Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.138/1999
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1A.138/1999
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126 II 43

  5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen
Abteilung vom 17. Januar 2000 i.S. Jeannette Müller u.
Mitb. gegen Louis Schüpbach und Verwaltungsgericht des
Kantons Freiburg (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
   Art. 11 USG bzw. Art. 4 und 5 LRV, Anhang 2 Ziff. 512
LRV. Voraussetzungen zur Errichtung eines Güllensilos in
der Landwirtschaftszone; Anspruch der Nachbarn auf
Einhaltung eines Mindestabstands.
  Das Vorsorgeprinzip gemäss Art. 11 USG bzw. Art. 4 und 5
LRV gilt auch in der Landwirtschaftszone. Güllenlöcher in
dieser Zone sind nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr
haben die Nachbarn solcher Anlagen Anrecht auf Schutz vor
lästigen oder schädlichen Immissionen und insbesondere auf
Einhaltung von Mindestabständen, selbst wenn Anhang 2 Ziff.
512 LRV nur die Bauzone betrifft (E. 3 und 4).
   Art. 11 LPE, 4 et 5 OPair, annexe 2 ch. 512 OPair.
Conditions de réalisation d'une fosse à purin en zone
agricole; droit des voisins au maintien d'une distance
minimum.
  Le principe de prévention selon les art. 11 LPE ou 4 et 5
OPair s'applique aussi en zone agricole. Les fosses à purin
ne sont pas admissibles sans restrictions dans cette zone.
Les voisins de ces installations ont au contraire le droit
d'être protégés contre des immissions incommodantes ou
dommageables; en particulier, ils ont droit au  maintien
d'une distance minimum alors même que l'annexe 2 ch. 512
OPair ne concerne que la zone à bâtir (consid. 3 et 4).
   Art. 11 LPAmb, rispettivamente art. 4 e 5 OIAt, allegato
2 cifra 512 OIAt. Condizioni per la costruzione di una
fossa per il colaticcio nella zona agricola; diritto del
vicino al rispetto di una distanza minima.
  Il principio della prevenzione secondo gli art. 11 LPAmb,
rispettivamente 4 e 5 OIAt, è applicabile anche nella zona
agricola. In questa zona, fosse per il colaticcio non sono
ammissibili senza restrizioni. I vicini di siffatti
impianti hanno anzi il diritto a essere protetti da
immissioni moleste o dannose e, in particolare, al rispetto
di distanze minime, anche se l'allegato 2 cifra 512 OIAt
concerne solo la zona edificabile (consid. 3 e 4).
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   Am 7. September 1998 erteilte die Baudirektion des
Kantons Freiburg dem Landwirt Louis Schüpbach eine
Baubewilligung für die Errichtung eines Güllensilos in der
Landwirtschaftszone in Düdingen. Der Oberamtmann des
Sensebezirks wies die von den Nachbarn erhobenen
Einsprachen ab, und stimmte dem Baugesuch unter Auflagen
zu. Die Einsprecher führten dagegen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Verwaltungsgericht des
Kantons Freiburg, dessen II. Verwaltungsgerichtshof ihr
Rechtsmittel am 21. Mai 1999 abwies. Sie erheben dagegen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht wegen
Verletzung des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7.
Oktober 1983 (Umweltschutzgesetz [USG]; SR 814.01), der
Luftreinhalte-Verordnung vom 16. Dezember 1985 (LRV; SR
814.318.142.1) sowie wegen willkürlicher Feststellung des
Sachverhalts.
  Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die
Sache zur Neubeurteilung der Vorinstanz zurück.
                    Aus den Erwägungen:
   3.- Bei der Erteilung einer Baubewilligung sind nicht
nur die Anforderungen des Bundesgesetzes über die
Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG; SR 700), sondern auch
diejenigen des Umweltschutzgesetzes zu berücksichtigen.
Dieses Gesetz und die gestützt darauf erlassene
Luftreinhalte-Verordnung haben zum Ziel, die Menschen vor
schädlichen oder lästigen Luftverunreinigungen und damit
auch vor erheblich störenden, übermässigen
Geruchsbelästigungen zu schützen (Art. 1 Abs. 1, Art. 7
Abs. 3 USG, Art. 1 Abs. 1 LRV). Zu diesem Zweck sind
Luftverunreinigungen in erster Linie durch Massnahmen an
der Quelle zu begrenzen (Grundsatz der Emissionsbegrenzung,
Art. 11 Abs. 1 USG). In der ersten Stufe sind die
Emissionen unabhängig von der bestehenden Umweltbelastung
vorsorglich so weit zu begrenzen, als dies technisch und
betrieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar ist (Art.
11 Abs. 2 USG). In einer zweiten Stufe sind die getroffenen
Emissionsbegrenzungen zu verschärfen oder zu ergänzen, wenn
feststeht, dass die Einwirkungen trotzdem übermässig werden
(Art. 11 Abs. 3 USG; vgl. allgemein zum Vorsorgeprinzip BGE
124 II 517 E. 4a S. 520 f.). In Bezug auf
Geruchsimmissionen aus Tierhaltungsanlagen enthält die
Luftreinhalte-Verordnung keine Immissionsgrenzwerte. Die
hier anwendbaren Normen (Art. 4 und 5 LRV) wiederholen im
Übrigen die Vorschriften des Umweltschutzgesetzes.
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   4.- Die Beschwerdeführer machen geltend, der
umweltschutzrechtlich gebotene Mindestabstand zwischen dem
projektierten Güllensilo und ihren Wohnhäusern sei zu
Unrecht nicht eingehalten.
  a) Für die Errichtung von Anlagen der bäuerlichen
Tierhaltung und der Intensivtierhaltung müssen gemäss
Anhang 2 Ziff. 512 Abs. 1 LRV in Verbindung mit Art. 3 LRV
die nach den anerkannten Regeln der Tierhaltung
erforderlichen Mindestabstände zu bewohnten Zonen
eingehalten werden. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht
ausführt, sind unter bewohnten Zonen im Sinne dieser
Vorschrift nur Bauzonen gemäss Art. 15 RPG zu verstehen.
Das wird ebenfalls von der Eidgenössischen
Forschungsanstalt für Betriebswirtschaft und Landtechnik,
Tänikon, (FAT) vertreten, wie sich aus den von ihr gestützt
auf Anhang 2 Ziff. 512 Abs. 1 LRV erlassenen Empfehlungen
zu Mindestabständen für Tierhaltungsanlagen (FAT-Bericht
Nr. 476, 1995 [nachfolgend: FAT-Bericht]) ergibt
(FAT-Bericht S. 7 und 16). Das folgt aus dem Sinn und Zweck
der verschiedenen Nutzungszonen (vgl. Art. 14 ff. RPG). So
dient die Mindestabstandsregelung der Aufrechterhaltung der
Wohnqualität von an Landwirtschaftszonen angrenzenden
Bauzonen (vgl. Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG). Gleichzeitig
sollte in der Landwirtschaftszone die Errichtung von
Anlagen zu landwirtschaftlichen Zwecken nicht übermässig
erschwert werden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer
kann nicht gesagt werden, der Gesetzgeber habe bewusst den
Ausdruck "bewohnte Zonen" als Gegensatz zu "Bauzonen"
gewählt.
  b) Das bedeutet nicht, dass das geplante Güllensilo ohne
weiteres zulässig wäre und dass Nachbarn, die sich nicht in
der Bauzone befinden, kein Anrecht auf Schutz vor lästigen
oder schädlichen Immissionen und insbesondere auf
Einhaltung von Mindestabständen (vgl. BGE 117 Ib 379 E. 4b
S. 385) hätten. Das Verwaltungsgericht hat die Frage des
Mindestabstands offen gelassen, weil vom projektierten
Güllensilo ohnehin keine "erheblichen Emissionen (Art. 28
LRV)" zu erwarten seien, "die im Sinne von Art. 2 Abs. 5
lit. d LRV Menschen gefährden oder einen wesentlichen Teil
der Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden erheblich stören
würden".
  In Art. 28 LRV geht es um die Pflicht des Inhabers einer
Anlage, bei erheblichen Emissionen eine Immissionsprognose
einzureichen, währenddem in Art. 2 Abs. 5 LRV Kriterien zur
Übermässigkeit von Emissionen aufgestellt werden. Wie die
Argumentation des Verwaltungsgerichts genau zu verstehen
ist, kann jedoch offen bleiben: Der Grundsatz der
Emissionsbegrenzung bezieht sich nicht nur auf
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den Schutz vor übermässigen oder vor erheblichen
Immissionen. Vielmehr sind Emissionen immer so weit zu
begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich und
wirtschaftlich tragbar ist (dazu oben E. 3). Das
Verwaltungsgericht hat die erste Stufe der
Emissionsbegrenzung zu Unrecht ausgeschlossen, weil die
umstrittene Baute in der Landwirtschaftszone errichtet
werden solle. So führt es in E. 6e aus, der Weiler Räsch
sei ausgesprochen landwirtschaftlich geprägt. Zu den
Landwirtschaftsbetrieben würden nun einmal Güllenlöcher
gehören und es sei nicht auszuschliessen, dass solche beim
Ausführen der Jauche mehrmals jährlich Gerüche verbreiten
würden. Belästigungen durch einen Misthaufen vor einem
Bauernhaus bzw. beim Ausbringen von Jauche in ländlichen
Gebieten könnten nicht als erheblich betrachtet werden.
Eine konkrete Prüfung, ob und inwieweit die Emissionen aus
dem Güllensilo nach Massgabe von Art. 11 Abs. 2 USG bzw.
Art. 4 Abs. 1 LRV zu begrenzen seien, ist somit
unterblieben.
  Die Literaturstelle, worauf das Verwaltungsgericht in
diesem Zusammenhang verweist (SCHRADE/LORETAN, Kommentar
zum Umweltschutzgesetz, N. 26a zu Art. 14), ändert nichts
daran. Denn sie bezieht sich auf Art. 14 lit. b USG, wonach
Immissionsgrenzwerte so festzulegen sind, dass unterhalb
dieser Werte die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht
erheblich gestört wird. Die genannten Autoren führen unter
Hinweis auf die Materialien aus, dass ein Misthaufen vor
einem Bauernhaus oder das Ausbringen von Jauche in
ländlichen Gebieten nicht als erheblich im Sinne von Art.
14 USG zu betrachten seien. Dementsprechend hat der
Bundesrat auch keine Immissionsgrenzwerte mit Bezug auf
Geruchsimmissionen aus Gülle erlassen (vgl.
SCHRADE/LORETAN, a.a.O., N. 27 zu Art. 14). Aus dieser
Literaturstelle kann jedoch nicht abgeleitet werden, die
Errichtung eines Güllensilos unterliege den
umweltschutzrechtlich gebotenen
Emissionsbegrenzungsmassnahmen überhaupt nicht.
  c) Das BUWAL geht auf das genannte Problem nicht ein,
vertritt jedoch die Meinung, dass die
Mindestabstandsregelung der FAT ohnehin eingehalten sei. So
schlägt die FAT eine analoge Anwendung ihrer Regelung auf
Zonen vor, "in denen mässig störende Betriebe zugelassen
sind", wobei eine Reduktion der Mindestabstände von etwa
30% erforderlich sei (FAT-Bericht S. 1).
  Es drängt sich hier auf, die Sache an das
Verwaltungsgericht zurückzuweisen (Art. 114 Abs. 2 OG), das
über die Erforderlichkeit einer Verlegung des Güllensilos
neu zu befinden haben wird. Denn der Vernehmlassung des
BUWAL lässt sich nicht entnehmen, inwiefern
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der Mindestabstand hier eingehalten sein soll. Die
Stellungnahme des kantonalen Amts für Umweltschutz zuhanden
des Verwaltungsgerichts enthält ebenfalls keine
detaillierte Berechnung. Die Abstandsberechnung stand
jedoch im Zentrum des verwaltungsgerichtlichen Streits.
Wenn sich das kantonale Amt für Umweltschutz und die
Beschwerdeführer über den Grundsatz der (analogen)
Anwendung der Empfehlungen der FAT einig waren, war deren
Umsetzung dagegen weitgehend umstritten. Unklar war in
erster Linie, von welchem Punkt aus der Mindestabstand
berechnet werden solle. Denn das Güllensilo stellt keine
Tierhaltungsanlage im engeren Sinne dar. Das kantonale Amt
für Umweltschutz vertrat deshalb die Meinung, das
Güllensilo dürfe nicht unabhängig von den Stallgebäuden
betrachtet werden. Es müsse der Mindestabstand von den
Stallungen aus berechnet werden, wobei bei einer räumlichen
Trennung zwischen Stallventilation und Grube der
Ausgangspunkt in Richtung Grube verschoben werden dürfe.
Die Beschwerdeführer gingen dagegen vom Mittelpunkt des
Güllensilos aus.
  In Ermangelung unmittelbar anwendbarer Vorschriften ist
dem Verwaltungsgericht bei der Neubeurteilung ein gewisser
Beurteilungsspielraum einzuräumen. Das gilt insbesondere
bei einer allfälligen analogen Anwendung der Empfehlungen
der FAT. Ob die Emissionen aus dem Güllensilo genügend
begrenzt wurden, ist zwar eine Rechtsfrage, die das
Bundesgericht frei zu prüfen hat. Es auferlegt sich jedoch
eine gewisse Zurückhaltung, wenn sich auch technische
Fragen stellen und die Bewilligungsbehörde Berichte von
Fachinstanzen einholt. In diesen Fällen fragt sich nur, ob
die berührten Interessen ermittelt und beurteilt sowie ob
die möglichen Auswirkungen des Projekts bei der
Entscheidung berücksichtigt wurden (vgl. BGE 121 II 378 E.
1e/bb S. 384). Voraussetzung für diese Zurückhaltung ist
allerdings, dass es im konkreten Fall keine Anhaltspunkte
für eine unrichtige oder unvollständige Feststellung des
Sachverhaltes gibt und davon ausgegangen werden kann, dass
die Vorinstanz die für den Entscheid wesentlichen
Gesichtspunkte geprüft und die erforderlichen Abklärungen
sorgfältig und umfassend vorgenommen hat (vgl. BGE 117 Ib
285 E. 4 S. 293 mit Hinweisen). Daran fehlt es wie erwähnt
im vorliegenden Fall, wenn auch gleichzeitig gesagt werden
muss, dass dieser Prüfungspflicht mit Blick auf das
Verhältnismässigkeitsprinzip Grenzen gesetzt und hier z.B.
zahlreiche Messungen, umfangreiche Befragungen und
aufwendige Auswertungen der Ergebnisse nicht unbedingt
erforderlich sind (vgl. BGE 115 Ib 446 E. 3b S. 452).

Lausanne, 17. Januar 2000