Kassationshof in Strafsachen 6S.565/1999
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6S.565/1999/odi K A S S A T I O N S H O F ************************* 17. März 2000 Es wirken mit: Bundesgerichtspräsident Schubarth, Präsident des Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger und Gerichtsschreiber Borner. --------- In Sachen Z.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Heinz Leuenberger-Thenisch, Kasinostrasse 15, Aarau, gegen Staatsanwaltschaft des Kantons A a r g a u, betreffend Gefährdung des Lebens, Widerhandlung gegen das Arbeitslosenversicherungsgesetz usw. (Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Entscheid der 1. Straf- kammer des Obergerichts des Kantons Aargau vom 25. März 1999), hat sich ergeben: A.- Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte Z.________ am 25. März 1999 zweitinstanzlich wegen ban- den- und gewerbsmässigen Diebstahls (Art. 137 Ziff. 1bis und Ziff. 2 aStGB), Diebstahls (Art. 137 Ziff. 1 aStGB), mehrfacher Sachbeschädigung (Art. 145 Abs. 1 aStGB), mehrfachen Hausfriedensbruchs (Art. 186 aStGB), mehrfa- cher Entwendung eines Personenwagens zum Gebrauch, Fah- rens in angetrunkenem Zustand, Gefährdung des Lebens (Art. 129 aStGB), mehrfacher Widerhandlung gegen das Ar- beitslosenversicherungsgesetz (AVIG) und Pfändungsbetrugs (Art. 164 aStGB) zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und Fr. 1'000.-- Busse. B.- Z.________ führt Nichtigkeitsbeschwerde und be- antragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung von den Vorwürfen der Gefähr- dung des Lebens, der Widerhandlung gegen das AVIG sowie des Pfändungsbetrugs und zur Neufestlegung des Strafmas- ses an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit be- gründet werden, dass die angefochtene Entscheidung eidge- nössisches Recht verletze (Art. 269 Abs. 1 BStP). Ausfüh- rungen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen des Entscheides richten, sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Der Kassationshof ist im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde an den von der kantonalen Behörde festgestellten Sachverhalt gebunden (Art. 277bis BStP). Soweit der Beschwerdeführer von einem abweichenden Sach- verhalt ausgeht oder ihn ergänzt, kann auf die Beschwerde somit nicht eingetreten werden. 2.- Zur Verurteilung wegen Gefährdung des Lebens bringt der Beschwerdeführer vor, als er vor einem Restau- rant Diebesgut habe wegschaffen wollen, sei er von einer Polizeipatrouille überrascht worden. Unbestritten sei, dass er mit seinem Auto die Flucht ergriffen habe. Ob hiebei jedoch eine Gefährdung des Polizisten im Sinne von Art. 129 StGB begangen worden sei, dürfte aufgrund der Akten nicht erstellt sein. Zum Vorwurf der Gefährdung des Lebens sei er nie detailliert einvernommen worden. An- lässlich der Verhandlung vor Bezirksgericht sei ihm die- ser Tatbestand nicht vorgeworfen worden, sondern "nur" diverse SVG-Vergehen. Er habe zwar flüchten wollen, keinesfalls aber jemanden in unmittelbare Lebensgefahr bringen. Insofern dürfte es auch am Vorsatz des Beschwer- deführers fehlen. Zudem dürfte es für den Polizisten frühzeitig erkennbar gewesen sein, dass er sich mit dem Fahrzeug habe absetzen wollen (Beschwerdeschrift S. 5 ff. Ziff. 1). Mit diesen Vorbringen kritisiert der Beschwerde- führer insbesondere die vorinstanzliche Beweiswürdigung (z.B. auch betreffend den Vorsatz), ergänzt diese und rügt sinngemäss eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Diese Rügen wären allenfalls in einer staatsrechtlichen Beschwerde zu erheben gewesen; im Verfahren der Nichtig- keitsbeschwerde sind sie jedoch unzulässig (Art. 269 Abs. 2 BStP in Verbindung mit Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Nach dem verbindlichen Sachverhalt hat das Pat- rouillenfahrzeug der Polizei dem Fahrzeug des Beschwerde- führers, der Deliktsgut einlud, den Weg abgeschnitten. Der Polizist sei ausgestiegen und in Richtung des Autos des Beschwerdeführers gegangen. Dieser sei in sein Auto gestiegen, und als sich der Polizist zum Beschwerdeführer begeben habe, habe der Beschwerdeführer beschleunigt und sei geflüchtet. Nur dank einem reflexschnellen Seiten- schritt sei der Polizist vom Fahrzeug des Beschwerdefüh- rers nicht erfasst worden. Dass das Fluchtmanöver eine nahe Gefahr für den Polizisten geschaffen habe, ergebe sich aus der Aussage des Beschwerdeführers, er sei nicht hundert Prozent sicher gewesen, den Polizisten nicht überfahren zu haben, und aus seiner telefonischen Mittei- lung an einen Mittäter, er habe einen Polizisten überfah- ren (angefochtener Entscheid S. 15). Inwiefern ausgehend von diesem Sachverhalt Bundesrecht verletzt sein sollte, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. 3.- Die Vorinstanz geht bei der Verurteilung wegen Pfändungsbetrugs davon aus, dass der Beschwerdeführer we- der sein ausgewiesenes Einkommen noch die Firmengründung, wie er dies gemäss Aufforderung in den Urkunden über den Pfändungsvollzug hätte tun müssen, dem Betreibungsamt in- nert fünf Tagen nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit mit- geteilt habe; durch die unterbliebene Meldung über die Aufnahme der Erwerbstätigkeit habe er die entsprechenden Einkünfte bei der Berechnung der pfändbaren Quoten unter- schlagen und dadurch eine Schädigung seiner Gläubiger zu- mindest in Kauf genommen (angefochtener Entscheid S. 18). Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe sei- nen Zwischenverdienst der zuständigen Arbeitslosenkasse gemeldet und durch die volle Anrechnung dieses Verdiens- tes und der dadurch verminderten Auszahlung der Arbeits- losenkasse habe sich sein Erwerbseinkommen nicht oder dann nur sehr marginal verändert. Zudem sei ihm der Zwi- schenverdienst erst ab Juli bis Oktober 1994 ausbezahlt worden, weshalb er ihn am 20. April und 13. Juni 1994 gegenüber dem Betreibungsamt noch gar nicht hätte angeben können (Beschwerdeschrift S. 8 Ziff. 3). Diese Vorbringen ändern nichts an den vorin- stanzlichen Feststellungen, dass der Beschwerdeführer die Aufnahme der Erwerbstätigkeit (Gründung einer Reinigungs- firma mit seiner Frau als Geschäftsführerin und er selbst als Angestellter) nicht innert fünf Tagen dem Betrei- bungsamt und dass er seinen Zwischenverdienst dort nicht gemeldet hat. Inwiefern ausgehend vom verbindlichen Sach- verhalt Bundesrecht verletzt sein sollte, macht der Be- schwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersicht- lich. Sein Vorbringen, aus den Akten ergäben sich keine Anhaltspunkte hinsichtlich eines Erwerbseinkommens seiner Frau, betrifft die Beweiswürdigung und ist folglich unzu- lässig (E. 1). 4.- a) Die Vorinstanz verurteilte den Beschwerde- führer wegen Widerhandlung gegen das AVIG, weil er als Arbeitgeber von der Arbeitslosenkasse Schlechtwetterent- schädigungen zurückgefordert und dabei wahrheitswidrig unterschriftlich bestätigt hatte, die entsprechenden Beträge den Arbeitnehmern an den ordentlichen Zahlungs- terminen vorgeschossen zu haben. Sie qualifiziert das Verhalten des Beschwerdeführers als Vergehen (Art. 105 Abs. 1 AVIG). Der Beschwerdeführer bringt vor, inwiefern er unrechtmässige Versicherungsleistungen erwirkt haben sol- le, sei nicht ersichtlich. Ihm werde "lediglich" vorge- halten, seiner Bevorschussungspflicht nicht nachgekommen zu sein beziehungsweise die erhaltenen Gelder verspätet ausbezahlt zu haben. Das erstinstanzliche Gericht habe zutreffend festgehalten, bei Art. 37 AVIG handle es sich nicht um eine Anspruchsvoraussetzung, sondern um eine Mitwirkungspflicht, welche der Arbeitgeber bei der Durch- führung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes zu überneh- men habe. Art. 105 AVIG stelle jedoch das Erwirken von unrechtmässigen Versicherungsleistungen unter Strafe, nicht aber unkorrekte, in concreto verspätete Weitergabe dieser Gelder an die Arbeitnehmer und mithin Missachtung der Vorschusspflicht gemäss Art. 37 AVIG. Als Sanktion für eine Verletzung von Art. 37 AVIG werde in Art. 88 Abs. 2 AVIG die volle Haftpflicht des Arbeitgebers statu- iert. Inwiefern die Handlungsweise des Beschwerdeführers allenfalls unter Art. 106 AVIG zu subsumieren sei, könne, da diesbezüglich Verjährung eingetreten wäre, offen blei- ben (Beschwerdeschrift S. 7 f. Ziff. 2). b) Gemäss Art. 37 AVIG ist der Arbeitgeber ver- pflichtet, die Kurzarbeitsentschädigung vorzuschiessen und den Arbeitnehmern am ordentlichen Zahltagstermin aus- zurichten (lit. a), die Kurzarbeitsentschädigung für die Karenzzeit zu seinen Lasten zu übernehmen (lit. b) und während der Kurzarbeit die vollen gesetzlichen und ver- traglich vereinbarten Sozialversicherungsbeiträge ent- sprechend der normalen Arbeitszeit zu bezahlen (lit. c). Bei diesen Arbeitgeberpflichten handelt es sich nicht um Anspruchsvoraussetzungen, von deren Erfüllung die Vergütung der Kurzarbeitsentschädigung an den Arbeit- nehmer abhängig ist; sie gehören ihrer Rechtsnatur nach zu den Mitwirkungspflichten, welche die Arbeitgeber als Durchführungsstellen der Arbeitslosenversicherung zu übernehmen haben (BGE 119 V 364 E. 4c). Aus diesem Ent- scheid lässt sich jedoch nicht direkt ableiten, wie die Nichterfüllung einer dieser Pflichten strafrechtlich ein- zuordnen ist. Die Strafbestimmungen des AVIG lauten wie folgt: Art. 105 Vergehen Wer durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise für sich oder einen andern zu Unrecht Versicherungsleistungen erwirkt; wer durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise Leistungen zu Gunsten des Trägers einer Kasse aus dem Ausgleichsfonds erwirkt, die dem Träger nicht zustehen; wer die Schweigepflicht verletzt; wer bei der Durchführung dieses Gesetzes seine Stel- lung als Funktionär einer Kasse zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil des Trägers oder zum Nachteil eines anderen missbraucht, wird, sofern nicht ein mit einer höheren Strafe be- drohtes Verbrechen oder Vergehen des Strafgesetzbuches vorliegt, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bis zu 20'000 Franken bestraft. Beide Strafen kön- nen miteinander verbunden werden. Art. 106 Übertretungen Wer die Auskunftspflicht verletzt, indem er wissent- lich unwahre oder unvollständige Auskunft erteilt oder die Auskunft verweigert, wer seine Meldepflicht verletzt; wer sich einer von der zuständigen Stelle angeordne- ten Kontrolle widersetzt oder diese auf andere Weise ver- unmöglicht; wer die vorgeschriebenen Formulare nicht oder nicht wahrheitsgetreu ausfüllt; wer als Funktionär einer Kasse deren Geschäftsver- hältnisse in Rechnungen oder in sonstigen Unterlagen vor- sätzlich unrichtig oder unvollständig darstellt oder wer als Träger einer Verbandskasse für deren Zah- lungsverkehr keine besonderen Konten führt oder diese zweckwidrig verwendet, wird, falls nicht ein Tatbestand nach Artikel 105 vorliegt, mit Busse bis zu 5'000 Franken bestraft. Eine Gegenüberstellung dieser beiden Strafbe- stimmungen macht deutlich, dass das Verweigern, das schlechte oder falsche Erfüllen von administrativen Ob- liegenheiten, mithin relativ leichte Regelverstösse, un- ter die Übertretungen fallen; demgegenüber gelten als Vergehen Handlungen, die zu ungerechtfertigten Zahlungen führen oder denen angesichts der besonderen Stellung des Betroffenen im Verfahren der Arbeitslosenversicherung eine gewisse Schwere zukommt. Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, er habe als Arbeitgeber Schlechtwetterentschädigungen "zurück- gefordert" und dabei unterschriftlich bestätigt, die ge- forderten Beträge den Arbeitnehmern an den ordentlichen Zahlungsterminen vorgeschossen zu haben, was nicht den Tatsachen entsprach. Die Arbeitgeber wirken als Durchfüh- rungsstellen der Arbeitslosenversicherung und erfüllen unter anderem durch die vorschussweise Ausrichtung der Kurzarbeitsentschädigung an den ordentlichen Zahlungster- minen öffentlichrechtliche Pflichten (BGE 119 V 364 E. 4c). Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, hätte die Arbeitslosenkasse, hätte sie vom finanziellen Engpass des Beschwerdeführers und von der fehlenden Bevorschussung ihrer Leistungen gewusst, zur Sicherung des Versiche- rungszwecks die Schlechtwetterentschädigung nicht an den Beschwerdeführer, sondern direkt an die Arbeitnehmer geleistet (angefochtener Entscheid S. 16 unten). Der Be- schwerdeführer hat somit nicht bloss administrative Ob- liegenheiten verletzt, sondern in seiner Stellung als Durchführender der Arbeitslosenversicherung Zahlungen für sich erwirkt, die er ohne seine Falschangaben nicht er- halten hätte. Folglich verletzt die vorinstanzliche An- nahme, die Handlungen des Beschwerdeführers stellten ein Vergehen dar, kein Bundesrecht. Der Einwand des Beschwer- deführers, als Sanktion für eine Verletzung von Art. 37 AVIG werde in Art. 88 Abs. 2 AVIG die volle Haftpflicht des Arbeitgebers statuiert, geht an der Sache vorbei. Die angerufene Bestimmung regelt bloss die vermögensrechtli- chen Konsequenzen, wenn ein Arbeitgeber den gesetzlichen Pflichten des AVIG nicht nachkommt; davon unabhängig ha- ben die Strafbehörden die strafrechtliche Seite allfälli- ger Widerhandlungen abzuklären und zu verfolgen. 5.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist die Nich- tigkeitsbeschwerde kostenpflichtig abzuweisen (Art. 278 Abs. 1 BStP). Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht (1. Strafkammer) des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. ______________ Lausanne, 17. März 2000 Im Namen des Kassationshofes des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: