Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.420/1999
Zurück zum Index II. Zivilabteilung 1999
Retour à l'indice II. Zivilabteilung 1999


5P.420/1999/bnm

               II. Z I V I L A B T E I L U N G
               *******************************

                       27. Januar 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivil-
abteilung, Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Merkli und
Gerichtsschreiber Mazan.

                          ---------

                          In Sachen

G.M.________,  Beschwerdeführer, vertreten durch Amtsvormund
P.S.________, 5080 Laufenburg, wiederum vertreten durch
Fürsprecher Markus Weber, Laurenzenvorstadt 79, Postfach,
5001 Aarau,

                            gegen

Vormundschaftsbehörde  E.________, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch den Gemeinderat,
Obergericht des Kantons  A a r g a u ,  2. Zivilabteilung,

                         betreffend
                 Art. 4 aBV (Entmündigung),

hat sich ergeben:

     A.- Mit Eingabe vom 27. August 1996 erhob die Vormund-
schaftsbehörde E.________ gegen G.M.________ eine Entmündi-
gungsklage gemäss Art. 369 und 370 ZGB. Mit Urteil vom 23.
Oktober 1997 hiess das Bezirksgericht Laufenburg die Klage
teilweise gut und entmündigte G.M.________ gemäss Art. 369
ZGB.

     B.- Gegen dieses Urteil erhob G.M.________ am 31. August
1998 Appellation beim Obergericht des Kantons Aargau und be-
antragte die Aufhebung des Urteils des Bezirksgerichts Lau-
fenburg sowie die Abweisung der Entmündigungsklage. Mit Ur-
teil vom 9. September 1999 wies das Obergericht des Kantons
Aargau die Appellation ab.

     C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 17. November
1999 beantragt G.M.________ dem Bundesgericht die Aufhebung
des Urteils des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 9. Sep-
tember 1999. Die Vormundschaftsbehörde E.________ beantragt
die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei. Das Obergericht des Kantons Aargau hat auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

        In der gleichen Sache gelangt G.M.________ auch mit
Berufung ans Bundesgericht.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Erhebt eine Partei gleichzeitig staatsrechtliche
Beschwerde und Berufung, so ist in der Regel zuerst über die
staatsrechtliche Beschwerde zu befinden, und der Entscheid
über die Berufung wird ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5 OG). Im
vorliegenden Fall besteht kein Anlass, anders zu verfahren.

     2.- Gemäss Art. 369 Abs. 1 ZGB gehört eine mündige Per-
son unter Vormundschaft, die infolge von Geisteskrankheit
oder Geistesschwäche ihre Angelegenheiten nicht zu besorgen
vermag, zu ihrem Schutze dauernd des Beistandes und der Für-
sorge bedarf oder die Sicherheit anderer gefährdet. Im vor-
liegenden Fall ist nicht umstritten, dass der Beschwerdefüh-
rer an einer Geisteskrankheit leidet und daher ein medizini-
scher Grund für eine Bevormundung gegeben ist. Umstritten ist
hingegen, ob das Obergericht in Bezug auf die sozialen Gründe
für die Bevormundung zu Recht davon ausging, dass der Be-
schwerdeführer in wirtschaftlicher Hinsicht schutzbedürftig
sei und dass eine Entmündigung auch zur Abwendung einer
Fremdgefährdung erforderlich sei. Diesbezüglich beanstandet
der Beschwerdeführer das angefochtene Urteil in verschiedener
Hinsicht als willkürlich.

     3.- Zunächst kritisiert der Beschwerdeführer Feststel-
lungen des Obergerichtes im Zusammenhang mit der Fremdgefähr-
dung.

        a) Soweit er geltend macht, das Obergericht verweise
im Zusammenhang mit einer angeblichen Gefährdung durch
Schusswaffen zu Unrecht auf das Gutachten vom 6. Februar
1997, erweist sich die Beschwerde als unbegründet. An der vom

Obergericht zitierten Stelle des Gutachtens wird ausgeführt,
dass der Beschwerdeführer "mit seinem krankhaft-querulanten
Verhalten und dem öffentlichen Waffentragen ... seine nächste
Umgebung zu verängstigen oder sogar zu bedrohen" scheine. Es
kann somit keine Rede davon sein, dass das Gutachten "klar
falsch wiedergegeben" werde.

        b) Unbegründet ist die Beschwerde auch insoweit, als
dem Obergericht vorgeworfen wird, trotz den Feststellungen im
Zusatzgutachten vom 26. Februar 1997 tunlichst verschwiegen
zu haben, dass die Fremdgefährlichkeit praktisch ganz wegge-
fallen sei. Im angefochtenen Urteil wird in diesem Zusammen-
hang festgehalten, dass das Zusatzgutachten die Fremdgefähr-
lichkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt seiner Hospitali-
sierung im Januar 1997 als hoch bezeichnet habe; "inzwischen
sei jedoch eine erfreuliche, eigentlich unerwartete Wende
eingetreten, da die ... medikamentöse Therapie nun allmählich
Wirkung zu zeigen scheine". Auch wenn des Obergericht die ei-
gentliche Quintessenz des Gutachtens, dass eine Fremdgefähr-
dung des Beschwerdeführers "kaum mehr nachzuweisen" sei,
nicht explizit wiedergegeben hat, wurde der Gehalt des Gut-
achtens in einer Weise dargestellt, welche dem Willkürverbot
standhält.

        c) Desgleichen ist die Rüge unbegründet, dass die
Aussagen des zweiten Ergänzungsgutachtens vom 22. Juli 1999
zur Frage der Fremdgefährdung "willkürlich ausgeklammert"
worden seien. Im angefochtenen Urteil wird festgehalten, dass
der Beschwerdeführer seit dem 27. Februar 1997 beim Externen
Psychiatrischen Dienst des Kantons Aargau behandelt werde und
die vierzehntäglichen Termine einhalte; seither seien - u.a.
gemäss dem erwähnten Ergänzungsgutachten - keine psychoti-
schen Störungen mehr aufgetreten. Das Obergericht hat somit
die Feststellungen im Gutachten wiedergegeben, dass keine
Gefahr für die Sicherheit Dritter zu erkennen sei.

        d) Schliesslich ist die Beschwerde auch insoweit
unbegründet, als der Beschwerdeführer dem Obergericht vor-
wirft, in willkürlicher Weise unterstellt zu haben, dass er
gegen seinen Nachbarn J.V.________ Drohungen ausgestossen und
in der Filiale der Schweizerischen Bankgesellschaft in
S.________ gedroht habe, "er werde nun mit dem Sturmgewehr
zur Amtsvormundschaft gehen". Das Obergericht stützte seine
Annahme in Bezug auf die Drohungen gegen den Nachbarn auf die
Klage des Gemeinderates E.________, worin ausgeführt wurde,
dass der Beschwerdeführer J.V.________ auf die übelste Art
diffamiert und auch Drohungen gegen Leib und Leben ausge-
sprochen habe. Der dagegen erhobene Vorwurf der Willkür geht
einerseits deshalb fehl, weil sich der Beschwerdeführer über-
haupt nicht mit der Begründung des Obergerichtes auseinander-
setzt, weshalb am Wahrheitsgehalt der Darstellung des Gemein-
derates E.________ nicht gezweifelt werden könne. Andrerseits
vermag der Beschwerdeführer nichts aus dem Vollzugsbericht
der Kantonspolizei Aargau vom 27. August 1996 abzuleiten,
wonach er sich während einem mehr oder weniger sachlichen
Gespräch ruhig verhalten habe; dies schliesst nicht aus, dass
vorher Drohungen ausgesprochen wurden. Ebenso wenig verfängt
der Willkürvorwurf im Zusammenhang mit dem Vorfall in der
SBG-Filiale von S.________. Wenn der Beschwerdeführer gegen-
über einem Bankangestellten, der nach Rücksprache mit dem
Vormund die Auszahlung eines grösseren Geldbetrages abgelehnt
hatte, von einem Gewehr gesprochen und anschliessend gefragt
haben soll, "wieviel es wohl gebe, wenn man einen Beamten
umlege", ist die Feststellung offensichtlich nicht willkür-
lich, der Beschwerdeführer habe gedroht, er werde jetzt mit
einem Sturmgewehr zur Amtsvormundschaft gehen.

     4.- Nachdem das Obergericht festgestellt hatte, dass im
Zeitpunkt des psychiatrischen Gutachtens von einer Fremdge-
fährlichkeit habe ausgegangen werden müssen, hatte es zu prü-

fen, ob sich unter Berücksichtigung der seitherigen Entwick-
lung im Zeitpunkt der Urteilsfällung eine Entmündigung auf-
dränge.

        a) Im angefochtenen Urteil wird dazu insbesondere
unter Hinweis auf das Ergänzungsgutachten vom 22. Juli 1999
festgehalten, dass im Januar 1997 von einer hohen Gefährlich-
keit des Beschwerdeführers habe ausgegangen werden müssen.
Inzwischen sei jedoch eine erfreuliche, eigentlich unerwar-
tete Wende eingetreten. Die medikamentöse Therapie zeige
Wirkungen. Da sich der Beschwerdeführer an die medikamentöse
Behandlung halte und die vierzehntäglichen Termine einhalte,
seien keine psychotischen Zustände mehr aufgetreten. Die
Frage nach einer Fremdgefährdung könne daher für die Dauer
einer korrekten Behandlung verneint werden.

        b) Trotz diesem Befund hält das Obergericht dafür,
dass sich eine Bevormundung wegen Fremdgefährdung rechtfer-
tige. Es könne nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass sich
der Beschwerdeführer einzig aufgrund des hängigen Entmündi-
gungsverfahrens der Behandlung unterziehe. Ein Behandlungs-
abbruch nach Beendigung des Verfahrens erscheine naheliegend,
da der Beschwerdeführer überhaupt nicht krankheitseinsichtig
sei, sondern sich lediglich regelmässig behandeln lasse, um
Ärger zu vermeiden. Im Fall einer Einstellung der Medikamen-
tenbehandlung würde er umgehend wieder in einen Zustand fal-
len, in welchem er klarerweise zu entmündigen wäre. Trotz
seines durch die Medikation erreichten erfreulichen Zustandes
könne daher von einer Entmündigung nicht abgesehen werden.
Auch diese Begründung wird vom Beschwerdeführer als willkür-
lich beanstandet. Er wirft dem Obergericht vor, ihm sei in
unhaltbarer Weise fehlende Krankheitseinsicht vorgeworfen
worden, und es sei nicht berücksichtigt worden, dass gemäss
dem Gutachten die Bevormundung nicht ein geeignetes Mittel
sei, um die Medikamenteneinnahme durchzusetzen.

        c) Die Auffassung des Obergerichtes, ein Behand-
lungsabbruch nach Beendigung des hängigen Entmündigungsver-
fahrens erscheine naheliegend, weil der Beschwerdeführer
überhaupt nicht krankheitseinsichtig sei und die Behandlung
als lästig empfinde, erscheint reichlich spekulativ. Zunächst
steht fest, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner Kli-
nikentlassung im Februar 1997 der verschriebenen medikamen-
tösen Therapie ohne weiteres regelmässig unterzogen hat, so
dass es seither zu keinen psychotischen Zuständen mehr ge-
kommen ist. Im Zusatzgutachten vom 26. Februar 1997 wurde
festgehalten, dass der Beschwerdeführer "kaum Krankheits-
einsicht" zeige, "aber wenigstens Behandlungsbereitschaft".
Im Ergänzungsgutachten vom 22. Juli 1999 wird zwar festge-
halten, der Beschwerdeführer zeige "keine Krankheitseinsicht
im eigentlichen Sinne" - nicht aber, er zeige "überhaupt"
keine solche - und lasse sich "seine Depot-Medikation nur
applizieren, um sich vermeintlichen Ärger zu ersparen und um
Auto fahren zu dürfen". Die vom Obergericht vertretene These,
der Beschwerdeführer lasse sich nur aus prozesstaktischen
Gründen - also wegen des laufenden Entmündigungsverfahrens -
vorläufig noch therapieren, findet in dieser gutachterlichen
Beurteilung keine Stütze und ist willkürlich, zumal die An-
nahme auch insoweit nicht nachvollziehbar ist, als vom Ab-
solvieren der Therapie anscheinend die dem Beschwerdeführer
wichtige Erlaubnis abhängt, ein Auto zu fahren. Schliesslich
ist von Bedeutung, dass im Ergänzungsgutachten vom 22. Juli
1999 abschliessend festgehalten wird, dass "die Vormundschaft
... nicht als geeignetes Mittel (erscheine), um die Medika-
menteneinnahme durchzusetzen"; auf dieses wesentliche Element
geht das Obergericht überhaupt nicht ein. Damit erweisen sich
die der Bejahung des Entmündingungsgrundes der Fremdgefähr-
dung zu Grunde liegenden Festellungen als willkürlich und un-
vollständig.

     5.- Das Obergericht ist im angefochtenen Urteil ferner
davon ausgegangen, dass eine Entmündigung auch wegen Unfähig-
keit zur Besorgung der persönlichen Angelegenheiten auszu-
sprechen sei.

        a) Auch in diesem Zusammenhang beanstandet der Be-
schwerdeführer die vom Obergericht getroffenen Sachverhalts-
feststellungen als willkürlich. Namentlich wirft er dem Ober-
gericht vor, dass eine angebliche Unfähigkeit zur Besorgung
der eigenen Angelegenheiten festgestellt werde, obwohl dem
Ergänzungsgutachten vom 22. Juli 1999 gerade das Gegenteil
entnommen werden könne.

        b) Auch diesbezüglich ist die Beschwerde begründet.
Das Obergericht hat unter Hinweis auf das Gutachten vom
6. Februar 1997 festgehalten, dass der Beschwerdeführer
krankheitsbedingt grundsätzlich nicht im Stand sei, seine
Angelegenheiten zu besorgen. Zu Recht weist der Beschwerde-
führer nun darauf hin, dass diese Feststellung im Widerspruch
zu den Erkenntnissen steht, die im gerichtlich bestellten Er-
gänzungsgutachten vom 22. Juli 1999 festgehalten werden. Ge-
mäss diesem Gutachten scheint aufgrund der Art und Weise,
"wie der Beschwerdeführer sein Taschengeld verwaltet (u.a.
mit Buchführung), nichts dagegen zu sprechen, dass er durch-
aus in der Lage ist, seine finanziellen Angelegenheiten
selbst zu besorgen"; in seinem jetzigen Zustand scheine er
weitgehend fähig zu sein, seine Angelegenheiten zu erledigen,
mit Geld umzugehen und für sich selbst zu sorgen.

        c) Auch in diesem Punkt ist die staatsrechtliche Be-
schwerde somit gutzuheissen. Die sich auf ein Gutachten aus
dem Jahr 1997 stützenden Feststellungen des Obergerichtes,
die in Gegensatz zu einem jüngeren Gutachten aus dem Jahr
1999 stehen, sind unhaltbar, wenn nicht überzeugend begründet
wird, weshalb die aktuellen Erkenntnisse der Experten nicht
massgebend sein sollen.

     6.- Aus diesen Gründen ergibt sich, dass die Auffassung
des Obergerichtes, sowohl der Entmündigungsgrund der Fremdge-
fährdung als auch jener der Unfähigkeit, die eigenen Angele-
genheiten zu besorgen, seien erfüllt, auf offensichtlich un-
vollständigen und willkürlichen Feststellungen beruht. Die
staatsrechtliche Beschwerde ist daher gutzuheissen und das
angefochtene Urteil aufzuheben.

        Da die unterliegende Beschwerdegegnerin im vorlie-
genden Fall in ihrem amtlichen Wirkungskreis tätig ist und
ohne Vermögensinteressen handelt, können ihr keine Gerichts-
gebühren auferlegt werden (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat
sie dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor Bundesgericht
eine angemessene Entschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 2
OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen
und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom
9. September 1999 aufgehoben.

     2.- Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

     3.- Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für
das Verfahren vor Bundesgericht mit Fr. 3'000.-- zu entschä-
digen.

     4.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie den Oberge-
richt des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.

                      ________________

Lausanne, 27. Januar 2000

             Im Namen der II. Zivilabteilung des
               SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
      Der Präsident:             Der Gerichtsschreiber: