I. Zivilabteilung 4P.268/1999
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4P.268/1999/rnd I. Z I V I L A B T E I L U N G ******************************* 23. Februar 2000 Es wirken mit: Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident, Klett, Rottenberg Liatowitsch und Gerichts- schreiber Herren. --------- In Sachen A.________, Beschwerdeführerin, gesetzlich vertreten durch Josef und Maria Meyer-Koch, Rosenbergstrasse 23, 6017 Ruswil, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanenplatz 7, 6000 Luzern 5, gegen B.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Urs Rudolf, OberEmmenweid 46, Postfach 1846, 6021 Emmenbrücke, Obergericht des Kantons L u z e r n, I. Kammer, betreffend Art. 4 aBV (willkürliche Beweiswürdigung im Zivilprozess), hat sich ergeben: A.- Am 28. Mai 1985 wurde die damals 10 3/4 Jahre alte A.________ (nachfolgend Beschwerdeführerin) Opfer eines Ver- kehrsunfalls in Z.________, als sie auf ihrem Fahrrad links abbog und dabei das Vortrittsrecht eines entgegenkommenden Personenwagens missachtete. Die Beschwerdeführerin wurde da- bei schwer verletzt. Am 20. Februar 1987 beauftragte ihr Vater den Rechtsanwalt B.________ (nachfolgend Beschwerde- gegner) mit der Wahrung der Interessen der Beschwerdeführe- rin gegenüber der X.________ Versicherung (nachfolgend Ver- sicherung) als Motorfahrzeughalterversicherung des Lenkers des Personenwagens. Am 8. Oktober 1987 einigte sich der Be- schwerdegegner mit der Versicherung auf eine Haftungsquote von 60%. Nach seiner Wahl zum Amtsstatthalter legte der Be- schwerdegegner sein Mandat am 31. Oktober 1991 nieder. Die weiteren Verhandlungen mit der Versicherung führte der heu- tige Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin. Mittlerweile sind sämtliche Schadensposten auf der Grundlage der verein- barten Haftungsquote von 60% abgegolten. B.- Am 5. März 1997 belangte die Beschwerdeführerin den Beschwerdegegner beim Amtsgericht Sursee auf Bezahlung von Fr. 694'562.05 nebst Zins zu 5% seit 1. Mai 1993. Sie machte geltend, der Beschwerdegegner habe den Vergleich mit der Versicherung über die Anerkennung einer Haftungsquote von 60% ohne ihre Zustimmung geschlossen. Überdies habe er seine anwaltliche Sorgfaltspflicht verletzt, indem er den Vergleich verfrüht abgeschlossen und eine zu niedrige Haftungsquote akzeptiert habe. Mit Urteil vom 9. September 1998 hiess das Amtsgericht die Klage teilweise gut und verpflichtete den Beschwerdegegner, der Beschwerdeführerin Fr. 190'913.90 nebst Zins zu 5% seit 16. August 1996 zu bezahlen. Auf Ap- pellation des Beschwerdegegners und Anschlussappellation der Beschwerdeführerin wies das Obergericht des Kantons Luzern die Klage mit Urteil vom 27. September 1999 ab. C.- Die Beschwerdeführerin gelangt sowohl mit Berufung als auch staatsrechtlicher Beschwerde ans Bundesgericht. Mit Letzterer beantragt sie, das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht beantragt unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Entscheids ebenfalls Abweisung. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- Das Obergericht hat im angefochtenen Urteil ausge- führt, wie aus dem als "Auftrag und Vollmacht" bezeichneten und vom Luzerner Anwaltsverband herausgegebenen Formular vom 20. Februar 1987 hervorgehe, habe die Beschwerdeführerin mit dessen Unterzeichnung nicht nur den Beschwerdegegner mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragt, sondern ihm zugleich die von Bundesrechts wegen unerlässliche besondere Ermächti- gung zum Abschluss von Vergleichen erteilt. Die Beschwerde- führerin rügt diese Feststellung als willkürlich. Sie macht geltend, das Obergericht stelle einzig auf den Wortlaut der Vollmachtsurkunde ab und lasse ausser Acht, dass sich die Parteien darüber geeinigt hätten, ein Vergleichsabschluss bedürfe der vorgängigen Zustimmung. a) Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere als die vom kantona- len Gericht gewählte Lösung ebenfalls vertretbar oder gar vorzuziehen wäre. Willkürlich ist ein Entscheid vielmehr erst, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, insbesondere mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 122 III 130 E. 2a S. 131; 122 I 61 E. 3a S. 66 f., je mit Hinweisen). Geht es um Beweiswürdigung, ist überdies zu beachten, dass dem Sachgericht darin nach stän- diger Rechtsprechung ein weiter Ermessensspielraum zukommt (BGE 120 Ia 31 E. 4b S. 40). Das Bundesgericht greift nur ein, wenn das kantonale Gericht sein Ermessen missbraucht hat, namentlich zu völlig unhaltbaren Schlüssen gelangt ist (BGE 101 Ia 298 E. 5 S. 306; 98 Ia 140 E. 3a S. 142, mit Hinweisen) oder erhebliche Beweise übersehen oder willkür- lich nicht berücksichtigt hat (BGE 118 Ia 28 E. 1b S. 30; 112 Ia 369 E. 3 S. 371; 100 Ia 119 E. 127). Dabei rechtfer- tigt sich die Aufhebung eines Entscheides nur, wenn er nicht nur in einzelnen Punkten der Begründung, sondern auch im Er- gebnis willkürlich ist (BGE 122 I 61 E. 3a S. 67; 122 III 130 E. 2a S. 131, je mit Hinweisen). b) Die Beschwerdeführerin behauptet sinngemäss einen übereinstimmenden Parteiwillen, wonach der Vollmachts- urkunde vom 20. Februar 1987 nur Wirkungen gegenüber Dritten zukommen sollte, im Innenverhältnis aber der Beschwerdegeg- ner Vergleiche erst nach vorgängiger Zustimmung hätte ab- schliessen dürfen. Zur Begründung führt sie einzig an, der Beschwerdegegner selbst habe im Laufe des kantonalen Verfah- rens mehrfach erklärt, die Zustimmung der Eltern der Be- schwerdeführerin eingeholt zu haben. Daraus lässt sich aber keineswegs ableiten, der Beschwerdegegner sei von einer ver- einbarten Pflicht ausgegangen, vor Abschluss eines Ver- gleichs eine besondere Zustimmung der Beschwerdeführerin einzuholen. Im Gegenteil machte er in seinen erstinstanzli- chen Eingaben ausdrücklich geltend, die Unterzeichnung der Vollmachtsurkunde beinhalte auch die Ermächtigung, Verglei- che abzuschliessen. Die Rüge erweist sich somit als unbe- gründet. 2.- Weiter behauptet die Beschwerdeführerin, der iso- lierte Abschluss eines Vergleichs über die Haftungsquote stelle eine Sorgfaltspflichtverletzung dar. Sie wirft dem Obergericht in diesem Zusammenhang vor, den Sachverhalt unvollständig und in willkürlicher Weise festgestellt zu haben. Das Obergericht hat hierzu ausgeführt, ob die Be- schwerdeführerin ohne vorgängige Festlegung der Haftungs- quote für die einzelnen Schadenspositionen oder insgesamt mehr Geld von der Versicherung hätte erhalten können, sei reine Spekulation, welche weder in den aufgelegten Urkunden noch in den Zeugenprotokollen eine Stütze finde. Ein ent- sprechender Schaden sei somit nicht nachgewiesen. Mit diesen Erwägungen setzt sich die Beschwerdefüh- rerin nicht auseinander, so dass auf ihre Vorbringen nicht einzutreten ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Namentlich un- terlässt sie es aufzuzeigen, inwiefern die Versicherung eine höhere Entschädigung ausgerichtet hätte, wenn die Haftungs- quote erst zusammen mit der Regelung des Gesamtschadens festgelegt worden wäre. Sie führt einzig aus, dass sie bei einer höheren Haftungsquote insgesamt auch eine höhere Ent- schädigung erhalten hätte. Das ist selbstverständlich, ver- mag aber nicht zu belegen, dass die Haftungsquote bei spä- terer Einigung auch tatsächlich höher ausgefallen wäre. Fehlt es aber schon am Nachweis des Schadens, kann offen bleiben, ob dem Beschwerdegegner überhaupt eine Sorgfalts- pflichtverletzung anzulasten wäre. Es braucht deshalb weder geprüft zu werden, ob das Obergericht in diesem Zusammenhang Zeugenaussagen willkürlich gewürdigt hat, noch ob der Ver- zicht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens eine willkürliche Beweisverweigerung darstellt. Unwesentlich ist unter diesen Umständen auch, ob der Vater der Beschwer- deführerin tatsächlich auf eine rasche Festlegung der Haf- tungsquote gedrängt hat. 3.- Willkür erblickt die Beschwerdeführerin sodann in den tatsächlichen Feststellungen und in der Beweiswürdigung des Obergerichts, soweit es ein Verschulden des Motorfahr- zeuglenkers an der Kollision verneint hat. Dabei macht sie im Wesentlichen geltend, der Lenker selbst habe anlässlich der Befragung vor dem Amtsstatthalteramt Sursee vom 20. Au- gust 1985 eingeräumt, auf ca. 20 bis 30 Meter Entfernung er- kannt zu haben, dass ein Kind auf einem Fahrrad einhändig fuhr und ein Eis in der anderen Hand hielt. Ferner habe der Zeuge Bühlmann die unsichere Fahrweise der Beschwerdeführe- rin beobachtet. Die Feststellung des Obergerichts, es gebe keine Hinweise darauf, dass der Lenker des Personenwagens die Beschwerdeführerin auf Distanz als Kind mit einem Eis in der Hand erkannt habe, sei daher unhaltbar und aktenwid- rig. Willkürlich sei überdies die Feststellung des Oberge- richts, der Unfall hätte auch bei Verminderung der Geschwin- digkeit des Personenwagens nicht vermieden werden können. Gemäss Bremswegtabelle betrage der Bremsweg bei 70 km/h und sehr guten Bremsen 27,3 bis 31,7 Meter, so dass bei soforti- ger Bremseinleitung die Kollision hätte vermieden bzw. deren Folgen erheblich reduziert werden können. Die Einwände der Beschwerdeführerin gehen fehl. Zum einen übersieht sie, dass der Lenker des Personenwagens nach Auffassung des Obergerichts selbst dann keinen Anlass zu einer sofortigen Vollbremsung gehabt hätte, wenn er tatsäch- lich auf eine Entfernung von 20 bis 30 Metern erkannt hätte, dass es sich bei der Fahrradfahrerin um ein Kind mit einem Eis in der Hand handelte. Die Beschwerdeführerin sei zu- nächst korrekt auf der Einspurstrecke weiter gefahren, wes- halb der Autofahrer wegen fehlender objektiver Einschätzbar- keit des Gefährlichkeitspotenzials nicht damit habe rechnen müssen, dass diese unvermittelt nach links abbiegen würde. Zum andern lässt die Beschwerdeführerin bei ihrer Berechnung des Bremswegs ausser Acht, dass der Lenker eines Fahrzeugs auch eine gewisse Zeit benötigt, um auf eine erkannte Gefahr zu reagieren. Die während der Reaktionszeit zurückgelegte Strecke muss zum reinen Bremsweg hinzugerechnet werden. An- gesichts der Tatsache, dass der Lenker des Personenwagens nach den Feststellungen des Obergerichts keinerlei Anhalts- punkte dafür gehabt hatte, dass sich die Klägerin nicht ver- kehrsregelkonform verhalten würde, und er somit keine Brems- bereitschaft erstellen musste, kann von einer mittleren Reaktionszeit von einer Sekunde ausgegangen werden (BGE 115 II 283 E. 1a S. 285). In dieser Zeit hätte sein Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h eine Strecke von 19,44 Me- tern, mithin den weitaus grössten Teil der geschätzten Ent- fernung von 20 bis 30 Metern bereits zurückgelegt, bevor die Bremsung überhaupt eingesetzt hätte. Vor diesem Hintergrund erscheint der Schluss des Obergerichts jedenfalls nicht un- haltbar, der Unfall habe nicht vermieden werden können. 4.- Als willkürlich und aktenwidrig rügt die Beschwer- deführerin schliesslich auch die Feststellung des Oberge- richts, die Versicherung habe dem Beschwerdegegner nie eine Haftungsquote von 66% offeriert. Sie beschränkt sich aller- dings darauf, wie bereits im kantonalen Verfahren auf inter- ne Notizen der Versicherung hinzuweisen, aus denen ihrer An- sicht nach hervorgehen soll, dass die Sachbearbeiter dem Be- schwerdegegner anlässlich einer Besprechung eine Haftungs- quote von 66% zugesagt hätten. Der Vorwurf, die Notiz vom 14. April 1987 sei bei der Beweiswürdigung gänzlich unbe- rücksichtigt geblieben, ist indessen haltlos: Das Oberge- richt hat sich im angefochtenen Urteil mit dem betreffenden Dokument durchaus auseinandergesetzt und erwogen, es gehe daraus nicht hervor, ob der Sachbearbeiter der Versicherung dem Beschwerdegegner gegenüber eine maximale Haftungsquote von 66% tatsächlich erwähnt oder lediglich seine für die weitere interne Bearbeitung des Falles notwendige persönli- che Sicht der Dinge festgehalten habe. Überdies habe der Verfasser der Notiz als Zeuge erklärt, nicht mehr zu wissen, ob er dem Beschwerdegegner tatsächlich mitgeteilt habe, die Versicherung würde eine maximale Quote von 66% akzeptieren. Was die Protokollnotiz vom 4. August 1987 anbelange, handle es sich ebenfalls um ein rein internes Dokument der Versi- cherung, dem sich nicht entnehmen lasse, ob dem Beschwerde- gegner die Zahlen betreffend die Haftungsquote überhaupt zur Kenntnis gebracht worden seien. Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was diese Erwägungen als verfassungswidrig ausweisen würde, sondern stellt den Ausführungen des Obergerichts lediglich ihre eigene Sicht entgegen. Damit genügt sie den Begründungsan- forderungen an eine staatsrechtliche Beschwerde nicht (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 8'000.-- wird der Be- schwerdeführerin auferlegt. 3.- Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 10'000.-- zu ent- schädigen. 4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, I. Kammer, schriftlich mitgeteilt. _____________ Lausanne, 23. Februar 2000 Im Namen der I. Zivilabteilung des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: