Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.308/1999
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5P.308/1999/min

              II.  Z I V I L A B T E I L U N G
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                      17. Februar 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivil-
abteilung, Bundesrichter Weyermann, Bundesrichter Merkli und
Gerichtsschreiber von Roten.

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                          In Sachen

H.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Benno Gebistorf, Falkengasse 3, Postfach 5345,
6000 Luzern 5,

                            gegen

A.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher
Dr. Jürg Schärer, Mühlemattstrasse 50, Postfach, 5001 Aarau,
Obergericht (2. Zivilkammer) des Kantons  A a r g a u,

                         betreffend
         Art. 4 aBV (Nebenfolgen der Ehescheidung),

         wird festgestellt und in Erwägung gezogen:

     1.- Die 1968 geschlossene Ehe der Parteien wurde mit
Urteil vom 25. März 1999 geschieden. Wie zuvor das Bezirks-
gericht Zofingen wies das Obergericht (2. Zivilkammer) des
Kantons Aargau die Anträge von H.________ ab, A.________ zur
Bezahlung einer Unterhaltsersatz-, eventuell einer Bedürftig-
keitsrente zu verpflichten und dessen Vorsorgeeinrichtung zur
Übertragung eines Teils der Austrittsleistung anzuweisen.
Gegen das obergerichtliche Urteil vom 23. September 1999 hat
H.________ eidgenössische Berufung eingereicht und staats-
rechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 aBV erho-
ben. Mit dieser beantragt sie dem Bundesgericht die Aufhebung
des angefochtenen Urteils. Es sind keine Vernehmlassungen
eingeholt worden.

     2.- Das materielle Recht bestimmt, welche Tatsachen
feststehen müssen, um die geltend gemachte Rechtsfolge zu
begründen (BGE 123 III 35 E. 2b S. 40). Über das Beweisthema
steht Sachverhaltsermittlung - Tatsachenfeststellung und Be-
weiswürdigung - insoweit stets vor dem Hintergrund des mass-
gebenden Rechts: Das Gericht findet einerseits die Rechtssät-
ze anhand der behaupteten Tatsachen und anderseits die recht-
lich bedeutsamen Tatsachen anhand der Rechtssätze (Guldener,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3.A. Zürich 1979, S. 156).
Anwendbar ist nicht die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene
Revision der Bestimmungen über die Ehescheidung (vgl. Art. 7b
SchlTZGB), sondern das Scheidungsrecht in seiner Fassung von
1907/12. Danach sind die Ansprüche auf Scheidung (aArt. 142
Abs. 2 ZGB) und auf Leistungen bei Scheidung (aArt. 151 f.
ZGB) verschuldensabhängig. Der Sachrichter darf sich im
Scheidungsprozess nicht mit einer pauschalen Betrachtungswei-
se begnügen und hat vielmehr die Zerrüttungsursachen im Ein-
zelnen festzustellen und zu ermitteln, in welchem Grad sie

für die Zerrüttung kausal sind; daran schliesst die Beantwor-
tung der Rechtsfrage an, ob und in welchem Masse die als kau-
sal festgestellten Zerrüttungsfaktoren der einen oder andern
Partei zum Verschulden angerechnet werden müssen (BGE 108 II
364 E. 2b S. 367 mit Hinweis). In diesem Punkt bestehen daher
weder offene Gesetzeslücken noch unbeantwortete Auslegungs-
fragen, so dass selbst eine Vorwirkung des neuen Rechts ent-
fällt (BGE 125 III 401 E. 2a S. 404 mit Hinweisen). Was die
Beschwerdeführerin aus dem neuen Recht für die Sachverhalts-
ermittlung ableiten will, verschlägt nichts.

     3.- Für die Feststellung der Zerrüttungsursachen ist
vorab ein von der Beschwerdeführerin verfasster Lebenslauf
bedeutsam gewesen, in dem sie eine ehebrecherische Beziehung
zu einem Jugendfreund erwähnt haben soll. Mit Blick auf diese
Dokumentation hat das Obergericht weitere Beweisanträge der
Beschwerdeführerin abgewiesen. Die Beschwerdeführerin er-
blickt darin eine Verletzung von Art. 4 aBV, weil die von ihr
verlangten Zeugeneinvernahmen geeignet gewesen wären, den
Wert dieses Beweismittels und auch das daraus gewonnene Be-
weisergebnis in Frage zu stellen. Vorweggenommene Beweis-
würdigung verletzt weder den Anspruch auf rechtliches Gehör
(BGE 117 Ia 262 E. 4b S. 268/269; zuletzt: BGE 125 I 127
E. 6c/cc S. 135; 124 I 208 E. 4a S. 211) noch den hier im
Vordergrund stehenden Beweisanspruch gemäss Art. 8 ZGB (BGE
122 III 219 E. 3c S. 223 mit Hinweisen), ausser sie wäre
sachlich nicht vertretbar; diese Frage ist auf Willkür hin
im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde zu prüfen
(BGE 114 II 289 E. 2a S. 291 mit Hinweisen; BGE 106 Ia 161
E. 2b S. 163).

     4.- Gegen den Wert des Beweismittels "Lebenslauf" wirft
die Beschwerdeführerin ein, einerseits sei dessen Berücksich-
tigung unter dem Aspekt des Persönlichkeitsschutzes doppelt

rechtswidrig, weil der Beschwerdegegner ihr dieses Schrift-
stück entwendet und vor Gericht verwendet habe; andererseits
werde dieses Beweismittel dadurch entwertet, dass sie ihren
Lebenslauf im Rahmen einer therapeutischen Behandlung auf An-
regung der behandelnden Ärzte niedergeschrieben habe. Die Be-
weiswürdigung sei sodann willkürlich, weil sie weitere, nicht
von ihr gesetzte Zerrüttungsursachen völlig ausblende und
sich einzig auf ihre Drittbeziehung konzentriere.

        a) Die vorherrschende Lehre in der Schweiz nimmt an,
es lasse sich keine allgemein gültige Regel aufstellen, in-
wiefern die Parteien rechtswidrig, durch Verletzung der mate-
riellen Rechtsordnung, erlangte Beweise zu ihren Gunsten ver-
werten dürften; der Richter müsse vielmehr in jedem Einzel-
fall eine Güterabwägung vornehmen, indem er das öffentliche
Interesse an der Wahrheitsfindung oder ein erhebliches priva-
tes Interesse - etwa bei Beweisnotstand der beweisbelasteten
Partei - dem Interesse der Gegenpartei am Beweisverwertungs-
verbot und der Schwere der rechtswidrigen Handlung gegenüber-
stelle (zuletzt: Staehelin, Der Beweis im schweizerischen
Zivilprozess, in: Der Beweis im Zivil- und Strafprozess der
Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz,
Zürich 1996, S. 8; Hinderling/Steck, Das schweizerische Ehe-
scheidungsrecht, 4.A. Zürich 1995, S. 560 bei und in Anm. 2;
Urteil des Bundesgerichts vom 18. Dezember 1997, E. 2b, in:
SJ 1998 S. 303, JdT 1998 I S. 763; differenziert: Gaillard,
Le sort des preuves illicites dans le procès civil, SJ 1998
S. 649 ff., S. 663 ff. Ziffer IV, demzufolge für erhebliche
Tatsachen stets das Interesse der beweisbelasteten Partei
überwiegt mit der Einschränkung für Beweise, die durch eine
Straftat desjenigen beschafft worden sind, der sich darauf
beruft, oder deren Berücksichtigung im Urteil dem Ansehen des
Gerichts schadet; a.A. Habscheid, Beweisverbot bei illegal,
insbesondere unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts, be-
schafften Beweismitteln, SJZ 89/1993 S. 185 ff. mit vielen
Nachweisen auf die herrschende Lehre).

        In Bezug auf Persönlichkeitsverletzungen im Rahmen
eines Zivilprozesses geht die vorherrschende Meinung dahin,
dass private Interessen des Verletzers die Widerrechtlichkeit
ausschliessen können. Gerade im Scheidungsprozess würden
zwangsläufig dem Privat- oder Geheimbereich zuzuordnende Tat-
sachen über das Eheleben vor Gericht aufgedeckt, was jeden-
falls dann als gerechtfertigt gelten könne, wenn das Vorbrin-
gen sachbezogen sei und sich auf das zur Durchsetzung der
eigenen Rechte Notwendige beschränke (Grossen, La protection
de la personnalité en droit privé, ZSR NF 79/1960 II 1a ff.,
N. 37 S. 28a; allgemein statt vieler: Bucher, Personnes phy-
siques et protection de la personnalité, 4.A. Basel 1999,
N. 539 S. 125; Tercier, Le nouveau droit de la personnalité,
Zürich 1984, N. 680 S. 96).

        Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin fin-
det sich somit keine Einschränkung auf geldwerte Forderungen
und ein generelles Beweisverwertungs- oder Beweisverwendungs-
verbot im Zusammenhang mit nicht vermögensrechtlichen Ansprü-
chen. Dass das Obergericht die Interessenabwägung vorgenommen
hat, wie sie die herrschende Lehre befürwortet, ist in recht-
licher Hinsicht nicht willkürlich (vgl. zum Begriff: z.B.
BGE 122 III 439 E. 3b S. 442/443).

        b) In der Sache selbst bringt die Beschwerdeführerin
nichts vor, was die angefochtene Berücksichtigung des von ihr
verfassten Lebenslaufs und dessen Würdigung als willkürlich
erscheinen lassen könnte (vgl. zum Begriff allgemein: BGE 124
I 208 E. 4a S. 211 mit Hinweisen).

        Von einer rechtswidrigen Entwendung im Sinne eines
regelrechten Gewahrsamsbruchs durch den Beschwerdegegner kann
nicht ausgegangen werden, wenn das Obergericht unangefochten
festgehalten hat, es habe der Beschwerdegegner den Lebenslauf
in der ehelichen Wohnung auf dem Spiegeltisch gefunden und
die Beschwerdeführerin diesen Sachverhalt nicht bestritten.

Dass die Verwendung jener Niederschrift im Prozess ihre Per-
sönlichkeitsrechte missachtet, steht ausser Zweifel, doch
setzt die Beschwerdeführerin der obergerichtlichen Abwägung
der auf dem Spiele stehenden Interessen - ihrem Recht auf Ge-
heimhaltung gegenüber seinem Anspruch auf Scheidung und der
damit verbundenen Beweisnot - nichts Stichhaltiges entgegen.

        Als durchaus nachvollziehbar erscheint, dass die
Darstellung des eigenen Lebenslaufes als therapeutische Mass-
nahme unter Umständen nicht zum vollen Wert genommen werden
darf. Inwiefern aber damit allenfalls verbundene Verklärun-
gen, Beschönigungen oder Idealisierungen ihre Ausführungen
über persönliche Beziehungen zu Dritten entwerten sollen,
leuchtet nicht ein. Gegenteils legt doch gerade der geschütz-
te Rahmen der Therapie und die darin verlangte Aufrichtigkeit
sich selbst gegenüber nahe, dass - trotz eventueller Aus-
schmückungen - zumindest die nackte Tatsache der eingeräumten
ehebrecherischen Beziehung für wahr gehalten werden durfte,
zumal dann, wenn bereits mehrere Indizien auf ein ehewidriges
Verhältnis hingewiesen hatten (ihre Aussageverweigerung nach
Verstrickungen, Liebesbriefe des Jugendfreundes, Buchungsbe-
lege über gemeinsame Ferien, usw.). Willkür vermag die Be-
schwerdeführerin somit auch in Bezug auf die aus dem Beweis-
mittel "Lebenslauf" gezogenen Schlüsse nicht darzutun.

        c) Wie die Beschwerdeführerin schliesslich richtig
hervorhebt, kann eine Beweiswürdigung insbesondere als will-
kürlich erscheinen, wenn der Sachrichter einseitig einzelne
Beweise berücksichtigt und andere, aus denen sich Gegentei-
liges ergeben könnte, ausser Betracht lässt (BGE 100 Ia 119
S. 127; 118 Ia 28 E. 1b S. 30 mit Hinweis). Der entsprechende
Willkürvorwurf ist indessen nicht berechtigt:

        Zum einen hat das Obergericht nicht bloss ihr ehe-
widriges Verhalten als Zerrüttungsursache berücksichtigt,
sondern auch ihre Vorhaltungen gegenüber dem Beschwerdegegner

geklärt, diese aber durch das Beweisverfahren nur zu einem
kleinen Teil bestätigt gesehen. Entgegen den Behauptungen in
der Beschwerdeschrift hat das Obergericht sich über Seiten
hinweg auch mit der Persönlichkeit des Beschwerdegegners be-
fasst (E. 4c S. 15 ff.) und dessen Verhalten keineswegs als
für die Zerrüttung der Ehe schlechterdings unerheblich er-
klärt; es ist aber davon ausgegangen, dass auf Grund der Be-
weislage keinesfalls von einem in höchstem Masse zermürbenden
Eheverlauf gesprochen werden könne (S. 17). Die Beschwerde-
führerin setzt dem lediglich ihre eigene Beweiswürdigung ent-
gegen, die mit den vom Sachrichter aus dem Beweisverfahren
gezogenen Schlüssen nicht übereinstimmt. Willkür in der Be-
weiswürdigung vermag sie damit nicht zu begründen (BGE 116 Ia
85 E. 2b S. 88 mit Hinweisen), so dass ihrer Behauptung die
tatsächliche Grundlage fehlt, sie habe sich erst in einem
Zeitpunkt mit ihrem Jugendfreund eingelassen, als die Ehe
bereits zerrüttet gewesen sei.

        Zum anderen trifft die Darstellung der Beschwerde-
führerin nicht zu, der Beschwerdegegner könne aus ihrer ehe-
widrigen Drittbeziehung nichts zu seinen Gunsten ableiten,
habe er doch während mehreren Jahren keinerlei Rechte aus
ihrem angeblichen Fehlverhalten abgeleitet, geschweige denn
sie aufgefordert, von der ihm bekannten freundschaftlichen
Beziehung abzulassen. Das Obergericht hat vielmehr festgehal-
ten, die Beschwerdeführerin habe bereits seit 1989 gewusst,
als der Beschwerdegegner von ihrem zumindest ehewidrigen Ver-
hältnis mit dem Jugendfreund erfahren hätte, dass er nicht
bereit gewesen sei, ein solches zu dulden, und dass ihn die
Drittbeziehung verletzt habe (E. 4b S. 14). Von dieser heute
nicht angefochtenen Feststellung über das damalige Wissen der
Beschwerdeführerin abgesehen, änderte sein angebliches Dulden
oder gar ein Verzeihen des Beschwerdegegners nichts daran,
dass das festgestellte ehewidrige Verhalten den allgemeinen
Scheidungsgrund der tiefen Zerrüttung zu erfüllen vermag,
wenn es trotz einer Verzeihung Nachwirkungen äussert oder mit

weiteren Ursachen zusammenfällt, welche die Ehe zerrütten und
das Zusammenleben unerträglich machen; denn aus dem Zustand
der ehelichen Zerrüttung entsteht fortwährend das Recht auf
Scheidung, und das Verschulden als Ursache bestehender Zer-
rüttung wird durch Verzeihung nicht ungeschehen gemacht, so-
wenig als die Verfehlung selber (vgl. dazu BGE 117 II 13 E. 3
S. 15 mit vielen Nachweisen).

     5.- Die unterliegende Beschwerdeführerin wird kosten-
pflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'500.-- wird der Be-
schwerdeführerin auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht
(2. Zivilkammer) des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.

                        _____________

Lausanne, 17. Februar 2000

               Im Namen der II. Zivilabteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
       Der Präsident:          Der Gerichtsschreiber: