I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.723/1999
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1P.723/1999/hzg I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG ********************************** 3. Februar 2000 Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay, Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiber Sassòli. --------- In Sachen M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Till Gontersweiler, Neumarkt 6, Zürich, gegen Staatsanwaltschaft des Kantons S t . G a l l e n, Kantonsgericht S t . G a l l e n, Strafkammer, betreffend Willkür, (Wiederaufnahme des Strafverfahrens), hat sich ergeben: A.- M.________ wurde mit Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 15. Juni 1998 auf seine Berufung hin wegen falscher Anschuldigung, Missbrauchs von Ausweisen und Fah- rens in angetrunkenem Zustand zu einer Gefängnisstrafe von 20 Wochen verurteilt. Dem Urteil zu Grunde lag der Vorwurf, er habe am 14. September 1995 im angetrunkenen Zustand ein Motorfahrzeug gelenkt, sich aber bei einer Polizeikontrolle mit anschliessender Blutprobe als sein Bruder L.________ ausgegeben. Ein Blutprobenvergleich hatte ergeben, dass das entnommene Blut dasjenige von M.________ war. Vor Kantons- gericht hatte dieser erfolglos unter anderem geltend ge- macht, die Blutproben seien verwechselt geworden und ein Dritter, S.________, sei am 14. September 1995 gefahren. Beweisanträge dazu hatte das Kantonsgericht in antizipier- ter Beweiswürdigung abgelehnt. Am 30. November 1998 wies das Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde von M.________ gegen das kantonsgerichtliche Urteil ab, soweit es darauf eintrat. Am 5. August 1999 stellte M.________ ein Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens. Er legte ein schriftliches Schuldeingeständnis von S.________ vor. Das Kantonsgericht wies das Wiederaufnahmegesuch am 25. Oktober 1999 ab, weil das Schuldeingeständnis weder neu noch erheblich sei. B.- Gegen den kantonsgerichtlichen Entscheid führt M.________ staatsrechtliche Beschwerde, beantragt dessen Aufhebung und rügt, er sei willkürlich. Das Kantonsgericht St. Gallen lässt sich zur Beschwerde vernehmen, ohne einen Antrag zu stellen. Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Stellungnahme. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit einer staatsrechtlichen Beschwerde von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 125 I 253 E. 1a 254). a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur nach Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges zulässig (Art. 86 Abs. 1 OG). Nach Art. 190 Abs. 1 des Gesetzes vom 9. August 1954 über die Strafrechtspflege des Kan- tons St. Gallen (StPO/SG; sGS 962.1) kann gegen "Urtei- le und Einstellungsbeschlüsse des Kantonsgerichtes als erster Instanz, inbegriffen Abweisungen von Wiederauf- nahmegesuchen" eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde an das St. Galler Kassationsgericht geführt werden. Der ange- fochtene Entscheid ist einerseits formell ein erstinstanz- licher über das Wiederaufnahmegesuch, anderseits geht es materiell um die Wiederaufnahme eines Verfahrens, über wel- ches das Kantonsgericht als Berufungsinstanz entschieden hatte. In einem unveröffentlichten Entscheid vom 16. Sep- tember 1999 i.S. J. hat das St. Gallische Kassationsgericht entschieden, dass die Nichtigkeitsbeschwerde nicht zulässig sei gegen ein Urteil des Kantonsgerichts, das ein Wieder- aufnahmegesuch zulasse, sein früheres Urteil in einem Be- rufungsverfahren aber daraufhin bestätige. Zur Begründung wurde ausgeführt, materiell habe das Kantonsgericht nicht als erste, sondern als Berufungsinstanz entschieden. In diesem Entscheid wurde ausdrücklich offen gelassen, ob eine Nichtigkeitsbeschwerde gegen die Abweisung eines Ge- suches um Wiederaufnahme eines mit einem Urteil des Kan- tonsgerichts als Berufungsinstanz abgeschlossenen Verfah- rens zulässig wäre. Gegen die Möglichkeit, in einem solchen Falle Nichtigkeitsbeschwerde zu führen, spricht, dass das hier angefochtene Urteil keine Rechtsmittelbelehrung ent- hält, während eine solche nach Art. 170 Abs. 1 Ziff. 9 StPO/SG zum Inhalt eines Urteils gehört. Bei dieser Sach- lage bestehen ernsthafte Zweifel darüber, ob eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde des Beschwerdeführers zulässig ge- wesen wäre. Er brauchte daher nicht zu versuchen, eine sol- che zu führen, sondern angesichts dieser Zweifel gilt nach der Rechtsprechung zu Art. 86 OG der kantonale Instanzenzug als durchlaufen (vgl. BGE 125 I 394 E. 3 S. 395 f. mit Hin- weisen). b) Nach Art. 84 Abs. 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig, wenn kein anderes bundesrechtli- ches Rechtsmittel gegeben ist. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung einer Wiederaufnahme eines Strafverfahrens. Diese Ablehnung könnte Art. 397 StGB ver- letzen, was mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff. BStP zu rügen wäre. Tatsächliche Feststellungen können mit einer solchen hingegen nicht gerügt werden (vgl. Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Die staatsrechtliche Beschwer- de ist daher zu ergreifen, wenn der Beschwerdeführer - was im vorliegenden Fall angesichts der Ausführungen in der Be- schwerde einzig in Frage kommt - eine willkürliche Würdigung von Beweismitteln geltend macht. Dazu gehört die Rüge, die angeblich neuen Beweismittel, die er vorbringt, seien in willkürlicher Weise als schon im früheren Verfahren ange- rufen angesehen worden oder in willkürlicher Weise als un- geeignet angesehen worden, die tatsächlichen Grundlagen des Urteils zu erschüttern, dessen Wiederaufnahme er verlangt (vgl. BGE 122 IV 66 E. 2a S. 67; 116 IV 253 E. 2b S. 256). Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit für das Vorbringen der Rügen des Beschwerdeführers zulässig. c) Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nur klar und detailliert erhobene Rügen (BGE 125 I 71 E. 1c S. 76; 122 I 70 E. 1c S. 73; 119 Ia 197 E. 1d S. 201, je mit Hin- weisen). Die Beschwerdebegründung muss sich mit dem ange- fochtenen Entscheid auseinander setzen. Bloss appellatori- sche Kritik am angefochtenen Entscheid ist unzulässig (BGE 107 Ia 186 E. b; 121 I 225 E. 4c S. 230; 117 Ia 10 E. 4b S. 12). Wird wie im vorliegenden Verfahren die Beweiswürdi- gung durch eine kantonale Behörde als willkürlich kriti- siert, so ist darzulegen, inwiefern diese offensichtlich unhaltbar oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht (vgl. BGE 118 IV 293 E. 2b S. 295 und zum Begriff der Willkür BGE 125 II 129 E. 5b S. 134). Auf diejenigen Ausführungen in der Beschwerde, welche diese Bedingungen nicht erfüllen, kann nicht eingetreten werden. 2.- Im angefochtenen Entscheid führt das Kantonsge- richt aus, die Selbstbezichtigung von S.________ sei weder neu noch erheblich. Schon in seinem früheren Urteil habe es sich mit der Behauptung auseinander gesetzt, S.________ gebe zu, der Täter zu sein. Es habe diese Behauptung damals schon als nicht geeignet bezeichnet, erhebliche Zweifel an der Täterschaft des Beschwerdeführers zu wecken. Damit könne offen bleiben, ob es sich beim Schreiben von S.________ um ein neues Beweismittel handle. Selbst wenn die Behauptung, dass S.________ der Lenker gewesen sein solle, schon zur Zeit des Berufungsverfahrens in Form des jetzt eingereich- ten Briefes vorgelegen hätte, wäre das damalige Urteil nicht anders ausgefallen. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, angesichts des schriftlichen Schuldgeständnisses von S.________ könne jetzt, anders als im ursprünglichen Verfahren, nicht mehr darüber spekuliert werden, ob S.________ der Täter sei. Dies geht jedoch an der Sache vorbei. Das Kantonsgericht hat im ursprünglichen und im angefochtenen Urteil nicht etwa ausge- führt, es glaube nicht, dass S.________ sich selbst bezich- tige. Vielmehr führt es im angefochtenen Entscheid sinnge- mäss aus, es habe die Behauptung, S.________ sei der Täter, in seinem ursprünglichen Urteil angesichts der übrigen Be- weismittel antizipiert als unglaubwürdig gewürdigt, und es sei daher unerheblich, dass eine Selbstbezichtigung nun schriftlich vorliege. Der Beschwerdeführer bringt vor, die neu vorliegende schriftliche Selbstbezichtigung lasse die Angelegenheit in einem ganz anderen Licht erscheinen. Er legt aber nicht dar, inwiefern es offensichtlich unhaltbar sein soll, davon auszugehen, die antizipierte Beweiswürdi- gung fiele angesichts der vorliegenden schriftlichen Selbst- bezichtigung höchstwahrscheinlich nicht anders aus als im ursprünglichen Urteil. Dies ist auch nicht ersichtlich. Eine schriftliche Selbstbezichtigung ist offensichtlich nicht gewichtiger als eine mögliche entsprechende Zeugenaussage von S.________, die das Kantonsgericht in seinem ursprüng- lichen Urteil in antizipierter Würdigung als ohne Einfluss auf die Verurteilung des Beschwerdeführers bezeichnete. Auch die übrigen Ausführungen des Beschwerde- führers führen nicht zu einem anderen Ergebnis. Wenn er vorbringt, Dritttäterschaft sei ein klassischer Revisions- grund, lässt er ausser Acht, dass eine solche vom Kantons- gericht in seinem ursprünglichen Urteil ausgeschlossen wur- de, und - wie dargelegt - auch die schriftliche Selbstbe- zichtigung S.________s nichts daran zu ändern vermag. Da letztere als unerheblich angesehen werden durfte, lässt sie es auch nicht als wahrscheinlich erscheinen, dass eine Blutprobenverwechslung vorgekommen wäre. Das Kantonsgericht konnte somit im angefochtenen Entscheid, ohne Art. 4 aBV (Art. 9 BV) zu verletzen, das Vorliegen einer schriftlichen Selbstbezichtigung als ein nicht erhebliches (neues) Beweismittel betrachten und eine Wiederaufnahme des Verfahrens ablehnen. 3.- Im Ergebnis ist die Beschwerde somit abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer hat bei diesem Ausgang des Verfahrens die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht, Strafkammer, des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt. ______________ Lausanne, 3. Februar 2000 Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: