Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.177/2001
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1P.177/2001/bmt

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                      12. Oktober 2001

Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Aeschlimann, Bundesrichter Favre und Gerichts-
schreiberin Widmer.

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                         In Sachen

N.________, Brasilien, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Advokat Prof. Dr. Pascal Simonius, Aeschenvorstadt 67,
Postfach, Basel,

                           gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons  B a s e l - S t a d t,
Appellationsgericht des Kantons  B a s e l - S t a d t,
Ausschuss,

                         betreffend
                      Art. 9 und 26 BV
       (Willkürliche Beweiswürdigung; Konfiskation),

hat sich ergeben:

     A.- N.________ besitzt bei der Bank X.________ & Cie.,
Basel, ein Konto und ein Wertschriftendepot, jeweils unter
Nr. 1.... Im Juni 1997 teilte die Bank der Staatsanwalt-
schaft Basel-Stadt mit, dass sie seit April 1988 für
H.________ und seit März 1995 für deren Mutter N.________
je ein Konto führe (Nrn. 2... bzw. 1...), wobei H.________
über letzteres eine Vollmacht aufweise. Auf den beiden
Konten lägen Vermögenswerte von ca. 3,15 Mio. US$. Aufgrund
von Meldungen über G.________, den Lebensgefährten von
H.________, sowie nach einer Untersuchung der Kontenbewe-
gungen bestehe der Verdacht, dass diese Vermögenswerte aus
dem Drogenhandel der kriminellen Organisation Curica stamm-
ten. Die Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Ermitt-
lungsverfahren gegen H.________ und beschlagnahmte mit Ver-
fügung vom 1. Juli 1997 die beiden Konten Nrn. 2... und 1...
inklusive das Wertschriftendepot. Nach Abschluss der Ermitt-
lungen stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren
ein, beantragte jedoch die selbständige Einziehung der Ver-
mögenswerte. Die Strafgerichtspräsidentin konfiszierte mit
Urteil vom 14. Oktober 1999 die beiden Konten und das Depot
gestützt auf Art. 59 Ziff. 3 StGB und § 84 der Strafpro-
zessordnung des Kantons Basel-Stadt vom 8. Januar 1997
(StPO/BS).

        H.________ und N.________ erhoben Appellation gegen
die richterlich angeordnete Einziehung. Das Appellations-
gericht bestätigte in seinem Urteil vom 29. November 2000
die Einziehung und wies die Appellation der beiden Konto-
inhaberinnen ab.

     B.- N.________ beantragt mit staatsrechtlicher Be-
schwerde die Aufhebung des Urteils des Appellationsgerichts.
Sie macht geltend, die auf dem Konto und Wertpapierdepot
Nr. 1... liegenden Vermögenswerte seien ohne sachlichen
Grund eingezogen worden; darin liege ein Verstoss gegen
das Willkürverbot (Art. 9 BV). Für die Dauer des Verfah-
rens ersucht sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung.

        Das Appellationsgericht hat einlässlich zur Be-
schwerde Stellung genommen, ohne einen konkreten Antrag zu
stellen. Die Staatsanwaltschaft schliesst auf Nichteintre-
ten, eventualiter auf Abweisung der Beschwerde.

     C.- Der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abtei-
lung hat der Beschwerde mit Verfügung vom 4. April 2001 die
aufschiebende Wirkung erteilt.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der
ihm eingereichten Beschwerden von Amtes wegen und mit
freier Kognition (BGE 127 III 41 E. 2a; 126 I 81 E. 1;
126 III 274 E. 1).

        b) Im angefochtenen Entscheid wird die Einziehung
der auf dem Konto und Wertpapierdepot Nr. 1... der Bank
X.________ & Cie., Basel, liegenden Vermögenswerte bestä-
tigt. Die Beschwerdeführerin hat als Inhaberin dieses
Kontos und Wertschriftendepots ein rechtlich geschütztes
Interesse (Art. 26 BV), den Entscheid mit staatsrecht-
licher Beschwerde anzufechten (Art. 88 OG) und eine Ver-
letzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) zu rügen (Art. 84

Abs. 2 OG). Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen für
eine staatsrechtliche Beschwerde sind - unter Vorbehalt des
in E. 1c und d hiernach Erwogenen - erfüllt.

        c) Die Beschwerdeführerin deutet an, es sei nicht
ausreichend bewiesen, dass ihre Tochter einer kriminellen
Organisation angehöre. Die kantonalen Behörden hätten bei
dieser Annahme anonyme Kenntnisquellen verwertet, obwohl
dies nach § 93 Abs. 3 StPO/BS grundsätzlich verboten sei.
Diesen Hinweis macht sie bei der Darstellung des Sachver-
halts (Beschwerde, S. 5), greift diesen Punkt aber bei den
rechtlichen Ausführungen zum Willkürverbot nicht wieder auf.
Das Bundesgericht prüft auf staatsrechtliche Beschwerde hin
jedoch nur Rügen, die klar und detailliert erhoben werden;
es untersucht nicht von Amtes wegen, ob ein kantonaler Ho-
heitsakt verfassungswidrig ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG;
BGE 125 I 71 E. 1c S. 76; 122 I 70 E. 1c). Sollte der er-
wähnte Vorwurf als eigentliche Rüge zu verstehen sein, könn-
te darauf nicht eingetreten werden, da es an einer entspre-
chenden Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefoch-
tenen Entscheids fehlt.

        d) Die umstrittene Konfiskation wird auf Art. 59
Ziff. 3 StGB gestützt, wonach der Richter die Einziehung
aller Vermögenswerte verfügt, die der Verfügungsmacht einer
kriminellen Organisation unterliegen. Diese Bestimmung re-
gelt die Beweislast in besonderer Weise: Bei Vermögenswerten
einer Person, die sich an einer kriminellen Organisation
beteiligt oder eine solche unterstützt hat (Art. 260ter),
wird die Verfügungsmacht der Organisation bis zum Beweis des
Gegenteils vermutet. Vorliegend wird der Beschwerdeführerin
nicht zur Last gelegt, sich selbst an einer kriminellen Or-
ganisation beteiligt oder eine solche unterstützt zu haben;
ein solcher Vorwurf wird allein ihrer Tochter H.________
gemacht. Diese soll Mitglied einer Organisation sein, die
in grossen Mengen mit Betäubungsmitteln handelt. Die

Einziehung gründet mithin auf der Annahme, die Beschwerde-
führerin habe mittels der im März 1995 ihrer Tochter aus-
gestellten generellen Bankvollmacht einer kriminellen Orga-
nisation Vermögenswerte zur Verfügung gestellt. Obwohl die
Beschwerdeführerin davon auszugehen scheint, die der Einzie-
hung zugrunde liegende Auslegung von Art. 59 Ziff. 3 StGB
sei zutreffend (Beschwerde, S. 6), beschränken sich ihre
Rügen nicht auf Schlussfolgerungen tatsächlicher Art. Hin-
sichtlich der Frage, ob die Organisation Curica Verfügungs-
macht über ihr Vermögen habe, stellt sie Überlegungen recht-
licher Natur an, wenn sie vorbringt, aus der ihrer Tochter
im Jahr 1995 eingeräumten Vollmacht könne keine Verfügungs-
macht im Sinn der erwähnten Bestimmung abgeleitet werden
(Beschwerde, S. 12), es komme vielmehr auf die Herkunft des
Vermögens sowie auf die Art und das Ausmass der von der Toch-
ter veranlassten Kontenbewegungen an (Beschwerde, S. 7 ff.).
Auch das Argument, mit der Verhaftung der gesamten Leitung
und insbesondere des Anführers der kriminellen Organisation
sei diese als nicht mehr existent zu betrachten, betrifft
nicht unmittelbar Fragen der Beweiswürdigung, sondern die
Anwendung eidgenössischen Strafrechts. Die entsprechenden
Vorbringen hätten mit Nichtigkeitsbeschwerde erhoben werden
müssen (Art. 269 BStP). Insoweit kann auf die staatsrecht-
liche Beschwerde nicht eingetreten werden.

     2.- a) Zu prüfen bleibt, ob die im angefochtenen Ent-
scheid enthaltenen Sachverhaltsannahmen zum Fortbestehen der
Organisation Curica willkürlich sind. Willkür liegt nach der
Rechtsprechung nicht schon vor, wenn eine andere Lösung
ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre.
Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen
materieller Rechtsverweigerung nur auf, wenn er offensicht-
lich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem

Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt sodann
nur vor, wenn der Entscheid nicht bloss in der Begründung,
sondern auch im Ergebnis unhaltbar ist (BGE 127 I 54 E. 2b,
60 E. 5a S. 70, je mit Hinweisen).

        b) Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, es
lägen für die Vermutung, die kriminelle Organisation bestehe
fort, keine ausreichenden tatbeständlichen Anhaltspunkte
vor. Die leitenden Mitglieder der Organisation seien im Juni
1994 auf einer Farm im brasilianischen Staat Tocantins fest-
genommen worden, und G.________, das Haupt der Organisation,
sei nach seiner Flucht im Mai 1997 erneut verhaftet worden.
Das Appellationsgericht weist im angefochtenen Entscheid
darauf hin, dass die Organisation auch bei der erstmaligen
Inhaftierung von G.________ sowie während dessen Flucht nach
Europa ihre Tätigkeit fortgesetzt habe. Gestützt auf die
Aussagen eines Agenten der amerikanischen Drug Enforcement
Agency (DEA) geht es davon aus, dass die Mitglieder der
Organisation nur bei Kokaintransporten zusammenwirkten, im
Übrigen aber anderen Beschäftigungen nachgingen, weshalb
selbst bei momentaner Inaktivität nicht auf die Liquidation
der Organisation geschlossen werden könne. Aufgrund der
dichten Struktur der Organisation sei zudem höchst unwahr-
scheinlich, dass diese seit der Festnahme einzelner Personen
die deliktische Tätigkeit endgültig eingestellt habe. Die
vom Appellationsgericht angeführten Argumente sind stichhal-
tig und nachvollziehbar; was die Beschwerdeführerin dagegen
vorbringt, erschöpft sich in blossen Mutmassungen. Die
Annahme, die kriminelle Organisation bestehe fort, beruht
somit nicht auf einer willkürlichen Würdigung der Beweise.

     3.- Demnach ist die Beschwerde abzuweisen, soweit dar-
auf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfah-

rens sind die Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen
(Art. 156 Abs. 1 i.V.m. Art. 153a Abs. 1 und 2 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf eingetreten werden kann.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 10'000.-- wird der
Beschwerdeführerin auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der
Staatsanwaltschaft und dem Appellationsgericht (Ausschuss)
des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 12. Oktober 2001

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
      Der Präsident:         Die Gerichtsschreiberin: