Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.271/1999
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1A.271/1999/sch

             I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
             **********************************

                       20. Juli 2000

Es wirken mit: Bundesrichter Aeschlimann, präsidierendes
Mitglied der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundes-
richter Féraud, Bundesrichter Catenazzi sowie Gerichts-
schreiberin Gerber.

                         ---------

                         In Sachen

Opferberatungsstelle für Frauen, Postfach 1614,
Schaffhausen,
X.________, vertreten durch die Opferberatungsstelle
für Frauen, Postfach 1614, Schaffhausen,
Beschwerdeführerinnen,

                           gegen

Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons
T h u r g a u,
Verwaltungsgericht des Kantons  T h u r g a u,

                         betreffend
             Kostenübernahme für den Aufenthalt
                 im Frauenhaus Schaffhausen,

hat sich ergeben:

     A.- X.________ fand mit ihren beiden Töchtern
A.________ und B.________ vom 4. Juli bis 6. August 1998
Zuflucht im Frauenhaus Schaffhausen. Sie war zum wieder-
holten Male wegen Misshandlungen des Ehemannes aus der
ehelichen Wohnung geflüchtet. Für die früheren Aufenthalte
im Frauenhaus in Schaan FL, im Frauenhaus Winterthur und im
Tagesheim Villa in Münchwilen leistete das Departement für
Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau (im Folgenden:
Departement) jeweils eine Kostengutsprache nach Opferhilfe-
gesetz.

        Das Frauenhaus Schaffhausen ersuchte am 13. Juli
1998 beim Departement um Kostengutsprache und stellte am
24. August 1998 für den Aufenthalt vom 4. Juli bis 6. August
1998 Rechnung im Betrage von Fr. 9'180.--. Mit Entscheid vom
14. Dezember 1998 wies das Departement das Kostenübernahme-
gesuch ab.

     B.- Gegen diesen Entscheid erhob das Frauenhaus Schaff-
hausen beim Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau Beschwer-
de. Es beantragte, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben
und das Departement anzuweisen, im Umfang von Fr. 9'180.--
Kostengutsprache zu leisten. Das Verwaltungsgericht wies die
Beschwerde am 11. August 1999 ab.

     C.- Die dem Frauenhaus Schaffhausen angegliederte
Opferberatungsstelle für Frauen hat gegen den Entscheid des
Verwaltungsgerichts eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Bundesgericht erhoben. Nebst Eventualbegehren stellt sie den
Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und der
Kanton Thurgau zur Übernahme der Kosten des Aufenthaltes im
Frauenhaus Schaffhausen zu verpflichten. Überdies wird um
unentgeltliche Rechtspflege ersucht.

        Mit Schreiben vom 8. Dezember 1999 reichte die
Opferberatungsstelle eine Vollmacht von X.________ nach.

     D.- Verwaltungsgericht und Departement ersuchen um
Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Justiz hat sich
geäussert, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen. Den
Beteiligten wurde Gelegenheit eingeräumt, zur Vernehmlassung
des Bundesamtes Stellung zu nehmen. Das Verwaltungsgericht
hat dabei seinen Antrag dahingehend präzisiert, dass die Be-
schwerde abzuweisen sei, soweit darauf eingetreten werden
könne.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Das angefochtene Urteil ist ein letztinstanz-
licher kantonaler Entscheid, mit welchem eine beanspruchte
Leistung der Opferhilfe verweigert wird. Hiergegen steht
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen, sofern das Opfer-
hilfegesetz oder ein anderer bundesverwaltungsrechtlicher
Erlass den entsprechenden Anspruch auch regelt (BGE 122 II
211 E. 1 S. 212 f.). Andernfalls greift der Ausschlussgrund
des Art. 99 lit. h OG. Nach dieser Bestimmung ist die Ver-
waltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen die Bewilligung
oder Verweigerung von Beiträgen, Krediten, Garantien, Ent-
schädigungen und anderen öffentlichrechtlichen Zuwendungen,
auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. In Bezug
auf Beiträge ist nach der Rechtsprechung dann ein auf Bun-
desrecht gestützter Anspruch anzunehmen, wenn das Bundes-
recht selber die Bedingungen umschreibt, unter welchen ein
Beitrag zu gewähren ist, ohne dass es im Ermessen der rechts-

anwendenden Behörde läge, ob sie einen Beitrag gewähren will
oder nicht; dabei spielt es keine Rolle ob der anspruchsbe-
gründende Erlass ein Gesetz oder eine Verordnung ist oder ob
die Berechtigung sich aus mehreren Erlassen ergibt (BGE 117
Ib 225 E. 2a S. 227; 116 Ib 309 E. 1b S. 312; 110 Ib 148
E. 1b S. 152).

        b) Nach Art. 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom
4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten
(OHG; SR 312.5) leisten und vermitteln die Beratungsstellen
den Opfern insbesondere medizinische, psychologische, so-
ziale, materielle sowie juristische Hilfe und informieren
über die Hilfsangebote. Die Beratungsstellen leisten ihre
Hilfe sofort und wenn nötig während längerer Zeit; sie
müssen so organisiert sein, dass sie jederzeit Soforthilfe
leisten können (Art. 3 Abs. 3 OHG). Die Leistungen der Be-
ratungsstellen und die Soforthilfe Dritter sind unentgelt-
lich; die Beratungsstellen übernehmen weitere Kosten, wie
Arzt-, Anwalts- und Verfahrenskosten, soweit dies aufgrund
der persönlichen Verhältnisse des Opfers angezeigt ist
(Art. 3 Abs. 4 OHG). Die Opfer können sich an eine Bera-
tungsstelle ihrer Wahl wenden (Art. 3 Abs. 5 OHG). Diese
Bestimmungen umschreiben die Ansprüche, die Opfern im Sinn
von Art. 2 OHG im Rahmen der sogenannten Soforthilfe und
weiteren Hilfe zustehen. Liegt ein solcher Anspruch dem
vorliegend angefochtenen Entscheid zugrunde, steht die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen. Dies erscheint in-
dessen fraglich und ist im Folgenden zu prüfen.

        c) Im kantonalen Rechtsmittelverfahren focht das
Frauenhaus Schaffhausen die Verfügung des Departements im
eigenen Namen an. Das Verwaltungsgericht nahm an, das
Frauenhaus Schaffhausen verfolge eigene Rechte und sei
daher zur Beschwerdeführung befugt. Es schloss ein Handeln
für X.________, d.h. ein Vertretungsverhältnis aus. In der

Vernehmlassung an das Bundesgericht bemerkt das Verwaltungs-
gericht, dass keine Vollmacht vorgelegen habe und dass eine
Vertretung durch das Frauenhaus Schaffhausen bzw. durch die
Beratungsstelle für Frauen nach kantonalem Verfahrensrecht
auch nicht zugelassen worden wäre.

        Die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Frauenhaus
Schaffhausen habe im kantonalen Rechtsmittelverfahren eigene
Rechte verfolgt, entspricht der Aktenlage. Es besteht kein
Hinweis auf ein Vertretungsverhältnis. Demzufolge ist davon
auszugehen, dass das angefochtene Urteil sich über eine
Anspruchsberechtigung des Frauenhauses Schaffhausen aus-
spricht. Die Beschwerdeführerinnen machen im bundesgericht-
lichen Verfahren nicht geltend, das Verwaltungsgericht habe
zu Unrecht ein Vertretungsverhältnis (implizit) verneint.
Damit anerkennen sie, dass Gegenstand des vorinstanzlichen
Verfahrens ein Anspruch des Frauenhauses Schaffhausen war.
Streitgegenstand ist somit die Frage, ob das Frauenhaus
Schaffhausen gegenüber dem Kanton Thurgau einen Anspruch
auf Kostenersatz hat. Im Verfahren der Verwaltungsgerichts-
beschwerde an das Bundesgericht kann die Prüfung nicht auf
Fragen ausgedehnt werden, die ausserhalb des Streitgegen-
standes liegen (BGE 125 V 413 E. 1 S. 414 f.; 117 Ib 414
E. 1d S. 417).

        d) Gemäss den Ausführungen in der Beschwerde ist
dem Frauenhaus Schaffhausen eine nach kantonalem Recht aner-
kannte Beratungsstelle für Frauen angegliedert. Diese Bera-
tungsstelle ist eine eigenständige Institution, welche das
in Art. 3 OHG vorgesehene Hilfsangebot bereitstellt. Die
vorliegend umstrittene Leistung des Frauenhauses Schaff-
hausen ist somit nicht als eigene Opferhilfeleistung der
Beratungsstelle, sondern als sogenannte Dritthilfe zu
qualifizieren. Je nach kantonalem Recht setzt die Zusage
von Dritthilfe eine Kostengutsprache durch eine Amtsstelle
voraus.

        Die Leistung von Dritthilfe begründet Vergütungs-
oder Kostenersatzansprüche, die jedoch nicht im Opferhilfe-
gesetz geregelt sind. Massgebend ist Bundeszivilrecht oder
unter Umständen kantonales öffentliches Recht. Ob das
Frauenhaus Schaffhausen gegenüber dem Kanton Thurgau für
den Aufenthalt von X.________ und ihren Töchtern Anspruch
auf Kostenersatz hat, ist keine durch Bundesverwaltungsrecht
geregelte Frage: Das Opferhilfegesetz regelt in Art. 3 aus-
schliesslich das Hilfsangebot für Opfer im Sinn von Art. 2
OHG; diese Leistungen sind im Namen des betroffenen Opfers
geltend zu machen.

        Eine Anspruchsberechtigung infolge Abtretung von
Opferhilfeansprüchen fällt ebenfalls ausser Betracht, weil
nie behauptet worden ist, X.________ habe derartige An-
sprüche an das Frauenhaus Schaffhausen bzw. die Opferbe-
ratungsstelle für Frauen abgetreten.

        e) Zusammenfassend ergibt sich, dass der vorliegend
im Streit liegende Anspruch nicht auf Bundesverwaltungsrecht
beruht und der Ausschlussgrund von Art. 99 lit. h OG zum
Zuge kommt. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist unzu-
lässig. Damit erübrigt sich, auf die weiteren Eintretensfra-
gen einzugehen. Namentlich würde es fraglich erscheinen, ob
die beschwerdeführende Opferberatungsstelle für Frauen über-
haupt legitimiert ist, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans
Bundesgericht zu gelangen.

     2.- Nach dem Gesagten kann auf die Verwaltungsgerichts-
beschwerde nicht eingetreten werden.

        Es rechtfertigt sich, im vorliegenden Fall keine
Gerichtskosten zu erheben. Demzufolge ist das Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gegenstandslos.

Die Opferberatungsstelle ist nicht anwaltlich vertreten und
hat deshalb zu Recht keinen Antrag auf Ausrichtung einer
Parteientschädigung gestellt.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht
eingetreten.

     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Dieses Urteil wird der Opferberatungsstelle für
Frauen, Schaffhausen, (auch als Vertreterin von X.________),
dem Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thur-
gau, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem
Bundesamt für Justiz schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 20. Juli 2000

      Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                Das präsidierende Mitglied:

                  Die Gerichtsschreiberin: