Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.605/1999
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1P.605/1999/mks

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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                       13. März 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Aeschlimann, Ersatzrichterin Geigy-Werthemann und
Gerichtsschreiber Haag.

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                         In Sachen

M.X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Christof Brack, Frankenstrasse 18, Luzern

                           gegen

- A.X.________,
- B.X.________,
- C.X.________,
Beschwerdegegnerinnen, vertreten durch die Mutter,
D.X.________, diese vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Attilio
R. Gadola, Kirchstrasse 7, Postfach, Sarnen,
Verhöramt des Kantons  N i d w a l d e n,
Staatsanwaltschaft des Kantons  N i d w a l d e n,
Obergericht des Kantons  N i d w a l d e n, Kassations-
abteilung,

                         betreffend
              Strafverfahren, Kostenverlegung,

hat sich ergeben:

     A.- Im Verlauf des Ehescheidungsprozesses zwischen
M.X.________ und D.X.________ reichte der Vertreter der
beklagten Ehefrau am 22. April 1994 dem Kantonsgericht
Nidwalden ein ärztliches Zeugnis betreffend deren Tochter C.
ein, wonach die erhobenen Befunde für mehrmaligen sexuellen
Missbrauch des Kindes sprechen würden. Mit Schreiben vom
26. April 1994 ersuchte der Präsident II des Kantonsgerichts
Nidwalden den Verhörrichter des Kantons Nidwalden um Ein-
leitung einer Strafuntersuchung gegen M.X.________. In der
Folge eröffnete das Verhöramt Nidwalden eine Strafunter-
suchung gegen M.X.________ wegen Verdachts sexueller Hand-
lungen mit seinen Kindern. Am 6. Juni 1994 erhob auch Frau
D.X.________ als gesetzliche Vertreterin ihrer drei Kinder
A., B. und C.X.________ Strafanzeige gegen M.X.________.

        Mit Verfügung vom 10. Dezember 1998 stellte das
Verhöramt das Verfahren gegen M.X.________ ein. In der
Begründung wurde ausgeführt, der ursprüngliche Tatverdacht
habe durch die umfangreiche Untersuchung nicht erhärtet
werden können.

        Gegen diese Einstellungsverfügung erhoben A.,
B. und C.X.________ Beschwerde an das Obergericht des
Kantons Nidwalden mit den Anträgen, die angefochtene Verfü-
gung sei aufzuheben und das zuständige Verhöramt bzw. die
Staatsanwaltschaft Nidwalden sei anzuweisen, die Strafsache
gegen M.X.________ wegen sexuellen Handlungen mit Kindern
zur Anklage zu bringen.

        Mit Urteil vom 8. Juli 1999 hob das Obergericht die
Einstellungsverfügung des Verhöramts vom 10. Dezember 1998

auf. Die Gerichtskosten wurden M.X.________ auferlegt (Dis-
positiv Ziff. 2). Weiter wurde er verpflichtet, die Be-
schwerdeführerinnen für das Beschwerdeverfahren vor Oberge-
richt mit Fr. 2'190.30 zu entschädigen (Dispositiv Ziff. 3).
In der Begründung führt das Obergericht aus, entgegen der
Ansicht des Verhörrichters könne aufgrund des Sachverhalts,
der Beweislage und der rechtlichen Beurteilung nicht bereits
gesagt werden, die Gesamtwürdigung der Beweise führe zur
Schlussfolgerung, dass eine Verurteilung unwahrscheinlich
sei und ein Freispruch erwartet werden müsse. Die Gesamt-
würdigung der Beweise zeige lediglich, dass mit Zweifeln
des Richters an der Schuld des Angeschuldigten gerechnet
werden dürfe.

        Am 14. September 1999 beantragte der amtliche Ver-
teidiger von M.X.________ dem Obergericht, die Anwaltskosten
seines Klienten im Sinne der Kostennote festzusetzen und die
Gerichtskasse entsprechend anzuweisen. Ferner beantragte er,
auch die Gerichtskosten zufolge amtlicher Verteidigung dem
Staate aufzuerlegen. Mit Beschluss vom 23. September 1999
nahm das Obergericht die in Ziff. 2 des Dispositivs seines
Urteils vom 8. Juli 1999 M.X.________ auferlegten Gerichts-
kosten auf die Gerichtskasse und liess die Parteikosten von
M.X.________ zufolge amtlicher Verteidigung vorläufig zu
Lasten des Staates gehen. Ziff. 3 des Dispositivs seines
Urteils vom 8. Juli 1999 hat das Obergericht nicht geändert.

     B.- Gegen das Urteil des Obergerichts vom 8. Juli 1999
hat M.X.________ am 13. Oktober 1999 staatsrechtliche Besch-
werde beim Bundesgericht eingereicht. Er beantragt, Ziff. 3
des Dispositivs des angefochtenen Urteils sei aufzuheben.
Die vorinstanzlichen Anwaltskosten der Gegenpartei seien der
Staatskasse des Kantons Nidwalden, jedenfalls aber

nicht dem damaligen Beschwerdegegner und heutigen Beschwer-
deführer aufzuerlegen. Ferner ersucht M.X.________ um Be-
willigung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbei-
ständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren.

     C.- Das Verhöramt, die Staatsanwaltschaft, das Oberge-
richt sowie A., B. und C.X.________ haben auf eine Vernehm-
lassung verzichtet.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit
freier Kognition, ob es auf die bei ihm eingereichte staats-
rechtliche Beschwerde eintreten kann (BGE 124 I 11 E. 1, 231
E. 1).

        b) Das hier in Frage stehende Urteil des Oberge-
richts ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid, der
das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab-
schliesst und damit keinen End-, sondern einen Zwischenent-
scheid im Sinne von Art. 87 des Bundesrechtspflegegesetzes
(in der Fassung vom 16. Dezember 1943, aOG) darstellt
(BGE 117 Ia 251 E. 1a). Die staatsrechtliche Beschwerde
richtet sich ausschliesslich gegen die im angefochtenen
Entscheid getroffene Regelung der Entschädigung an die
Gegenpartei. Der Beschwerdeführer erblickt darin, dass er
in Ziff. 3 des Urteils des Obergerichts zur Bezahlung einer
Parteientschädigung verurteilt wurde, eine Verletzung des
Rechtsgleichheitsgebots gemäss Art. 4 der alten Bundes-
verfassung vom 29. Mai 1874 (aBV) sowie einen Verstoss gegen
die Unschuldsvermutung im Sinne von Art. 6 Ziff. 2 EMRK.

        c) In der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999
(BV), die am 1. Januar 2000 in Kraft getreten ist (AS 1999
2555), wird das Rechtsgleichheitsgebot in Art. 8 BV gewähr-
leistet. Art. 87 aOG, der sich auf Beschwerden wegen Verlet-
zung von Art. 4 aBV bezog, wurde mit dem Bundesgesetz vom
8. Oktober 1999 über prozessuale Anpassungen an die neue
Bundesverfassung geändert. Dieses Gesetz ist am 1. März 2000
in Kraft getreten (AS 2000 416 ff.). Zwischen dem 1. Januar
2000 und dem 1. März 2000 hat das Bundesgericht die Zuläs-
sigkeit von staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf
Art. 4 aBV eingereicht worden waren, aufgrund von Art. 87
aOG beurteilt (vgl. nicht publizierte Urteile des Bundesge-
richts vom 25. Februar 2000 i.S. X. und Y.). Es kann offen
bleiben, ob die Zulässigkeit der vorliegenden, am 13. Okto-
ber 1999 eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde nach der
neuen oder der alten Fassung von Art. 87 OG zu beurteilen
ist, da auf die Beschwerde bereits nach der alten Fassung
von Art. 87 OG nicht eingetreten werden kann (s. nachfol-
gende E. 1d und e). Die Änderung von Art. 87 OG hat die
bisher für staatsrechtliche Beschwerden gegen Zwischenent-
scheide wegen Verletzung von Art. 4 aBV bereits geltenden
Anforderungen auf alle staatsrechtlichen Beschwerden gegen
Zwischenentscheide - unabhängig vom Beschwerdegrund - aus-
gedehnt (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 11. August 1999
in BBl 1999 7922, 7938). Die Anwendung des neuen Art. 87 OG
würde somit zu keinem anderen Verfahrensausgang führen.

        d) Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
von Art. 4 aBV gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide
ist nur zulässig, wenn sie für den Betroffenen einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil zur Folge haben (BGE 122 I
109 E. 1a, 120 E. 2b, je mit Hinweisen).

        Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kommt
Art. 87 OG auch dann zur Anwendung, wenn ein Zwischen-

entscheid nur in Bezug auf die Kosten- und Entschädigungs-
folgen angefochten wird (BGE 117 Ia 251 E. 1a mit Hinwei-
sen). Der Betroffene kann gegen die in einem Zwischenent-
scheid enthaltene Kostenregelung auch dann im Anschluss an
den kantonalen Endentscheid staatsrechtliche Beschwerde
führen, wenn ihm die Legitimation zur Anfechtung des End-
entscheids in der Sache selber fehlt (BGE 117 Ia 251 E. 1b).
Der Beschwerdeführer könnte demzufolge gegen die hier in
Frage stehende Kostenauflage selbst im Anschluss an einen
für ihn günstig lautenden Endentscheid staatsrechtliche
Beschwerde erheben, die sich ausschliesslich gegen die im
hier angefochtenen Zwischenentscheid vom 8. Juli 1999 ge-
troffene Kostenregelung zu richten hätte. Diese hat daher
für den Beschwerdeführer keinen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil zur Folge. Auf die vorliegende Beschwerde ist somit
nicht einzutreten.

        e) Der Beschwerdeführer beruft sich nicht nur auf
Art. 4 aBV, sondern zusätzlich auf die Unschuldsvermutung
gemäss Art. 6 Ziff. 2 EMRK. Dieser Rüge kommt im vorliegen-
den Zusammenhang keine selbständige Bedeutung zu, nachdem
das Bundesgericht in BGE 120 Ia 31 klar festgehalten hat,
dass der Grundsatz "in dubio pro reo" sowohl aus Art. 6
Ziff. 2 EMRK als auch aus Art. 4 aBV fliesst (E. 2b S. 35)
und entsprechende Vorbringen mit gleicher Kognition geprüft
werden (E. 2d S. 37). Der Beschwerdeführer erhebt in seiner
Beschwerde keine Rügen, die über den aus Art. 4 aBV abgelei-
teten Gehalt hinaus gingen. Die Berufung auf Art. 6 Ziff. 2
EMRK hat daher keine eigenständige Bedeutung.

     2.- Der Beschwerdeführer hat um Gewährung der unent-
geltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 152 OG ersucht.
Angesichts der klaren Unzulässigkeit der vorliegenden Be-
schwerde, welche sich aus der publizierten Praxis des

Bundesgerichts ergibt, kann dem Gesuch nicht entsprochen
werden. Es rechtfertigt sich indessen, auf die Erhebung
einer Gerichtsgebühr zu verzichten.

        Den Beschwerdegegnerinnen ist keine Parteient-
schädigung zuzusprechen, da sie auf die Einreichung einer
Stellungnahme verzichtet haben und ihnen damit im bundesge-
richtlichen Verfahren kein wesentlicher Aufwand entstanden
ist (Art. 159 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht
eingetreten.

     2.- Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechts-
pflege wird abgewiesen.

     3.- Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

     4.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Verhör-
amt, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht (Kassations-
abteilung) des Kantons Nidwalden schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 13. März 2000

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
         Der Präsident:      Der Gerichtsschreiber: