Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.56/1999
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6A.56/1999/sch

               K A S S A T I O N S H O F
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                     9. März 2000

Es wirken mit: Bundesgerichtspräsident Schubarth,
Präsident des Kassationshofes, Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Escher und Gerichtsschreiber Borner.

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                       In Sachen

X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat
Frischkopf, Bahnhofstrasse 24, Sursee,

                         gegen

Verwaltungsgericht des Kantons  L u z e r n,

                      betreffend
     Entzug des Führerausweises; Dauer des Entzugs
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der
Abgaberechtlichen Abteilung des Verwaltungsgerichts des
Kantons Luzern vom 31. Mai 1999),

hat sich ergeben:

     A.- Das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern
entzog X.________ am 19. Februar 1999 den Führerausweis
wegen Überschreitens der zulässigen Ausserorts-Höchst-
geschwindigkeit von 80 km/h um 43 km/h und in Anwendung
von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG für die Dauer von sechs
Monaten.

        Eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Be-
troffenen wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern am 31. Mai 1999 ab, soweit es darauf eintrat.

     B.- X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
und beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben,
und es sei ihm der Führerausweis für die Dauer von zwei
Monaten zu entziehen.

        Das Verwaltungsgericht und das Bundesamt für
Strassen beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen
(act. 9 und 11).

         Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Der Beschwerdeführer kann mit der Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde die Verletzung von Bundesrecht,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, nicht aber die Unangemessenheit rügen
(Art. 104 OG). Nachdem als Vorinstanz eine richterliche
Behörde entschieden hat, ist das Bundesgericht an die
Feststellung des Sachverhalts gebunden, soweit dieser

nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder
unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften
festgestellt worden ist (Art. 105 Abs. 2 OG). Deshalb
sind neue Tatsachenvorbringen nur noch zulässig, wenn
die Vorinstanz diese von Amtes wegen hätte berücksich-
tigen müssen und in der Nichtberücksichtigung eine
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt
(BGE 124 II 409 E. 3a mit Hinweisen).

        b) aa) Von den tatsächlichen Feststellungen
im Strafurteil darf die Verwaltungsbehörde nur dann
abweichen,
       - wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Ent-
         scheid zugrunde legt, die dem Strafrichter
         unbekannt waren oder die er nicht beachtet
         hat;
       - wenn sie zusätzliche Beweise erhebt, deren
         Würdigung zu einem anderen Entscheid führt,
         oder wenn die Beweiswürdigung durch den Straf-
         richter den feststehenden Tatsachen klar
         widerspricht; hat sie hingegen keine zusätz-
         lichen Beweise erhoben, hat sie sich grund-
         sätzlich an die Würdigung des Strafrichters
         zu halten;
       - wenn der Strafrichter bei der Rechtsanwendung
         auf den Sachverhalt nicht sämtliche Rechts-
         fragen abgeklärt, insbesondere die Verletzung
         bestimmter Verkehrsregeln übersehen hat.

        Die Verwaltungsbehörde hat insbesondere dann
auf die Tatsachen im Strafurteil abzustellen, wenn
dieses - wie hier - unter Anhörung der Parteien und
Einvernahme von Zeugen ergangen ist, es sei denn, es
bestünden klare Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit
dieser Tatsachenfeststellung; in diesem Fall hat die
Verwaltungsbehörde nötigenfalls selbständige Beweis-
erhebungen durchzuführen.

        bb) Hängt die rechtliche Würdigung sehr stark
von der Würdigung von Tatsachen ab, die der Strafrich-
ter besser kennt als die Verwaltungsbehörde (was etwa
dann der Fall ist, wenn er den Beschuldigten persönlich
einvernommen hat: BGE 104 Ib 359), so ist die Verwal-
tungsbehörde auch in bezug auf die Rechtsanwendung an
die rechtliche Qualifikation des Sachverhaltes durch
das Strafurteil gebunden (BGE 119 Ib 158 E. 3c mit Hin-
weisen).

     2.- Unbestrittenermassen hat der Beschwerdeführer
die Ausserorts-Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um
43 km/h überschritten. Das Amtsstatthalteramt Hochdorf
büsste ihn deswegen gestützt auf Art. 90 Ziff. 2 SVG
mit Fr. 1'420.--. Auf Einsprache gegen diese Strafver-
fügung bestätigte das Amtsstatthalteramt - nach Einver-
nahme des Beschwerdeführers - die Verurteilung wegen
grober Verkehrsregelverletzung, doch setzte es die
Busse auf Fr. 800.-- fest ("vorinstanzliche Akten",
act. 14, S. 5 Ziff. 2).

        Im Administrativverfahren macht der Beschwer-
deführer wieder geltend, seine Geschwindigkeitsüber-
schreitung stelle keine grobe Verkehrsregelverletzung
dar (Beschwerdeschrift S. 4 f. Ziff. 3). Nachdem er
vor Abschluss des Strafverfahrens bereits wusste, dass
dieses Grundlage für das Administrativverfahren bilden
werde und ihm bei einer Verurteilung wegen Art. 90
Ziff. 2 SVG der Führerausweis für die Dauer von sechs
Monaten entzogen werden müsse ("vorinstanzliche Akten",
act. 13 und 14, Einvernahmeprotokoll S. 3), ist hier
nicht mehr darauf zurückzukommen (BGE 121 II 214 E. 3a).
Die Behauptung des Beschwerdeführers, ihm sei damals die
Konsequenz einer Qualifikation des Ereignisses im Sinne
von Art. 90 Ziff. 2 SVG nicht bekannt gewesen (Beschwer-

deschrift S. 4/5), ist aktenwidrig. Im Übrigen besteht
kein Anlass, auf die neuere Rechtsprechung (BGE 124 II
259) zurückzukommen, und es ist nicht ersichtlich,
welche aussergewöhnlichen subjektiven Umstände es er-
lauben würden, das Verschulden des Beschwerdeführers
bloss als mittelschwer zu beurteilen; allgemein unter
Zeitdruck zu stehen, ist keine Rechtfertigung dafür,
derart schnell zu fahren und dabei andere Verkehrsteil-
nehmer entsprechend zu gefährden. Zudem erfolgte gemäss
vorinstanzlicher Feststellung die Geschwindigkeitsüber-
schreitung erst nach der fraglichen Besprechung, deret-
wegen der Beschwerdeführer angeblich zu schnell gefah-
ren sein soll (angefochtener Entscheid S. 7 Mitte;
"beschwerdeführende Akten", act. 3).

     3.- a) Bei der Frage, ob die Mindestentzugsdauer
von sechs Monaten des Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG allen-
falls unterschritten werden könne, gibt die Vorinstanz
zunächst die Argumentation des Beschwerdeführers
wieder:

        Der selbständigerwerbende Beschwerdeführer
mache nebst den familiären vor allem betriebliche
Gründe geltend, die eine Fahrerlaubnis als unverzicht-
bar erscheinen liessen. Gemäss Leumundsbericht beschäf-
tige er in seiner Firma zur Zeit acht Angestellte. Nach
eigenen Angaben könne er seine geschäftliche Aktivität
als Unternehmer nicht abbauen und sei daher auf den
Führerausweis dringend angewiesen. Bei einem Entzug von
sechs Monaten gehe das Geschäft in Konkurs. Er müsse
Gespräche mit den Bauherren und technische Abklärungen
durchführen, wofür er auf den Führerausweis unverzicht-
bar angewiesen sei. Da er praktisch ständig im Auto
unterwegs sei, könne er den Entzug auch finanziell
nicht verkraften.

        Dazu hält die Vorinstanz fest, es sei unbe-
stritten, dass der sechsmonatige Führerausweisentzug
den Beschwerdeführer hart treffe, was von der ersten
Instanz beachtet worden sei. Allerdings habe er nicht
dargetan, inwiefern der Fortbestand seines Betriebs
gerade damit zusammenhänge. Immerhin bleibe beacht-
lich, dass er für einen Fahrdienst besorgt sein könnte.
Mit welchen Kosten er dabei zu rechnen hätte und in
welchem Verhältnis dieser Aufwand zu den betrieblichen
Einkünften stehe, sei nicht konkret vorgetragen worden.
Nachdem eine Hilfsperson für den Haushalt beigezogen
worden sei, komme diesem Gesichtspunkt nun untergeord-
nete Bedeutung zu. Im Übrigen werde nicht geltend ge-
macht, gerade das Fahrzeug stelle den Arbeitsplatz des
Beschwerdeführers dar. Vielmehr betone er, Unternehmer
zu sein. Sei aber nicht dargetan worden, dass ein aus-
gesprochener Härtefall vorliege, sei die verfügte
sechsmonatige Entzugsdauer nicht zu beanstanden.

        b) Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer
wegen seiner Doppelfunktion als alleinerziehender Vater
von vier Kindern und als Unternehmer, der täglich meh-
rere Baustellen besichtigen und Besprechungen ausser
Haus abhalten muss, allgemein einer grossen Belastung
ausgesetzt ist und dass ihn angesichts seiner finan-
ziellen Probleme ein sechsmonatiger Führerausweisentzug
hart trifft.

        Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass es sich
bei Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG um eine gesetzliche Min-
destentzugsdauer handelt, die der Richter nicht einfach
unterschreiten darf. Ein Unterschreiten wurde bisher
von der Rechtsprechung als zulässig erachtet in Fällen,
wo seit dem massnahmeauslösenden Ereignis verhältnis-
mässig lange Zeit verstrichen war, sich der Betroffene
während dieser Zeit wohl verhalten hatte und ihn an der

langen Verfahrensdauer keine Schuld traf (BGE 120 Ib
504), sowie in Fällen bloss einfacher Fahrlässigkeit
beim Tatbestand des Führens eines Motorfahrzeugs trotz
Führerausweisentzugs (BGE 124 II 103); denkbar ist ein
Unterschreiten der sechsmonatigen Mindestentzugsdauer
auch bei einer analogen Anwendung von Art. 66bis StGB
(vgl. BGE 118 Ib 229) oder allenfalls bei einer wesent-
lichen Verminderung der Zurechnungsfähigkeit.

        Die Vorinstanz hält einerseits fest, der Be-
schwerdeführer habe nicht dargetan, inwiefern der Fort-
bestand seines Betriebs gerade mit seiner Angewiesen-
heit auf den Führerausweis zusammenhänge, insbesondere
welche Kosten ein Fahrdienst verursachen würde und in
welchem Verhältnis dieser Aufwand zu den betrieblichen
Einkünften stehe; anderseits habe er für den Haushalt
eine Hilfsperson beigezogen, weshalb diesem Gesichts-
punkt nun untergeordnete Bedeutung zukomme (angefoch-
tener Entscheid S. 8 Mitte). Dieser zweite Punkt ist
unbestritten. In Bezug auf den ersten legt der Be-
schwerdeführer nicht dar, inwiefern die vorinstanzliche
Schlussfolgerung offensichtlich unrichtig sein sollte
oder inwiefern sie unter Verletzung wesentlicher Ver-
fahrensvorschriften zustande gekommen wäre. Der Be-
schwerdeführer hat eine Reihe von neuen Belegen einge-
reicht (act. 2), die der Vorinstanz bei der Entschei-
dung des Falles nicht vorlagen; deshalb kann auf die
Ausführungen, die sich auf die neuen Belege stützen
(S. 8 ff., Ziff. 5.3 - 5.7 und 8), nicht eingetreten
werden (E. 1a). Ausgehend vom verbindlichen Sachverhalt
sind keine vergleichbaren Umstände auszumachen, die in
den vorerwähnten Fällen ein Unterschreiten der gesetz-
lichen Mindestentzugsdauer erlaubten. Insbesondere ist
eine Betroffenheit im Sinne des Art. 66bis StGB nicht
gegeben, weshalb auch eine analoge Anwendung dieser

Bestimmung nicht in Frage kommt. Damit erweist sich
die Beschwerde als unbegründet, soweit darauf überhaupt
eingetreten werden kann.

          Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem
Beschwerdeführer auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Abgaberechtliche
Abteilung, dem Strassenverkehrsamt sowie dem Bundesamt
für Strassen schriftlich mitgeteilt.

                    ______________

Lausanne, 9. März 2000

           Im Namen des Kassationshofes des
             SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
    Der Präsident:           Der Gerichtsschreiber: