Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.563/1999
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1999
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1999


1P.563/1999/err

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                      12. Januar 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay,
Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiber Störi.

                         ---------

                         In Sachen

R.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Heiner Bernold, Bahnhofstrasse 11, Postfach, Zug,

                           gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons  Z u g,
Obergericht des Kantons  Z u g, Strafrechtliche Abteilung,

                         betreffend
                Art. 4 BV (Strafverfahren),

hat sich ergeben:

     A.- Am 27. Oktober 1998 sprach das Obergericht des Kan-
tons Zug R.________ in Gutheissung seiner Berufung vollum-
fänglich von Schuld und Strafe frei (Dispositiv-Ziffer 1).
Es nahm sämtliche kantonalen Verfahrenskosten auf die Staats-
kasse (Dispositiv-Ziffer 2). Die Entschädigungsforderung von
Fr. 165'972.-- (Fr. 28'751.-- Anwaltskosten, Fr. 12'418.--
Gutachterkosten, Fr. 307.-- Reisespesen, Lohnausfallentschä-
digung Fr. 124'496.--) anerkannte es teilweise und sprach
R.________ für das gesamte Strafverfahren eine Entschädigung
von Fr. 10'979.05 zu. Seine weitergehenden Entschädigungs-
und Genugtuungsansprüche wies es ab (Dispositiv-Ziffer 3).

        Mit Urteil vom 22. Januar 1998 hiess das Bundesge-
richt die staatsrechtliche Beschwerde R.________s teilweise
gut und hob die Dispositiv-Ziffer 3 des Entscheids des Ober-
gerichts auf; im Übrigen wies es sie ab.

     B.- Am 17. August 1999 erkannte das Obergericht:

        "1. R.________ wird - zuzüglich zu der bereits
            ausgerichteten Entschädigung im Verfahren
            SO 1998/10 von Fr. 2'316.40 - für das Strafver-
            fahren eine Entschädigung von Fr. 14'986.-
            (inkl. Mehrwertsteuer) ausgerichtet. Die weiter
            gehenden Anträge werden abgewiesen.

         2. Die Kosten dieses Verfahrens von insgesamt
            Fr. 1'000.-- werden auf die Staatskasse genom-
            men.

         (...)".

Die Forderung von Fr. 124'496.-- für entgangenen Verdienst
lehnte das Obergericht ab, weil es den natürlichen Kausal-
zusammenhang zwischen dem Strafverfahren und der Arbeitslo-
sigkeit von R.________ nicht erwiesen fand.

        Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung
von Art. 4 BV beantragt R.________, den Entscheid des Ober-
gerichtes des Kantons Zug vom 17. August 1999 aufzuheben.
Zur Begründung führt er im Wesentlichen an, dieses sei in
willkürlicher Weise zum Schluss gekommen, er habe den Nach-
weis nicht erbracht, dass der von ihm als Schaden geltend
gemachte Verdienstausfall von Fr. 124'496.-- durch das
Strafverfahren verursacht worden sei.

     C.- In seiner Vernehmlassung beantragt das Obergericht,
die Beschwerde abzuweisen.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Auf die Beschwerde ist aus den gleichen Gründen
einzutreten wie beim in dieser Angelegenheit bereits am
22.Januar 1999 ergangenen Urteil.

     2.- a) Strittig ist einzig, ob das Obergericht in Will-
kür verfallen ist, indem es die Entschädigungsforderung des
Beschwerdeführers für Verdienstausfall in Höhe von
Fr. 124'496.-- abwies, weil nicht erwiesen sei, dass der
Beschwerdeführer wegen des hängigen Strafverfahrens zwischen
Oktober 1991 und Mai 1995 keine Stelle gefunden habe.

        b) Nach der Rechtsprechung ist der natürliche Kau-
salzusammenhang dann zu bejahen, wenn ein Ereignis eine not-
wendige Bedingung für den eingetretenen Schaden ist. Dass
die Einleitung des Strafverfahrens die alleinige oder unmit-
telbare Ursache dafür ist, dass der Beschwerdeführer keine
Stelle mehr fand, ist dabei nicht erforderlich; die natür-
liche Kausalität ist gegeben, wenn das schädigende Ereignis
zusammen mit anderen Bedingungen dazu führte, dass der Be-
schwerdeführer in der fraglichen Zeit keine Stelle fand.
Dabei genügt es, dass die überwiegende bzw. ein hoher Grad
der Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die Stellensuche
des Beschwerdeführers wegen des laufenden Strafverfahrens
gescheitert ist (BGE 125 IV 195 E. 2b; 122 III 26 E. 4a/bb;
121 III 358 E. 5; 115 II 440 E. 6a).

        c) Willkürlich ist ein Entscheid, der mit der tat-
sächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm
oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt
oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwider-
läuft. Dabei genügt es nicht, dass die Begründung unhaltbar
ist, der Entscheid muss sich vielmehr im Ergebnis als will-
kürlich erweisen (BGE 124 I 247 E. 5; 122 I 61 E. 3a; 120
Ia 369 E. 3a je mit Hinweisen).

     3.- Der Beschwerdeführer versucht, den natürlichen Kau-
salzusammenhang zwischen dem Strafverfahren und seiner Ar-
beitslosigkeit wie folgt zu belegen:

        a) Der Zeuge N.________ (T.________ AG) sagte aus,
dass der Beschwerdeführer für eine Stelle als Geschäftsfüh-
rer einer international im EDV-Bereich tätigen Firma an sich
"ein guter Mann" gewesen wäre, dass aber ein Stellensuchen-
der, gegen den ein Strafverfahren laufe, nicht vermittlungs-
fähig sei, d.h., ein Stellenvermittler würde ihn seinen Kun-
den gar nicht präsentieren.

        b) I.________, die für das Arbeitsamt des Kantons
Zug in der Arbeitsvermittlung tätig war und in dieser Funk-
tion den Beschwerdeführer betreute, sagte als Zeugin aus,
mit diesem 1992 und 1993 zwei Mal Kontakt gehabt zu haben.
Sie persönlich habe ihm keine Stellen anbieten können; Kol-
legen von ihr hätten dem Beschwerdeführer jedoch einige,
wenn auch nicht sehr viele Stellen als Programmierer und
Analytiker sowie eine Stelle als Geschäftsführer im EDV-
Bereich anbieten können. Aus den Unterlagen ergebe sich,
dass der Beschwerdeführer Zwischenverdienste gehabt habe.
Ihres Erachtens sei es wegen seines fortgeschrittenen Alters
schwierig gewesen, ihn zu vermitteln. Sie habe nicht ge-
wusst, dass gegen ihn eine Strafuntersuchung hängig gewesen
sei; ob ihre Kollegen dies gewusst hätten, entziehe sich
ihrer Kenntnis. Auf jeden Fall hätten sie die Arbeitgeber
nicht darüber informiert.

        c) Unter den vom Beschwerdeführer (erstmals mit der
staatsrechtlichen Beschwerde) ins Recht gelegten über 100
Schreiben, die seine Stellenbewerbungen abschlägig beantwor-
ten, nimmt keines Bezug auf das hängige Strafverfahren. So-
weit sie überhaupt begründet sind, wird zumeist eine ungenü-
gende Übereinstimmung von Bewerbung und Anforderungsprofil
als Grund für die Absage angeführt. An drei Bewerbungen bzw.
Absagebriefen ist eine handschriftliche Notiz des Beschwer-
deführers angefügt, dass die Absage erfolgt sei, nachdem er
die potentiellen Arbeitgeber bzw. die Stellenvermittler über
die gegen ihn hängige Strafuntersuchung aufgeklärt habe.

     4.- a) Unbestritten ist, dass sich der Beschwerdeführer
ernsthaft um eine Stelle bemühte, aber nur zeitweise eine
Beschäftigung fand. Unbestreitbar ist auch, dass das Straf-
verfahren geeignet war, seine Chancen, auf dem Arbeitsmarkt
eine Kaderstelle zu finden, stark zu beeinträchtigen. Unter

den 240 Stellen, um die sich der Beschwerdeführer nach eige-
nen Angaben während seiner Arbeitslosigkeit bewarb, befanden
sich indessen lediglich vier Kaderstellen, wobei der Be-
schwerdeführer in keinem Fall Beweismittel - z.B. die Befra-
gung der Stellenvermittler bzw. Personalchefs, die seine
Bewerbungen abschlägig beantwortet hatten - dafür angeboten
hat, dass die Absage wegen des gegen ihn hängigen Strafver-
fahrens erfolgte. Der Zeuge N.________ war im fraglichen
Zeitraum nicht mit der Betreuung des Beschwerdeführers be-
fasst und konnte dementsprechend über die Vermittlungstätig-
keit der T.________ für den Beschwerdeführer keine konkreten
Angaben machen.

        Der Beschwerdeführer hat somit im Beweisverfahren
weder bewiesen noch überhaupt Beweismittel dafür angeboten,
dass ihm Kaderstellen, um die er sich konkret bemüht hatte,
wegen des laufenden Strafverfahrens vorenthalten wurden. Das
Strafverfahren erscheint denn auch keineswegs als einzig
mögliche Ursache für das Scheitern seiner Stellensuche.
Ebenso nahe liegt, dass seine Bewerbung mit den Anforde-
rungsprofilen nicht voll übereinstimmte oder, dass er die
Stellen wegen seines Alters nicht erhielt. So hat er sich
etwa für eine der angesprochenen Kaderstellen im November
1994 beworben; es liegt nahe, dass der Beschwerdeführer,
welcher im Mai 1995 das Rentenalter erreichte, schon aus
Altersgründen für diese Stelle nicht ernsthaft in Betracht
gezogen wurde.

        Das Obergericht ist daher jedenfalls nicht in Will-
kür verfallen, indem es zum Schluss kam, es stehe nicht mit
hoher oder überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass der
Beschwerdeführer wegen des hängigen Strafverfahrens keine
Kaderstelle fand.

        b) Noch weniger erbracht erscheint dieser Nachweis
für Informatikerstellen. Die Sachbearbeiterin der Arbeits-
vermittlung hat als Zeugin ausgesagt, dass sie vom Strafver-
fahren gegen den Beschwerdeführer keine Kenntnis hatte und
dass sie derartige Informationen an zukünftige Arbeitgeber
ohnehin grundsätzlich nicht weitergeben würden. Es ist daher
nicht erwiesen, und der Beschwerdeführer bot auch keine Be-
weise dafür an, dass er wegen des hängigen Strafverfahrens
auf dem Arbeitsmarkt als Informatiker keine Stelle erhalten
hat. Nach eigenen Angaben hat er in der fraglichen Zeit zwi-
schen Oktober 1991 und Mai 1995 jedenfalls temporäre Be-
schäftigungen erhalten und daraus immerhin einen Verdienst
von Fr. 59'464.-- erzielt; es kann somit keineswegs zutref-
fen, dass der Beschwerdeführer auf dem Arbeitsmarkt wegen
des laufenden Strafverfahrens als Informatiker generell
nicht vermittlungsfähig war.

        Unter diesen Umständen ist die Auffassung des Ober-
gerichts im angefochtenen Entscheid, der natürliche Kausal-
zusammenhang zwischen dem gegen den Beschwerdeführer geführ-
ten Strafverfahren und dessen Arbeitslosigkeit sei nicht
nachgewiesen, jedenfalls nicht willkürlich. Die Rüge ist un-
begründet.

        c) Damit ist den weiteren Rügen des Beschwerdefüh-
rers, das Obergericht habe die Problematik der Ursachenkon-
kurrenz und die allgemein anerkannten haftpflichtrechtlichen
Grundsätze dazu verkannt bzw. falsch angewandt, die Grund-
lage entzogen, weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.
Selbst wenn diese begründet wären, änderte nichts am Ausgang
des Verfahrens, da sie voraussetzen, dass der natürliche
Kausalzusammenhang gegeben ist.

     5.- Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten
(Art. 156 Abs. 1 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

     2.- Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Be-
schwerdeführer auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der
Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Zug,
Strafrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 12. Januar 2000

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: