Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.231/2001
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2001


1P.231/2001/boh

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                       11. April 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Aeschlimann, Bundesrichter Catenazzi und Gerichts-
schreiberin Leuthold.

                         ---------

                         In Sachen

X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Guido Hensch, Genferstrasse 23, Postfach, Zürich,

                           gegen

Bezirksanwaltschaft  Z ü r i c h, Büro A-8,
Haftrichter des Bezirksgerichts  Z ü r i c h,

                         betreffend
             Fortsetzung der Untersuchungshaft,

hat sich ergeben:

     A.- Die Bezirksanwaltschaft Zürich führt gegen
X.________ eine Strafuntersuchung wegen Verdachts der ver-
suchten Tötung bzw. schweren Körperverletzung. X.________
fügte seiner Ehefrau am Abend des 28. Juni 2000 anlässlich
einer heftigen Auseinandersetzung schwere Verletzungen mit
einem Küchenmesser zu. Er stellte sich noch am selben Tag
der Polizei und wurde anschliessend vom Haftrichter des Be-
zirksgerichts Zürich in Untersuchungshaft genommen. Am
30. August 2000 ersuchte er um Entlassung aus der Haft bis
spätestens 28. September 2000; eventuell sei eine Ersatz-
massnahme anzuordnen. Der Haftrichter wies das Gesuch am
5. September 2000 ab und erstreckte die Haft bis zum 30. No-
vember 2000. Gegen diesen Entscheid reichte X.________ eine
staatsrechtliche Beschwerde ein. Mit Urteil vom 20. Oktober
2000 wies das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit es
darauf eintreten konnte.

        Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich verlän-
gerte mit Verfügung vom 22. Februar 2001 die Untersuchungs-
haft bis zum 28. Mai 2001.

     B.- Gegen diesen Entscheid liess X.________ am 26. März
2001 durch seinen Anwalt staatsrechtliche Beschwerde beim
Bundesgericht erheben. Er beantragt, die Verfügung des Haft-
richters vom 22. Februar 2001 sei aufzuheben und er sei aus
der Untersuchungshaft zu entlassen. Ausserdem ersucht er um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundes-
gerichtliche Verfahren.

     C.- Die Bezirksanwaltschaft nahm in einer Eingabe vom
28. März 2001 zur Beschwerde Stellung. Der Haftrichter ver-
zichtete auf eine Vernehmlassung.

     D.- Am 3. April 2001 reichte X.________ eine ergänzende
Eingabe mit Beilage ein.

     E.- In einer Replikschrift vom 6. April 2001 brachte er
Bemerkungen zur Beschwerdeantwort der Bezirksanwaltschaft
an.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Die staatsrechtliche Beschwerde und allfällige
Ergänzungen sind innert 30 Tagen, von der Zustellung des an-
gefochtenen Entscheids an gerechnet, dem Bundesgericht ein-
zureichen (Art. 89 Abs. 1 OG). Soweit neue Vorbringen und
Beweismittel zulässig sind, müssen sie ebenfalls innerhalb
dieser Beschwerdefrist geltend gemacht werden (BGE 113
Ia 407 E. 1 S. 408 mit Hinweisen).

        Die angefochtene Verfügung des Haftrichters wurde
dem Beschwerdeführer nach dessen eigenen Angaben am 22. Feb-
ruar 2001 zugestellt. Die 30-tägige Beschwerdefrist endete
- unter Berücksichtigung von Art. 32 Abs. 2 OG - am 26. März
2001. Die ergänzende Eingabe vom 3. April 2001 und das ihr
beigefügte Beweismittel (Vereinbarung vom 2. April 2001 über
die Scheidungsfolgen in der Sache des Beschwerdeführers und
seiner Ehefrau) wurden verspätet eingereicht. Sie können
deshalb nicht berücksichtigt werden. Daran ändert der Um-
stand nichts, dass es sich bei der Vereinbarung über die

Scheidungsfolgen um ein Beweismittel handelt, das erst nach
Ablauf der Beschwerdefrist erstellt worden ist (BGE 113
Ia 407 E. 1 S. 408 mit Hinweisen).

        b) Findet wie im vorliegenden Fall in Anwendung von
Art. 93 Abs. 3 OG ein zweiter Schriftenwechsel statt, so ist
eine Beschwerdeergänzung nur insoweit zulässig, als erst die
Ausführungen in der Vernehmlassung der kantonalen Behörde
hierzu Anlass geben. Rügen, welche bereits in der Beschwerde
selber hätten vorgebracht werden können, sind unzulässig
(BGE 125 I 71 E. 1d/aa S. 77; 122 I 70 E. 1c S. 74, je mit
Hinweisen).

        aa) In der Replikschrift wird ein Verstoss gegen
§ 31 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich (StPO) ge-
rügt, weil der Umstand, dass der Untersuchungsrichter in Be-
zug auf die vom Beschwerdeführer am 14. Juli 2000 gegen die
Geschädigte eingereichte Strafanzeige bis anhin keine ernst-
haften Untersuchungshandlungen getätigt habe, auf eine "Par-
teilichkeit" des Untersuchungsrichters schliessen lasse.

        Auf diese neue Rüge kann nicht eingetreten werden,
da sie bereits in der Beschwerde selber hätte vorgebracht
werden können.

        bb) Sodann werden in der Replikschrift für die Be-
schreibung der von der Ehefrau des Beschwerdeführers am
28. Juni 2000 erlittenen Verletzungen die "Darstellungen des
gegnerischen Rechtsvertreters anlässlich der Ehescheidungs-
verhandlung vom Montag, dem 2. April 2001" zitiert. Im Wei-
teren wird auf die erwähnte Vereinbarung vom 2. April 2001
über die Scheidungsfolgen hingewiesen, aus der sich ergebe,
dass der Beschwerdeführer "auch mental" gewillt sei, "sich
nun von der Ehefrau zu lösen".

        Diese neuen Vorbringen wurden nicht durch die Aus-
führungen in der Beschwerdeantwort der Bezirksanwaltschaft
veranlasst. Sie können daher nicht gehört werden.

     2.- Der Beschwerdeführer rügt in seiner staatsrecht-
lichen Beschwerde eine "Verletzung von verfassungsmässigen
Rechten (Art. 8 BV)", eine "willkürliche Anwendung und Aus-
legung von kantonalrechtlichen Normen", eine "Verletzung von
Verfahrensvorschriften" und eine "Vorverurteilung durch Auf-
rechterhaltung der Untersuchungshaft".

        a) Er legt indes nicht dar, inwiefern durch den an-
gefochtenen Entscheid Verfahrensvorschriften verletzt worden
seien. Die Beschwerde enthält insoweit keine den Anforderun-
gen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügende Begründung. Das-
selbe gilt für die Beschwerde, soweit darin eine Vorverur-
teilung durch Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gerügt
wird. Es kann in diesen Punkten auf die Beschwerde nicht
eingetreten werden (vgl. BGE 125 I 492 E. 1b S. 495 mit Hin-
weisen).

        b) Aus der Begründung der staatsrechtlichen Be-
schwerde ergibt sich, dass der Beschwerdeführer sinngemäss
vor allem geltend macht, die Verlängerung der Untersuchungs-
haft verletze das in Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 BV gewähr-
leistete Recht auf persönliche Freiheit.

        Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf
das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen
Fortdauer der Haft oder Ablehnung eines Haftentlassungsge-
suchs erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick
auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung
des entsprechenden kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch
reine Sachverhaltsfeststellungen und damit Fragen der Be-

weiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht
grundsätzlich nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen
der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 123 I 31 E. 3a
S. 35, 268 E. 2d S. 271, je mit Hinweisen).

        Nach dem zürcherischen Strafprozessrecht ist die
Anordnung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu-
lässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Ver-
gehens dringend verdächtigt wird und ausserdem Flucht-, Kol-
lusions- oder Fortsetzungsgefahr besteht (§ 58 Abs. 1 StPO).
Die Untersuchungshaft ist aufzuheben, wenn ihre Vorausset-
zungen nicht mehr bestehen, und sie darf nicht länger dauern
als die zu erwartende Freiheitsstrafe (§ 58 Abs. 3 StPO).

        c) In der staatsrechtlichen Beschwerde wird die
Meinung vertreten, die Untersuchungshaft werde nur deshalb
aufrechterhalten, weil beim Beschwerdeführer als einem
türkischen Staatsangehörigen "von vornherein eine wesens-
immanente Gewaltbereitschaft angenommen" werde. Eine solche
Betrachtungsweise sei willkürlich und verstosse "in gröbster
Weise gegen das Rechtsgleichheitsgebot".

        Diese Rügen sind offensichtlich verfehlt. Der Haft-
richter hielt im angefochtenen Entscheid die Verlängerung
der Untersuchungshaft für zulässig, weil im vorliegenden
Fall der dringende Tatverdacht und Kollusionsgefahr nach wie
vor gegeben seien und die Fortdauer der Haft nicht unver-
hältnismässig sei.

        d) Der Beschwerdeführer beanstandet mit Recht
nicht, dass die allgemeine Haftvoraussetzung des dringenden
Tatverdachts bejaht wurde. Hingegen wirft er der kantonalen
Instanz vor, sie habe in verfassungswidriger Weise ange-
nommen, es bestehe nach wie vor Kollusionsgefahr.

        aa) Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom
20. Oktober 2000 zur Frage der Kollusionsgefahr ausgeführt,
nach den Angaben, welche die Ehefrau des Beschwerdeführers
am 7. August 2000 gegenüber der Bezirksanwaltschaft gemacht
habe, solle ihr der Beschwerdeführer schon mehrmals gedroht
haben, sie mit dem Messer zu töten. Sodann habe die Tochter
am 24. August 2000 ausgesagt, ihr Vater sei gegenüber ihrer
Mutter bereits früher tätlich geworden. Das Bundesgericht
hielt im Weiteren fest, der Beschwerdeführer mache in Bezug
auf den fraglichen Vorfall geltend, als er seine Ehefrau
"geschlagen" habe, sei ihm nicht bewusst gewesen, dass er
ein Messer in der Hand halte. Angesichts der erwähnten Be-
lastungen durch seine Familienangehörigen habe der Beschwer-
deführer ein Interesse daran, die Zeugen und Auskunftsper-
sonen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Dass er im Falle
der Freilassung tatsächlich einen entsprechenden Druck aus-
üben würde, müsse vorläufig jedenfalls im Verhältnis zu
seinen nahen Angehörigen bejaht werden. Konkrete Hinweise
dafür ergäben sich insbesondere aus den Darlegungen der Ehe-
frau darüber, wie der Beschwerdeführer sich in der Familie
bisher durchzusetzen versucht habe.

        bb) In der staatsrechtlichen Beschwerde wird vorge-
bracht, es habe "in keinem Zeitpunkt Kollusionsgefahr" vor-
gelegen, denn der Beschwerdeführer sei "seit jeher" ge-
ständig gewesen, "auf seine Ehefrau eingestochen und diese
schwer verletzt zu haben". Dies trifft nicht zu. Wie den
Akten zu entnehmen ist, hat der Beschwerdeführer in der
ersten Einvernahme durch die Bezirksanwaltschaft angegeben,
er habe seine Ehefrau lediglich schlagen wollen; er habe
nicht gewusst, dass er ein Messer in den Händen gehalten
habe.

        Der Haftrichter hielt im angefochtenen Entscheid
fest, Kollusionsgefahr sei nach wie vor gegeben, denn es
handle sich sowohl bei der Geschädigten als auch bei den
Zeugen um Familienangehörige des Beschwerdeführers, "womit
notorischerweise die Gefahr einer Beeinflussung" bestehe. Er
wies darauf hin, dass die Fotos und das Protokoll der Tat-
rekonstruktion vom 7. Dezember 2000 abzuwarten seien, für
den 27. Februar 2001 eine weitere Einvernahme mit dem Be-
schwerdeführer terminiert sei und diesem auch noch die psy-
chiatrischen Gutachten vorzuhalten seien. Die Bezirksanwalt-
schaft führte in ihrer Vernehmlassung zur staatsrechtlichen
Beschwerde aus, dass am 3. Mai 2001 die Schlusseinvernahme
stattfinden werde. Bei dieser Einvernahme gehe es nicht
lediglich darum, dem Beschwerdeführer das Protokoll und die
Tatrekonstruktion nebst den psychiatrischen Gutachten vorzu-
halten, sondern er sei mit den Aussagen der Zeugen und sei-
nen eigenen Aussagen zu konfrontieren.

        In Anbetracht des Umstands, dass die Schlusseinver-
nahme noch bevorsteht, kann ohne Verletzung der Verfassung
angenommen werden, es bestehe nach wie vor die Gefahr, dass
der Beschwerdeführer im Falle einer Freilassung versuchen
würde, Zeugen und Auskunftspersonen, insbesondere seine
Familienangehörigen, zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Was
die Frage der Ersatzmassnahmen angeht, so ist - wie bereits
im Urteil vom 20. Oktober 2000 gesagt wurde - nicht ersicht-
lich, mit welchen milderen Massnahmen als einer Aufrechter-
haltung der Haft die Kollusionsgefahr gebannt werden könnte.

        e) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann
die Fortdauer der Haft nicht als unverhältnismässig bezeich-
net werden. Dem Beschwerdeführer wird versuchte Tötung bzw.
schwere Körperverletzung zur Last gelegt. Der Haftrichter

verstiess nicht gegen die Verfassung, wenn er die Auffassung
vertrat, in Anbetracht der mutmasslich zu erwartenden Frei-
heitsstrafe sei die bisherige Dauer der Untersuchungshaft
nicht unverhältnismässig.

        f) Ebenfalls unzutreffend ist mit Blick auf den
hiervor dargestellten Ablauf des bisherigen Untersuchungs-
verfahrens der Vorwurf des Beschwerdeführers, die Unter-
suchungsbehörde habe das Beschleunigungsgebot verletzt.

        Nach dem Gesagten erweist sich die staatsrechtliche
Beschwerde in allen Punkten als unbegründet. Sie ist daher
abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann.

     3.- Dem Begehren des Beschwerdeführers um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege ist zu entsprechen, da die in
Art. 152 Abs. 1 und 2 OG genannten Voraussetzungen erfüllt
sind.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf eingetreten werden kann.

     2.- Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche
Rechtspflege gewährt:

        a) Es werden keine Kosten erhoben.

        b) Rechtsanwalt Dr. Guido Hensch, Zürich, wird als
amtlicher Anwalt des Beschwerdeführers bezeichnet und für
das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse
mit Fr. 1'500.-- entschädigt.

     3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Be-
zirksanwaltschaft Zürich, Büro A-8, und dem Haftrichter des
Bezirksgerichts Zürich schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 11. April 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                  Die Gerichtsschreiberin: