Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.192/2001
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1P.192/2001/zga

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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                        14. Mai 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung,
Bundesrichter Nay, Bundesrichter Aeschlimann und
Gerichtsschreiber Störi.

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                         In Sachen

X.________, Beschwerdeführer,

                           gegen

Y.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Andreas Tinner, Hermannweg 4, Winterthur,
Gemeinderat  B a s s e r s d o r f,
Verwaltungsgericht des Kantons  Z ü r i c h,

                         betreffend
                Art. 29 BV (Baubewilligung)

hat sich ergeben:

     A.- Der Gemeinderat Bassersdorf erteilte Y.________
am 10. August 1999 die Bewilligung für die Erstellung eines
Mehrfamilienhauses auf dem in der Kernzone gelegenen Grund-
stück Kat. Nr. 275.

        Mit einer als "Aufsichtsbeschwerde/Rekurs" bezeich-
neten Eingabe an "Frau Regierungsrätin Dorothée Fierz, Bau-
direktorin des Kantons Zürich" vom 30. September 1999 bean-
tragte X.________:

     "1. Die Baubewilligung sei aufsichtsrechtlich aufzuheben
         und der Gemeinderat anzuweisen, i.S. des Gutachtens
         Nr. 18-1998 v. 15.2.1999 der Natur- u. Heimatschutz-
         kommission des Kts. Zürich eine evtl. neue Projekt-
         eingabe nur noch gemäss den Schlussfolgerungen auf
         S. 3 des Gutachtens zu bewilligen;

      2. Die Aufsichtsbeschwerde sei primär zu erledigen und
         das Rekursverfahren vorläufig zu sistieren, zumal
         die ergänzte Rekursfrist noch nicht abgelaufen ist;

      3. In einem allfälligen Rekursverfahren sei die Baube-
         willigung aufzuheben;

      4. .. (Kostenfolgen zu Lasten der Gemeinde Bassersdorf)."

        Die Baudirektion des Kantons Zürich teilte X.________
am 23. November 1999 mit, es bestehe kein Grund für ein auf-
sichtsrechtliches Einschreiten und überwies seine Eingabe in
Anwendung von § 5 Abs. 2 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes
vom 24. Mai 1959 (VRG) zuständigkeitshalber an die Baurekurs-
kommission IV.

        Die Baurekurskommission IV des Kantons Zürich be-
handelte die Eingabe von X.________ am 22. Juni 2000 als

Rekurs. Sie kam zum Schluss, das angefochtene Bauprojekt sei
klarerweise nicht bewilligungsfähig, hiess den Rekurs gut
und hob die Baubewilligung des Gemeinderates Bassersdorf vom
10. August 1999 auf.

        Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hiess am
25. Januar 2001 die Verwaltungsgerichtsbeschwerde von
Y.________ gegen diesen Entscheid der Baurekurskommission IV
gut, hob ihn auf und stellte die Baubewilligung des Gemein-
derats Bassersdorf vom 10. August 1999 wieder her. Es erwog,
entgegen der Auffassung der Baurekurskommission könne die
Eingabe von X.________ vom 30. September 1999 nur als Auf-
sichtsbeschwerde, nicht als Kombination von Rekurs und Auf-
sichtsbeschwerde aufgefasst werden. Innerhalb der Rechts-
mittelfrist sei deshalb kein Rekurs erhoben worden. Der an-
gefochtene Entscheid sei schon aus diesem Grund aufzuheben.
Im Übrigen setze die Überweisung eines bei einer unzuständi-
gen Behörde eingegangenen Rechtsmittels an die zuständige
nach § 5 Abs. 2 VRG voraus, dass die Eingabe irrtümlicher-
weise an die unzuständige Stelle erfolgt sei. Davon könne im
vorliegenden Fall keine Rede sein, da die Baubewilligung der
Gemeinde Bassersdorf entsprechend der Regel von § 10 Abs. 2
VRG eine klare und eindeutige Rechtsmittelbelehrung enthal-
ten habe, die der in der Anfechtung von kommunalen Verfügun-
gen erfahrene X.________ nicht habe missverstehen können.

     B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 13. März 2001
wegen "willkürlichem, überspitztem und ausgrenzendem Forma-
lismus" beantragt X.________, den Entscheid des Verwaltungs-
gerichts vom 25. Januar 2001 aufzuheben. Ausserdem ersucht
er, einen zweiten Schriftenwechsel durchzuführen, ihm keine
Kosten aufzuerlegen und der Beschwerde aufschiebende Wirkung
zuzuerkennen.

        Y.________ beantragt in der Vernehmlassung, das
Gesuch um aufschiebende Wirkung abzulehnen und die Beschwerde
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Ver-
waltungsgericht Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen,
soweit darauf einzutreten sei. Die Gemeinde Bassersdorf ver-
zichtet auf Vernehmlassung.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Beim angefochtenen Urteil des Verwaltungsge-
richts handelt es sich um einen letztinstanzlichen kanto-
nalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer
rügt, das Verwaltungsgericht sei auf willkürliche bzw. über-
spitzt formalistische Weise zum Schluss gekommen, er habe
innert Frist nicht gegen die von der Gemeinde Bassersdorf
seinem Beschwerdegegner erteilte Baubewilligung rekurriert;
damit wirft er dem Verwaltungsgericht sinngemäss eine Ver-
letzung von Verfahrensrechten vor, deren Missachtung eine
formelle Rechtsverweigerung darstellt. Dazu ist er befugt
(Art. 88 OG; BGE 126 I 81 E. 3b; 114 Ia 307 E. 3c mit Hin-
weisen). Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen
erfüllt sind, ist auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt
gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 126
I 81 E. 1; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten.

        b) Das Bundesgericht prüft frei, ob eine formel-
le Rechtsverweigerung vorliegt (BGE 125 I 166 E. 3a; 121 I
177 E. 2b/aa; 120 II 425 E. 2a; 119 Ia 4 E. 2a). Der vom
Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ebenfalls erhobenen
Willkürrüge kommt daher keine selbständige Bedeutung zu.

     2.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe
sich mit seiner Eingabe vom 30. September 1999 "doppelt
absichern" und deshalb gleichzeitig Rekurs und Aufsichts-
beschwerde erheben wollen. Die Auslegung des Verwaltungs-
gerichts, wonach er einzig Aufsichtsbeschwerde habe erhe-
ben wollen, sei willkürlich und überspitzt formalistisch.

        b) Aus der Eingabe des Beschwerdeführers vom
30. September 1999 ergibt sich in der Tat zweifelsfrei,
dass er sowohl Aufsichtsbeschwerde als auch Rekurs erhe-
ben wollte. Dafür sprechen der Titel der Eingabe als "Auf-
sichtsbeschwerde/Rekurs", die Bezeichnung der Gegenpartei
als "Beschwerdegegner/Rekursgegner" und die Rechtsbegehren,
mit denen er beantragt, die Baubewilligung aufsichtsrecht-
lich aufzuheben (Ziff. 1), die Aufsichtsbeschwerde primär
zu erledigen und das Rekursverfahren vorläufig zu sistieren
(Ziff. 2), in einem allfälligen Rekursverfahren die Baube-
willigung aufzuheben (Ziff. 3) und die Kosten beider Ver-
fahren der Gemeinde aufzuerlegen (Ziff. 4).

        c) Dies anerkennt auch das Verwaltungsgericht,
meint aber, aus der folgenden Ziff. 12 der Begründung ab-
leiten zu müssen, dass die Eingabe doch bloss als Aufsichts-
beschwerde gemeint sei:

     "Diese "absolut unmögliche" Baubewilligung ist daher
      aufsichtsrechtlich aufzuheben (..). Nötigenfalls
      müsste auch auf einem sich evtl. später aufdrängenden
      Rechtswege diese grob-widerrechtliche Baubewilligung
      aufgehoben werden."

Diese Auslegung des Verwaltungsgerichts ist nicht haltbar.
Aus der gesamten Eingabe ergibt sich mit genügender Klarheit
die Auffassung des Beschwerdeführers, wonach er die dem Be-
schwerdegegner erteilte Baubewilligung für derart krass rechts-
widrig hält, dass sie bereits aufsichtsrechtlich aufgehoben

werden müsste. Zu diesem Zweck erhob er Aufsichtsbeschwerde
an die für deren Behandlung zuständige Baudirektion und ver-
langte, dass sie primär behandelt werde (Antrag Ziff. 2).
Für den Fall, dass diesem Rechtsmittel keine Folge gegeben
werden sollte, verlangte er aus dieser Sicht folgerichtig,
dass die Baubewilligung in einem "allfälligen" - was im Ge-
samtzusammenhang ohne weiteres als für den Fall zu verstehen
ist, dass wider Erwarten aufsichtsrechtlich nicht (auch nicht
vor Ablauf der "ergänzten" Rekursfrist) eingeschritten würde -
Rekursverfahren aufzuheben sei (Antrag Ziff. 3). In diesem
Zusammenhang kann auch die vorstehend zitierte Ziff. 12 der
Begründung entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts
nicht so verstanden werden, dass es sich beim sich "evtl.
später aufdrängenden Rechtswege" um das von ihm bereits ein-
geleitete Rekursverfahren handelt, das er dann erst nach ge-
scheitertem Aufsichtsbeschwerdeverfahren einleiten würde. Das
würde im Widerspruch zu seinen klaren Rechtsbegehren stehen
und damit vorerst nur die Frage aufwerfen, welche der bei-
den Aussagen die richtige sei. Es erlaubte aber noch nicht
die sichere Annahme, der Beschwerdeführer habe nur Aufsichts-
beschwerde erheben wollen. Diese Begründung kann jedoch da-
hingehend verstanden werden, die Baubewilligung sei so krass
widerrechtlich, dass sie eventuell gar auf einem späteren
"Rechtsweg" - nicht Rekursweg, sondern z.B. Rücknahme von
Amtes wegen, - aufgehoben werden müsste. Auf diese Weise
lässt sich die Eingabe widerspruchsfrei verstehen, was im
Zweifel zu erfolgen hat. Nach Treu und Glauben und im Sinne
der in Art. 29 Abs. 1 BV garantierten gerechten Behandlung
im Verfahren vor Gerichtsinstanzen hätte das Verwaltungsge-
richt daher von einer gleichzeitigen Erhebung einer Auf-
sichtsbeschwerde und eines Rekurses ausgehen müssen.

        d) In seiner Eventualbegründung stellt sich das
Verwaltungsgericht auf den Standpunkt, die Überweisung nach

§ 5 Abs. 2 VRG setze voraus, dass die Eingabe irrtümlich
bei der falschen Stelle erhoben werde. Das sei vorliegend
nicht der Fall.

        Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, eine
Eingabe an eine unzuständige Verwaltungsbehörde sei nach
§ 5 Abs. 2 VRG nur dann fristwahrend und von Amtes wegen
an die zuständige Behörde zu überweisen, wenn die Fehlzu-
stellung auf einem Irrtum beruhe und nicht bewusst erfolgt
sei, ist nicht zu beanstanden (Alfred Kölz/Jürg Bosshart/
Martin Röhl, Kommentar zum VRG, 2. A. Zürich 1999, N. 37 zu
§ 5). Hingegen geht es nicht an, leichthin anzunehmen, die
Eingabe sei bewusst an die unzuständige Stelle erfolgt. Der
in § 5 Abs. 2 VRG festgehaltene allgemeine prozessuale Grund-
satz, wonach der Rechtssuchende nicht ohne Not um die Beur-
teilung seines Rechtsbegehrens durch die zuständige Instanz
gebracht werden soll (Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O. N. 32 zu
§ 5) würde völlig ausgehöhlt, wenn ein Rechtsmittel nur dann
an die zuständige Instanz überwiesen würde, wenn es aufgrund
eines unverschuldeten Irrtums an die falsche Instanz gerich-
tet wurde.

        Das Verwaltungsgericht geht davon aus, der pro-
zesserfahrene Beschwerdeführer habe aufgrund der Rechts-
mittelbelehrung der angefochtenen Baubewilligung genau ge-
wusst, dass er den Rekurs bei der Baurekurskommission IV,
und nicht bei der Baudirektion hätte einreichen müssen. Das
trifft wohl zu. Nur hat er eben in einer kombinierten Ein-
gabe sowohl Aufsichtsbeschwerde als auch Rekurs erhoben in
der Meinung, dass zunächst erstere zu beurteilen sei und der
Rekurs nur nach ihrem allfälligen Scheitern zu behandeln
sei. Es ist unter diesen Umständen nicht ganz abwegig, das
kombinierte Rechtsmittel nur bei der für das primär zu be-
handelnde Rechtsmittel zuständigen Behörde einzureichen. Es

bestehen jedenfalls entgegen der Auffassung des Verwaltungs-
gerichts keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdefüh-
rer wusste, dass dies nicht zulässig ist, und mit diesem Vor-
gehen irgendwelche sachfremde Ziele erreichen wollte. Es ist
im Übrigen auch nicht ersichtlich, was er mit diesem Vorgehen
hätte gewinnen können, wenn es ihm tatsächlich um Obstruktion
und Behinderung seines Nachbarn durch mutwillige Einreichung
von Rechtsmitteln gegangen wäre. Von trölerischer Rekurser-
hebung kann ohnehin keine Rede sein, hat doch die Baurekurs-
kommission IV den Beschwerdeführer in seiner Auffassung, das
umstrittene Bauprojekt sei klarerweise nicht bewilligungsfä-
hig, voll bestätigt. Mit seiner Auffassung, der Beschwerde-
führer habe gegen die Baubewilligung der Gemeinde Bassersdorf
vom 10. August 1999 gar nicht rechtsgültig rekurriert, hat das
Verwaltungsgericht somit eine formelle Rechtsverweigerung be-
gangen. Die Rüge ist begründet.

     3.- Die Beschwerde ist somit gutzuheissen. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdegegner die Kosten
(Art. 156 OG). Eine Parteientschädigung steht dem nicht an-
waltlich vertretenen Beschwerdeführer dagegen praxisgemäss
nicht zu.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Beschwerde wird gutgeheissen und der ange-
fochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
Zürich vom 25. Januar 2001 aufgehoben.

     2.- Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem
Beschwerdegegner auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird den beiden Parteien sowie
dem Gemeinderat Bassersdorf und dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 14. Mai 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: