Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.769/1999
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1P.769/1999/odi

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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                       23. März 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay,
Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiber Sassòli.

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                         In Sachen

Regierungsrat des Kantons  T h u r g a u, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. Kaspar Schläpfer, Bahnhofstrasse 49,
Frauenfeld,

                           gegen

M.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt
Hans Ulrich Grauer, Haldenstrasse 2, Kreuzlingen,
Verwaltungsgericht des Kantons  T h u r g a u,

                         betreffend
          Willkür; Anspruch auf rechtliches Gehör
            (Entschädigung für ungerechtfertigte
                administrative Entlassung),

hat sich ergeben:

     A.- Der im Jahre 1939 geborene M.________ war seit dem
1. April 1988 Chef eines Amtes der thurgauischen Verwaltung.
Mit Regierungsratsbeschluss vom 10. Juni 1997 wurde er admi-
nistrativ aus dem Staatsdienst entlassen, per 1. Juli 1997
vom Dienst enthoben und sein Dienstverhältnis auf den
31. Dezember 1997 beendet.

        Mit am 29. Dezember 1997 beim Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau eingereichter verwaltungsrechtlicher
Klage verlangte M.________ verschiedene Beträge als Ent-
schädigung dafür, dass er ungerechtfertigterweise entlassen
worden sei. Mit Urteil vom 21. April 1999 hiess das Verwal-
tungsgericht die Klage auf Grund des kantonalen Verantwort-
lichkeitsgesetzes teilweise gut und sprach ihm eine Entschä-
digung für die entgangenen Lohnansprüche bis zum Ende seiner
Amtsdauer am 31. Mai 2000 zu. Weitergehende Ansprüche für
die darauf folgende Amtsdauer und bis Ende Februar 2004, dem
Zeitpunkt, in dem M.________ ordentlicherweise pensioniert
worden wäre, wies das Verwaltungsgericht ab.

     B.- Der Kanton Thurgau führt, vertreten durch den Re-
gierungsrat, gegen das am 5. November 1999 versandte Urteil
seines Verwaltungsgerichts staatsrechtliche Beschwerde und
beantragt dessen Aufhebung. Er rügt eine Verletzung von
Art. 4 aBV, weil kantonales Recht willkürlich ausgelegt und
sein Anspruch auf rechtliches Gehör im Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht verletzt worden sei.

        M.________ und das Verwaltungsgericht beantragen,
auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie
abzuweisen.

     C.- Mit Verfügung vom 13. Januar 2000 hat der Präsident
der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts
der staatsrechtlichen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuer-
kannt.

     D.- Mit Urteil vom heutigen Tag weist das Bundesgericht
eine von M.________ gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
vom 21. April 1999 erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit einer
staatsrechtlichen Beschwerde von Amtes wegen und mit freier
Kognition (BGE 125 I 412 E. 1a S. 414 mit Hinweisen).

        a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein Rechts-
mittel zum Schutze verfassungsmässiger Rechte der Bürger ge-
gen Übergriffe der Staatsgewalt (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG).
Solche Rechte stehen grundsätzlich nur Privaten zu, nicht
dagegen dem Staat als Inhaber hoheitlicher Gewalt. Öffent-
lichrechtliche Körperschaften - wie Kantone und Gemeinden
oder ihre Behörden - können gegen Akte anderer Staatsorgane,
die sie als Träger hoheitlicher Befugnisse treffen, somit in
der Regel nicht staatsrechtliche Beschwerde führen (BGE 124
II 409 E. 1a S. 412; 121 I 218 E. 2a S. 219, je mit Hinwei-
sen). Eine Ausnahme besteht zunächst insofern, als sie sich
gegen eine Verletzung ihrer durch das kantonale Recht ge-
währleisteten Autonomie oder Bestandesgarantie zur Wehr set-
zen (BGE 121 I 218 E. 2a S. 220; 119 Ia 214 E. 1 S. 216 f.,
je mit Hinweisen). Ausserdem sind sie zur staatsrechtlichen
Beschwerde legitimiert, wenn sie nicht hoheitlich auftreten,

sondern sich auf dem Boden des Privatrechts bewegen oder
sonstwie durch einen staatlichen Akt wie eine Privatperson
betroffen werden, z.B. als Eigentümer von Finanz- oder Ver-
waltungsvermögen oder als Steuer- und Gebührenpflichtige
(BGE 123 III 454 E. 2 S. 456 mit Hinweisen). Ob diese Vo-
raussetzungen erfüllt sind, bestimmt sich nicht in erster
Linie danach, mit wem die Körperschaft in einem Rechtsver-
hältnis steht, sondern aufgrund der Rechtsnatur des Verhält-
nisses, das der Auseinandersetzung zugrunde liegt (BGE 120
Ia 95 E. 1a S. 97 mit Hinweisen). Entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers sind öffentlichrechtliche Körperschaf-
ten - anders als Private - zur Rüge der Verletzung des
rechtlichen Gehörs nicht unabhängig von ihrer Legitimation
in der Sache legitimiert, sondern nur soweit diese Rüge ei-
nen engen Zusammenhang mit der Verletzung ihrer Autonomie
oder ihrer Betroffenheit wie eine Privatperson aufweist. Der
Anspruch auf rechtliches Gehör schützt den Bürger vor Akten
der öffentlichen Gewalt, aber nicht den Staat selber in der
Ausübung seiner hoheitlichen Aufgaben (BGE 121 I 218 E. 4a
S. 223 mit Hinweisen).

        b) Es braucht nicht entschieden zu werden, ob ein
Kanton überhaupt mittels staatsrechtlicher Beschwerde seine
Autonomie oder seinen Bestand verteidigen kann. Jedenfalls
ist nur der Kanton als Körperschaft und nicht der Regie-
rungsrat als dessen Organ möglicher Träger der Autonomie.
Gegenüber seinem Verwaltungsgericht ist der Kanton nicht
autonom, sondern das Verwaltungsgericht ist wie der Regie-
rungsrat sein Organ. Den Grundsatz der Gewaltentrennung
können schliesslich nur die Bürger, nicht aber die Organe
anrufen, deren Gewalt dieser abgrenzt. Öffentlichrechtliche
oder politische Organfunktionen können nicht Gegenstand der
auf Individualrechte zugeschnittenen staatsrechtlichen Be-
schwerde nach Art. 84 Abs. 1 lit. a OG sein (BGE 123 I 41
E. 5c/ee S. 45 mit Hinweisen). Zur Autonomiebeschwerde ist
der Beschwerdeführer somit nicht befugt.

        Der private Beschwerdegegner war Beamter des Kan-
tons Thurgau (vgl. § 2 Abs. 1 Ziff. 1 der Verordnung des Re-
gierungsrats über die Rechtsstellung des Staatspersonals vom
22. November 1988 [RSV; RB 177.112]). Sein Arbeitsverhältnis
war vom öffentlichen Recht geregelt. Nach der Rechtsprechung
ist ein Kanton nicht legitimiert zur staatsrechtlichen Be-
schwerde gegen ein Urteil des kantonalen Verwaltungsge-
richts, das ihn zu einer Lohnzahlung an öffentlichrechtliche
Angestellte verpflichtet. Das öffentlichrechtliche Dienst-
verhältnis ist ein Sonderstatusverhältnis, in welchem der
Kanton dem Bediensteten nicht wie ein privater Arbeitgeber,
sondern aufgrund staatlicher Hoheit gegenübersteht (BGE 120
Ia 95 E. 1b S. 97 f. mit Hinweisen; zustimmend Yvo Han-
gartner, AJP 1994 S. 1307 f.). Ebenso wenig ist eine öffent-
lichrechtliche Körperschaft legitimiert zur staatsrechtli-
chen Beschwerde gegen kantonale Entscheide, welche sie zu
einer Entschädigung aufgrund öffentlichrechtlicher Verant-
wortlichkeitsbestimmungen verurteilen (BGE 109 Ia 173 E. 2
S. 175; 99 Ia 110 E. 1). Auch soweit sich das Verwaltungsge-
richt aufgrund von Verweisungen des kantonalen Rechts (vgl.
§ 1 Abs. 5 RSV und § 13 des Gesetzes vom 14. Februar 1979
über die Verantwortlichkeit der Gemeinwesen, Behördemitglie-
der und Beamten [VerantwG; RB 170.3]) auf Bestimmungen des
OR stützte, wandte es nicht Privatrecht an, sondern das OR
als subsidiäres öffentliches Recht (vgl. BGE 79 II 424 E. 1
S. 432 mit Hinweisen; Viktor Lieber, Zürcher Kommentar,
N. 128 zu Art. 7 ZGB und Adrian Staehelin, Zürcher Kommen-
tar, N. 3 zu Art. 342 OR). Der Kanton ist vom angefochtenen
Urteil daher nicht wie eine Privatperson betroffen.

     2.- Zusammenfassend ist der Beschwerdeführer somit
nicht legitimiert zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen das
Urteil des kantonalen Verwaltungsgerichts, das in Anwendung
von kantonalem öffentlichem Recht ergangen ist. Daher kann
auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Bei diesem Aus-

gang des Verfahrens werden keine Gerichtskosten erhoben
(Art. 156 Abs. 2 OG). Der Kanton Thurgau hat den Beschwerde-
gegner für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht ein-
getreten.

     2.- Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

     3.- Der Kanton Thurgau hat den Beschwerdegegner für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädi-
gen.

     4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwal-
tungsgericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
                       ______________

Lausanne, 23. März 2000

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: