen.

        b) Die Beschwerdeführer machen eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs geltend, weil die Vorladungen vom 8. Ja-
nuar 2001 nur mit eingeschriebenem Brief verschickt wurden.
Sie sind der Auffassung, die Vorladungen hätten als Gerichts-
urkunde mit Rückschein zugestellt werden müssen.

        Die Rüge ist unbegründet. Aus dem Anspruch auf
rechtliches Gehör ergibt sich für die Behörde nicht die
Pflicht, eine Vorladung als Gerichtsurkunde mit Rückschein
zuzustellen. Die Behörde kann die Vorladung unter Vorbehalt
abweichender kantonaler Bestimmungen sogar mit einfachem
Brief zustellen; sie trägt dann allerdings das Risiko, die
Zustellung nicht beweisen zu können.

        Gemäss § 40 Abs. 1 StPO wird die Vorladung in der
Regel schriftlich und spätestens 24 Stunden vor dem ange-
setzten Termin durch die Post, die Polizei oder den Weibel
zugestellt. Diese Bestimmung lässt bei Benutzung der Post
die Zustellung mit eingeschriebenem Brief ohne weiteres zu.

        c) Die Beschwerdeführer bringen vor, sie hätten
aufgrund fehlerhafter Bearbeitung der Sendung durch die Post
keine Kenntnis von den Vorladungen erhalten.

        Wie sich aus den Akten ergibt (Amtl. Bel. 20 und
21), hat die Post die Vorladungen dem Obergericht mit dem
Vermerk "Nicht abgeholt" zurückgeschickt. Für eine fehler-
hafte Bearbeitung durch die Post bestehen keine Anhalts-
punkte. Die Beschwerdeführer haben hier nicht das erste Mal
eine eingeschriebene Sendung des Gerichts nicht abgeholt.
Bereits die am 10. Juli 2000 verschickten Vorladungen haben
sie nicht in Empfang genommen. Dabei haben sie nicht geltend
gemacht, die eingeschriebenen Sendungen seien ihnen nicht
ordnungsgemäss angezeigt worden. Die Beschwerdegegner weisen
in der Vernehmlassung sodann zutreffend darauf hin, dass die
Beschwerdeführer, nachdem sie Vorladungen nicht nachkamen,
sogar schon polizeilich vorgeführt werden mussten (Unter-
suchungsakten Dossier II, Faszikel zum Verfahren, act. 38).
Bereits im Urteil vom 7. Juli 1994 (1P.199/1994) hat sich
das Bundesgericht im Übrigen in einer ähnlichen Sache mit
der Beschwerdeführerin befasst: Das Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern war auf eine Beschwerde der Beschwerdeführe-

rin mangels Leistung des Kostenvorschusses nicht eingetre-
ten. Die Beschwerdeführerin machte mit staatsrechtlicher
Beschwerde geltend, die Einladung zur Abholung der Kosten-
vorschussverfügung weder persönlich noch in ihrem Postfach
erhalten zu haben. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab,
soweit es darauf eintrat. Es führte unter anderem aus, aus
einem Brief der Kreispostdirektion vom April 1994 gehe her-
vor, dass auch schon Zustellungsschwierigkeiten aufgetaucht
seien, offenbar deshalb, weil die Beschwerdeführerin ihr
Postfach nicht hinreichend regelmässig leere. Ferner wies
das Bundesgericht darauf hin, dass die Beschwerdeführerin
auch bundesgerichtliche Sendungen mehrmals nicht abgeholt
hatte: Sie hat das Urteil vom 9. November 1992 nicht abge-
holt; eine Sendung vom 17. November 1992 ist dem Bundesge-
richt zurückgeschickt worden; auch das Urteil vom 27. Mai
1992 holte die Beschwerdeführerin nicht ab (E. 3).

        Mit dem Einreichen der Appellation beim Obergericht
entstand für die Beschwerdeführer die Pflicht, dafür zu sor-
gen, dass ihnen Gerichtsurkunden zugestellt werden können
(vgl. BGE 116 Ia 90 E. 2a). Wird bei einer eingeschriebenen
Sendung der Adressat anlässlich einer versuchten Zustellung
nicht angetroffen und daher eine Abholeinladung in seinen
Briefkasten oder sein Postfach gelegt, so gilt nach der
Rechtsprechung die Sendung in jenem Zeitpunkt als zuge-
stellt, in welchem sie auf der Post abgeholt wird; geschieht
das nicht innert der Abholfrist, die sieben Tage beträgt, so
gilt die Sendung als am letzten Tag dieser Frist zugestellt,
sofern der Adressat mit der Zustellung hatte rechnen müssen
(BGE 127 I 31 E. 2a/aa, 117 III 4 E. 2, je mit Hinweisen).
Letzteres ist hier, wie gesagt, der Fall.

        d) Die Beschwerdeführer rügen ferner eine Verlet-
zung des rechtlichen Gehörs, weil Rechtsanwalt Brunner zur
Verhandlung vom 23. Januar 2001 nicht vorgeladen worden
sei. Aus den Akten gehe hervor, dass dieser das Mandat erst

einige Tage nach dem Versand der Vorladungen an die Beschwer-
deführer vom 8. Januar 2001 niedergelegt habe.

        Die Rüge beruht auf einem Missverständnis. Wie
sich aus der Vernehmlassung des Obergerichts (S. 2) und dem
dazu dem Bundesgericht als Beilage eingereichten Amtsbericht
von Gerichtsweibel E. Stutz vom 29. Mai 2001 ergibt, hat
Rechtsanwalt Brunner dem Gerichtsweibel bereits am 8. Januar
2001 die Niederlegung des Mandats mit sofortiger Wirkung
telefonisch mitgeteilt und dies am 10. Januar 2001 nur noch
schriftlich bestätigt. Die Beschwerdeführer waren somit am
8. Januar 2001 nicht mehr durch Rechtsanwalt Brunner vertei-
digt, weshalb diesem auch keine Vorladung zugestellt werden
musste.

     2.- Die Beschwerde ist abzuweisen. Da die Beschwerde-
führer unterliegen, tragen sie die Gerichtsgebühr (Art. 156
Abs. 1 OG). Sie haben den Beschwerdegegnern für das bundes-
gerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird den Be-
schwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

     3.- Die Beschwerdeführer haben unter solidarischer Haft-
barkeit den Beschwerdegegnern C.________ und D.________ eine
Parteientschädigung von je Fr. 500.--, insgesamt Fr. 1'000.--,
zu bezahlen.

     4.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staats-
anwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Luzern,
II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 16. August 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: