Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.417/1999
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5P.417/1999/min

              II.  Z I V I L A B T E I L U N G
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                        20. Juni 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivil-
abteilung, Bundesrichter Weyermann, Bundesrichter Raselli und
Gerichtsschreiber Levante.

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                          In Sachen

S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Rainer Schumacher, Oberstadtstrasse 7, 5400 Baden,

                            gegen

E.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher
Frank Brunner, Badstrasse 15, Mäderhof, 5400 Baden,
Obergericht des Kantons  A a r g a u  (1. Zivilkammer),

                         betreffend
                  Art. 4 aBV (Notwegrecht),

hat sich ergeben:

     A.- E.________ ist Eigentümer der mit einem Einfamilien-
haus überbauten Liegenschaft GB B.________ Nr. yyy. Zu seiner
Liegenschaft besteht für Fahrzeuge keine Zufahrtsmöglichkeit;
als Zugang dient ein Fuss- bzw. Treppenweg von ca. 50 m
Länge, der von der 12 m tiefer liegenden Strasse R.________
über die nördlich und nordöstlich angrenzenden Parzellen GB
B.________ Nr. xxx und Nr. zzz heranführt und als Fussweg-
recht von 80 cm Breite im Grundbuch eingetragen ist. Die süd-
lich angrenzende Liegenschaft GB B.________ Nr. qqq gehört
S.________, der darauf ein Wohnhaus erbaut hat. Diese Liegen-
schaft ist erschlossen über den südlich davon verlaufenden
Weg T.________, an welchem E.________ ein im Grundbuch ein-
getragenes Fuss- und Fahrwegrecht zusteht.

     B.- Mit Klage vom 27. August vom 1997 verlangte
E.________ im Wesentlichen, dass zugunsten seiner Liegen-
schaft und zulasten der Liegenschaft von S.________ ein Fuss-
und Fahrwegrecht als Notwegrecht gemäss Art. 694 ZGB im
Grundbuch eingetragen werde. Das Bezirksgericht Baden hiess
seine Klage mit Urteil vom 25. Juni 1998 teilweise gut. Es
verpflichtete S.________, zugunsten der Liegenschaft GB
B.________ Nr. yyy und zulasten seiner Liegenschaft GB
B.________ Nr. qqq Zug um Zug gegen Bezahlung einer Ent-
schädigung von Fr. 30'000.-- ein Fuss- und beschränktes Fahr-
wegrecht (ohne Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, aber z.B. für
Handkarren mit Elektroantrieb und motorlose Fahrzeuge) auf
0,80 m Breite im Bereich seiner Garage und 1,10 m Breite im
Bereich der Rasenfläche gemäss Einzeichnung im Bestandteil
des Urteils bildenden Plan beim Grundbuchamt A.________ als
Notwegrecht anzumelden, wobei im Bereich der Rasenfläche
durch E.________ gegen den Garten des S.________ auf eigene
Kosten ein Maschenzaun von mindestens 0,80 m Höhe mit Eisen-

pfosten zu erstellen sei. Die Gerichtskosten wurden den
Parteien je zur Hälfte auferlegt, die Parteikosten wettge-
schlagen.

     C.- Hiergegen appellierte S.________ beim Obergericht
des Kantons Aargau, dessen 1. Zivilkammer die Appellation mit
Urteil vom 1. Oktober 1999 abwies, ihm die oberinstanzlichen
Verfahrenskosten auferlegte und die zweitinstanzlichen Par-
teikosten wettschlug.

     D.- S.________ führt mit Eingabe vom 15. November 1999
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 aBV
und beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau vom 1. Oktober 1999 aufzuheben. Auf das
Einholen von Vernehmlassungen wurde verzichtet. In der glei-
chen Sache gelangt S.________ auch mit Berufung an das Bun-
desgericht.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Erhebt eine Partei gleichzeitig staatsrechtliche Be-
schwerde und Berufung, so ist in der Regel zuerst über die
staatsrechtliche Beschwerde zu befinden, und der Entscheid
über die Berufung wird ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5 OG). Im
vorliegenden Fall besteht kein Anlass, anders zu verfahren.

     2.- Der Beschwerdeführer rügt zunächst bezüglich der
Wegenot eine Gehörsverweigerung. Obwohl gerichtsnotorisch
sei, dass Terrassensiedlungen nur durch Treppen bzw. Treppen-
lifte erschlossen seien und sich viele Wohnliegenschaften in
der Schweiz in ungünstigeren Verhältnissen als das Grundstück

des Beschwerdegegners befänden, sei das Obergericht auf seine
entsprechenden Ausführungen nicht eingetreten und habe die
angebotenen Beweise nicht abgenommen. Der verfassungsmässige
Anspruch auf rechtliches Gehör besteht indessen nur für ent-
scheiderhebliche Tatsachen und Beweismittel (BGE 124 II 132
E. 2b S. 137, m.H.). Der Beschwerdeführer zeigt vorliegend
nicht auf, weshalb eine Wegenot schon deshalb verneint werden
müsste, weil sich viele andere Wohn- bzw. Terrassenliegen-
schaften in der Schweiz in ähnlichen oder weit schlechteren
Verhältnissen als das Grundstück des Beschwerdegegners befin-
den, und belegt daher nicht, dass die von ihm vorgebrachten
Tatsachenbehauptungen und angebotenen Beweise entscheiderheb-
lich wären. Da der Beschwerdeführer nicht in einer Art. 90
Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise darlegt, inwiefern eine
Gehörsverweigerung vorliegen sollte, kann auf seine Rüge
nicht eingetreten werden (BGE 122 I 70 E. 1c S. 73). Soweit
er mit seinen Ausführungen eine Verletzung seines - sich auf
Art. 8 ZGB stützenden - Beweisanspruchs rügen sollte, könnte
er damit im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren nicht ge-
hört werden (Art. 43 Abs. 1 und 2 OG).

     3.- Sodann wirft der Beschwerdeführer dem Obergericht
Willkür und eine Verletzung des Gehörsanspruchs vor, was die
für die früheren Eigentumsverhältnisse ausschlaggebende Her-
kunft der Grundstücke und ein Versäumnis der wegmässigen Er-
schliessung des Grundstücks des Beschwerdegegners anbelangt.
Keine der Parteien habe je behauptet, ihre Grundstücke seien
durch die Teilung eines Muttergrundstückes entstanden, und
das im Grundbuch eingetragene Fusswegrecht hin zur Strasse
R.________ stelle eine Regelung der Erschliessung des
Grundstücks des Beschwerdegegners dar. Das Obergericht hält
indessen zum einen fest, das Versäumnis, anlässlich der
Parzellierung die wegmässige Erschliessung des Grundstücks
des Beschwerdegegners sicherzustellen, vermöge keinen priori-
tären Notweganspruch gegenüber dem Beschwerdeführer zu be-

gründen; zum anderen hat es erwogen, dass das Grundstück des
Beschwerdegegners nur mit einem schmalen Fusswegrecht zu-
lasten der Nachbarparzellen Nr. xxx und Nr. zzz und damit
durch einen Zufahrtsweg ungeeignet erschlossen sei. Aufgrund
der konkreten Umstände hat das Obergericht angenommen, ein
Notweg über die Nachbarparzellen erweise sich als erheblich
ungeeigneter und greife jedenfalls nicht geringer in die
Interessen des Grundeigentümers der Parzellen Nr. xxx und
Nr. zzz als in jene des Beschwerdeführers ein (vgl. E. 4b
und c des angefochtenen Urteils). Nach den Erwägungen des
Obergerichts hat somit weder die Herkunft der Grundstücke
noch ein Versäumnis der wegmässigen Erschliessung den Not-
weganspruch gegenüber dem Beschwerdeführer begründet. Da
diese Tatsachen insoweit nicht entscheiderheblich gewesen
sind, kommt es - entgegen der Auffassung des Beschwerde-
führers - gar nicht darauf an, ob der Vater oder die Eltern
des Beschwerdegegners seinerzeit auf die Erschliessung der
Bauparzelle mit einer Strasse verzichtet hatten. Der Vorwurf
des Beschwerdeführers, das Obergericht sei in Willkür ver-
fallen (BGE 125 II 129 E. 5b S. 134) und habe den Gehörsan-
spruch verletzt (BGE 124 II 137 E. 2b S. 137), erfolgt daher
ohne Grund. Was die behauptete Gehörsverweigerung betrifft,
kann offen bleiben, ob stattdessen eine mit Berufung zu
rügende Verletzung von Art. 8 ZGB in Frage käme (vgl. Art. 43
Abs. 1 und 2 OG).

     4.- Der Beschwerdeführer macht weiter eine willkürliche
Beweiswürdigung durch das Obergericht geltend. Es habe in
widersprüchlicher Weise festgestellt, dass einerseits das
Parkieren mit der Einräumung des Notwegrechts in der Breite
von 80 cm zwischen der Garage des Beschwerdeführers und dem
östlich angrenzenden Grundstück Nr. vvv erschwert, aber nicht
verunmöglicht werde, und andererseits die verbleibende Breite
von 1,83 m die gesetzlich zulässigen Fahrzeugbreiten unter-
schreite. Bereits das Bezirksgericht hat in tatsächlicher

Hinsicht festgehalten, dass bei einer Wegbreite von 80 cm
die verbleibende Breite von 1,83 m im Bereich des Vorplatzes
neben der Garage ermögliche, Fahrzeuge von 1,60 bis 1,70 m
Breite trotzdem zu parkieren. Der Beschwerde lässt sich
indessen nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführer seine
Kritik in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, um die
Feststellung des Obergerichts als willkürlich auszugeben,
bereits im kantonalen Verfahren vorgebracht hätte. Seine
Vorbringen gelten daher als neu (BGE 118 Ia 20 E. 5a, m.H.)
und sind in einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Ver-
letzung von Art. 4 aBV unzulässig (BGE 118 III 38 E. 2a,
m.H.), so dass darauf nicht eingetreten werden kann. Im Übri-
gen liegt Willkür nach der Rechtsprechung vor, wenn ein kan-
tonaler Entscheid mit keinerlei sachlichem Grund zu recht-
fertigen ist (BGE 112 Ib 241 E. 3b S. 247, 109 Ia 19 E. 2
S. 22, je m.H.). Wenn vorliegend das Obergericht bei einer
aufgrund der Wegbreite von 80 cm frei bleibenden Breite von
1,83 m angenommen hat, das Parkieren von Motorfahrzeugen sei
nicht schlechthin verunmöglicht, entbehrt dies nicht jeden
sachlichen Grundes, zumal bekanntermassen eine bedeutende
Zahl von Motorfahrzeugen nicht breiter als 1,60 bis 1,70 m
ist. Inwiefern es hierfür eines Beweisverfahrens bedurft
hätte, setzt der Beschwerdeführer nicht auseinander, so dass
auf seinen in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurf einer
Gehörsverletzung nicht eingetreten werden kann (Art. 90
Abs. 1 lit. b OG).

     5.- Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, das
Obergericht sei in Willkür verfallen, indem es seine Entschä-
digungsforderung von Fr. 200'000.-- für durch das Notwegrecht
entstehende Nachteile als klar übersetzt betrachtet habe. Er
begnügt sich indessen mit einer Aufzählung der Nachteile ins-
besondere betreffend Privatsphäre, Parkmöglichkeit und Immis-
sionen, die ihm bei Gutheissung des erstinstanzlich einge-
klagten Anspruchs angeblich entstanden wären. Inwiefern die

Nachteile geldmässig bei der beanspruchten minimalen Dienst-
barkeitsfläche von nicht ganz 30 m2 die von ihm geltend ge-
machten Fr. 200'000.-- erreichen sollten, zeigt er nicht auf.
Da der Beschwerdeführer nicht in einer Art. 90 Abs. 1 lit. b
OG genügenden Weise darlegt, inwiefern der zur Bestätigung
der erstinstanzlichen Gerichts- und Parteikostenverlegung
führende Vorwurf einer offensichtlich übersetzten Entschädi-
gungsforderung willkürlich sei, kann er mit seinen Vorbringen
nicht gehört werden (BGE 122 I 70 E. 1c S. 73). Unbehelflich
ist der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf einer formel-
len Rechtsverweigerung. Das Obergericht hat unter Hinweis auf
BGE 120 II 423 festgehalten, dass sich der Notwegberechtigte
am Verkehrswert der von ihm beanspruchten Grundstücksfläche
durch Einkauf angemessen zu beteiligen habe; vorliegend be-
stehe kein Anlass, von der Entschädigung von Fr. 15'000.--
abzuweichen, da diese für die der Grundstücksgrenze entlang
verlaufende, im Ausmass unbestrittene Dienstbarkeitsfläche
von 29,25 m2 einem Einkauf von 75 % bzw. mindestens 50 % des
Landwertes entspreche. Im Übrigen seien die Immissionen durch
das eingeräumte beschränkte Fahrwegrecht insbesondere betref-
fend Lärm unbedeutend. Das Obergericht ist somit auf allfäl-
lige Nachteile eingegangen, soweit sie nach der von ihm ange-
führten Lehre und Rechtsprechung, welcher der Beschwerdefüh-
rer nicht widerspricht, überhaupt beachtlich sind. Von einer
Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtli-
ches Gehör kann unter diesen Umständen keine Rede sein.

     6.- Aus diesen Gründen ist die staatsrechtliche Be-
schwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Da auf die Einholung
von Vernehmlassungen verzichtet wurde, entfällt eine Ent-
schädigungspflicht.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'500.-- wird dem Be-
schwerdeführer auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht
des Kantons Aargau (1. Zivilkammer) schriftlich mitgeteilt.

                        _____________

Lausanne, 20. Juni 2000

               Im Namen der II. Zivilabteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: