Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.735/1999
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1P.735/1999/odi

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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                       23. März 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay,
Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiber Sassòli.

                         ---------

                         In Sachen

M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Hans Ulrich Grauer, Haldenstrasse 2, Kreuzlingen,

                           gegen

Regierungsrat des Kanton  T h u r g a u, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. Kaspar Schläpfer, Bahnhofstrasse 49,
Frauenfeld,
Verwaltungsgericht des Kantons  T h u r g a u,

                         betreffend
               Anspruch auf rechtliches Gehör
            (Entschädigung für ungerechtfertigte
                administrative Entlassung),

hat sich ergeben:

     A.- Der im Jahre 1939 geborene M.________ war seit dem
1. April 1988 Chef eines Amtes der thurgauischen Verwaltung.
Mit Regierungsratsbeschluss vom 10. Juni 1997 wurde er admi-
nistrativ aus dem Staatsdienst entlassen, per 1. Juli 1997
vom Dienst enthoben und sein Dienstverhältnis auf den
31. Dezember 1997 beendet.

        Mit am 29. Dezember 1997 beim Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau eingereichter verwaltungsrechtlicher
Klage verlangte M.________ verschiedene Beträge als Ent-
schädigung dafür, dass er ungerechtfertigterweise entlassen
worden sei. Mit Urteil vom 21. April 1999 hiess das Verwal-
tungsgericht die Klage gestützt auf das kantonale Verant-
wortlichkeitsgesetz teilweise gut und sprach ihm eine Ent-
schädigung für die entgangenen Lohnansprüche bis zum Ende
seiner Amtsdauer am 31. Mai 2000 zu. Weitergehende Ansprüche
für die darauf folgende Amtsdauer und bis Ende Februar 2004,
dem Zeitpunkt, in dem M.________ ordentlicherweise pensio-
niert worden wäre, wies das Verwaltungsgericht ab.

     B.- M.________ führt gegen das am 5. November 1999
versandte Urteil des Verwaltungsgerichts staatsrechtliche
Beschwerde und beantragt dessen Aufhebung. Er rügt eine Ver-
letzung von Art. 4 aBV. Sein Anspruch auf rechtliches Gehör
sei dadurch verletzt worden, dass das Verwaltungsgericht an-
gebotene Beweise zur Frage, ob er Ende Mai 2000 statt nicht
wieder gewählt vorzeitig pensioniert worden wäre, nicht er-
hoben habe.

        Der Kanton Thurgau verzichtet in seiner Stellung-
nahme auf einen Antrag, während das Verwaltungsgericht bean-
tragt, die Beschwerde abzuweisen.

     C.- Mit Urteil vom heutigen Tag tritt das Bundesgericht
auf eine vom Kanton Thurgau gegen das Urteil seines Verwal-
tungsgerichts vom 21. April 1999 erhobene staatsrechtliche
Beschwerde nicht ein.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Der Beschwerdeführer ist dadurch, dass das Verwal-
tungsgericht seine Verantwortlichkeitsklage teilweise abge-
wiesen hat, in seiner Rechtsstellung berührt und damit zur
staatsrechtlichen Beschwerde. Da auch die übrigen Sachur-
teilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde
einzutreten.

     2.- a) Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Ent-
scheid verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, der
aus Art. 4 aBV floss und heute in Art. 29 Abs. 2 BV veran-
kert ist. Aus diesem Anspruch ergibt sich, dass Parteien mit
rechtzeitig und formgültig angebotenen Beweisanträgen gehört
werden müssen, soweit diese erhebliche Tatsachen betreffen
und nicht offensichtlich beweisuntauglich sind (BGE 124 I
241 E. 2 S. 242; 106 Ia 161 E. 2b S. 162, je mit Hinweisen).
Das Beweisverfahren kann jedoch abgeschlossen werden, wenn
die entscheidende Behörde auf Grund bereits abgenommener
Beweise ihre Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in
vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass ihre
Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert
würde (BGE 124 I 208 E. 4a S. 211).

        b) Das Verwaltungsgericht ist im angefochtenen Ent-
scheid zum Schluss gekommen, eine Nichtwiederwahl per Ende
Mai 2000, also auf das Ende der Amtsperiode hin, wäre zuläs-

sig gewesen. Der Beschwerdeführer hatte in seiner kantonalen
Replik vorgebracht, er wäre in diesem Fall angesichts seines
Alters "mit jeder Sicherheit" vorzeitig pensioniert worden.
Falls der Kanton dies bestreiten würde, hat er beantragt,
den Kanton zu verpflichten, Fälle aus den letzten Jahren zu
nennen, in denen auf eine Wiederwahl in diesem Alter ohne
eine Entlassung in den Ruhestand verzichtet worden sei und
in denen auch keine krassen Entlassungsgründe vorgelegen
seien. Das Verwaltungsgericht führt aus, ob eine vorzeitige
Pensionierung ausgehandelt worden wäre, sei reine Spekula-
tion. Es lägen keinerlei Hinweise für ein solches Vorgehen
vor. Der Regierungsrat hätte den Beschwerdeführer nicht wie-
der wählen dürfen und es sei davon auszugehen, dass er dies
auch getan hätte. Eine vorzeitige Pensionierung wäre zwar
nicht völlig ausgeschlossen gewesen, erscheine aber "auf-
grund der heutigen Verhältnisse prospektiv betrachtet als
sehr unwahrscheinlich". Der Beschwerdeführer rügt, damit
habe es das Verwaltungsgericht implizit aufgrund einer anti-
zipierten Beweiswürdigung abgelehnt, die von ihm beantragten
Beweise für die hohe Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen
Pensionierung abzunehmen. Diese antizipierte Beweiswürdigung
sei willkürlich.

        c) Um die Zulässigkeit der kritisierten antizipier-
ten Beweiswürdigung zu prüfen, muss angenommen werden, die
Vergleichsfälle hätten gezeigt, dass Beamte mit 61 Jahren
immer vorzeitig pensioniert statt nicht wieder gewählt
wurden, wenn nicht geradezu ein Grund für ihre Entlassung
vorlag. Es fragt sich, ob es angesichts eines solchen Be-
weisergebnisses willkürlich gewesen wäre, wenn das Verwal-
tungsgericht trotzdem auf Grund der übrigen Beweisergebnisse
angenommen hätte, der Beschwerdeführer wäre nicht vorzeitig
in den Ruhestand entlassen worden.

        Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der
Beschwerdeführer auf den Ebenen der Führung und der Kommuni-
kation grosse Schwächen gehabt habe. Er sei den sich ändern-
den Anforderungen an sein Amt nur noch mit Mühe gewachsen
gewesen. Die Situation habe sich mit dem Amtsantritt des
neuen Regierungsrats zugespitzt. Es kann davon ausgegangen
werden, dass sich die Situation wahrscheinlich weiter
verschärft hätte, wenn der Beschwerdeführer nicht (unge-
rechtfertigterweise) entlassen worden wäre. Dass der Regie-
rungsrat unter diesen Umständen einen Mitarbeiter, den er
geradezu entlassen wollte, stattdessen vorzeitig pensioniert
hätte, obwohl er dazu (im Gegensatz zur Weiterbeschäftigung
bis zum Ende der Amtsperiode) nicht verpflichtet war, durfte
das Verwaltungsgericht ohne Willkür als jedenfalls nicht
sehr wahrscheinlich ansehen. Diese Annahme wäre auch dann
nicht willkürlich gewesen, wenn die vom Beschwerdeführer be-
antragte Beweisaufnahme ergeben hätte, dass in anderen Fäl-
len (in denen jedoch aus der Sicht des Regierungsrats keine
Entlassungsgründe vorlagen) regelmässig eine vorzeitige Pen-
sionierung vereinbart wurde. Wesentlich ist, dass aus der
Sicht des Regierungsrats im Falle des Beschwerdeführers ge-
radezu ein Grund für eine administrative Entlassung vorlag.
Dass diese Sicht des Regierungsrats vom Verwaltungsgericht
für ungerechtfertigt befunden wurde, hat für die Beantwor-
tung der rein tatsächlichen Frage, wie wahrscheinlich eine
vorzeitige Pensionierung gewesen wäre, keine Bedeutung. Der
Beschwerdeführer behauptet nicht, dass es auch genügend Ver-
gleichsfälle gegeben hätte, in denen der Regierungsrat einen
Mitarbeiter entlassen wollte, in denen sich eine solche Ent-
lassung aber als unzulässig erwies und in denen es in der
Folge zu einer vorzeitigen Pensionierung gekommen sei.

        Zusammenfassend durfte das Verwaltungsgericht auf
die beantragte Beweisaufnahme verzichten, weil es ohne Will-
kür annehmen konnte, deren Ergebnis hätte seine Überzeugung
nicht geändert, dass der Beschwerdeführer nicht sehr wahr-

scheinlich vorzeitig pensioniert worden wäre. Daher hat es
mit dieser antizipierten Beweiswürdigung und der daraus fol-
genden Nichtabnahme der Beweise den Anspruch des Beschwerde-
führers auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Bei diesem
Ergebnis kann offen bleiben, ob die beantragte Beweisaufnah-
me überhaupt möglich und gegenüber den von den Vergleichs-
fällen betroffenen Beamten zulässig gewesen wäre sowie ob
sie hätte zu verallgemeinerungsfähigen Ergebnissen führen
können.

     3.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit abzuwei-
sen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerde-
führer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu
tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung ist
nicht zuzusprechen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Be-
schwerdeführer auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwal-
tungsgericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
                       ______________

Lausanne, 23. März 2000

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
      Der Präsident:           Der Gerichtsschreiber: