Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.240/2001
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1P.240/2001/zga

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                       18. Juni 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung,
Bundesrichter Aeschlimann, Ersatzrichterin Geigy-Werthemann
und Gerichtsschreiber Haag.

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                         In Sachen

S.________, Beschwerdeführer,

                           gegen

Grosser Rat des Kantons  S c h a f f h a u s e n,

                         betreffend
                        Begnadigung,

hat sich ergeben:

     A.- Mit Urteil des Obergerichts des Kantons Schaff-
hausen vom 16. August 1999 wurde S.________ des gewerbs-
mässigen Betrugs, der mehrfachen qualifizierten Sachbe-
schädigung, der mehrfachen vorsätzlichen Störung von Be-
trieben, die der Allgemeinheit dienen, der mehrfachen Ur-
kundenfälschung, der falschen Anschuldigung, der öffent-
lichen Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit,
des unlauteren Wettbewerbs, der Verfügung über mit Beschlag
belegte Vermögenswerte und des vollendeten Versuchs der Nö-
tigung schuldig erklärt und zu drei Jahren Zuchthaus ver-
urteilt. Die gegen dieses Urteil erhobene Nichtigkeitsbe-
schwerde und staatsrechtliche Beschwerde wies das Bundes-
gericht am 22. Februar 2000 ab, soweit es darauf eintrat.
S.________ befindet sich seit dem 21. August 2000 im Straf-
vollzug in der Strafanstalt Saxerriet. Zwei Drittel der
Strafe werden am 16. August 2002, die ganze Strafe am 16.
August 2003 verbüsst sein.

     B.- Mit Schreiben vom 6. November 2000 stellte die
Ehefrau des S.________ dem Grossen Rat des Kantons Schaff-
hausen ein Begnadigungsgesuch, mit welchem sie im Wesent-
lichen geltend machte, die von ihrem Ehemann angetretene
Strafe bedeute für die ganze Familie, insbesondere für die
dreizehn- und sechzehnjährigen Töchter, eine grosse Härte.
Der Verurteilte habe sich gefestigt. Seit seiner Verurtei-
lung und im bisherigen Strafvollzug werde ihm nur Gutes
nachgesagt. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2000 an das Amt
für Justiz des Kantons Schaffhausen erklärte S.________
sein Einverständnis mit dem von seiner Ehefrau eingereichten
Begnadigungsgesuch. Mit Beschluss vom 5. März 2001 lehnte

der Grosse Rat des Kantons Schaffhausen das Begnadigungs-
gesuch ab mit dem Hinweis, der Rat sei dem Antrag der Pe-
titionskommission gefolgt, die sich sehr eingehend mit dem
Gesuch befasst habe.

     C.- Gegen diesen ablehnenden Beschluss des Grossen
Rates hat S.________ am 30. März 2001 staatsrechtliche Be-
schwerde beim Bundesgericht eingereicht. Er beantragt, der
Beschluss des Grossen Rates sei vollumfänglich aufzuheben
und zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Der Grosse Rat sei zu
verpflichten, das Begnadigungsgesuch nach den gesetzlichen
Bestimmungen zu prüfen. Ferner beantragt S.________, es sei
ihm "die unentgeltliche Prozessführung und deren Vertretung
zu erteilen". Er beruft sich auf Willkür und macht geltend,
seine Parteirechte seien verletzt und das Begnadigungsgesuch
nicht korrekt behandelt worden. Insbesondere rügt er, dass
kein Führungsbericht der Strafanstalt Saxerriet eingeholt
worden sei.

     D.- Der Grosse Rat des Kantons Schaffhausen beantragt
die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde, soweit dar-
auf einzutreten ist.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit
freier Kognition, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang
auf eine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist (BGE
126 I 81 E. 1 S. 83 mit Hinweisen).

        a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier
nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, rein kas-
satorischer Natur. Soweit in der Beschwerde mehr verlangt
wird als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, kann
von vornherein nicht darauf eingetreten werden (BGE 122 I
351 E. 1f S. 355 mit Hinweisen).

        b) Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die Be-
schwerdeschrift die wesentlichen Tatsachen und eine kurz
gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungs-
mässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie
durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt wor-
den sind. Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das
Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und, soweit
möglich, belegte Rügen (BGE 117 Ia 393 E. 1c S. 395 mit Hin-
weisen). Auf rein appellatorische Kritik tritt es nicht ein.

        c) Der Beschluss des Grossen Rats des Kantons
Schaffhausen, mit welchem dieser das den Beschwerdeführer
betreffende Begnadigungsgesuch abgelehnt hat, ist ein letzt-
instanzlicher kantonaler Hoheitsakt sui generis, gegen den
weder die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde noch die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig sind (BGE 106 Ia 131
E. 1a S. 132; 117 Ia 84 E. 1a S. 85; 118 Ia 104 E. 1a S. 106).
Es stellt sich daher die Frage nach der Zulässigkeit der
staatsrechtlichen Beschwerde.

        d) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist
gegen einen ablehnenden Begnadigungsentscheid auch die staats-
rechtliche Beschwerde grundsätzlich nicht gegeben. Da der Be-
troffene keinen Anspruch auf Begnadigung besitzt, mangelt es
ihm an einem rechtlich geschützten Interesse zur Anfechtung
eines ablehnenden Entscheids, welches gemäss Art. 88 OG Vor-
aussetzung der Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde
ist. Hingegen kann der Betroffene damit die Verletzung der-
jenigen Parteirechte rügen, die ihm aufgrund des kantonalen

Rechts oder aufgrund von Art. 9 BV im Begnadigungsverfahren
zustehen. Angesichts dessen, dass es sich bei der Begnadigung
um einen Gnadenakt handelt, auf den der Betroffene keinen An-
spruch hat, stehen diesem im Begnadigungsverfahren Partei-
rechte allerdings nur in beschränktem Umfang zu (BGE 117 Ia
84 E. 1b S. 86 mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer
eine Verletzung solcher Parteirechte rügt, ist mit den ge-
nannten Einschränkungen auf seine staatsrechtliche Beschwerde
einzutreten.

     2.- a) Der Beschwerdeführer beanstandet den ablehnen-
den Begnadigungsbeschluss des Grossen Rates mit der Begrün-
dung, dieser habe das Begnadigungsgesuch nicht behandelt.
Zu dieser Auffassung gelangt der Beschwerdeführer aufgrund
des Umstands, dass der Grosse Rat bei der Strafanstalt Sa-
xerriet keinen Führungsbericht über ihn eingeholt habe, was
er mit einer Bestätigung des Sozialdienstes der Strafanstalt
belegt, wonach während seines dortigen Aufenthalts seit dem
21. August 2000 kein Führungsbericht an Behörden oder andere
Stellen ausgehändigt wurde. Der Grosse Rat bestätigt dies in
seiner Vernehmlassung, weist aber darauf hin, die Petitions-
kommission habe aufgrund der Akten (Strafurteil, Strafregis-
terauszüge, Leumundsbericht, Polizeirapport, Bericht des Am-
tes für Justiz und Gemeinden sowie Begnadigungsgesuch) ent-
schieden, weshalb, wie in anderen Fällen auch, auf den Bei-
zug eines Führungsberichts verzichtet worden sei.

        b) In Fällen, in denen eine kantonale Behörde ge-
urteilt hat, wird das Recht der Begnadigung durch die Be-
gnadigungsbehörde des Kantons ausgeübt (Art. 394 lit. b
StGB). Das Verfahren bestimmt sich nach kantonalem Recht.
Gemäss Art. 393 Abs. 1 der Strafprozessordnung für den
Kanton Schaffhausen vom 15. Dezember 1986 (StPO/SH) ist
im Kanton Schaffhausen der Grosse Rat Begnadigungsbehörde.

Zuständig für die Prüfung und Vorberatung von Begnadigungs-
gesuchen ist gemäss § 10 Abs. 2 Ziff. 2 der Geschäftsordnung
des Grossen Rates des Kantons Schaffhausen vom 20. Dezember
1999 die Petitionskommission. Gemäss Art. 394 Abs. 2 StPO/SH
zieht die zuständige Kommission des Grossen Rates die Straf-
akten bei. Sie kann eine Vernehmlassung des Regierungsrates
und des urteilenden Gerichtes sowie weitere Berichte zur Per-
son des Verurteilten einholen. Allein schon die Formulierung
dieser Bestimmung als Kann-Vorschrift zeigt, dass die vorbe-
reitende Kommission nicht verpflichtet ist, Vernehmlassungen
oder Berichte zur Person des Verurteilten einzuholen. Der Be-
gnadigungsbehörde kommt bei ihrem Entscheid ein sehr weiter
Ermessensspielraum zu (BGE 117 Ia 84 E. 1b S. 86; Günter
Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil
II, 1989, § 8 N. 25, spricht von einem "nahezu unbegrenzten
Ermessensspielraum der Gnadeninstanz"). Aufgrund dieses Er-
messensspielraums liegt es auch im Ermessen der Begnadigungs-
behörde, ob sie sich bei ihrem Entscheid auf Bericht und An-
trag der vorbereitenden Kommission abstützen will oder ob sie
allenfalls die Einholung von Berichten über den Verurteilten
für angezeigt und erforderlich hält. Der Beschwerdeführer
glaubt, aufgrund einer Information der Anstaltsleitung sowie
"nach § 20 der Ausführungen OSV" einen Anspruch auf die Ein-
holung eines Führungsberichts zu haben. Ein Anspruch des Ver-
urteilten auf die Einholung eines Berichts bei der Strafan-
stalt, in welcher dieser im Strafvollzug ist, besteht weder
aufgrund des kantonalen Rechts noch kann ein solcher aus dem
verfassungsmässigen Willkürverbot von Art. 9 BV abgeleitet
werden. Eine allfällige, anderslautende Information der An-
staltsleitung vermöchte daran nichts zu ändern; dasselbe gilt
für die vom Beschwerdeführer genannten "Ausführungen OSV".
Aus dem Umstand, dass im Begnadigungsverfahren kein Führungs-
bericht über den Beschwerdeführer eingeholt worden ist, lässt
sich somit keineswegs schliessen, das Begnadigungsgesuch sei
nicht eingehend beziehungsweise mit der erforderlichen Sorg-
falt behandelt worden.

     3.- Im Weiteren macht der Beschwerdeführer geltend,
für den ablehnenden Entscheid des Grossen Rates seien kei-
ne sachlichen Gründe angeführt worden, womit er sinngemäss
eine Verletzung der Begründungspflicht rügt. Aus dem An-
spruch auf rechtliches Gehör folgt in der Regel die grund-
sätzliche Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu begründen
(BGE 126 I 97 E. 2b S. 102 mit Hinweisen). Gemäss Art. 394
Abs. 3 StPO/SH wird der Entscheid des Grossen Rates über das
Begnadigungsgesuch dem Gesuchsteller, dem urteilenden Gericht
und der Vollstreckungsbehörde schriftlich ohne Begründung mit-
geteilt. Der Beschwerdeführer setzt sich mit dieser Bestimmung
nicht auseinander und macht insbesondere auch nicht geltend,
dieser vom kantonalen Recht vorgesehene Verzicht auf eine Be-
gründung verstosse gegen die aus dem verfassungsrechtlich ge-
schützten Gehörsanspruch abgeleitete Begründungspflicht. Das
Bundesgericht hat sich in BGE 107 Ia 103 E. 3 S. 104 ff. ein-
gehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob (ablehnende) Be-
gnadigungsentscheide einer Begründung bedürfen und ist in Be-
stätigung seines Urteils BGE 95 I 542 ff. zum Ergebnis ge-
langt, dass aus Art. 4 aBV (Art. 9 bzw. 29 Abs. 2 BV) keine
Pflicht zur Begründung von Entscheiden in Begnadigungssachen
abzuleiten ist. In BGE 118 Ia 104 E. 2b S. 107 hat das Bundes-
gericht dies erneut bestätigt und hierzu erklärt, der Gnaden-
akt entferne sich von der normalen Funktion des Strafrechts
und breche mit dessen Prinzipien. Er mildere aus Billigkeits-
gründen die strafrechtliche Sanktion, indem ein Akt ausserhalb
der Gesetze, die einen solchen vorsehen, geschaffen werde. Aus
diesem Grund müsse ein solcher Entscheid, der auf öffentlichem
Recht und nicht auf dem Strafrecht beruhe, nicht begründet wer-
den. Der Beschwerdeführer hat sich mit dieser Rechtsprechung
nicht auseinandergesetzt und bringt nichts vor, was es als an-
gezeigt erscheinen lassen würde, sich erneut mit dieser Frage
zu befassen. Im Umstand, dass der Grosse Rat seinen ablehnenden
Beschluss nicht begründet hat, liegt somit keine Gehörsverlet-
zung des Beschwerdeführers.

     4.- Was der Beschwerdeführer im Übrigen gegen den Be-
schluss des Grossen Rates vorbringt, genügt den im staats-
rechtlichen Beschwerdeverfahren geltenden Anforderungen
(Rügeprinzip) nicht (vgl. oben E. 1b). Es kann hierauf nicht
eingetreten werden.

     5.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Be-
schwerdeführer die Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Der Beschwerdeführer hat die unentgeltliche Prozessführung
beantragt. Seine Rügen stehen, soweit überhaupt darauf ein-
zutreten ist, in klarem Widerspruch zu den Bestimmungen von
Art. 394 Abs. 2 und 3 StPO/SH, mit denen er sich nicht aus-
einandergesetzt hat. Aufgrund dieser Bestimmungen ist die
staatsrechtliche Beschwerde als von vornherein aussichtslos
zu betrachten; die unentgeltliche Prozessführung kann daher
nicht bewilligt werden (Art. 152 Abs. 1 OG). Bei der Fest-
setzung der Gerichtsgebühr kann auf die bescheidenen finan-
ziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers, der sich zur
Zeit im Strafvollzug befindet, Rücksicht genommen werden.
Angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer seine Beschwer-
de selbst eingereicht hat, entfällt eine Vertretung bezie-
hungsweise Verbeiständung. Auf das diesbezügliche Begehren
ist nicht einzutreten.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

     2.- Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird
abgewiesen.

     3.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 700.-- wird dem Be-
schwerdeführer auferlegt.

     4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem
Grossen Rat des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 18. Juni 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: