I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.150/2001
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1P.150/2001/boh I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG ********************************** 15. März 2001 Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes- richter Aeschlimann, Ersatzrichterin Pont Veuthey und Gerichtsschreiberin Leuthold. --------- In Sachen X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler, Zollikerstrasse 141, Zürich, gegen Bezirksanwaltschaft M e i l e n, Büro C, Haftrichterin des Bezirksgerichts M e i l e n, betreffend Art. 9 und Art. 10 Abs. 2 BV (Haftentlassung), hat sich ergeben: A.- Die Bezirksanwaltschaft Meilen führt gegen den tunesischen Staatsangehörigen X.________ eine Strafunter- suchung wegen Verdachts einer schweren Körperverletzung. Es wird ihm vorgeworfen, er habe am Abend des 20. November 2000 in Uerikon auf offener Strasse A.________ mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. X.________ gibt zu, mit einem Messer auf Frau A.________ eingestochen zu haben. Hinsicht- lich der Umstände, welche dieser Tat vorausgingen, weicht seine Darstellung von derjenigen des Opfers ab. Der Ange- schuldigte befindet sich seit dem 25. November 2000 in Un- tersuchungshaft. Am 13. Februar 2001 stellte er ein Gesuch um Haftentlassung. Die Bezirksanwaltschaft beantragte dem Haftrichter des Bezirkes Meilen in einer Eingabe vom 13. Februar 2001, die Untersuchungshaft sei ab 25. Februar 2001 um weitere drei Monate zu verlängern und das Haftent- lassungsgesuch sei abzuweisen. Mit Verfügung vom 15. Februar 200l wies die Haftrichterin des Bezirkes Meilen das Haftent- lassungsgesuch vom 13. Februar 2001 ab und bewilligte die Fortsetzung der Untersuchungshaft über den 25. Februar 2001 hinaus bis auf weiteres. B.- X.________ liess am 23. Februar 2001 gegen diesen Entscheid durch seinen Anwalt staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht einreichen. Er beantragt, die angefoch- tene Verfügung vom 15. Februar 2001 sei aufzuheben und es sei seine sofortige Freilassung anzuordnen; eventuell sei die Haftrichterin anzuweisen, eine Ersatzmassnahme wie Pass- und Schriftensperre anzuordnen und ihn danach aus der Haft zu entlassen. Ausserdem ersucht er um Gewährung der unent- geltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfah- ren. C.- Die Bezirksanwaltschaft Meilen und die Haftrich- terin des Bezirksgerichts Meilen verzichteten auf eine Ver- nehmlassung. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- a) Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde, die sich gegen die Abweisung eines Haftentlassungsgesuchs richtet, kann in Abweichung vom Grundsatz der kassatorischen Natur der Beschwerde nicht nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern ausserdem die Entlassung aus der Haft, allenfalls unter Anordnung von Ersatzmassnahmen, verlangt werden (BGE 124 I 327 E. 4b/aa S. 332 f.; 115 Ia 293 E. 1a S. 297, je mit Hinweisen). Die mit der vorliegenden Be- schwerde gestellten Anträge sind daher zulässig. b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 90 OG muss die Begründung einer staatsrechtlichen Be- schwerde in der Beschwerdeschrift selber enthalten sein (BGE 115 Ia 27 E. 4a S. 30 mit Hinweisen). Soweit sich der Beschwerdeführer auf seine Ausführungen in der an die kan- tonale Behörde gerichteten Eingabe vom 14. Februar 2001 be- ruft, kann darauf nicht eingetreten werden. 2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die Abweisung seines Haftentlassungsgesuchs verletze das Recht auf per- sönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und das Willkürverbot (Art. 9 BV). a) Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen Fortdauer der Haft oder Ablehnung eines Haftentlas- sungsgesuchs erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hin- blick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwen- dung des entsprechenden kantonalen Rechts frei. Soweit je- doch reine Sachverhaltsfeststellungen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht grundsätzlich nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 123 I 31 E. 3a S. 35, 268 E. 2d S. 271, je mit Hinweisen). Der Berufung auf das Willkürverbot kommt im vorliegenden Fall neben der Rüge der Verletzung der persönlichen Freiheit keine selbständige Bedeutung zu. b) Nach § 58 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich (StPO) ist die Anordnung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem Flucht-, Kollusions- oder Fortsetzungsgefahr be- steht. Der Beschwerdeführer bestreitet mit Recht nicht, dass die allgemeine Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts gegeben ist. Hingegen wirft er der Haftrichterin vor, sie habe in verfassungswidriger Weise angenommen, es bestehe so- wohl Fortsetzungs- als auch Fluchtgefahr. c) Zur Frage der Fortsetzungsgefahr wurde im ange- fochtenen Entscheid ausgeführt, der Beschwerdeführer habe im Juni 1997 vorsätzlich Hilfe geleistet, zwei minderjährigen Mädchen die Freiheit zu entziehen, indem er sie eingeschüch- tert und die Drohungen des Haupttäters durch Androhung von Schlägen mit einem Ledergurt unterstrichen habe; er sei des- halb der Gehilfenschaft zu Freiheitsberaubung schuldig ge- sprochen worden. Sodann habe sich der Beschwerdeführer im März 1999 der vorsätzlichen einfachen Körperverletzung, der Beschimpfung sowie der Gewalt und Drohung gegen Beamte schuldig gemacht, wofür er ebenfalls bestraft worden sei. Im Weiteren habe der Beschwerdeführer gemäss Anklageschrift der Bezirksanwaltschaft Meilen vom 9. August 2000 B.________ im Januar 2000 gedroht, ihn und dessen Familie zu töten sowie dessen Frau zu vergewaltigen; er habe ihn in der Folge rück- wärts in den Hauseingang gestossen, so dass B.________ auf die ansteigende Treppe gefallen und dabei verletzt worden sei. Die Bezirksanwaltschaft habe diese Anklage lediglich zwecks Vereinigung mit dem pendenten Verfahren und Wieder- einreichung zurückgezogen. Die Haftrichterin hielt fest, bei schweren Einzeltaten genüge für die Annahme der Fortset- zungsgefahr eine kleinere Anzahl verübter Delikte. Im vor- liegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass die Gewaltbe- reitschaft des Beschwerdeführers im Lauf der letzten 3 bis 4 Jahre offensichtlich immer mehr angestiegen sei. Es be- stünden somit klare Anhaltspunkte, die ernsthaft befürchten liessen, der Beschwerdeführer werde erneut gewalttätig. Der Haftgrund der Fortsetzungsgefahr sei daher zu bejahen. aa) In der staatsrechtlichen Beschwerde wird einge- wendet, die Haftrichterin habe § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO zu eng ausgelegt. Nach dieser Vorschrift müsse der Angeschul- digte bereits zahlreiche Verbrechen oder erhebliche Vergehen verübt haben, damit Wiederholungsgefahr angenommen werden könne. Der Beschwerdeführer weise zwei einschlägige Vor- strafen vom 30. September 1997 und 30. April 1999 (Verurtei- lung zu bedingten Gefängnisstrafen von 6 und 10 Wochen) auf, doch handle es sich nicht um gravierende Fälle. Im pendenten Strafverfahren betreffend Handlungen, die der Beschwerde- führer zum Nachteil von B.________ begangen haben solle, stehe Aussage gegen Aussage, und die Bezirksanwaltschaft habe in der Anklageschrift nur 40 Tage Gefängnis sowie die Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit und einer Verwarnung bezüglich der früheren bedingt ausge- fällten Strafen beantragt. Dies bedeute, dass "alle Vorstra- fen schon bereits aufgrund des ausgesprochenen Strafmasses bzw. auch des Strafantrages des untersuchenden Bezirksanwal- tes (40 Tage Gefängnis) reine Bagatellen darstellen" würden und daher die Wiederholungsgefahr nicht zu begründen ver- möchten. bb) Der Haftgrund der Fortsetzungsgefahr setzt nach § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO voraus, dass aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, der Ange- schuldigte werde, "nachdem er bereits zahlreiche Verbrechen oder erhebliche Vergehen verübt hat, erneut solche Straf- taten begehen". Zu den verübten Taten gehören strafbare Handlungen, aufgrund welcher eine Verurteilung erfolgt ist, sowie Delikte, die Gegenstand eines noch pendenten Strafver- fahrens bilden (Andreas Donatsch, in Donatsch/Schmid, Kom- mentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, 1. Liefe- rung, März 1996, N. 49 zu § 58 StPO; Niklaus Schmid, Straf- prozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1997, N. 701b, S. 210). Die Mindestzahl kann nicht in genereller Weise festgelegt wer- den. Sie hängt von der Schwere der verübten Straftaten ab (Donatsch, a.a.O., N. 50 zu § 58 StPO). Nach der Rechtspre- chung des Bundesgerichts ist Fortsetzungsgefahr zu bejahen, wenn einerseits die Rückfallprognose sehr ungünstig ist und anderseits die zu befürchtenden Delikte von schwerer Natur sind. Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung weite- rer Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur gering- fügige Straftaten verübt werden, reichen dagegen nicht aus (BGE 123 I 268 E. 2c S. 270). Der Beschwerdeführer wurde mit Strafbescheid des Bezirksamts See vom 30. September 1997 wegen Gehilfenschaft zu Freiheitsberaubung und weiterer Delikte zu einer Gefäng- nisstrafe von 6 Wochen verurteilt, wobei ihm der bedingte Strafvollzug gewährt und die Probezeit auf 2 Jahre angesetzt wurde. Das Bezirksamt hielt in der Begründung fest, der Be- schwerdeführer sei Anfang Juni 1997 dem Haupttäter behilf- lich gewesen, zwei minderjährige Mädchen während ca. 6 Stun- den festzuhalten, indem er sie eingeschüchtert und die Dro- hungen des Haupttäters durch Androhung von Schlägen mit einem Ledergurt unterstrichen habe. Mit einem weiteren Strafbescheid des Bezirksamts See vom 30. April 1999 wurde der Beschwerdeführer der vorsätzlichen einfachen Körperver- letzung, der Beschimpfung sowie der Gewalt und Drohung gegen Beamte schuldig erklärt und mit 10 Wochen Gefängnis, bedingt vollziehbar unter Ansetzung einer Probezeit von drei Jahren, bestraft. In den Erwägungen wurde ausgeführt, der Beschwer- deführer habe dem Geschädigten in einem Restaurant vorsätz- lich und grundlos einen Faustschlag auf das rechte Auge ver- setzt. Nachdem er durch die Polizei in Gewahrsam genommen worden sei, habe er die Polizeibeamten mit Schimpfwörtern tituliert; ausserdem habe er gegen sie Drohungen ("Ich bringe Euch alle um") ausgestossen und sei ihnen gegenüber tätlich geworden. Hinsichtlich des noch pendenten, auf An- zeige von B.________ hin eröffneten Strafverfahrens wurde in der (am 13. Dezember 2000 zwecks Vereinigung mit dem hängi- gen Verfahren und Wiedereinreichung zurückgezogenen) Anklage ausgeführt, der Beschwerdeführer habe B.________ am 26. Ja- nuar 2000 vor einer Liegenschaft im Verlaufe einer vornehm- lich verbalen Auseinandersetzung gedroht, er bringe ihn, seine Mutter und sein Baby um und werde seine Frau vergewal- tigen und umbringen; diese Drohungen habe der Beschwerde- führer dadurch unterstützt, dass er erklärt habe, er werde ein Messer holen; in der Folge habe er B.________ rückwärts in den Hauseingang der Liegenschaft gedrängt und ihn ge- stossen, so dass B.________ auf die ansteigende Treppe ge- fallen sei und sich dabei Verletzungen zugezogen habe. Im hier zur Diskussion stehenden Strafverfahren wird dem Be- schwerdeführer zur Last gelegt, er habe am Abend des 20. November 2000 A.________ auf offener Strasse mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. Mit Rücksicht auf dieses Verhalten des Beschwerde- führers hat die Haftrichterin mit Grund erwogen, seine Ge- waltbereitschaft sei im Laufe der letzten 3 bis 4 Jahre immer mehr angestiegen. Im hier in Frage stehenden Strafver- fahren geht es um den Vorwurf einer schweren Körperverlet- zung, die bei der Geschädigten lebensgefährliche Verletzun- gen zur Folge hatte. Der Beschwerdeführer hat zugegeben, mit einem Messer auf A.________ eingestochen zu haben. Wer mit einem Messer so auf eine Person einsticht, dass diese lebensgefährlich verletzt wird, begeht ein schweres Gewalt- delikt. Bei solchen Delikten dürfen an die Annahme von Wie- derholungsgefahr keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden, ansonst die potentiellen Opfer allfälliger neuer Ge- walttaten des Beschwerdeführers einem nicht verantwortbaren Risiko ausgesetzt wären (vgl. BGE 123 I 268 E. 2e S. 271). Was die Rückfallprognose angeht, so ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer die mit Strafbescheid vom 30. April 1999 beurteilten Delikte während der ihm im Ent- scheid vom 30. September 1997 angesetzten Probezeit beging, und dass auch die ihm in den beiden pendenten Strafverfahren zur Last gelegten Delikte in die ihm mit Strafbescheid vom 30. April 1999 angesetzte Probezeit fallen. In Anbetracht all dieser Umstände hat die Haftrichterin die Vorschrift von § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO nicht unrichtig ausgelegt, wenn sie annahm, es bestünden klare Anhaltspunkte, die ernsthaft be- fürchten liessen, der Beschwerdeführer werde erneut gewalt- tätig. Sie verletzte daher das Grundrecht der persönlichen Freiheit nicht, wenn sie zum Schluss gelangte, der Haftgrund der Fortsetzungsgefahr sei im vorliegenden Fall zu bejahen. d) Da es für die Fortdauer der Haft genügt, wenn ein einziger besonderer Haftgrund (neben der allgemeinen Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts) vorliegt, kann dahingestellt bleiben, ob auch die Annahme der Haft- richterin, es bestehe zudem Fluchtgefahr, vor der Verfassung standhält. e) Ob Ersatzmassnahmen wie Pass- und Schriften- sperre angeordnet werden können, sind Fragen, die auf den Haftgrund der Fluchtgefahr zugeschnitten sind. Im Zusammen- hang mit der Wiederholungsgefahr kommt ihnen keine entschei- dende Bedeutung zu. Angesichts der Drohungen und des bis- herigen Verhaltens des Beschwerdeführers lässt sich der Ge- fahr für Leib und Leben von Menschen bei der heutigen Akten- lage mit dem blossen Anordnen von Ersatzmassnahmen nicht ausreichend begegnen. Nach dem Gesagten ist die staatsrechtliche Be- schwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 3.- Dem Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 152 Abs. 1 und 2 OG kann mit Rücksicht auf die gesamten Umstände des Falles entsprochen werden. Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 2.- Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt: a) Es werden keine Kosten erhoben. b) Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler, Zürich, wird als amtlicher Anwalt des Beschwerdeführers bezeichnet und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'800.-- entschädigt. 3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Be- zirksanwaltschaft Meilen, Büro C, und der Haftrichterin des Bezirksgerichts Meilen schriftlich mitgeteilt. ______________ Lausanne, 15. März 2001 Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: