Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 73/1998
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K 73/98 Ge

                         I. Kammer

Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Spira, Bundes-
richterin Widmer und Bundesrichter Meyer; Gerichtsschrei-
berin Kopp Käch

               Urteil vom 19. September 2001

                         in Sachen

M.________, 1974, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Fürsprecher Alain Pfulg, Genfergasse 3, 3011 Bern,

                           gegen

Hermes Krankenkasse, Rue du Nord 5, 1920 Martigny,
Beschwerdegegnerin,
                            und

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

     A.- Die 1974 geborene M.________ hat bei der
Krankenkasse Hermes nebst der obligatorischen Kranken-
pflegeversicherung eine kombinierte Spitalversicherung für
krankheits- und unfallbedingte Behandlung in der Allgemei-
nen Abteilung in Schweizer Spitälern (Abt. HC) sowie eine
Heilungskosten-Zusatzversicherung (Abt. SC) abgeschlossen.
Wegen pericoronaler Infekte und Zysten bei verlagerten

Weisheitszähnen musste sie sich am 28. Januar 1997 im
Spital X.________ einem von Dr. med. S.________, Spezi-
alarzt FMH für Plastische und Wiederherstellungs-Chirurgie,
durchgeführten operativen Eingriff unterziehen. Die Rech-
nungen für diesen Eingriff von insgesamt Fr. 3259.15 (Spi-
tal- und Arztkosten) reichte M.________ der Krankenkasse
Hermes ein, welche mit Verfügung vom 12. Juni 1997 fest-
hielt, sie entrichte aus der Heilungskosten-Zusatzver-
sicherung den reglementarischen Höchstbetrag von
Fr. 150.-, abzüglich einer Franchise von Fr. 50.-. Die
Krankenkasse lehnte im Übrigen ihre Leistungspflicht ab und
erachtete insbesondere die Voraussetzungen für eine Kosten-
übernahme zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversi-
cherung als nicht erfüllt.
     M.________ liess gegen die Verfügung Einsprache
erheben und ein Schreiben des Dr. med. S.________ vom
24. Juni 1997 nachreichen, wonach es sich beim Eingriff um
eine klassische kassenpflichtige Situation gehandelt habe
mit einer Diagnose, die mehrfach die an Pflichtleistungen
zu stellenden Bedingungen erfüllt habe, ohne dass dabei
zahnärztliche Massnahmen infolge Auswirkungen auf das
Odontoparodont notwendig gewesen wären. Mit Einsprache-
entscheid vom 29. Juli 1997 hielt die Krankenkasse Hermes
an ihrem Standpunkt fest.

     B.- Mit Beschwerde beantragte M.________, die
Krankenkasse Hermes sei zu verpflichten, die Kosten von
Fr. 3158.95 im Zusammenhang mit dem Eingriff vom 28. Januar
1997 zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
wies die Beschwerde mit Entscheid vom 13. Februar 1998 ab.

     C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________
wiederum die Erstattung der Kosten für die am 28. Januar
1997 bei Dr. med. S.________ erfolgte Behandlung von Fr.
3158.95 zuzüglich 5 % Zins aus der bei der Krankenkasse
Hermes abgeschlossenen obligatorischen Krankenpflegeversi-
cherung beantragen.

     Die Krankenkasse Hermes schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialver-
sicherung hat sich nicht vernehmen lassen.

     D.- Am 28. März 2000 hat das Eidgenössische Versiche-
rungsgericht eine Expertengruppe mit der Erstellung eines
zahnmedizinischen Grundsatzgutachtens beauftragt. Das vor-
liegende Verfahren wurde deshalb mit Verfügung vom 3. April
2000 sistiert. Das Grundsatzgutachten ging am 31. Oktober
2000 beim Gericht ein und wurde am 16. Februar 2001 mit den
Experten erörtert. Am 21. April 2001 erstellten die Exper-
ten einen Ergänzungsbericht.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Da das Gericht im Hinblick auf die sich hier
stellenden medizinischen Fragen Fachpersonen konsultiert
hat, wurde das Verfahren sistiert. Nach Vorliegen des
Berichtes mit Ergänzungen ist der Grund der Sistierung weg-
gefallen. Sie ist daher aufzuheben.

     2.- Die Leistungen, deren Kosten von der obligatori-
schen Krankenpflegeversicherung bei Krankheit zu übernehmen
sind, werden in Art. 25 des Bundesgesetzes über die Kran-
kenversicherung (KVG) in allgemeiner Weise umschrieben. Im
Vordergrund stehen die Leistungen der Ärzte und Ärztinnen,
dann aber auch der Chiropraktoren und Chiropraktorinnen
sowie der Personen, die im Auftrag von Ärzten und Ärztinnen
Leistungen erbringen.
     Die Leistungen der Zahnärzte und Zahnärztinnen sind in
der genannten Bestimmung nicht aufgeführt. Die Kosten die-
ser Leistungen sollen im Krankheitsfalle der obligatori-
schen Krankenpflegeversicherung nur in eingeschränktem
Masse überbunden werden, nämlich wenn die zahnärztliche Be-
handlung durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung

des Kausystems (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG) oder durch eine
schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt
(Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG) oder zur Behandlung einer
schweren Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig
ist (Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG).
     Die Berufung der Beschwerdeführerin auf Art. 25 KVG
geht fehl, weil es in ihrem Fall um eine zahnärztliche Be-
handlung des Kausystems geht. Die Leistungspflicht der so-
zialen Krankenversicherung ist diesfalls nur bei Erfüllung
der Voraussetzungen von Art. 31 Abs. 1 KVG gegeben und zwar
von lit. a, weil die zahnärztliche Behandlung weder durch
eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt
(lit. b) noch für deren Behandlung notwendig ist (lit. c).

     3.- Die Bestimmung von Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG, wo-
nach die zahnärztliche Behandlung durch eine schwere, nicht
vermeidbare Erkrankung des Kausystems bedingt sein muss,
hat durch das Departement (Art. 33 Abs. 2 KVG in Verbindung
mit Art. 33 lit. d KVV) in Art. 17 der Verordnung über
Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
(KLV) folgende Ausgestaltung erfahren:

Art. 17 Erkrankungen des Kausystems

Die Versicherung übernimmt die Kosten der zahnärztlichen
Behandlungen, die durch eine der folgenden schweren, nicht
vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems bedingt sind
(Art. 31 Abs. 1 Bst. a KVG). Voraussetzung ist, dass das
Leiden Krankheitswert erreicht; die Behandlung ist nur so
weit von der Versicherung zu übernehmen, wie es der Krank-
heitswert des Leidens notwendig macht:

a. Erkrankungen der Zähne:

   1. Idiopathisches internes Zahngranulom,
   2. Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen
      mit Krankheitswert (z.B. Abszess, Zyste);

b. Erkrankungen des Zahnhalteapparates (Parodontopathien):

   1. Präpubertäre Parodontitis,
   2. Juvenile, progressive Parodontitis,
   3. Irreversible Nebenwirkungen von Medikamenten;

c. Erkrankungen des Kieferknochens und der Weichteile:

   1. Gutartige Tumore im Kiefer- und Schleimhautbereich
      und tumorähnliche Veränderungen,
   2. Maligne Tumore im Gesichts-, Kiefer- und Halsbereich,
   3. Osteopathien der Kiefer,
   4. Zysten (ohne Zusammenhang mit Zahnelementen),
   5. Osteomyelitis der Kiefer;

d. Erkrankungen des Kiefergelenks und des Bewegungsappara-
   tes:

   1. Kiefergelenksarthrose,
   2. Ankylose,
   3. Kondylus- und Diskusluxation;

e. Erkrankungen der Kieferhöhle:

   1. In die Kieferhöhle dislozierter Zahn oder Zahnteil,
   2. Mund-Antrumfistel;

f. Dysgnathien, die zu folgenden Störungen mit Krankheits-
   wert führen:

   1. Schlafapnoesyndrom,
   2. Schwere Störungen des Schluckens,
   3. Schwere Schädel-Gesichts-Asymmetrien.

     a) In BGE 124 V 185 hat das Eidgenössische Versiche-
rungsgericht entschieden, dass die in Art. 17-19 KLV er-
wähnten Erkrankungen, deren zahnärztliche Behandlung von
der sozialen Krankenversicherung zu übernehmen ist, ab-
schliessend aufgezählt sind. Demnach fallen nur Erkrankun-
gen des Kausystems, die in Art. 17 KLV genannt sind, unter
die Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung.

     b) Die Umschreibung der Erkrankungen in Art. 17 KLV
ist unterschiedlich. So begnügt sich der Verordnungsgeber
teils mit einzelnen Krankheitsbezeichnungen wie etwa der
Kiefergelenksarthrose (Art. 17 lit. d Ziff. 1 KLV) oder der
Mund-Antrumfistel (Art. 17 lit. e Ziff. 2 KLV), teils ver-
wendet er Umschreibungen wie in Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV,
wo ihm die Begriffe "Verlagerung und Überzahl von Zähnen
und Zahnkeimen" ("dislocations dentaires, dents ou germes
dentaires surnuméraires"; "dislocazioni o soprannumero di
denti o germi dentari") für sich allein zu unbestimmt er-
scheinen, sodass er nur solche darunter verstanden wissen
will, die "Krankheitswert (z.B. Abszess, Zyste)" erreichen
("pouvant être qualifiées de maladie [par exemple: abcès,
kyste]"; "che causano una malattia [ad es. ascesso,
ciste]"). Damit stellt sich die Frage, ob dieser
Krankheitswert ein anderer ist als jener Krankheitswert,
der nach Art. 17 KLV zur allgemeinen Voraussetzung dafür
erhoben wird, dass die in dieser Bestimmung aufgezählten
Erkrankungen in den Leistungsbereich der sozialen
Krankenversicherung fallen. Weiter ist danach zu fragen, ob
der Krankheitswert, wie er in Art. 17 KLV allgemein oder in
dessen lit. a Ziff. 2 bei verlagerten und überzähligen
Zähnen und Zahnkeimen verwendet wird, mit dem in Art. 2
Abs. 1 KVG definierten Begriff der Krankheit übereinstimmt.

     4.- Das Gericht hat dazu die von zwei verschiedenen
Berufsgruppen zur Leistungspflicht der sozialen Krankenver-
sicherung im Sinne von Art. 31 KVG herausgegebenen Leitfä-
den zu Rate gezogen (Atlas der Erkrankungen mit Auswirkun-
gen auf das Kausystem [SSO-Atlas], herausgegeben von der
Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO, 1996; KVG-Leit-
faden, Leistungspflicht im Fachbereich Kiefer- und Ge-
sichtschirurgie, herausgegeben von der Gesundheitspoliti-
schen Kommission der Schweizerischen Gesellschaft für Kie-
fer- und Gesichtschirurgie, 1999). In der Erkenntnis, dass
diese Unterlagen einerseits auf die sich stellenden Fragen

wenig grundsätzliche Antworten geben und die Thematik mehr
kasuistisch angehen und andererseits in vielen Einzelfragen
zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen, sowie an-
gesichts der grossen praktischen Bedeutung mit allfällig
weit reichenden finanziellen Folgen für die Versicherten
und die Versicherer hat das Gericht eine Expertengruppe mit
der Ausarbeitung eines Grundsatzgutachtens beauftragt. Die-
ses hatte die gestellten Fragen grundsätzlich, d.h. losge-
löst von den anstehenden Einzelfällen, zu beantworten und
so dem Gericht eine Grundlage zu bieten, welche es ihm er-
laubt, den gesetzlichen Bestimmungen einen Inhalt zu geben,
der auf einem zutreffenden Verständnis des der Regelung zu
Grunde liegenden medizinischen Fachwissens beruht. Bei den
drei Mitgliedern der Expertengruppe handelt es sich um PD
Dr. med. dent. Gebauer, Klinik für Kieferorthopädie, Bern,
Dr. med. dent. Chiarini, Ecole de Médecine Dentaire, Genf,
und Dr. med. dent. Gnoinski, Klinik für Kieferorthopädie,
Zürich. Diese Experten durften andere Fachpersonen kontak-
tieren.
     Das Grundsatzgutachten und der Erläuterungsbericht
werden nicht nur soweit sie für den vorliegenden Fall ein-
schlägig sind, sondern umfassend wiedergegeben, und zwar
angesichts des Umstandes, dass die Expertenmeinungen weit
über den konkreten Fall hinaus interessieren.

     5.- a) Die Experten wurden zum Krankheitswert befragt,
der bei verlagerten und überzähligen Zähnen und Zahnkeimen
nach Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV Voraussetzung der
Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung ist. Die
Fachpersonen erblicken in diesem Krankheitswert einen
gegenüber dem allgemein definierten Begriff der Krankheit
gemäss Art. 2 Abs. 1 KVG qualifizierten Begriff. Ihm komme
- so führen sie aus - Abgrenzungsfunktion zu. Weil die
Umschreibungen "Verlagerung" und "Überzahl" von Zähnen und
Zahnkeimen sowohl leichte wie auch schwere Erkrankungen des
Kausystems erfassten, würden auf diese Weise die schweren,

eben jene mit Krankheitswert, von den übrigen Erkrankungen
abgegrenzt, die nicht als schwer einzustufen seien und
daher der Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung
gemäss Art. 31 Abs. 1 KVG nicht unterlägen.

     b) Das Gericht sieht keinen Grund, im Krankheitswert,
der nach Art. 17 KLV bei allen darin aufgeführten Erkran-
kungen erreicht sein muss, damit die Behandlung der Leis-
tungspflicht unterliegt, etwas anderes zu erblicken. Auch
hier dient der Begriff der Abgrenzung. Er drückt das Mass
der Schwere der Erkrankung als Voraussetzung für die Leis-
tungspflicht der sozialen Krankenversicherung aus. Nicht
schwere Erkrankungen sollen nach der gesetzlichen Vorgabe
des Art. 31 Abs. 1 KVG davon ausgeschlossen sein. Der Wie-
derholung des Begriffes in Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV kommt
daher die Funktion zu, dieser allgemeinen Voraussetzung des
Krankheitswertes in Art. 17 KLV den nötigen Nachdruck zu
verschaffen, weil gerade bei verlagerten und überzähligen
Zähnen und Zahnkeimen, wie nachfolgend zu zeigen sein wird,
neben schweren gehäuft nicht schwere Erscheinungsformen an-
zutreffen sind.

     6.- a) Um die Frage der Schwere einer Erkrankung bei
Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen diffe-
renziert angehen zu können, unterscheiden die Experten zwi-
schen der Dentition in Entwicklung - im Sinne eines Richt-
wertes bis zum 18. Altersjahr - und bleibender Dentition.
So könne bei der Dentition in Entwicklung der Krankheits-
wert in der Behinderung einer geordneten Gebissentwicklung
oder in einem pathologischen Geschehen bestehen. Bei blei-
bender Dentition falle naturgemäss eine Behinderung der ge-
ordneten Gebissentwicklung ausser Betracht; der Krankheits-
wert beschränke sich hier auf ein pathologisches Geschehen.

     aa) Damit eine Behinderung geordneter Gebissentwick-
lung Krankheitswert erlange, so führen die Fachleute aus,
müsse sie mit der Verlagerung oder Überzahl von Zähnen und
Zahnkeimen zusammenhängen, bereits manifest sein oder ge-
mäss bewährter Erkenntnis der Zahnmedizin unmittelbar dro-
hen und durch einfache Massnahmen nicht zu verhindern oder
zu beheben sein. Als Beispiele der Behinderung einer ge-
ordneten Gebissentwicklung nennen die Experten die Behin-
derung des Durchbruchs benachbarter Zähne, die Resorption
oder Verdrängung solcher Zähne und das Ausbleiben weiteren
Alveolarfortsatz-Wachstums infolge Ankylose bleibender
Zähne und Früh-Ankylose von Milchzähnen. Unter einfachen
Massnahmen seien namentlich die Extraktion von Milchzähnen
oder bleibenden Zähnen ohne Zusatzkomplikationen (einfache
Extraktion), Schleimhautkappen-Excision sowie die Schaffung
des für den Zahndurchbruch nötigen Platzangebotes mit be-
schränktem apparativem Aufwand (z.B. festsitzende oder ab-
nehmbare Lückenhalter/Lückenöffner, Lingualbogen, Palati-
nalbogen, Headgear) zu verstehen.

     bb) Von einem pathologischen Geschehen - so die Fach-
personen - sei zu sprechen, wenn es mit der Verlagerung
oder Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen zusammenhänge, wenn
es durch prophylaktische Massnahmen nicht verhindert werden
könne, wenn es zu erheblichen Schäden an benachbarten Zäh-
nen, am Kieferknochen oder an benachbarten Weichteilen ge-
führt habe oder nach klinischem und allenfalls radiologi-
schem Befund mit hoher Wahrscheinlichkeit führen werde und
ohne Eingriff das Kausystem beeinträchtige. Als Beispiele
einer erheblichen Schädigung benachbarter Zähne, am Kiefer-
knochen oder an benachbarten Weichteilen nennen sie den
Abszess, die Zyste, soweit sie nicht durch vermeidbare Ka-
ries oder Parodontitis bedingt ist, die Resorption oder
Verdrängung benachbarter Zähne, bereits erfolgte parodonta-
le Taschenbildung an benachbarten Zähnen, chronisch-rezidi-
vierende Pericoronitis (beginnende Abszessbildung) bei

Weisheitszähnen sowie retinierte Zähne mit Verbindung zur
Mundhöhle und entsprechender Gefahr der Abszessbildung in-
folge nicht vermeidbarer Karies. Ein Kauorgan könne sodann
ausser in seiner Funktion auch in seiner Ästhetik (z.B.
obere Frontzähne) beeinträchtigt werden.

     b) Verlagerte Weisheitszähne nehmen gemäss den Ausfüh-
rungen der Experten gegenüber anderen verlagerten oder
überzähligen Zähnen insofern eine besondere Stellung ein,
als sie von ihrer topografischen Lage in der Gegend des
Unterkiefer-Winkels her besonders häufig Lage-Anomalien
zeigen und Anlass zu entzündlichen Komplikationen und Zys-
tenbildungen geben würden, die in dieser topografischen
Position besonders schwer wiegende Folgen haben könnten wie
einen Durchbruch von Abszessen in anatomischen Logen von
vitaler Bedeutung oder eine Spontanfraktur des Unterkiefers
infolge Schwächung durch grosse Zysten.

     c) Was den Umfang der Pflichtleistung der sozialen
Krankenversicherung in den dargestellten Fällen von schwe-
rer Erkrankung des Kausystems anbelangt, erachten die Ex-
perten aus fachärztlicher Sicht allgemein die Übernahme der
Kosten zur Behebung oder Minderung der Entwicklungsstörung
oder des pathologischen Geschehens sowie zur Herstellung
eines funktionell und, soweit obere Frontzähne betroffen
sind, eines ästhetisch befriedigenden Zustandes für ange-
zeigt. Im Besonderen halten die beigezogenen Fachpersonen
dafür, dass bei überzähligen Zähnen mit pathologischem Ge-
schehen zum Umfang der Leistungspflicht die Kosten für die
Entfernung, für die Behandlung der Pathologie und die Res-
tauration oder den Ersatz allfällig geschädigter Zähne ge-
hörten. Bei verlagerten Zähnen umfasst die Leistungspflicht
ihrer Meinung nach die Entfernung und den Ersatz dieser
Zähne oder deren Einreihung mittels chirurgischer oder kie-
ferorthopädischer Massnahmen. Bei verlagerten Weisheits-
zähnen mit pathologischem Geschehen schliesslich beinhalte

die Pflichtleistung nur die Entfernung und die Behandlung
der Begleitpathologie, nicht aber den Ersatz für entfernte
Zähne.

     7.- a) In Würdigung dieser medizinischen Ausführungen
schliesst sich das Gericht dem Verständnis der Experten an,
wonach der Krankheitswert gemäss Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV
bei der Dentition in Entwicklung in der Behinderung einer
geordneten Gebissentwicklung oder in einem pathologischen
Geschehen und bei bleibender Dentition in einem pathologi-
schen Geschehen zu sehen ist, wobei das pathologische Ge-
schehen zu einer erheblichen Schädigung von Nachbarstruk-
turen führt oder unter bestimmten Voraussetzungen zu führen
droht. Damit scheidet aus, den Krankheitswert in den verla-
gerten oder überzähligen Zähnen und Zahnkeimen selbst zu
sehen, etwa bei Überschreitung eines bestimmten Mindestmas-
ses der Abweichung verlagerter Zähne von der normalen Lage
und Achsenrichtung.
     Im Weiteren ergibt sich daraus, dass dieser Krank-
heitswert den für die soziale Krankenversicherung allgemein
geltenden Krankheitswert des Art. 2 Abs. 1 KVG übersteigt
(vgl. Erw. 5a, b). Nicht jede Beeinträchtigung der Gesund-
heit durch verlagerte oder überzählige Zähne und Zahnkeime
lässt eine medizinische Untersuchung oder Behandlung unter
die Pflichtleistung der sozialen Krankenversicherung fal-
len. Vielmehr muss, wie dargelegt, eine qualifizierte Be-
einträchtigung vorliegen.
     Ob eine Erkrankung des Kausystems wegen verlagerter
und überzähliger Zähne und Zahnkeime als schwer anzusehen
ist und ihre Behandlung der Leistungspflicht der sozialen
Krankenversicherung gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG unter-
liegt, ist demnach am Krankheitswert gemäss Art. 17
(Ingress) und Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV zu messen. Liegt
eine Behinderung geordneter Gebissentwicklung oder
pathologisches Geschehen mit Schädigung der
Nachbarstrukturen im dargelegten Sinne vor, so muss nicht
zusätzlich danach gefragt werden, ob die Erkrankung
insgesamt als schwer einzustufen ist.

     b) Was sodann den Umfang der Leistungspflicht anbe-
langt, gehen die Experten in ihren Ausführungen relativ
weit, indem sie beispielsweise neben der Entfernung ver-
lagerter Zähne auch deren Ersatz oder deren Einreihung
einschliessen. Der Umfang hat sich in jedem Fall nach den
Grundsätzen der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirt-
schaftlichkeit zu richten (Art. 32 Abs. 1 KVG). Keinesfalls
darf Anreiz dafür geschaffen werden, Gebisssanierungen, für
welche die soziale Krankenversicherung nicht aufzukommen
hat, unter dem Vorwand einer Behandlung verlagerter oder
überzähliger Zähne ihr doch anzulasten. Der Umfang der
Leistungspflicht wird von Fall zu Fall nach den genannten
Grundsätzen festzulegen sein.

     c) Es ist selbstverständlich Sache der Rechtsprechung,
die von den Experten geäusserten Auffassungen, soweit sie
nicht in die Beurteilung des vorliegenden Falles einflies-
sen, in den konkreten Einzelfällen zu beurteilen.

     8.- Es bleibt zu prüfen, ob das Leiden der Beschwerde-
führerin Krankheitswert im Sinne von Art. 17 lit. a Ziff. 2
KLV erlangt hat. Die Beschwerdegegnerin sieht in den Be-
richten des Dr. med. S.________ zur Behandlung (Opera-
tionsbericht vom 28. Januar 1997; Berichte vom 1. Mai 1997
und vom 24. Juni 1997) und in seiner Stellungnahme im
Beschwerdeverfahren vom 16. April 1998 gewisse Widersprü-
che. So erachtet sie es als widersprüchlich, dass der
Weisheitszahn 18, im Oberkiefer links lokalisiert, trotz
follikulärer Zyste nicht entfernt wurde, dagegen Zahn 38 im
Unterkiefer rechts, obwohl lediglich eine klinisch unauf-
fällige Zyste vorlag. Was die kritische Bemerkung zu
Zahn 18 anbelangt, liegt hier einerseits ein Missverständ-
nis der Beschwerdegegnerin zu Grunde, indem dieser Zahn im
Oberkiefer rechts und nicht links lokalisiert ist (Ernst
Sauerwein, Zahnerhaltungskunde, 2. Aufl., Stuttgart 1972,
S. 9), und andererseits eine Ungenauigkeit im Bericht des
Dr. med. S.________ vom 1. Mai 1997, indem darin in Ziff. 1

von pericoronalen Infekten und Zysten bei retinierten
Weisheitszähnen im Oberkiefer rechts und im Unterkiefer
beidseits gesprochen wird. Aus Ziff. 4 dieses Berichtes und
allen andern erwähnten Berichten des Dr. med. S.________
geht aber hervor, dass das Krankheitsgeschehen seinen Sitz
zur Hauptsache im Oberkiefer links und nicht rechts hatte.
     Was das Krankheitsgeschehen betrifft, ergibt sich aus
allen Berichten des Dr. med. S.________, dass das Leiden
der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Behandlung
Krankheitswert im Sinne von Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV
hatte. Denn die Behandlung zielte darauf ab, eine weitere
Schädigung von Nachbarstrukturen verlagerter Zähne zu
unterbinden. Dies gilt auch hinsichtlich des Zahnes 38 im
Unterkiefer rechts. Bezüglich der Diagnose schreibt Dr.
med. S.________ in der Stellungnahme vom 16. April 1998
(Ziff. 3):

     "... Im Unterkiefer rechts fand sich röntgenologisch
ebenfalls eine zum damaligen Zeitpunkt klinisch unauffäl-
lige follikuläre Zyste bei verlagertem Weisheitszahn, die
jedoch anamnestisch offenbar bereits rezidivierende Infekte
durchgemacht hatte. Die Verlagerung der Weisheitszähne bei
bereits abgeschlossenem Wurzelwachstum war in Lage und
Achse derart, dass die bogenförmig abgekrümmten, ein Kno-
chenfenster umschliessenden Wurzeln im Unterkiefer bis
unter den Nervenkanal reichten, so dass mit der schwierigen
Situation eines Einschlusses des N. alveolaris inferior
durch die Wurzeln der verlagerten Zähne gerechnet werden
musste. Die Nähe des Infektgeschehens zum Nerv erklärte
auch die starken Schmerzen ..."

     Und zur Notwendigkeit der Behandlung führt er im sel-
ben Bericht unter Ziff. 5 fort:

     "Ohne notfallmässige Überweisung und sofortige Behand-
lung hätte der Infekt zugenommen, so dass dann eine Inzi-
sion und Drainage von extraoral notwendig geworden wäre.
Wäre auch diese Behandlung unterblieben, können solche
Abszesse durch innere Fortleitung innert kürzester Zeit zu
schwersten bis lebensbedrohlichen  Komplikationen führen.
... Selbst kleine rezidivierende pericoronale Infekte, wie
im vorliegenden Fall auf der rechten Seite, können unbehan-
delt zu einer hämatogenen Streuung führen, mit Auftreten
vielfältigster Krankheitsbilder, beispielsweise einer Endo-
karditis bis hin zur Sepsis."

     9.- Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und die
Beschwerdegegnerin ist zu verpflichten, die Kosten für die
zahnärztlichen Behandlungen zu übernehmen.

     10.- Auf das Begehren der Beschwerdeführerin, es sei
ihr nebst dem Betrag für die erfolgte Behandlung 5 % Zins
ab 1. März 1997 zurückzuerstatten, ist nicht einzutreten,
da dieser Antrag nicht begründet wird (Art. 108 Abs. 2 OG).

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Sistierung wird aufgehoben.

 II. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, so-
     weit darauf einzutreten ist, werden der Entscheid des
     Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 13. Februar
     1998 sowie der Einspracheentscheid der Krankenkasse
     Hermes vom 29. Juli 1997 aufgehoben, und es wird diese
     verpflichtet, die Kosten für die erfolgte zahnärztli-
     che Behandlung von Fr. 3158.95 zu übernehmen.

III. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

 IV. Die Krankenkasse Hermes hat der Beschwerdeführerin für
     das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsge-
     richt eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (ein-
     schliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

  V. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine
     Parteientschädigung für das kantonale Verfahren ent-
     sprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses
     zu befinden haben.

 VI. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
     richt des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
     Abteilung und dem Bundesamt für Sozialversicherung zu-
     gestellt.

Luzern, 19. September 2001

                                  Im Namen des
                      Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                      Der Präsident           Die Gerichts-
                      der I. Kammer:          schreiberin: