Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.681/1999
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1P.681/1999/sch

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                       7. Januar 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Aeschlimann, Bundesrichter Favre und Gerichtsschreiber
Forster.

                         ---------

                         In Sachen

X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin
Susanna Mazzetta, Obere Plessurstr. 25, Chur,

                           gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons  G l a r u s,
Obergericht des Kantons  G l a r u s,

                         betreffend
                 Strafverfahren, Ausstand,

hat sich ergeben:

     A.- Mit Urteil vom 19./20./24. Juni und 3. Juli 1996
sprach das Kantonsgericht Glarus (Strafkammer) X.________
des gewerbsmässigen Betruges, der gewerbsmässigen Hehlerei,
des mehrfachen Diebstahls und weiterer Delikte schuldig,
und verurteilte ihn zu drei Jahren Zuchthaus. Gegen das
Strafurteil erhob X.________ Appellation.

     B.- Nachdem X.________ mehrmals den privaten Verteid-
iger gewechselt hatte und der Verhandlungstermin mehrfach
hatte verschoben werden müssen, legte die Obergerichts-
präsidentin des Kantons Glarus die Appellationsverhandlung
mit Verfügung vom 8. April 1998 auf den 26. Juni 1998 fest.
Am 17. April 1998 stellte X.________ beim Obergericht
ein Ausstandsbegehren gegen die Obergerichtspräsidentin.
Das Obergericht des Kantons Glarus wies das Begehren am
30. Oktober 1998 im Rekursverfahren ab. Eine dagegen er-
hobene staatsrechtliche Beschwerde wurde vom Bundesgericht
mit Urteil vom 28. Mai 1999 ebenfalls abschlägig entschieden
(Verfahren 1P.139/1999).

     C.- Mit Verfügung der Obergerichtspräsidentin vom
14. Juni 1999 wurde der Termin der Appellationsverhandlung
neu auf den 3. September 1999 festgesetzt. Am 17. August
1999 liess X.________ der Gerichtspräsidentin mitteilen,
dass das Mandat mit dem damaligen privaten Verteidiger
"erloschen" sei. Mit Verfügung vom 18. August 1999 setzte
die Obergerichtspräsidentin Rechtsanwalt Werner Marti als
öffentlichen Verteidiger von X.________ ein.

     D.- Mit Schreiben vom 27. August 1999 meldete sich
Rechtsanwältin Susanna Mazzetta als neue private Verteidi-
gerin von X.________. Sie beantragte, die auf 3. September
1999 angesetzte Hauptverhandlung zu verschieben und kündigte
eine staatsrechtliche Beschwerde an, "sollte an der Einset-
zung des öffentlichen Verteidigers festgehalten werden".
Mit Schreiben vom 31. August 1999 teilte die Gerichtsprä-
sidentin der Verteidigerin mit, dass als neuer Verhand-
lungstermin der 24. September 1999 vorgesehen sei. Es sei
der Privatverteidigerin "unbenommen, an der Appellations-
verhandlung teilzunehmen, wobei dies jedoch nichts an der
angeordneten Pflichtverteidigung des Angeklagten und Ap-
pellanten" ändere. Am 1. September 1999 wurden X.________
sowie seine erbetene Vertreterin und sein amtlicher Ver-
teidiger auf den 24. September 1999 zur Appellationsver-
handlung vorgeladen. Mit Verfügung vom 3. September 1999
wies die Obergerichtspräsidentin ein Gesuch der Privatver-
teidigerin um neuerliche Verschiebung des Verhandlungs-
termines ab.

     E.- Am 6. September 1999 liess X.________ ein weiteres
Ausstandsgesuch gegen die Obergerichtspräsidentin stellen.
Dieses wurde mit Entscheid des Obergerichtspräsidiums vom
16. September 1999 abgewiesen. Ein dagegen erhobener Rekurs
wurde vom Obergericht des Kantons Glarus am 24. September
1999 ebenfalls abschlägig entschieden. Die Appellationsver-
handlung fand am 24. September 1999 (im Beisein des Appel-
lanten und seines amtlichen Verteidigers) statt.

     F.- Gegen den Rekursentscheid des Obergerichtes vom
24. September 1999 (betreffend Ausstand) gelangte X.________
mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 8. November 1999 an das
Bundesgericht. Er rügt eine Verletzung von Art. 58 Abs. 1
aBV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, und er beantragt die Aufhebung
des angefochtenen Entscheides.

        Das Obergericht des Kantons Glarus beantragt mit
Stellungnahme vom 10. Dezember 1999 die Abweisung der Be-
schwerde, während die Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus
auf eine Vernehmlassung ausdrücklich verzichtet hat.

        Eine von X.________ gegen die Einsetzung des
öffentlichen Verteidigers erhobene staatsrechtliche Be-
schwerde wies das Bundesgericht mit Urteil vom 30. November
1999 ab (Verfahren 1P.493/1999).

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Seit 1. Januar 2000 ist nicht mehr die alte
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom
29. Mai 1874 (aBV) sondern die neue Bundesverfassung vom
18. April 1999 (BV) in Kraft (Bundesbeschluss vom 28. Sep-
tember 1999, AS 1999 2555, BBl 1999 7922).

        b) Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätz-
lich nur gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig.
Gegen Zwischenentscheide können Art. 4 aBV (Rechtsgleich-
heit) bzw. Art 8 f. BV (Rechtsgleichheit, Willkürverbot)
oder ein inhaltlich damit zusammenfallendes Grundrecht nur
im Falle eines drohenden nicht wiedergutzumachenden Nach-
teils angerufen werden (Art. 87 OG).

        Beim angefochtenen Entscheid betreffend Ablehnung
eines Ausstandsgesuches handelt es sich um einen Zwischen-
entscheid gerichtsorganisatorischer Natur, der Ausnahmen von
Art. 87 OG zulässt (vgl. BGE 124 I 255 E. 1b S. 259 f. mit
Hinweisen). Darüber hinaus kommt der Rüge der Verletzung des
Anspruches auf einen unbefangenen Richter (Art. 58 aBV bzw.
Art. 30 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK) im vorliegenden Fall

eine über die Rüge der Verletzung der Rechtsgleichheit hin-
ausgehende selbständige Bedeutung zu.

        Nach dem Gesagten steht Art. 87 OG dem Eintreten
auf die Beschwerde nicht entgegen.

     2.- a) Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Ent-
scheid verstosse gegen Art. 58 Abs. 1 aBV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK. Die Obergerichtspräsidentin habe sich "wiederholte und
krasse Eingriffe in die Verteidigerrechte" zuschulden kommen
lassen. Diese seien als "schwere Verstösse gegen die Rich-
terpflichten" zu werten, was objektiv den "Anschein der Be-
fangenheit" begründe.

        b) Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen
Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch
Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unpartei-
isches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt (Art. 30
Abs. 1 BV).

        Nach der Praxis zu Art. 58 aBV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK hat der Rechtsuchende einen Anspruch darauf, dass seine
Sache von einem unvoreingenommenen, unparteiischen und un-
befangenen Richter beurteilt wird. Damit soll garantiert
werden, dass keine Umstände, die ausserhalb des Prozesses
liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten einer
Partei auf das Urteil einwirken. Solche Umstände können in
einem persönlichen Verhalten der Justizangehörigen oder auch
in funktionellen und organisatorischen Gegebenheiten begrün-
det sein. Liegen bei objektiver Betrachtung Anhaltspunkte
vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der
Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garan-
tie verletzt (BGE 125 I 119 E. 3a S. 122; 124 I 121 E. 3a
S. 123, 255 E. 4a S. 261; 120 Ia 184 E. 2b S. 187; 119 Ia 53
E. 4 S. 57, je mit Hinweisen). Prozessuale Fehler (oder auch

ein allenfalls falscher materieller Entscheid) vermögen für
sich allein grundsätzlich noch nicht die Befürchtung der
Voreingenommenheit zu begründen. Anders kann es sich verhal-
ten, wenn besonders krasse oder wiederholte Irrtümer vorlie-
gen, die als schwere Verletzung der Richterpflichten beur-
teilt werden müssen (BGE 115 Ia 400 E. 3b S. 404).

     3.- a) Als "schwere Verletzung der Richterpflichten"
beanstandet der Beschwerdeführer zunächst eine angebliche
Verweigerung des rechtlichen Gehörs bei der Einsetzung des
amtlichen Verteidigers.

        Bereits in seinem Urteil vom 30. November 1999
(1P.493/1999, E. 2) hat das Bundesgericht festgestellt und
ausführlich begründet, dass diesbezüglich keine Verletzung
des rechtlichen Gehörs vorliegt. Es kann auf die entspre-
chenden Erwägungen verwiesen werden.

        b) Sodann wird beanstandet, der privaten Verteidi-
gerin sei die Akteneinsicht und die Verschiebung der Appel-
lationsverhandlung zu Unrecht verweigert worden.

        aa) Wie sich aus den Akten ergibt, ersuchte die
private Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers am 7. Sep-
tember 1999 beim Obergericht um Zustellung sämtlicher Akten
"zur Vorbereitung der Hauptverhandlung". Mit Schreiben vom
9. September 1999 teilte die Obergerichtspräsidentin der
Anwältin mit, es sei ihr "unbenommen, auf der Gerichtskanz-
lei in Glarus nach entsprechender Voranmeldung Einsicht in
die gesamten Akten zu nehmen". Dabei könne sie "auch unein-
geschränkt Kopien anfertigen". "Aus Gründen der Prozessvor-
bereitung" sei es jedoch "nicht möglich, die Akten zum
jetzigen Zeitpunkt noch ausser Haus zu geben". Diese müssten
"auf der Kanzlei für die Parteien wie auch für die Richter
gleichermassen zugänglich sein".

        Bei dieser Sachlage wurde der privaten Verteidi-
gerin nicht die Akteneinsicht verweigert, sondern sie wurde
aus Gründen der Prozessvorbereitung eingeladen, auf der
Gerichtskanzlei Akteneinsicht zu nehmen. Daraus lässt sich
zu Lasten der Obergerichtspräsidentin keine objektive Be-
sorgnis der Befangenheit ableiten. Das Akteneinsichtsgesuch
erfolgte kurz vor dem angesetzten Appellationsverhandlungs-
termin, nachdem der Beschwerdeführer zum wiederholten Male
kurzfristig eine neue Rechtsvertreterin mit der Wahrung
seiner Interessen beauftragt hatte. Unter den gegeben Um-
ständen (vgl. dazu auch das erwähnte Urteil vom 30. November
1999, E. 2a) erscheint es zumutbar, dass die kurzfristig
eingesetzte private Verteidigerin im Interesse eines ge-
ordneten und zügigen Verfahrensablaufes eingeladen wurde,
sich für die Akteneinsicht in die Gerichtskanzlei zu be-
geben.

        bb) Auch in der Ablehnung eines Gesuches um Ver-
schiebung der Appellationsverhandlung ist keine Verletzung
der Richterpflichten ersichtlich. Wie das Bundesgericht be-
reits in seinem Urteil vom 30. November 1999 erwogen hat,
durfte die Obergerichtspräsidentin die private Verteidigerin
fakultativ zur Verhandlung vom 24. September 1999 vorladen.
Die Teilnahme der privaten Verteidigerin war nicht mehr
zwingend erforderlich, nachdem ein amtlicher Verteidiger
eingesetzt worden war, der anlässlich der Appellationsver-
handlung die Rechte des Beschwerdeführers wahrzunehmen
hatte. Auch daraus, dass die Obergerichtspräsidentin ein
Gesuch der erbetenen Verteidigerin um (neuerliche) Verschie-
bung des Verhandlungstermines abwies, ergibt sich kein
objektiver Anschein der Befangenheit. In seinem Urteil vom
30. November 1999 (Erwägung 3c) musste das Bundesgericht
feststellen, dass es der Beschwerdeführer "systematisch und
über Jahre hinweg darauf angelegt" hatte, "den Prozess zu
verschleppen". "Insbesondere hat er wiederholt und in trö-
lerischer Weise seine privat bestellten Rechtsvertreter kurz

vor den angesetzten Verhandlungsterminen aus dem Mandat ent-
lassen, was die Einarbeitung immer neuer Verteidiger notwen-
dig machte und die jahrelange Verschiebung der Appellations-
verhandlung nach sich zog". Unter diesen Umständen war die
Obergerichtspräsidentin nicht nur berechtigt, sondern sogar
verpflichtet, weitere Verzögerungen zu vermeiden.

        c) Sodann bringt der Beschwerdeführer vor, die
Obergerichtspräsidentin habe einem Journalisten Einsicht in
die Strafakten gegeben. Dieser habe "mehrere Aktenstücke in
die Redaktion mitnehmen" dürfen. Aufgrund dieser Akten habe
der Journalist am 2. September 1999 einen Artikel über das
hängige Strafverfahren verfasst. Die Aushändigung von Akten
sei "umso willkürlicher, als eine solche gegenüber der pri-
vaten Verteidigerin stets verweigert worden" sei. Ausserdem
komme dieses Vorgehen "einer Vorverurteilung gleich".

        Der Beschwerdeführer legt nicht dar, welche Akten-
stücke die Obergerichtspräsidentin an den Journalisten her-
ausgegeben habe. Die Obergerichtspräsidentin macht geltend,
es habe sich dabei um einen "bei den glarnerischen Gerichten
zugelassenen Gerichtsberichterstatter" gehandelt. Es treffe
nicht zu, dass ihm Verfahrensakten herausgegeben worden
seien. Er habe lediglich "Kopien der bis zu diesem Zeitpunkt
ergangenen erst-, zweit- und letztinstanzlichen Urteile" er-
halten. Gegenteiliges lässt sich auch aus den vom Beschwer-
deführer eingereichten Zeitungsartikeln nicht entnehmen. Im
Umstand, dass die Gerichtspräsidentin einem akkreditierten
Gerichtsberichterstatter Kopien von Gerichtsurteilen über-
liess, ist keine Verletzung von Richterpflichten zu er-
kennen, welche objektiv den Anschein der Parteilichkeit
begründen könnte. Der Beschwerdeführer legt nicht dar,
welche gesetzlichen Bestimmungen dadurch missachtet worden
wären und inwiefern er dadurch in seinen schutzwürdigen
Interessen verletzt wäre. Insbesondere wurde im fraglichen
Zeitungsartikel der Name des Beschwerdeführers anonymisiert,

und es erfolgte darin auch keinerlei Vorverurteilung des
Angeklagten.

        d) Auch in den vom Beschwerdeführer angeführten
Umständen, wonach die Appellationsverhandlung am 24. Sep-
tember 1999 stattfand, die Urteilsverkündung jedoch noch
nicht erfolgt sei, oder wonach die Obergerichtspräsidentin
Art. 151 Abs. 1 der glarnerischen Strafprozessordnung
(Aktenzirkulation) angewendet habe, sind keine objektiven
Gründe zur Annahme von Befangenheit ersichtlich.

        e) Bei zusammenfassender Betrachtung sämtlicher
Vorbringen kann keine Rede davon sein, dass die Oberge-
richtspräsidentin besonders krasse oder wiederholte Pro-
zessfehler zu verantworten hätte, die als schwere Verletzung
der Richterpflichten beurteilt werden müssten. Die erhobenen
Rügen erweisen sich nach dem Gesagten als unbegründet.

        Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, inwiefern
es sich bei den Vorbringen des Beschwerdeführers um erstmals
vor Bundesgericht vorgebrachte unzulässige Noven handelt
(vgl. Art. 86 OG).

     4.- Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen,
soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfah-
rensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit auf sie eingetreten werden kann.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Be-
schwerdeführer auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der
Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Glarus
schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 7. Januar 2000

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: