Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.603/1999
Zurück zum Index Kassationshof in Strafsachen 1999
Retour à l'indice Kassationshof in Strafsachen 1999


6S.603/1999
               K A S S A T I O N S H O F
               *************************

              Sitzung vom 27. Januar 2000

Es wirken mit: Bundesgerichtspräsident Schubarth,
Präsident des Kassationshofes, Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Escher und Gerichtsschreiber Weissen-
berger.

                       ---------

                       In Sachen

A.P.P.________,
G.P.________,
beide Beschwerdeführer vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Beat Frischkopf, Bahnhofstrasse 24, Sursee,

                         gegen

F.Z.________, Beschwerdegegner, vertreten durch
Rechtsanwalt Viktor Peter, Ettiswilerstrasse 12,
Willisau,

                       betreffend
     Ehrverletzung, Tätlichkeit; Strafantragsrecht;
(eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil
des Obergerichts des Kantons Luzern vom 23. März 1999),

hat sich ergeben:

     A.- Mit Strafklage vom 11. Juni 1997 stellten
A.P.________ (seit dem 14.8.1999 verheiratete
A.P.P.________) und G.P.________ Strafantrag gegen
F.Z.________ wegen übler Nachrede, eventuell Verleum-
dung, und Tätlichkeit. Am 12. August reichten sie eine
ausführliche Begründung nach. Darin warfen sie
F.Z.________ vor, die Erziehungsfähigkeit von
G.P.________ mit der Bemerkung "Wenn du ned fähig besch,
zu de Chend z'luege, so mach ech das a dinere Stell" in
Frage gestellt zu haben. Ferner solle F.Z.________ die
Kinder J.P.________ (geb. 1983), S.P.________ und
P.P.________ (beide geb. 1985) anfangs Mai 1997 mit der
Bemerkung "ehr send doch zu 100 % verhaltensgstört"
beschimpft und sich Mitte Mai 1997 gegenüber
J.P.________ wie folgt geäussert haben: "Gang doch
besser deni zwe Müettere go sueche, ah nei, du hesch jo
zwe Vättere". Schliesslich warfen sie F.Z.________ vor,
S.P.________ am 8. Juni 1997 grundlos eine Ohrfeige
verpasst zu haben.

     B.- Mit Urteil vom 14. Oktober 1998 sprach das
Amtsgericht Sursee F.Z.________ der Beschimpfung zum
Nachteil von J.P.________, S.P.________ und
P.P.________, der Tätlichkeit zum Nachteil von
S.P.________ sowie der üblen Nachrede zum Nachteil von
J.P.________, A.P.________ und G.P.________ schuldig und
verurteilte ihn zu einer Busse von 600 Franken, bedingt
löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr. Bezüglich
der Bemerkung "Wenn du ned fähig besch, zu de Chend
z'luege, so mach ech das a dinere Stell" sprach das
Gericht F.Z.________ vom Vorwurf der üblen Nachrede
frei.

        In teilweiser Gutheissung einer Appellation des
Verurteilten stellte das Obergericht des Kantons Luzern
am 23. März 1999 das Verfahren wegen übler Nachrede zum
Nachteil von J.P.________, Beschimpfung zum Nachteil von
J.P.________, P.P.________ und S.P.________ sowie Tät-
lichkeit zum Nachteil des Letzteren mangels gültigem
Strafantrag ein. Mit selbem Urteil sprach das Gericht
F.Z.________ der üblen Nachrede i.S. von Art. 173
Ziff. 1 StGB zum Nachteil von A.P.________ und
G.P.________ schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse
von Fr. 500.--, vorzeitig löschbar nach einer Probezeit
von einem Jahr.

     C.- A.P.P.________ und G.P.________ erheben
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das
Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner eingestellt
wurde, und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

        Mit Vernehmlassung vom 27. Dezember 1999 be-
antragt F.Z.________ die Abweisung der Beschwerde.

          Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Strafantragsteller sind in der Regel nur
unter den Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG
bzw. Art. 270 Abs. 1 BStP zur eidgenössischen Nichtig-
keitsbeschwerde legitimiert (BGE 120 IV 38 E. 2c S. 42,
44 E. 3a S. 50, Ausnahmen E. 3b und 7; bestätigt in BGE
120 IV 107 E. 1b S. 109). Abweichend von der Botschaft
zum Opferhilfegesetz hat das Bundesgericht die Legitima-

tion des Strafantragstellers zur eidgenössischen Nich-
tigkeitsbeschwerde ungeachtet der in Art. 8 Abs. 1
lit. c OHG bzw. Art. 270 Abs. 1 BStP genannten ein-
schränkenden Voraussetzungen bejaht, soweit es um das
Strafantragsrecht als solches geht. Denn andernfalls
wäre der Rechtsweg mangels Beschwerdelegitimation der
Anklagebehörden allzu stark eingeschränkt und könnte das
Bundesgericht nicht mehr ausreichend für die einheit-
liche Anwendung des Bundesrechts sorgen (BGE 120 IV 38
E. 2c, 44 E. 3b S. 50 f.). Daran ist festzuhalten.

        b) aa) Die Vorinstanz stellte das Verfahren
gegen den Beschwerdeführer mangels gültigem Strafantrag
ein, soweit diesem vorgeworfen wurde, S.P.________ eine
Ohrfeige verabreicht zu haben und ihn sowie seine beiden
Geschwister mit den Äusserungen "ehr send zu 100 % ver-
haltensgstört" und "Gang doch besser dini zwe Müettere
go sueche, ah nei, du hesch jo zwe Vättere" in ihrer
Ehre verletzt zu haben. Für die letztgenannte Bemerkung
sprach die Vorinstanz den Beschwerdegegner der üblen
Nachrede nach Art. 173 Abs. 1 StGB zum Nachteil der
Beschwerdeführer (Eltern) schuldig.

        Die Vorinstanz begründet die teilweise Einstel-
lung des Verfahrens im Wesentlichen damit, dass die
eingeklagten Verhaltensweisen die höchstpersönlichen
Rechtsgüter der Kinder der Privatkläger beträfen. Wohl
habe der Gesetzgeber in Art. 28 Abs. 4 StGB eine Ausnah-
me von der Regel der Unübertragbarkeit des Antragsrechts
zugunsten der Angehörigen des Verletzten geschaffen, der
vor Stellung eines Strafantrags gestorben ist. Doch
bestehe kein Raum für eine analoge Anwendung von Art. 28
Abs. 4 StGB auf den vorliegenden Sachverhalt. Die Pri-
vatkläger hätten den Strafantrag als gesetzliche Vertre-
ter ihrer Kinder somit nicht in eigenem sondern vielmehr
in deren Namen stellen müssen. Da die Privatkläger nicht

Träger der geschützten Rechtsgüter seien, fehle es an
ihrer Berechtigung zur Stellung eines Strafantrags in
eigenem Namen für ihre Kinder. Mangels gültigem Straf-
antrag hinsichtlich der zum Nachteil der Kinder der
Privatkläger angezeigten Delikte sei das Verfahren in
diesen Punkten einzustellen (angefochtenes Urteil
S. 5 f.).

        bb) Die Beschwerdeführer machen geltend, die
Vorinstanz habe das Vorliegen eines gültigen Straf-
antrags gegen F.Z.________ wegen Ehrverletzung zum
Nachteil von J.P.________, P.P.________ und S.P.________
sowie Tätlichkeit zum Nachteil des Letzteren zu Unrecht
verneint.

        c) Nach der Rechtsprechung ist der Antrag im
Sinne von Art. 28 StGB gültig erhoben, wenn der Berech-
tigte innert der in Art. 29 StGB vorgesehenen Frist bei
der nach kantonalem Recht zuständigen Behörde und in der
vorgeschriebenen Form seinen unbedingten Willen bekun-
det, der Täter sei strafrechtlich zu verfolgen. Es be-
stimmt sich somit nach kantonalem Recht, welche formel-
len Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wenn das An-
tragsrecht von einem Vertreter ausgeübt wird. Wurde der
Antrag von einem nicht berechtigten Vertreter einge-
reicht, muss die Bestätigung innerhalb der Antragsfrist
erfolgen (BGE 122 IV 207 E. 3a mit Hinweisen).

        Im zu beurteilenden Fall geht es weniger um die
formellen Voraussetzungen, die ein Strafantrag erfüllen
muss, als vielmehr darum, ob der als gesetzlicher Ver-
treter des Verletzten Handelnde berechtigt ist, in eige-
nem Namen Strafantrag für den Vertretenen zu stellen,
oder ob er offen zu legen hat, dass er für den Vertrete-
nen und nicht sich selbst auftritt. Das ist eine Frage

der Auslegung von Art. 28 StGB. Auf die Beschwerde ist
daher einzutreten.

     2.- a) aa) Gemäss Art. 28 Abs. 1 StGB kann, wenn
eine Tat nur auf Antrag strafbar ist, jeder, der durch
sie verletzt worden ist, die Bestrafung des Täters be-
antragen. Ist der Verletzte handlungsunfähig, so ist
sein gesetzlicher Vertreter zum Antrage berechtigt
(Abs. 2). Gemäss Abs. 3 der Norm kann der Urteilsfähige,
sofern er achtzehn Jahre alt ist, selbständig Straf-
antrag stellen. Auf Grund der im Jahre 1996 in Kraft
getretenen Neufassung von Art. 14 ZGB ist die Mündigkeit
mit Vollendung des 18. Lebensjahres gegeben. Das für die
Handlungsfähigkeit nach Art. 14 ZGB und für die Antrag-
stellung nach Art. 28 Abs. 3 vorausgesetzte Alter stim-
men heute somit überein.

        bb) Das Recht, Strafantrag zu stellen, ist
grundsätzlich höchstpersönlicher Natur (BGE 122 IV 207
E. 3c mit Hinweisen). Nach Art. 19 Abs. 2 ZGB vermögen
urteilsfähige unmündige oder entmündigte Personen ohne
Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter Vorteile zu
erlangen, die unentgeltlich sind, und Rechte auszuüben,
die ihnen um ihrer Persönlichkeit willen zustehen. Art.
28 Abs. 3 StGB stellt für das Strafantragsrecht insofern
eine von Art. 19 Abs. 2 ZGB abweichende Sonderregelung
auf, als ein gültiger Strafantrag ausnahmslos Urteilsfä-
higkeit und Mündigkeit voraussetzt (eingehend Eugen
Bucher, Berner Kommentar, Vorbem. vor Art. 12-19 N 16,
Art. 19 N 294 ff.). Erfüllt der durch eine Straftat
Verletzte diese Voraussetzungen nicht, ist sein gesetz-
licher Vertreter kraft ausdrücklicher Regelung in Art.
28 Abs. 2 StGB generell befugt, ohne seine Mitwirkung
oder Zustimmung (vgl. BGE 92 IV 3) an seiner Stelle
Strafantrag einzureichen. Um diese singuläre strafrecht-

liche Regelung den zivilrechtlichen Grundsätzen anzu-
passen, will der Entwurf zur Änderung des Allgemeinen
Teils des StGB den durch eine Straftat verletzten, ur-
teilsfähigen unmündigen oder entmündigten Personen künf-
tig ermöglichen, selbst Strafantrag gegen den Täter zu
stellen (vgl. BBl 1999 2016).

        b) Art. 28 Abs. 2 StGB schweigt sich darüber
aus, wie die für ihre Kinder Strafantrag stellenden
Eltern gegenüber den Behörden aufzutreten haben. Es ist
deshalb auf die allgemeinen Regeln über die Vertretung
der Kinder gegenüber Dritten zurückzugreifen. Danach
haben die Eltern zwar im Namen des Kindes zu handeln,
doch braucht dieses vertretungsweise Handeln kein aus-
drückliches zu sein. Wird die Vertretung nicht explizit
im Namen des Kindes ausgeübt, kann sie sich aus den
Umständen ergeben, so namentlich, wenn die Handlung nach
Gegenstand oder Zweck erkennbar den Rechtskreis des Kin-
des betrifft (Cyril Hegnauer, Berner Kommentar, Art. 279
N 11 mit Hinweisen; ebenso schon Silbernagel/Wäber,
Berner Kommentar, Art. 279 N 24).

        c) aa) A. und G.P.________ stellten am 11. Juni
1997 (formell in eigenem Namen) "Strafklage" gegen
F.Z.________ und dessen Ehefrau wegen übler Nachrede,
eventuell Verleumdung, und Tätlichkeit. Zur Begründung
führten sie an, die Strafklage erfolge zwecks Frist-
wahrung gemäss Art. 29 StGB. Mit Post vom gleichen Tag
sei auf Grund des speziellen Verfahrens bei Ehrver-
letzungstatbeständen auch das Friedensrichterbegehren
(ausgenommen der Tatbestand der Tätlichkeit) eingebracht
worden. Abschliessend stellten die Strafkläger eine
ausführliche Begründung mit Beweisanträgen nach Durch-
führung des "Friedensrichtervorstandes" in Aussicht.

        Diese Begründung reichten sie am 12. August
1997 nach, und zwar wiederum formell in eigenem Namen.
Darin warfen sie dem Beschwerdegegner vor, die Erzie-
hungsfähigkeit von G.P.________ mit der Bemerkung "Wenn
du ned fähig besch, zu de Chend z'luege, so mach ech das
a dinere Stell" in Frage gestellt zu haben. Ferner soll
er J.P.________ Mitte Mai 1997 mit den Worten "Gang doch
besser deni zwe Müettere go sueche, ah nei, du hesch jo
zwe Vättere" in ihrer Ehre angegriffen haben. Zuvor habe
er schon die Kinder J.P.________ (geb. 1983),
S.P.________ und P.P.________ (beide geb. 1985) Anfang
Mai 1997 mit der Bemerkung "ehr send doch zu 100 %
verhaltensgstört" beschimpft. Mit dieser Bemerkung sei
einerseits die Ehre der Kinder selber als auch der
Beschwerdeführer angegriffen worden (Strafklage S. 5).
Schliesslich habe der Beschwerdegegner S.P.________ am
8. Juni 1997 grundlos eine Ohrfeige verpasst, die
"selbstverständlich entsprechende Schmerzen verursachte"
(Strafklage S. 10).

        bb) Wie bereits ausgeführt (E. 2b), verlangt
Art. 28 Abs. 2 StGB nicht von den Eltern, dass sie in
dem ansonsten nach kantonalem Recht formgültig gestell-
ten Strafantrag ausdrücklich angeben, als gesetzliche
Vertreter für ihre handlungsunfähigen Kinder aufzutre-
ten. Vielmehr genügt es, wenn aus dem Strafantrag
selbst, der Beschreibung des Sachverhalts, den Aussagen
der Eltern gegenüber den Strafverfolgungsbehörden oder
ihren Eingaben im Verfahren hervorgeht, dass die Kinder
von den Delikten unmittelbar betroffen sind und der
Strafantrag nach dem Willen der Inhaber der elterlichen
Gewalt (auch) für sie gestellt wird.

        Das ist hier der Fall, wie bereits das Amtsge-
richt Sursee erkannt hat. Die Strafklage und deren Be-
gründung lassen nach dem Vertrauensprinzip nur eine

Interpretation zu, nämlich dass die Beschwerdeführer
sachlich im Namen der Kinder auftraten, soweit sie aus-
drücklich Angriffe gegen die Kinder geltend machten, und
lediglich in dem Umfang aus eigenem Recht handelten, als
die behaupteten ehrverletzenden Äusserungen sie selbst
betrafen. Das versteht sich für die Tätlichkeit, die der
Beschwerdegegner gegenüber S.P.________ begangen haben
soll, von selbst. Aus der Begründung der Strafklage geht
aber ebenso unmissverständlich hervor, dass die bean-
standeten Äusserungen des Beschwerdegegners gegenüber
den Kindern der Beschwerdeführer in erster Linie deren
Ehre berührten und die Beschwerdeführer (auch) insoweit
den Beschwerdegegner bestraft sehen wollten. Im genann-
ten Umfang ist die Klage der Beschwerdeführer erkennbar
auf Grund der Vertretungsmacht angestrengt worden, die
ihnen als Inhaber der elterlichen Gewalt zustand. Die
Beschwerde erweist sich damit als begründet.

     3.- Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird
gutgeheissen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind
keine Kosten aufzuerlegen und ist den Beschwerdeführern
eine angemessene Entschädigung aus der Bundesgerichts-
kasse auszurichten. Der unterliegende Beschwerdegegner
wird verpflichtet, der Bundesgerichtskasse Ersatz zu
leisten (Art. 278 Abs. 3 BStP).

           Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird
gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Luzern vom 23. März 1999 aufgehoben und die Sache zur

Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Dem Vertreter der Beschwerdeführer, Rechtsan-
walt Dr. Beat Frischkopf, wird für das Nichtigkeits-
beschwerdeverfahren eine Entschädigung von Fr. 2'500.--
aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. Der Beschwer-
degegner wird verpflichtet, der Bundesgerichtskasse Er-
satz zu leisten.

     4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Oberge-
richt (II. Kammer) des Kantons Luzern schriftlich mitge-
teilt.

                       ---------

Lausanne, 27. Januar 2000

              Im Namen des Kassationshofes
           des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                     Der Präsident:

                 Der Gerichtsschreiber: