Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.670/1999
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1P.670/1999/bmt

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                      26. Januar 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay,
Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiber Störi.

                         ---------

                         In Sachen

S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprech
Peter Platzer, Gurzelngasse 27, Postfach 815, Solothurn,

                           gegen

Untersuchungsrichteramt des Kantons  S o l o t h u r n,
Geschäftsstelle Olten,
Obergericht des Kantons  S o l o t h u r n, Strafkammer,

                         betreffend
                      Strafverfahren;
         Entschädigung des amtlichen Verteidigers,

hat sich ergeben:

     A.- S.________ war vom 22. Mai bis zum 8. Dezember 1997
amtlicher Verteidiger von M.________, gegen den das Unter-
suchungsrichteramt des Kantons Solothurn eine Strafunter-
suchung wegen Raubes führte. Am 11. Dezember 1997 reichte
S.________ seine Kostennote ein, womit er für seine Aufwen-
dungen insgesamt Fr. 11'370.80 (64 1/3 Stunden à Fr. 160.--
= Fr. 10'293.--, Fr. 383.80 Barauslagen sowie Fr. 694.--
MWSt) in Rechnung stellte.

        Am 15. Dezember 1997 verfügte der Untersuchungs-
richter:

        "Die Kostennote von Fürsprech S.________ wird auf-
         grund des verhältnismässig beträchtlichen Aufwandes
         ermessensweise auf pauschal Fr. 7'000.-- festgelegt
         und entsprechend angewiesen."

        Mit Urteil vom 29. September 1998 hiess das Ober-
gericht des Kantons Solothurn den Rekurs von S.________
gegen diese Verfügung des Untersuchungsrichters teilweise
gut und setzte die durch die Gerichtskasse an S.________ zu
bezahlende Entschädigung auf Fr. 7'645.15 fest (43 2/3 Stun-
den à Fr. 160.-- = Fr. 6'986.65, Fr. 191.90 Barauslagen
sowie Fr. 466.60 MWSt).

     B.- Am 6. Januar 1999 hiess das Bundesgericht die von
S.________ gegen den obergerichtlichen Rekursentscheid er-
hobene staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
rechtlichen Gehörs gut und hob ihn auf.

        Nach Einholung einer Vernehmlassung von S.________
hiess das Obergericht am 21. September 1999 den Rekurs teil-
weise gut und setzte die Entschädigung für dessen Bemühungen
als amtlicher Verteidiger auf Fr. 8'577.35 (inkl. MWSt)
fest. Es nahm an der Kostennote zunächst einen Zeitabzug von
355 Minuten = Fr. 946.65 für nicht ausgewiesenen und man-
datsfremdem Aufwand vor. Den verbleibenden Zeitaufwand von
3'505 Minuten kürzte es um 580 Minuten = Fr. 1'546.65, weil
es ihn für unverhältnismässig hielt. Die Entschädigung für
die Barauslagen kürzte es im gleichen Verhältnis wie den
Zeitaufwand, d.h. um einen Drittel = Fr. 127.95. Gestützt
auf diese Überlegungen berechnete es die S.________ zuste-
hende Entschädigung wie folgt:

         Zeitaufwand: 48 3/4 h à Fr. 160.-- Fr. 7'800.--
         Spesen    Fr.   253.85
         6.5 % MWSt                            Fr.   523.50

         TOTAL     Fr. 8'577.35
               ============

        Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 5. November
1999 wegen Willkür beantragt S.________, den Rekursentscheid
des Obergerichts aufzuheben.

     C.- In seiner Vernehmlassung anerkannte das Oberge-
richt, dass ihm ein Rechnungsfehler unterlaufen sei, indem
es den Zeitaufwand um 15 Minuten = Fr. 40.-- zu stark redu-
ziert habe. Es ersucht das Bundesgericht, diesem Umstand
gebührend Rechnung zu tragen, ohne deswegen den angefochte-
nen Entscheid aufzuheben. Im Übrigen beantragt es, die Be-
schwerde abzuweisen.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Auf die Beschwerde ist aus den gleichen Gründen
einzutreten wie beim in dieser Angelegenheit bereits am
6. Januar 1999 ergangenen Urteil.

     2.- Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor,
seine Honorarrechnung willkürlich gekürzt zu haben.

        Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kommt
den Kantonen bei der Bemessung des Honorars eines amtlichen
Verteidigers ein weiter Ermessensspielraum zu. Das Bundes-
gericht greift nur ein, wenn die kantonalen Bestimmungen,
welche den Umfang der Entschädigung umschreiben, willkürlich
angewendet werden oder wenn die kantonale Behörde ihr Ermes-
sen offensichtlich überschreitet oder missbraucht. Darüber
hinaus kann die Festsetzung eines Honorars Art. 4 aBV (vgl.
Art. 9 und Art. 29 Abs. 3 BV) verletzen, wenn sie ausserhalb
jeden vernünftigen Verhältnisses zu den vom Anwalt geleiste-
ten Diensten steht und in krasser Weise gegen das Gerechtig-
keitsgefühl verstösst (BGE 118 Ia 133 E. 2a mit Hinweisen).

        In den Fällen, in denen eine kantonale Behörde den
vom Anwalt in Rechnung gesetzten Arbeitsaufwand als über-
setzt bezeichnet, greift das Bundesgericht nur mit grosser
Zurückhaltung ein. Es ist Sache der kantonalen Instanzen,
die Angemessenheit anwaltlicher Bemühungen zu beurteilen,
wobei sie über ein beträchtliches Ermessen verfügen. Das
Bundesgericht schreitet nur ein, wenn der Ermessensspielraum
klarerweise überschritten worden ist und Bemühungen nicht
honoriert werden, die zweifelsfrei zu den Obliegenheiten
eines amtlichen Verteidigers gehören (BGE 118 Ia 133 E. 2d).

     3.- Das Obergericht hat den vom Beschwerdeführer in
Rechnung gestellten Zeitaufwand um 355 Minuten (70 + 185 +
100 Minuten) gekürzt, da es sich dabei um nicht ausgewie-
senen oder mandatsfremden Aufwand handle.

        a) Der Beschwerdeführer kritisiert die vom Ober-
gericht vorgenommenen Kürzungen von insgesamt 935 Minuten
nur im Umfang von 865 Minuten (staatsrechtliche Beschwerde
Ziff. 19 S. 20). Er anerkennt sie damit stillschweigend im
Umfang von 70 Minuten. Es handelt sich dabei um seine Kon-
takte mit einer Versicherung und einer Leasingfirma, die
vom Obergericht als mandatsfremd beurteilt wurden.

        b) Der Beschwerdeführer stellte einen Zeitaufwand
von 850 Minuten für Besprechungen und Telefonate mit der
Mutter, dem Bruder, dem Onkel und der Verlobten seines Man-
danten in Rechnung. Er begründete diesen Aufwand im Wesent-
lichen damit, dass er die teilweise aus Süditalien angereis-
ten, verzweifelten und mit unserem Rechtssystem nicht ver-
trauten Verwandten über das Strafverfahren habe informieren
müssen. Ausserdem habe er über das Umfeld seines Mandanten,
der von den Untersuchungsbehörden jedenfalls zeitweise in
Zusammenhang mit der kalabresischen Mafia gebracht worden
sei, sachdienliche Informationen eingeholt.

        Das Obergericht anerkannte im angefochtenen Ent-
scheid, dass der Beschwerdeführer unter den gegebenen Um-
ständen in pflichtgemässer Ausführung seines Mandates als
Pflichtverteidiger in einem gewissen Umfang die nächsten
Angehörigen seines Mandanten über das Verfahren informieren
musste. Es beanstandete auch nicht grundsätzlich, dass der
Beschwerdeführer eigene Ermittlungen über das Umfeld seines

Mandanten tätigte. Es fand indessen seine Bemühungen würden
den Rahmen des Mandates sprengen, seien übertrieben oder
nicht ausgewiesen und kürzte den verrechenbaren Zeitauf-
wand um einen Drittel (185 + 100 Minuten). So hielt es ihm
namentlich vor, er hätte für die Aufrechterhaltung des Kon-
taktes mit der Familie eine Kontaktperson bestimmen können,
was eine kostengünstigere Mandatsführung ermöglicht hätte.

        Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ist
nicht geeignet, diesen Abzug als geradezu willkürlich er-
scheinen zu lassen. Die Überlegung des Obergerichts, der
Beschwerdeführer hätte ein Familienmitglied als Kontakt-
person bestimmen und in der Folge nur mit dieser verkehren
sollen, mutet zwar in der Tat etwas theoretisch an. Es ist
indessen nicht offensichtlich unhaltbar, davon auszugehen,
der Beschwerdeführer habe bei der Information der nächsten
Familienangehörigen und seinen Ermittlungen im privaten
Umfeld seines Mandanten einen übertriebenen Aufwand betrie-
ben und dabei den Rahmen einer kostenschonenden Mandatsfüh-
rung gesprengt. Der Beschwerdeführer legt jedenfalls nicht
dar (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG), inwiefern das mit den kan-
tonalen Verhältnissen und allenfalls dem Wirken des Be-
schwerdeführers besser als das Bundesgericht vertraute
Obergericht den ihm zustehenden grossen Ermessensspielraum
überschritten haben soll, indem es die Aufwendungen des Be-
schwerdeführers als teilweise nicht ausgewiesen oder man-
datsfremd beurteilte. Die Beschwerde ist in diesem Punkt
unbegründet, soweit auf sie einzutreten ist.

     4.- Das Obergericht hat den nach diesem Abzug verblei-
benden Zeitaufwand um weitere 580 Minuten (370 + 210 Minu-
ten) gekürzt, da es sich dabei um unverhältnismässigen Auf-
wand handle.

        a) Der Beschwerdeführer hat an neun Einvernahmen
seines Mandanten teilgenommen und dafür 1'110 Minuten in
Rechnung gestellt. Das Obergericht hält diesen Aufwand im
Vergleich zum Aufwand in vergleichbaren Fällen für "überaus
hoch". Es hält dafür, dass er nicht an allen Einvernahmen
hätte teilnehmen müssen; entgegen der Auffassung des Be-
schwerdeführers habe dessen Mandant auch ohne Beisein seines
Verteidigers ausgesagt. Nach der Auffassung des Obergerichts
hätte der Beschwerdeführer auf eine Teilnahme an einzelnen
Einvernahmen seines Mandanten verzichten können und an der
Schlusseinvernahme allfällige Missverständnisse ausräumen
und Ergänzungsfragen stellen können. Es kürzte dementspre-
chend den Zeitaufwand um einen Drittel bzw. 370 Minuten.

        Zu den Obliegenheiten eines amtlichen Verteidigers
gehört es indessen, das rechtliche Gehör seines Mandanten
vollumfänglich zu wahren. Zu diesem Zweck ist er grundsätz-
lich berechtigt, an allen Einvernahmen teilzunehmen (BGE 118
Ia 133 E. 2d). Entgegen der vom Obergericht zumindest ange-
deuteten Auffassung genügt es kaum je, dass der Verteidiger
an der Schlusseinvernahme teilnimmt und dann erst versucht,
allfällige Missverständnisse zu klären und Ergänzungsfragen
zu stellen; dies unabhängig davon, ob der Angeschuldigte
bereit ist, auch ohne die Anwesenheit des Verteidigers aus-
zusagen. Wie der Beschwerdeführer mit Recht anführt, sind
die ersten, spontansten Aussagen eines Angeschuldigten ge-
genüber dem Untersuchungsrichter für die Beweiswürdigung von
besonderem Wert, weshalb das Recht des Pflichtverteidigers
gewahrt sein muss, daran teilzunehmen. Wird ihm dieses Recht
- wie dies im angefochtenen Entscheid erfolgt - aus ökonomi-
schen Gründen generell verwehrt, indem er für die Teilnahme
daran nicht entschädigt wird, so ist die verfassungs- und
konventionsrechtlich garantierte effektive Verteidigung

nicht gewährleistet und damit allenfalls auch die Verwert-
barkeit dieser Aussagen in Frage gestellt. Die Verweigerung
der vollen Entschädigung für die Teilnahme an den untersu-
chungsrichterlichen Einvernahmen ist daher unhaltbar. In
diesem Punkt ist die Beschwerde begründet.

        b) Der Beschwerdeführer hat für neun Besprechungen
mit seinem Klienten einen Zeitaufwand von 630 Minuten be-
rechnet. Für das Obergericht stellt dies eine Überbetreuung
dar, weshalb es den Aufwand dafür ermessensweise um einen
Drittel (210 Minuten) kürzte.

        Ob für die knapp sieben Monate dauernde Betreuung
seines sich in Untersuchungshaft befindenden Mandanten neun
oder wie das Obergericht offenbar findet, sechs Besprechun-
gen erforderlich waren, ist eine typische Ermessensfrage.
Auch in diesem Punkt vermag der Beschwerdeführer nicht dar-
zutun, inwiefern die Beurteilung des Obergerichts geradezu
unhaltbar sein soll. Das ist auch nicht ersichtlich, zumal
die Betreuung der Angehörigen und die Besprechungen mit
seinem Mandanten in einem Zusammenhang stehen, sodass sich
aus dem Abzug für "Überbetreuung" der ersteren indirekt auch
ein entsprechender Abzug für die Besprechungen mit seinem
Klienten rechtfertigt. Die Beschwerde erweist sich insoweit
unbegründet, soweit auf sie einzutreten ist.

        c) Die Auslagen hat das Obergericht im gleichen
Umfang gekürzt wie den Zeitaufwand. Der Beschwerdeführer
legt nicht dar, und das ist auch nicht ersichtlich, inwie-
fern es unhaltbar sein sollte, die Barauslagen pauschal im
gleichen Verhältnis zu kürzen wie den Zeitaufwand. Aller-
dings hat sich die vom Obergericht vorgenommene Kürzung des
verrechenbaren Zeitaufwandes in einem Punkt als unzulässig

herausgestellt; das Obergericht wird dem in seinem neuen
Entscheid Rechnung zu tragen und die Barauslagen im Ver-
hältnis zu den zulässigen Kürzungen des Zeitaufwandes fest-
zusetzen haben.

     5.- Die Beschwerde ist daher teilweise gutzuheissen und
der angefochtene Entscheid aufzuheben. Das Obergericht wird
bei seinem neuen Entscheid die Entschädigung für den Zeit-
aufwand sowie die Barauslagen im Sinne der vorstehenden Er-
wägungen neu festzusetzen haben. Dabei kann es auch den von
ihm in der Vernehmlassung anerkannten Rechnungsfehler korri-
gieren.

        Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten
zu erheben (Art. 156 Abs. 1 und 2 OG). Hingegen hat der Kan-
ton Solothurn dem Beschwerdeführer, der mit seinen Forderun-
gen zu rund 40 % durchgedrungen ist, für das bundesgericht-
liche Verfahren eine angemessen reduzierte Parteientschädi-
gung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist,
teilweise gutgeheissen und der angefochtene Entscheid des
Obergerichts des Kantons Solothurn vom 21. September 1999
aufgehoben.

     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Der Kanton Solothurn hat dem Beschwerdeführer für
das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung
von Fr. 600.-- zu bezahlen.

     4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem
Untersuchungsrichteramt (Geschäftsstelle Olten) und dem
Obergericht (Strafkammer) des Kantons Solothurn schriftlich
mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 26. Januar 2000

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: