Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.771/1999
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1P.771/1999/hzg

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                       10. März 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident
der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay,
Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiberin Camprubi.

                         ---------

                         In Sachen

S.________, z.Zt. in Untersuchungshaft, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Caterina Nägeli, Gross-
münsterplatz 9, Zürich,

                           gegen

Bezirksanwaltschaft II für den Kanton  Z ü r i c h, Büro 4,
Staatsanwaltschaft des Kantons  Z ü r i c h,

                         betreffend
     Eigentumsgarantie; willkürliche Beweiswürdigung,
            (Deckungsbeschlagnahme, Notverkauf),

            zieht das Bundesgericht in Erwägung:

     1.- S.________ wird von der Bezirksanwaltschaft II für
den Kanton Zürich des Heroinhandels verdächtigt. Am 27. Juli
1999 beschlagnahmte die Bezirksanwaltschaft II den unter
seinem Namen immatrikulierten Personenwagen der Marke BMW
850i und verfügte die vorzeitige Verwertung. S.________
machte dagegen mit Rekurs bei der Staatsanwaltschaft des
Kantons Zürich im Wesentlichen geltend, das beschlagnahmte
Auto gehöre nicht ihm, sondern seiner Frau. Die Staats-
anwaltschaft wies das Rechtsmittel am 8. November 1999 ab.
S.________ führt dagegen staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung der Eigentumsgarantie, des Grundsatzes "in dubio
pro reo" und des rechtlichen Gehörs sowie wegen willkürli-
cher Beweiswürdigung. Die Bezirksanwaltschaft II und die
Staatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.

        Am 18. Januar 2000 erteilte der Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung.

     2.- Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der
bei ihm eingereichten staatsrechtlichen Beschwerden von
Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 125 I 14 E. 2a
S. 16, 253 E. 1a S. 254; 125 II 293 E. 1a S.299, mit Hin-
weisen).

        a) Die vorliegende Beschwerde wirft verschiedene
Probleme bezüglich des Eintretens auf. Einerseits behauptet
der Beschwerdeführer, er sei nicht Eigentümer, und hält dem
Staatsanwalt eine willkürliche, ungenügende Abklärung der

Eigentumsverhältnisse vor; gleichzeitig macht er jedoch eine
Verletzung der Eigentumsgarantie geltend. Andererseits ist
das angefochtene Urteil zweideutig mit Bezug auf die Perso-
nen, die von der vorzeitigen Verwertung tatsächlich betrof-
fen sind. So ist dem angefochtenen Entscheid zu entnehmen:

    "Aufgrund der aufgeführten schriftlichen Unterlagen ist
     davon auszugehen, dass der Rekurrent tatsächlich Eigen-
     tümer des beschlagnahmten Fahrzeugs ist. Eine abschlies-
     sende Beurteilung der Eigentumsverhältnisse könnte nur
     im Rahmen einer güterrechtlichen Auseinandersetzung vor-
     genommen werden. Grundsätzlich gilt bei Eheleuten die
     Miteigentumsvermutung für den Fall, dass der Beweis des
     Eigentums des einen oder anderen Ehegatten nicht er-
     bracht werden kann. (...) Auf den Rekurs wird vorlie-
     gend unter der Prämisse eingetreten, dass der Rekurrent
     Eigentümer (oder allenfalls Miteigentümer) des beschlag-
     nahmten Fahrzeuges ist." (Erwägung 2 Seite 3 f.).

        b) Die vorzeitige Verwertung des gestützt auf § 83
des Zürcher Gesetzes betreffend den Strafprozess vom 4. Mai
1919 beschlagnahmten Fahrzeugs berührt verfassungsmässige
Individualrechte - so jedenfalls die Eigentumsgarantie des
Fahrzeugeigentümers. Für diesen hat die vorzeitige Verwer-
tung einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil rechtlicher
Natur zur Folge (vgl. Art. 87 OG). Sie muss insofern einer
Überprüfung durch das Bundesgericht zugänglich sein (vgl.
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG, Art. 113 Abs. 1 Ziff. 3 aBV bzw.
Art. 189 Abs. 1 lit. a BV). Sind, wie hier, die Eigentums-
verhältnisse umstritten, hat das Vorgehen der Staatsanwalt-
schaft jedoch zur Folge, dass die vorzeitige Verwertung
stattfinden könnte, ohne dass sich jemand dagegen mit
staatsrechtlicher Beschwerde wehren könnte:

        Zum einen streitet der Beschwerdeführer, der
Adressat der umstrittenen Massnahme und Partei im kanto-
nalen Verfahren ist, seine Eigentümerposition ab. Mit der

Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie macht er somit
nicht eigene rechtlich geschützte Interessen geltend. Viel-
mehr beruft er sich auf das Eigentumsrecht seiner Ehefrau.
Die staatsrechtliche Beschwerde setzt jedoch nach der Recht-
sprechung zu Art. 88 OG, wie sie unter der Herrschaft der
Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (aBV) galt, ein eigenes
aktuelles Rechtsschutzinteresse voraus (BGE 123 I 41 E. 5b
S. 42 f., 279 E. 3c S. 280 f.; 123 II 285 E. 4 S. 286 f.;
122 I 44 E. 2b S. 46; 121 I 279 E. 1 S. 281 f., mit Hinwei-
sen). Am Erfordernis des eigenen Rechtsschutzinteresses
ändert die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene neue Bun-
desverfassung (BV) nichts. Die Eigentumsgarantie verleiht
ferner dem angeblichen Nichteigentümer mangels Beschwer
keinen Anspruch auf Feststellung der Eigentumszuständigkeit.

        Zum anderen hat kein Widerspruchsverfahren statt-
gefunden, obwohl der Staatsanwalt davon ausging, dass nebst
dem Beschwerdeführer möglicherweise auch dessen Ehefrau -
als Miteigentümerin - von der vorzeitigen Verwertung betrof-
fen sein könnte. Ihr wurde diese Anordnung nicht einmal mit-
geteilt, so dass sie nicht in der Lage ist, etwas gegen die
vorzeitige Verwertung zu unternehmen. Den kantonalen Akten
ist lediglich zu entnehmen, dass sie vor dem Erlass der
erstinstanzlichen Verfügung zu den Eigentumsverhältnissen
einvernommen wurde - wobei sie nicht ausdrücklich geltend
machte, sie sei Eigentümerin des Fahrzeugs - und dass sie
bei der Durchführung der Beschlagnahme anwesend war. Die
rechtlichen und tatsächlichen Einwendungen des Beschwerde-
führers im Rekursverfahren genügten allerdings, damit der
Staatsanwalt annahm, die Ehefrau könnte Miteigentümerin des
Fahrzeugs sein. Trotzdem bezog er sie nicht ins Verfahren
ein und klärte die Eigentumsverhältnisse nicht hinreichend
ab.

        c) Um zu verhindern, dass die vorzeitige Verwertung
der bundesgerichtlichen Überprüfung entzogen wird, muss die
vorliegende Beschwerde an die Hand genommen und gutgeheissen
werden. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Will die
Staatsanwaltschaft das beschlagnahmte Fahrzeug vorzeitig
verwerten, muss sie zuvor die Eigentumsverhältnisse unter
Wahrung der Individualrechte aller von der Massnahme Betrof-
fenen abklären. Ansonsten kann das Bundesgericht gegebenen-
falls die Zulässigkeit der vorzeitigen Verwertung aus dem
Blickwinkel der Eigentumsgarantie nicht überprüfen.

     3.- Bei diesem Verfahrensausgang ist in Anwendung
von Art. 156 Abs. 2 OG dem Kanton keine Gerichtsgebühr auf-
zuerlegen. Er hat jedoch gemäss Art. 159 Abs. 2 OG den Be-
schwerdeführer für die Kosten des bundesgerichtlichen Ver-
fahrens angemessen zu entschädigen. Das Gesuch des Beschwer-
deführers um unentgeltliche Prozessführung wird damit gegen-
standslos.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit auf sie
einzutreten ist, und der Entscheid der Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich vom 8. November 1999 wird aufgehoben.

     2.- Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

     3.- Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer mit
Fr. 2'000.-- für die Kosten des bundesgerichtlichen Ver-
fahrens zu entschädigen.

     4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem
Bezirksanwalt II für den Kanton Zürich, Büro 4, sowie der
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich schriftlich mitge-
teilt.

                       ______________

Lausanne, 10. März 2000

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                  Die Gerichtsschreiberin: