Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.433/1999
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5P.433/1999/min

              II.  Z I V I L A B T E I L U N G
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                       10. Januar 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivil-
abteilung, Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Merkli und
Gerichtsschreiber Mazan.
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                          In Sachen

1. A.________,
2. B.________,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Pierluigi Schaad, Quaderstrasse 8, 7000 Chur,

                            gegen

1. C.________,
2. D.________,
Beschwerdegegner, beide vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Thomas Spahni, Dufourstrasse 22, 8008 Zürich,
Kantonsgericht von  G r a u b ü n d e n  (Kantonsgerichts-
ausschuss),

                         betreffend
             Art. 4 aBV (Urteilsvollstreckung),

         wird festgestellt und in Erwägung gezogen:

     1.- Auf den Grundstücken yyy und zzz in X.________
steht ein altes, in zwei vertikal getrennte Teile aufge-
teiltes Bündnerhaus. Der Hausteil West (yyy) steht im
gemeinschaftlichen Eigentum von A.________ und B.________,
der Hausteil Ost (zzz) im Miteigentum von C.________ und
D.________. Zwischen den Parteien waren Durchgangs- und
Nutzungsrechte umstritten und bildeten Gegenstand eines Pro-
zesses vor dem Bezirksgericht Imboden. Dieses erkannte am
14. Dezember 1994, "dass zugunsten Parzelle Nr. yyy ... und
zulasten der Parzelle Nr. zzz ... eine Grunddienstbarkeit
besteht in Form eines Durchgangsrechtes durch die Korridore
und die Veulta sowie eines Nutzungsrechtes an der Veulta"
(Dispositiv-Ziff. 1), und wies das Grundbuchamt X.________
an, auf den beiden Parzellen eine der Ziff. 1 des Erkennt-
nisses entsprechende Grunddienstbarkeit einzutragen (Dispo-
sitiv-Ziff. 2). Am 17. Oktober 1995 wies das Kantonsgericht
von Graubünden eine dagegen erhobene Berufung ab, und am
14. Mai 1996 bestätigte das Bundesgericht das Urteil des
Kantonsgerichts von Graubünden. Hierauf wurden im Grundbuch
zu Lasten der Parzelle zzz folgende Rechte eingetragen:
"Durchgangsrecht durch Korridore und Veulta mit Nutzungsrecht
an der Veulta zu Gunsten Parzelle yyy ...". In der Folge
entbrannte zwischen den Parteien Streit darüber, ob das
"Nutzungsrecht an der Veulta" ein ausschliessliches oder ein
Mitbenützungsrecht sei.

        Am 20. Mai 1999 ersuchten A.________ und B.________
das Kreispräsidium Trins, C.________ und D.________ zu be-
fehlen, "die Veulta auf Parz. zzz ... innert einer vom Kreis-
amt anzusetzenden Frist vollständig zu räumen"; dabei stell-
ten sie sich auf den Standpunkt, dass ihnen die Nutzung der
Veulta ausschliesslich zustehe. Die Gesuchsgegner beantragten
die Abweisung des Gesuchs; sie stellten sich auf den Stand-

punkt, dass den Gesuchstellern lediglich ein Mitbenutzungs-
recht zustehe. Mit Entscheid vom 21. Juli 1999 hiess das
Kreispräsidium Trins das Gesuch gut und befahl den Gesuchs-
gegnern, die Veulta bis spätestens 14. August 1999, 12.00 Uhr,
vollständig zu räumen. Dabei erwog es im Wesentlichen, dass
das Nutzungsrecht nicht näher umschrieben sei und insbeson-
dere nicht festgestellt worden sei, dass es sich um ein ge-
meinsames Recht handle. Auf Berufung der Gesuchsgegner hin
hob der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden den Entscheid
des Kreispräsidiums Trins auf und wies "das Gesuch bezüglich
vollständiger Räumung der Veulta" ab. Dabei wurde im Wesent-
lichen erwogen, dass das Nutzungsrecht aufgrund der Ausfüh-
rungen des Bundesgerichts den Rechtsgrund allein in der in
der Ziff. 4 der Vereinbarung vom 18. Januar 1913 getroffenen
Regelung finde. Mit dieser hätten die (damaligen) Parteien
"im Hinblick auf die Teilung ... der Liegenschaft die gemein-
same Nutzung ("gudi comunablamein") bestimmter Teile des
Hauses durch deren Alleineigentümer ordnen" wollen. Handle es
sich somit um ein Mitbenutzungsrecht und nicht um ein aus-
schliessliches Benutzungsrecht, erweise sich das Gesuch um
vollständige Räumung der Veulta als unbegründet.

        Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 25. November
1999 verlangen A.________ und B.________ die Aufhebung des
Entscheides des Kantonsgerichtsausschusses von Graubünden.
Auf die Einholung von Vernehmlassungen wurde verzichtet.

     2.- Das Kreispräsidium Trins hat in dem für die Voll-
streckung rechtskräftiger gerichtlicher Entscheide vorgese-
henen Verfahren (Art. 146 Abs. 1 Ziff. 5 bzw. 252 ff. ZPO/GR)
das Gesuch der Beschwerdeführer gutgeheissen und den Be-
schwerdegegnern die Räumung der Veulta befohlen. Der Kantons-
gerichtsausschuss hat im entsprechenden Rechtsmittelverfahren
(Art. 263 ZPO/GR) das Gesuch abgewiesen.

        Die Beschwerdeführer kritisieren den angefochtenen
Entscheid als willkürlich und führen zur Begründung zunächst
aus, dass die Umschreibung des ihnen eingeräumten Nutzungs-
rechts an der Veulta nicht unpräzise und infolgedessen auch
nicht auslegungsbedürftig sei, wie es der Kantonsgerichtsaus-
schuss fälschlicherweise angenommen habe.

        a) Nach Auffassung des Kantonsgerichtsausschusses
ist der im zu vollstreckenden Urteilsdispositiv verwendete
Begriff "Nutzungsrecht" insoweit unpräzise, als es sich dabei
um einen weder in der Alltags- noch der Fachsprache klar
definierten Begriff handle. Somit bleibe unklar, ob darunter
ein ausschliessliches Nutzungsrecht oder ein Mitbenutzungs-
recht zu verstehen sei. Die Argumentation des Kreispräsi-
diums, es müsse sich um ein ausschliessliches Nutzungsrecht
handeln, weil im Dispositiv nicht von einem Mitbenutzungs-
recht gesprochen werde, überzeuge nicht, weil ebenso gut
argumentiert werden könnte, es müsse sich um ein Mitbenut-
zungsrecht handeln, weil nicht von einem ausschliesslichen
Nutzungsrecht gesprochen werde. Dem setzen die Beschwerde-
führer unter Hinweis auf Bestimmungen des Miteigentums-
und Stockwerkeigentumsrechts entgegen, im Zusammenhang mit
Grundstücken sei der Begriff Nutzungsrecht gebräuchlich und
klar; der Begriff Nutzungsrecht sei nicht auslegungsbedürf-
tig.

        Der Begriff Nutzung ist als Erscheinung des Immobi-
liarsachenrechts keineswegs so eindeutig, wie die Beschwerde-
führer es glauben machen wollen. Diesbezüglich sei etwa auf
die Art. 709 (Benutzung von Quellen) und Art. 938 ZGB (Nut-
zung des gutgläubigen Besitzers) verwiesen. Auch in den von
den Beschwerdeführern angezogenen Bestimmungen (Art. 647a -
649 und 712a ff. ZGB) wird der Begriff Nutzung bzw. Benutzung
keineswegs verwendet, um ein ausschliessliches Nutzungsrecht
zu charakterisieren oder ein solches gar gegen eine Mitbe-
nutzung abzugrenzen; der als Stockwerkeigentum ausgestaltete

Miteigentumsanteil wird ausdrücklich als Sonderrecht charak-
terisiert, bestimmte Teile eines Gebäudes "ausschliesslich
zu benutzen" (Art. 712a Abs. 1 ZGB). Es kann schon deshalb
von Willkür nicht die Rede sein, wenn der Kantonsgerichts-
ausschuss die Umschreibung der Dienstbarkeit als auslegungs-
bedürftig erachtete. Die weiteren Hinweise der Beschwerde-
führer auf den Art. 745 Abs. 2 ZGB, der dem Nutzniessungs-
berechtigten den vollen Genuss der Sache verleihe, und auf
Art. 737 ZGB, der den Belasteten verpflichte, alles zu un-
terlassen, was die Ausübung der Dienstbarkeit verhindern
oder erschweren könne, gehen offensichtlich an der Sache
vorbei; darauf ist nicht einzutreten.

        b) Zur Auslegung des Dispositivs zog der Kantons-
gerichtsausschuss nicht die Erwägungen der kantonalen Ur-
teile, sondern des Bundesgerichtes heran, weil dieses das
eingeklagte Nutzungsrecht nicht wie die kantonalen Gerichte
als ersessen betrachtet, sondern auf die Ziff. 4 der Verein-
barung vom Jahre 1913 gestützt habe. In dieser sei aber im
Hinblick auf die Teilung der Liegenschaft die gemeinsame
Nutzung (gudi comunablamein) bestimmter Teile des Hauses
geordnet worden. Nicht massgebend könnten daher gewisse,
im Zusammenhang mit dem Ersitzungstatbestand gemachte Fest-
stellungen im Kantonsgerichtsurteil sein.

        aa) Die Beschwerdeführer machen geltend, dass zu
berücksichtigen gewesen wäre, dass im ganzen Verfahren - vor
Bezirks-, Kantons- und Bundesgericht - nur streitig gewesen
sei, ob ihnen eine Nutzung zustehe, und die Beschwerdegegner
nie geltend gemacht hätten, es handle sich beim von den Be-
schwerdeführern eingeklagten Nutzungsrecht nur um ein Mit-
benutzungsrecht, welchen Standpunkt sie - krass widersprüch-
lich - erstmals im Vollstreckungsverfahren eingenommen
hätten. Willkürlich habe sodann der Kantonsgerichtsausschuss
dem (vom Bundesgericht bestätigten) Dispositiv der kantonalen
Gerichte unter Bezugnahme auf die Erwägungen des Bundesge-

richts einen anderen Sinn gegeben. Der Hinweis darauf, zwi-
schen den Parteien sei im Prozess nur die Frage umstritten
gewesen, ob ein Benutzungsrecht an der Veulta bestehe, und
namentlich hätten die Beschwerdegegner kein Mitbenutzungs-
recht geltend gemacht, aber auch die verschiedenen Hinweise
auf die Erwägungen der im kantonalen Verfahren ergangenen
Urteile, sind appellatorischer Natur und daher unzulässig.
Die Willkürkritik, dass der Kantonsgerichtsausschuss hin-
sichtlich der Auslegung des Dispositivs auf die Erwägungen
des Bundesgerichts (und damit nicht auf jene der kantonalen
Urteile) abgestellt habe, ist nicht ansatzweise substantiiert
(Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).

        bb) Willkür erblicken die Beschwerdeführer auch in
der Feststellung des Kantonsgerichtsausschusses, laut den
Erwägungen des Bundesgerichts finde das Nutzungsrecht seinen
Rechtsgrund einzig in der Vereinbarung von 1913, habe doch
das Bundesgericht ebenfalls berücksichtigt, wie die Benutzung
seit 1913 tatsächlich erfolgt sei. Das Bundesgericht führte
u.a. aus: "Es kann nicht zweifelhaft sein, dass die Erbinnen
und Gesamteigentümerinnen mit der in Ziff. 4 der Vereinbarung
getroffenen Regelung im Hinblick auf die Teilung ("partgida")
und Parzellierung der Liegenschaft die gemeinsame Nutzung
("gudi comunablamein") bestimmter Teile des Hauses durch
deren Alleineigentümer ordnen wollten" (BGE 122 III 150 E. 3a
S. 157). Im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage, ob diese
Nutzungsordnung hinsichtlich Form und Inhalt den gesetzlichen
Anforderungen an eine Dienstbarkeit entspreche, führte es so-
dann u.a. aus, "auch der Inhalt der Dienstbarkeit lässt sich
der Vereinbarung genügend klar entnehmen. Dabei ist auch zu
berücksichtigen, wie die Nutzung ... tatsächlich erfolgte;
den vom Kantonsgericht ... getroffenen verbindlichen Sachver-
haltsfeststellungen ist zu entnehmen, dass der Nordeingang,
der Korridor und die Veulta von den Bewohnern des Hausteils
West im Bewusstsein genutzt wurden, dass ihnen diese Nutzung

dauernd und ohne Einschränkung zustehe" (a.a.O., E. 3b,
S. 158). Der Passus "ohne Einschränkung" könnte - für sich
genommen - so verstanden werden, wie es die Beschwerdeführer
geltend machen. Dennoch ist es nicht willkürlich, wenn der
Kantonsgerichtsausschuss - namentlich bei Berücksichtigung
des Kontextes - nicht auf eine ausschliessliche Nutzung
geschlossen und der vertraglichen Umschreibung der Nutzung
als "gudi comunablamein" ebenfalls Gewicht beigemessen hat.
Dabei ist nicht zu vergessen, dass diese Frage, wie die Be-
schwerdeführer selber betonen, gerade nicht Gegenstand des
Prozesses war. Die Willkürrüge ist unbegründet.

     3.- Weiter werfen die Beschwerdeführer dem Kantonsge-
richtsausschuss eine formelle Rechtsverweigerung vor und
führen zur Begründung aus, dass nicht überprüft worden sei,
ob die Veulta auch im Falle eines Mitbenutzungsrechts zu
räumen sei, habe doch das Kreispräsidium protokollarisch
festgehalten, dass sich in der Veulta ein dreiteiliger ein-
gebauter Schrank, ein einteiliger Schrank und ein alter
Bürotisch der Beschwerdegegner befänden. Im Vernehmlassungs-
verfahren hätten sie darauf hingewiesen, es treffe nicht zu,
dass die Beschwerdegegner bereits seit längerer Zeit die
Hälfte der Veulta geräumt hätten.

        Im kantonalen Rechtsmittelverfahren hatten die Be-
schwerdeführer der Behauptung der Beschwerdegegner, sie
hätten eine Mitbenutzung durch die Gesuchsteller schon seit
längerem durch Räumung der Hälfte der Veulta freigegeben,
entgegengehalten, wenn sie ebenso viel Platz wie die Ge-
suchsgegner beanspruchten, müssten sie die Durchgänge der
Veulta verstellen. Nun hatten die Beschwerdeführer sowohl
im Verfahren vor dem Kreispräsidium wie auch jenem vor dem
Kantonsgerichtsausschuss unter Berufung auf ein ausschliess-
liches Nutzungsrecht die vollständige Räumung der Veulta
verlangt und namentlich keinen Eventualantrag für den Fall

gestellt, dass der Vollstreckungsrichter nicht auf ein aus-
schliessliches, sondern ein Mitbenutzungsrecht schliessen
sollte. Da die Beschwerdegegner mit ihren Ausführungen
sinngemäss anerkannt hatten, dass den Beschwerdeführern die
Hälfte der Veulta zur Nutzung zustehe, und das Augenschein-
protokoll des Kreispräsidiums wohl die in der Veulta ste-
henden Einrichtungen der Beschwerdegegner bezeichnet, aber
keine Anhaltspunkte bietet, dass eine hälftige Nutzung durch
die Parteien nicht möglich sei, wäre es seitens der Beschwer-
deführer unerlässlich gewesen, zu konkretisieren, durch
Räumung welcher Gegenstände ihr Mitbenutzungsrecht zu gewähr-
leisten sei. Da sie auch diesbezüglich keine Anträge gestellt
und sich dazu auch sonst nicht geäussert hatten, wozu immer-
hin der Augenschein Gelegenheit geboten hätte, kann dem
Kantonsgerichtsausschuss nicht vorgeworfen werden, unter-
lassen zu haben, das Mitbenutzungsrecht der Beschwerdeführer
materiell zu prüfen. Die Rüge der formellen Rechtsverweige-
rung ist ebenfalls unbegründet.

     4.- Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrecht-
liche Beschwerde unbegründet ist, soweit darauf einzutreten
ist. Nach dem Ausgang des Verfahrens ist die Gerichtsgebühr
unter solidarischer Haftbarkeit den Beschwerdeführern auf-
zuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Da keine Vernehmlassungen
eingeholt wurden, ist keine Entschädigung zuzusprechen.

              Demnach erkennt das Bundesgericht
               im Verfahren nach Art. 36a OG:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Be-
schwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Kantons-
gericht von Graubünden (Kantonsgerichtsausschuss) schriftlich
mitgeteilt.

                        _____________

Lausanne, 10. Januar 2000

               Im Namen der II. Zivilabteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: