Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 50/1999
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B 50/99 Gi

                         I. Kammer

Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Borella, Meyer
und Ferrari; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold

                Urteil vom 14. August 2000

                         in Sachen

Personalvorsorgestiftung Tornado AG, Sternenhofstras-
se 15 a, Reinach/BL, Beschwerdeführerin, vertreten durch
die B + B Vorsorge-Experten AG, Bahnhofstrasse 49, Rüschli-
kon,

                           gegen

M.________, 1965, Beschwerdegegner, vertreten durch den
Aki-Rechtsdienst, St. Jakobstrasse 40, Basel,

                            und

Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt, Basel

     A.- M.________ (geboren 1965) war vom 13. Dezember
1993 bis 30. Juni 1995 in der Firma B.________ AG im Kun-
dendienst angestellt und dadurch bei der Personalvorsorge-
stiftung Tornado AG (nachfolgend: Stiftung) versichert.
Wegen der Folgen einer Erkrankung an Multipler Sklerose

sprach ihm die Eidgenössische Invalidenversicherung
(IV-Stelle Basel-Stadt) mit Verfügung vom 9. April 1997
rückwirkend ab 1. Januar 1997 eine ganze Invalidenrente zu,
dies im Anschluss an eine mit Taggeldern begleitete Ein-
gliederungsperiode, in welche der Ablauf der einjährigen
Wartezeit (September 1996) fiel.
     Das Gesuch um Zusprechung einer Invalidenrente lehnte
die Stiftung (vertreten durch ihren Versicherer, die Provi-
dentia) mit Schreiben vom 22. Oktober 1997 zunächst mit der
Begründung ab, die Erwerbsunfähigkeit sei bereits im Jahre
1992, als die Krankheit ausgebrochen sei, und damit vor
Eintritt in die Vorsorgeeinrichtung eingetreten, weshalb
die Vorsorgeeinrichtung der damaligen Arbeitgeberin, der
Firma V.________ AG, für den Invaliditätsfall zuständig
sei. Deren Vorsorgeeinrichtung, die Pensionskasse Auto- und
Zweirad-Gewerbe, lehnte jedoch ihrerseits ein entsprechen-
des Gesuch mit der Begründung ab, M.________ sei in der
Firma V.________ AG lediglich vom 14. Oktober 1991 bis zum
31. Oktober 1992 angestellt gewesen; eine Arbeitsunfähig-
keit bestehe jedoch erst ab September 1995 (Schreiben vom
12. Juni 1997).
     Die Stiftung, erneut um Zusprechung von Leistungen an-
gegangen, hielt an ihrem ablehnenden Standpunkt fest, dies-
mal jedoch mit der - gegenteiligen - Begründung, die Ar-
beitsunfähigkeit, welche zur Invalidität geführt habe, sei
frühestens im September 1995 eingetreten, somit nach Aus-
tritt aus der Firma, weshalb dafür kein Versicherungsschutz
bestehe (Schreiben vom 23. Januar 1998).

     B.- Die gegen die Stiftung erhobene Klage hiess das
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt gut, indem es
die Vorsorgeeinrichtung verpflichtete, M.________ eine In-
validenrente zu bezahlen, diese verzinst zu 5 % seit dem
3. November 1998 und unter Befreiung von der Beitrags-
pflicht für die Sparbeiträge an das Alterskapital (Ent-
scheid vom 19. August 1999).

     C.- Die Stiftung führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid auf-
zuheben und die Klage des M.________ abzuweisen.
     M.________ und das Bundesamt für Sozialversicherung
beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Kontrovers und zu prüfen ist einzig, ob in der
Zeit, da der Beschwerdegegner bei der Beschwerde führenden
Stiftung vorsorgeversichert war (bis 30. Juni 1995, zuzüg-
lich der 30-tägigen Nachdeckungsfrist, somit bis 30. Juli
1995), die durch die Multiple Sklerose bewirkte Arbeitsun-
fähigkeit eintrat, welche unbestrittenermassen später zur
Invalidität führte (Art. 23 in Verbindung mit Art. 10
Abs. 2 und 3 BVG; BGE 118 V 39 Erw. 2b/aa; bestätigt in SZS
41/1997 S. 67 Erw. 2a, 39/1995 S. 464 Erw. 3a und b; SVR
1995 BVG Nr. 43 S. 127 Erw. 2).

     2.- a) Die Beschwerdeführerin stellt auf den in der
Rentenverfügung der Eidgenössischen Invalidenversicherung
angegebenen Zeitpunkt des Ablaufs der Wartezeit nach
Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG ab, beruft sich auf die grund-
sätzliche Verbindlichkeitswirkung und hält dafür, diese
Festlegung des Invaliditätseintritts und damit der Beginn
der zur Invalidität führenden Wartezeit könne in Anbetracht
der wechselnden, widersprüchlichen, jedenfalls nicht über-
zeugenden Angaben des Prof. Dr. med. K.________, Leiter der
Neurologischen Universitäts-Poliklinik am Kantonsspital
B.________, nicht als offensichtlich unrichtig bezeichnet
werden.

     Beschwerdegegner, kantonales Gericht und Bundesamt
gehen demgegenüber davon aus, die Rechtsprechung habe die
Massgeblichkeit der IV-rechtlich erfolgten Festlegung der
Wartezeit relativiert. Im vorliegenden Fall sei auf Grund
der Angaben des Prof. Dr. med. K.________ anzunehmen, dass
schon während des bis 30. Juni 1995 dauernden Arbeitsver-
hältnisses die schubweise verlaufende Multiple Sklerose die
Arbeitsfähigkeit wiederholt erheblich beeinträchtigt habe
und der von der Rechtsprechung verlangte sachliche und
zeitliche Zusammenhang zum späteren Invaliditätseintritt
gegeben sei.

     b) Es trifft zu, dass der Beschluss der IV-Stelle im
Obligatoriumsbereich nicht nur in Bezug auf die Festlegung
des Invaliditätsgrades (Art. 28 Abs. 1 und 2 IVG), sondern
auch für den Eintritt der invalidisierenden Arbeitsunfähig-
keit (Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG) grundsätzlich verbindlich
ist (BGE 120 V 109 Erw. 3c; SZS 43/1999 S. 130 Erw. 1,
S. 149 Erw. 3, 41/1997 S. 68 Erw. 2b, je mit Hinweisen).
Von einer Abschwächung dieser Verbindlichkeitswirkung kann,
entgegen der Auffassung von Vorinstanz und Bundesamt, im
Lichte der Rechtsprechung nicht gesprochen werden. An ihr
ist festzuhalten, bezweckt sie doch, die Organe der beruf-
lichen Vorsorge von eigenen aufwändigen Abklärungen freizu-
stellen, wenn diese schon im Verfahren der Invalidenversi-
cherung durchgeführt worden sind.
     Indessen kann sich die Verbindlichkeitswirkung nur in
Bezug auf Feststellungen und Beurteilungen der IV-Organe
entfalten, die im IV-rechtlichen Verfahren für die Festle-
gung des Anspruches auf eine Invalidenrente entscheidend
sind. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Im Hinblick da-
rauf, dass einerseits der Beschwerdegegner bis Ende Juni
1995 in einem Arbeitsverhältnis gestanden hatte und ande-
rerseits sich auf seine Anmeldung zum Leistungsbezug bei
der Invalidenversicherung vom 1. Dezember 1995 hin einer
Abklärung und Eingliederung unterzog, die mit der Ausrich-

tung eines Taggeldes (Art. 22 IVG) verbunden war, bestand
für die IV-Stelle gar kein Anlass, der Frage einer allfäl-
ligen früheren Eröffnung der Wartezeit vor September 1995
nachzugehen. Die formularmässig attestierte 50%ige Arbeits-
unfähigkeit als kaufmännischer Angestellter ab September
1995 bis auf Weiteres (Bericht des Dr. med. I.________,
Spezialarzt für Allgemeine Medizin, B.________, vom 21. Ja-
nuar 1996) und in den Berichten des Kantonsspitals ist in
diesem Kontext zu würdigen. Im Rahmen des am 1. Dezember
1995 eingeleiteten IV-rechtlichen Abklärungsverfahrens
stellte sich für die Ärzte die Frage nach zurückliegenden
Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht, nach-
dem der Beschwerdegegner noch bis Ende Juni 1995 in einem
Arbeitsverhältnis gestanden und anschliessend Arbeitslosen-
entschädigungen bezogen hatte (vgl. dazu SVZ 64/1996
S. 161). Wie so oft in solchen Situationen richtete sich
das Augenmerk der Ärzte primär auf die gesundheitliche Ver-
fassung, welche der Patient aufweist, ferner auf die Aus-
sichten bezüglich medizinischer Behandlung und Eingliede-
rung, welche hier denn auch an die Hand genommen wurde.
Dass die Ärzte eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit ab September
1995 attestierten, ist einzig und allein darauf zurückzu-
führen, dass ab Juli/August 1995 spezielle Untersuchungen,
insbesondere solche neuro-psychologischer Natur, erfolgten.
Durch sämtliche bei den Akten liegenden ärztlichen Berichte
sind Auswirkungen der Multiplen Sklerose auf die Arbeitsun-
fähigkeit während der Dauer des letzten Arbeitsverhältnis-
ses dokumentiert, insbesondere Ermüdbarkeit, abnehmende
Konzentrationsfähigkeit und mit der Multiplen Sklerose ver-
bundene Stimmungsschwankungen, welche die richtige Erfül-
lung der dem Beschwerdegegner übertragenen Aufgaben und das
Arbeitsverhältnis allgemein belasteten. Daher sind die
nachträglichen Erläuterungen des Prof. Dr. med. K.________,
entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, durchaus
nicht als nachträgliche Zurechtbiegungen der früher attes-
tierten 50%igen Arbeitsunfähigkeit ab September 1995 zu be-

trachten. Prof. Dr. med.K.________ hat nicht erst im Brief
vom 25. Mai 1998 das erstmalige Auftreten zeitweiliger Ein-
schränkungen der Arbeitsfähigkeit auf den Beginn des Jahres
1995 festgelegt, sondern schon im Bericht vom 22. Dezember
1995 an die IV-Stelle ausgeführt:

"Erster Schub im Aug. 92, damals Gleichgewichtsstörungen,
Schwindel sowie sensible Beeinträchtigungen. Diagnose einer
Multiplen Sklerose anhand des hierfür passenden Liquor- und
MR-Befundes. Seither ca. 2 Schübe jährlich, auch unter
Behandlung mit Deoxyspergualin im Rahmen einer Studie ab
Jan. 93 keine wesentliche Änderung der Schubfrequenz.

     (...)

Die wesentlichen Beschwerden bestehen in vermehrter Ermüd-
barkeit, leichten Konzentrations- und Aufmerksamkeitsbeein-
trächtigungen sowie einer auf max. 1 Std. reduzierten Geh-
strecke."

Diese fachärztlichen Ausführungen überzeugen, weil sie dem
Wesen der Multiplen Sklerose als einer ausgesprochenen
Schubkrankheit Rechnung tragen: Es kam im Falle des Be-
schwerdegegners zu etwa zwei Krankheitsausbrüchen pro Jahr
seit 1992, welche die Arbeitsfähigkeit unstreitig zeitwei-
lig beeinträchtigten und ferner auch das allgemeine Leis-
tungsvermögen herabsetzten. Diese Krankheit mit den akten-
mässig ausgewiesenen Limitierungen der Arbeitsfähigkeit hat
sich ebenso unstreitig während der Zeit des Vorsorgever-
hältnisses manifestiert, womit - in Verbindung mit der auf
diese Krankheit zurückzuführenden späteren Invalidisierung
- der Versicherungsfall nach Art. 23 BVG eingetreten ist.
Die Beschwerdeführerin hat daher im Rahmen der Mindestvor-
schriften (Art. 6 BVG) die obligatorischen Leistungen zu
erbringen, hingegen nicht allfällige statutarische Leis-
tungen; denn diese setzen die Erwerbsunfähigkeit während
der Zeit des Arbeitsverhältnisses voraus (Art. 16 Ziff. 1
in Verbindung mit Ziff. 3 des Reglements). Der Beschwerde-
gegner war nicht mehr Mitarbeiter, als bei ihm dieser
reglementarische Versicherungsfall eintrat.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für
     das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsge-
     richt eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- (ein-
     schliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

 IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge-
     richt des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für
     Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 14. August 2000

                                  Im Namen des
                      Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                          Der Präsident der I. Kammer:

                             Die Gerichtsschreiberin: