Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.743/1999
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1P.743/1999/sch

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                       29. Juni 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Aeschlimann, Ersatzrichter Loretan und Gerichtsschreiber
Steinmann.

                         ---------

                         In Sachen

A.X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Michael
Ueltschi, Spitalgasse 4, Postfach 8563, Bern,

                           gegen

Einwohnergemeinde  S a a n e n, vertreten durch den
Gemeinderat Saanen, dieser vertreten durch Fürsprecher Urs
Gasche, Bollwerk 15, Postfach 5576, Bern,
Enteignungs-Schätzungskommission des Kantons  B e r n,
Kreis I,
Verwaltungsgericht des Kantons  B e r n, Verwaltungsrecht-
liche Abteilung,

                         betreffend
          Art. 4, 22ter aBV (formelle Enteignung),

hat sich ergeben:

     A.- B.X.________ war Eigentümerin der nördlich an die
Neueretstrasse angrenzenden Parzelle Nr. 4262 in Gstaad.
Die Parzelle liegt in der Kernzone und umfasst eine Fläche
von 2'060 m2. Auf dem östlichen Teil steht das Chalet
C.________; der westliche Teil ist unüberbaut und eignet
sich für die Erstellung einer weitern Baute. Eine alte
Baulinie von 1907 führte im südlichen Teil über die ganze
Parzelle entlang der Neueretstrasse.

     B.- Mit Gemeindebeschluss vom 18. Dezember 1992 be-
schloss die Gemeinde Saanen die Überbauungsordnung mit
Staatsstrassenplanänderung "Autofreies Ortszentrum Gstaad
AFROZ". Die Überbauungsordnung sieht unter anderem die
Verbreiterung der Neueretstrasse auf deren Nordseite vor.
Diese beansprucht einen ca. 3 m breiten Landstreifen von
insgesamt 91 m2 auf der Südseite der Parzelle Nr. 4262 und
setzt anstelle der alten Baulinie von 1907 eine neue in
einem Abstand von 3,6 m zur neuen Strasse fest.

        Am 5. November 1993 genehmigte die Bau-, Verkehrs-
und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE) die Überbauungs-
ordnung mit Staatsstrassenplanänderung "Autofreies Ortszent-
rum Gstaad AFROZ". Mit der Genehmigung wies die Direktion
unter anderem die Einsprache von B.X.________ ab. Gleich-
zeitig wurde der Gemeinde Saanen für diesen Parzellenteil
das Enteignungsrecht erteilt.

        In der Folge erhielt die Einwohnergemeinde Saanen
das Recht auf vorzeitige Besitzeinweisung. A.X.________
übernahm das Grundstück Nr. 4262.

     C.- Am 25. Mai 1999 setzte die Enteignungs-Schätzungs-
kommission des Kantons Bern, Kreis I, die Entschädigung für
die zwangsweise Abtretung der Fläche von 91 m2 auf insgesamt
auf Fr. 60'975.-- fest. Sie ging davon aus, dass vom west-
lichen Teil der Parzelle 60 m2 Bauland enteignet werden,
veranschlagte hierfür einen Preis von Fr. 900.-- pro m2 und
sprach eine Entschädigung von Fr. 54'000.-- zu; die im mitt-
leren Teil im Einfahrtsbereich zum Chalet gelegene Fläche
von 31 m2 betrachtete sie als Vorgartenland, reduzierte
hierfür die Entschädigung auf Fr. 225.-- pro m2 und kam
auf Fr. 6'975.--.

        Die Einwohnergemeinde Saanen appellierte gegen
diesen Entscheid der Schätzungskommission an das Verwal-
tungsgericht des Kantons Bern. Dieses hiess die Appella-
tion gut und verpflichtete die Einwohnergemeinde Saanen
mit Urteil vom 29. Oktober 1999, A.X.________ für das ent-
eignete Land gesamthaft mit Fr. 20'475.-- zu entschädigen.

        Das Verwaltungsgericht ging in seiner Begründung
für den unüberbauten Teil der Parzelle von einem Wert von
Fr. 900.-- pro m2 aus. Es legte weiter dar, dass im west-
lichen Teil der Parzelle die Überbauungsmöglichkeit - trotz
der Enteignung und in Anbetracht von alter und neuer Bau-
linie - gegenüber dem frühern Zustand nicht beeinträchtigt
werde. Ein Landstreifen im Bauabstandsbereich stelle sog.
Vorgartenland dar. Dieses sei weit weniger wert als übriges
Land. In Anbetracht dieser Umstände sprach es dem Enteigne-
ten für die gesamte enteignete Fläche von 91 m2 eine Ent-
schädigung von Fr. 225.-- pro m2, total Fr. 20'475.-- zu.

     D.- A.X.________ hat gegen dieses Urteil des Verwal-
tungsgerichts am 3. Dezember 1999 staatsrechtliche Be-
schwerde an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt die

Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Rückweisung
der Sache an das Verwaltungsgericht. Er rügt die Verletzung
der Eigentumsgarantie (Art. 22ter aBV und Art. 24 KV/BE)
und des Willkürverbotes (Art. 4 aBV). Er bestreitet insbe-
sondere, dass es sich um Vorgartenland handle, und bean-
standet, dass die Entschädigung für das enteignete Land
auf einen Viertel des Verkehrswertes des übrigen Landes
reduziert wird.

        Das Verwaltungsgericht und die Einwohnergemeinde
Saanen beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die Schät-
zungskommission hat sich nicht vernehmen lassen.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Das angefochtene Urteil ist ein kantonal letzt-
instanzlicher Entscheid betreffend eine Entschädigung wegen
einer formellen Enteignung nach kantonalem Recht. Hiergegen
kann nicht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben werden
(Art. 34 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom
22. Juni 1979). Die erhobene staatsrechtliche Beschwerde ist
daher zulässig. Die Prozessvoraussetzungen geben zu keinen
weitern Erörterungen Anlass. Auf die Beschwerde kann daher
eingetreten werden.

     2.- Es ist unbestritten, dass die formelle Enteignung
auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage - dem ber-
nischen Gesetz vom 3. Oktober 1965 über die Enteignung
(kEntG) - beruht und die enteignungsbegründende Planungs-
massnahme im überwiegenden öffentlichen Interesse steht. Der
Beschwerdeführer macht ausschliesslich geltend, die ihm vom

Verwaltungsgericht zugesprochene Entschädigung genüge dem
Grundsatz der vollen Entschädigung nicht, sei unverhältnis-
mässig und verletze daher die Eigentumsgarantie.

        In kantonalen Enteignungssachen prüft das Bundes-
gericht frei, ob die kantonalen Normen dem Grundsatz der
vollen Entschädigung gemäss Art. 22ter aBV (bzw. Art. 26
Abs. 2 BV) entsprechen. Ebenfalls mit freier Kognition wird
geprüft, ob die Enteignungsentschädigung und ihre Höhe
methodisch richtig ermittelt wurden und ob insoweit dem
verfassungsrechtlichen Anspruch auf volle Entschädigung
Rechnung getragen wurde. Soweit mit der Beschwerde hingegen
die bei der Anwendung dieser Methoden getroffenen tatsäch-
lichen Feststellungen oder Annahmen kritisiert werden, ist
das angefochtene Urteil lediglich auf Willkür hin zu über-
prüfen (BGE 122 I 168 E. 2c S. 173, mit Hinweisen).

     3.- a) Das Grundstück des Beschwerdeführers lässt sich
gedanklich ungefähr halbieren; in den Akten befinden sich
Pläne, wie diese Trennung tatsächlich vollzogen werden
könnte. Der östliche Teil im Halte von rund 960 m2 ist mit
dem Chalet C.________ überbaut. Der westliche Teil umfasst
rund 1'000 m2 und ist unbebaut; er liesse sich ohne weiteres
mit einem weiteren grosszügigen Chalet überbauen. Die Par-
zelle liegt in der Kernzone von Gstaad; für diese gilt keine
Ausnützungsziffer, und es gelangen keine Überbauungsprozente
zur Anwendung. Die zulässigen Gebäudevolumen werden im We-
sentlichen durch die Grenz- und Gebäudeabstände sowie die
maximal festgelegte Gebäudehöhe in Verbindung mit den Pro-
portionsvorschriften bestimmt.

        Im Bereich der gedachten Parzellenunterteilung
liegt die Zufahrt zum bestehenden Chalet, die auch als Zu-
fahrt zum etwaigen Neubau verwendet werden könnte. Der süd-

liche Teil des Grundstücks liegt seit 1907 aufgrund einer
Baulinie in einem Bauverbotsstreifen. Die neue Überbauungs-
ordnung enthält ebenfalls eine Baulinie, die indes näher bei
der strassenseitigen Parzellengrenze liegt als die alte. Der
für den Ausbau der Neueretstrasse benötigte Landstreifen
betrifft vorwiegend den westlichen Grundstücksteil, und zwar
60 m2 im eigentlichen Vorfeld des unüberbauten Parzellen-
teils und 31 m2 im Einmündungstrichter der Parzellenzufahrt.

        b) Der Beschwerdeführer stellt nicht in Frage, dass
die geschuldete Entschädigung für die streitige formelle
Teilenteignung in Anwendung von Art. 14 Abs. 1 kEntG nach
der Differenzmethode zu ermitteln ist. Danach hat der Ent-
eignete Anspruch auf Ersatz der Wertdifferenz, die sich
zwischen dem Verkehrswert des Grundstücks vor und nach Abzug
der enteigneten Fläche ergibt (vgl. BGE 122 II 246 E. 4).

        Im vorliegenden Fall wird insbesondere die Annahme
des Verwaltungsgerichts nicht beanstandet, dass für die
Berechnung der Entschädigung von einem Verkehrswert von
Fr. 900.-- pro m2 und von einem Gesamtwert des westlichen
Teils von Fr. 900'000.-- auszugehen ist. Streitig ist ein-
zig, ob und in welchem Ausmass dieser Wert für die enteig-
nete Fläche reduziert werden dürfe. Damit steht auch die
Frage im Zusammenhang, ob und inwiefern die Überbaubarkeit
der Parzelle im unüberbauten westlichen Teil in Anbetracht
der Enteignung und der neuen Baulinie entlang der Neueret-
strasse eingeschränkt wird.

     4.- Das Verwaltungsgericht hat erwogen, der enteignete
Landstreifen von 91 m2 im Südwesten der Parzelle sei nicht
zum vollen Baulandwert, sondern nur als Vorgartenland zu
entschädigen. Es hat weiter ausgeführt, dass die Überbau-
barkeit des Westteils mit der neuen Zonenordnung nicht be-

einträchtigt worden sei. In Würdigung aller Umstände erach-
tete das Gericht daher einen Preis von einem Viertel des
durchschnittlichen Verkehrswertes pro m2 als angemessen und
setzte die Entschädigung auf Fr. 225.--/m2 fest. Gegen diese
Beurteilung setzt sich der Beschwerdeführer zur Wehr.

        a) Der Beschwerdeführer räumt ein, dass die Über-
baubarkeit des Grundstücks durch die Enteignung nicht we-
sentlich eingeschränkt werde. Er macht aber geltend, die
alte Baulinie von 1907 könne ihm nicht entgegengehalten
werden und durch die Enteignung werde der Grenzabstand
tiefer in das Grundstück fallen, weshalb der Spielraum
einer Überbauung eingeschränkt werde.

        Das Verwaltungsgericht konnte zutreffend davon aus-
gehen, dass Baulinien rechtlich bis zu ihrer förmlichen Ab-
lösung bestehen. Allenfalls kann ein Eigentümer die Über-
prüfung der Baulinie verlangen, entweder im ordentlichen
Verfahren oder eventuell im Rahmen eines Baubewilligungs-
verfahrens (vgl. Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-,
Bau- und Umweltrecht, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 348). Das
Gericht hat weiter erwogen, der Beschwerdeführer hätte bei
Bedarf vermutlich aus Gründen der Rechtsgleichheit gestützt
auf Art. 66 Abs. 1 des Gesetzes vom 2. Februar 1994 über Bau
und Unterhalt der Strassen (SBG; BSG 732.11) eine Ausnahme-
bewilligung erhalten können, um die 1907 festgesetzte Bau-
linie zu überschreiten. Nach der erwähnten Bestimmung könn-
ten Ausnahmen von den vorgeschriebenen Strassenabständen aus
wichtigen Gründen bewilligt werden, wenn weder öffentliche
Interessen noch wesentliche Interessen der Nachbarn verletzt
werden. Indessen hätte eine Ausnahme, welche den Ausbau der
Neueretstrasse tatsächlich verhindert oder erschwert hätte,
schon unter altem Recht öffentliche Interessen verletzt und
wäre daher nicht in Betracht gekommen. Hinzu komme, dass
sich die Eishalle im Westen soweit ersichtlich ebenfalls

ungefähr an die neue Baulinie halte. Der Beschwerdeführer
hätte daher auch auf dem Ausnahmeweg nach altem Recht keinen
Anspruch gehabt, über die neue Baulinie hinaus zu bauen.
Die Überbauungsmöglichkeiten seien daher früher nicht besser
gewesen als heute.

        Der Beschwerdeführer setzt diesen Erwägungen nichts
entgegen, was sie als willkürlich erscheinen lassen könnte.
Seine Auffassung, veraltete Baulinien würden nach einiger
Zeit ohne jeden förmlichen Akt durch die gesetzlichen Stras-
senabstandsvorschriften abgelöst, weist keinerlei Grundlage
auf. Es spielt in diesem Zusammenhang auch keine Rolle, ob
gemäss Art. 63 Abs. 3 SBG der Strassenabstand vom alten
Fahrbahnrand her zu messen gewesen wäre. Die Erwägung des
Verwaltungsgerichts, es wäre aus Gründen des öffentlichen
Interesses schon altrechtlich keine Ausnahmebewilligung er-
teilt worden, welche möglicherweise den Ausbau der Neueret-
strasse behindert hätte, ist überzeugend. Sie entspricht der
Überlegung, dass sich die vorsorgliche Freihaltung von Land
in einem planerisch noch nicht erfassten Strassengebiet ver-
nünftigerweise nicht auf ein Minimum, sondern auf die all-
fällige äusserste Grenze des künftigen Raumbedarfs auszu-
richten hat (BGE 99 Ia 482 E. 5 S. 488).

        Demnach kann die Feststellung des Verwaltungs-
gerichts, die neue Überbauungsordnung habe keine Einschrän-
kungen der Überbaubarkeit zur Folge, als zutreffend be-
zeichnet werden.

        b) Der Beschwerdeführer wendet ferner ein, seine
Parzelle verliere den Sichtschutz. Diese Rüge erweist sich
als unbegründet. Der Sichtschutz wurde dem Beschwerdeführer
schon nach der vorzeitigen Besitzeinweisung ersetzt. Aus
dem Protokoll des Augenscheins der Schätzungskommission vom
26. November 1998 geht hervor, dass die Beschwerdegegnerin

auf eigene Kosten längs der neuen Marche einen Lattenzaun
erstellen liess, dem entlang der Beschwerdeführer auf Rech-
nung der Gemeinde einen Tannenhag pflanzen lassen konnte.

        c) Zur Hauptsache macht der Beschwerdeführer gel-
tend, beim enteigneten Landstreifen handle es sich nicht um
sog. Vorgartenland, da der westliche Teil der Parzelle un-
überbaut sei. Er verliere mit der Enteignung daher nicht
Vorgarten-, sondern eigentliches Bauland. Selbst wenn die
enteignete Fläche als sog. Vorgartenland bezeichnet werden
sollte, entspreche die Reduktion des Wertes auf einen
Viertel keiner vollen Entschädigung.

        aa) Nicht zu Unrecht bestreitet der Beschwerdefüh-
rer, dass es sich beim fraglichen Landstreifen um Vorgarten-
land handle. Von Vorgartenland wird in erster Linie gespro-
chen, soweit innerhalb der Baulinie gelegenes Land einer
überbauten Parzelle enteignet wird (vgl. Hess/Weibel, Das
Enteignungsrecht des Bundes, Bern 1986, Band I, Rz. 106 zu
Art. 19). Soweit der Begriff allgemein für Teilenteignungen
verwendet wird, wird zwischen überbauten und unüberbauten
Parzellen unterschieden (vgl. Peter Wiederkehr, Die Expro-
priationsentschädigung, Diss. Zürich 1966, S. 69 ff.). Das
Bundesgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob der Begriff
des Vorgartenlandes auf eine unüberbaute Parzelle überhaupt
Anwendung finden könne, und hat ihn lediglich mit Anfüh-
rungszeichen verwendet (BGE 122 I 168 E. 4 S. 176 ff.). Es
gilt zu beachten, dass der Begriff des Vorgartenlandes weder
in der Gesetzgebung noch in der Rechtsprechung näher um-
schrieben ist. Entscheidend ist einzig, dass dem Enteigneten
im Lichte von Art. 22ter aBV (bzw. Art. 26 Abs. 2 BV) eine
volle Entschädigung zukommt. Bei einer Teilenteignung, wie
sie im vorliegenden Fall zur Diskussion steht, ist zu prü-
fen, ob das Restgrundstück durch die Abtretung einen Minder-
wert erfahren hat und dem Enteigneten weitere zu entschädi-

gende Nachteile entstanden sind (vgl. BGE 122 I 168 E. 4b/aa
S. 177, 105 Ib 327 E. 1c S. 330; BVR 1992 S. 459/464 E. 4c;
Wiederkehr, a.a.O., S. 70 f.). Bei noch nicht überbautem
Bauland, dessen gesamthafte bauliche Ausnützung durch eine
Teilenteignung nicht reduziert wird, kann das Mass des Ab-
zuges vom zu entschädigenden Verkehrswert selten präzise
bestimmt werden; vielmehr ist das Ausmass der Herabsetzung
nach pflichtgemässem Ermessen in Anbetracht der konkreten
Verhältnisse festzulegen (BGE 122 I 168 E. 4c S. 180 mit
Hinweisen; Wiederkehr, a.a.O., S. 71 f.). Dabei können die
Lage, die Beschaffenheit und ähnliche die Wohnqualität
betreffende Überlegungen berücksichtigt werden (BVR 1992
S. 459/465 E. 4d). Bei Grundstücken, die mit Ein- oder
Zweifamilienhäusern und Villen etc. überbaut werden können,
spielt die Umgebungsgestaltung eine erhöhte Rolle und ist
die typische Käuferschaft eher bereit, zusammen mit der
Restparzelle auch für das sog. Vorgartenland einen erhöhten
Preis bzw. den vollen Baulandwert zu bezahlen (Wiederkehr,
a.a.O., S. 71). Mit Blick auf die gesamte Ausnützung unter-
scheidet der Baulandmarkt schliesslich in solchen Verhält-
nissen kaum zwischen innerhalb und ausserhalb der Baulinie
gelegenem Bauland, sondern geht von einem einheitlichen
Quadratmeter-Preis aus (vgl. BVR 1992 S. 459/464 E. 4c).

        bb) Mit dem Verwaltungsgericht kann davon ausge-
gangen werden, dass der westliche Teil der Parzelle Nr. 4262
abparzelliert und als eigene Bauparzelle mit rund 1'000 m2
für die Erstellung eines weiteren grosszügigen Wohnhauses
verwendet oder verkauft werden könnte. Die Parzelle stellt
eine gut arrondierte Bauparzelle an einer der besten Wohn-
lagen von Gstaad dar. Die Überbaubarkeit erleidet zwar - wie
dargetan - keine wesentlichen Einschränkungen, und auch die
Platzierung eines Neubaus wird kaum beeinträchtigt, da eine
Baute auf Grund der Lage - wie dies Planentwürfe in den
Akten belegen - eher im nördlichen Teil erstellt würde. Der

Verlust von Umschwung von 91 m2 an einer derartigen Lage im
Hinblick auf die Erstellung einer grosszügigen Baute bringt
indessen eine wesentliche Werteinbusse mit sich. Wird ange-
nommen, die Enteignung von 91 m2 betreffe allein den west-
lichen Teil der Parzelle mit einem Umfang von rund 1'000 m2,
so verlöre dieser Parzellenteil rund 9 % seiner Gesamt-
fläche. Demgegenüber stellte die vom Verwaltungsgericht
zugesprochene Entschädigung von Fr. 20'475.-- nur gerade
rund 2,3 % des zugrunde gelegten Schätzwertes des gesamten
Grundstückteils von Fr. 900'000.-- dar. Bei dieser Sachlage
kann die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Reduktion der
Entschädigung auf einen Viertel des zugrundegelegten Qua-
dratmeter-Preises gesamthaft gesehen nicht als volle Ent-
schädigung im Sinne von Art. 22ter aBV (bzw. Art. 26 Abs. 2
BV) betrachtet werden. Demnach ist die Beschwerde wegen
Verletzung der Eigentumsgarantie gutzuheissen.

        Das Verwaltungsgericht wird die Enteignungsent-
schädigung neu festzulegen haben. Dabei kann - wie schon
in den Verfahren vor der Schätzungskommission und vor dem
Verwaltungsgericht - nicht darauf abgestellt werden, dass
die Gemeinde bei der Teilenteignung von überbauten Liegen-
schaften in der Nachbarschaft lediglich Fr. 100.-- bezahlt
hat.

     5.- Demnach ist die Beschwerde gutzuheissen. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin den Be-
schwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu ent-
schädigen (Art. 159 OG). Da es sich um eine vermögensrecht-
liche Angelegenheit handelt, sind die bundesgerichtlichen
Kosten der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 2
OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen
und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom
29. Oktober 1999 aufgehoben.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Ein-
wohnergemeinde Saanen auferlegt.

     3.- Die Einwohnergemeinde Saanen hat den Beschwerde-
führer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.--
zu entschädigen.

     4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Ein-
wohnergemeinde Saanen sowie der Enteignungs-Schätzungskom-
mission, Kreis I, und dem Verwaltungsgericht, Verwaltungs-
rechtliche Abteilung, des Kantons Bern schriftlich mit-
geteilt.

                       ______________

Lausanne, 29. Juni 2000

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
      Der Präsident:            Der Gerichtsschreiber: