Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 171/1998
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 1998
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 1998


K 171/98 Vr

                         I. Kammer

Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Meyer, Bundes-
richterin Leuzinger und Bundesrichter Ferrari; Gerichts-
schreiberin Fleischanderl

                Urteil vom 28. Februar 2001

                         in Sachen

Concordia, Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung,
Rechtsdienst, Bundesplatz 15, Luzern, Beschwerdeführerin,

                           gegen

M.________, 1953, Beschwerdegegnerin, vertreten durch
H.________,
                            und

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

     A.- Die 1953 geborene M.________, welche Mitglied der
Concordia, Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung,
(nachfolgend: Concordia) ist, ersuchte mit Versicherungs-
änderungsantrag vom 19. November 1996 unter anderem um
Aufhebung ihrer freiwilligen Taggeldversicherung nach KVG
mit Unfalldeckung in der Höhe von Fr. 100.- ab dem ersten
Tag auf den 31. Dezember 1996. Am 28. Dezember 1996 zog sie
sich beim Schlitteln einen Bänderriss an der rechten
Schulter zu, woraufhin sie gemäss ärztlichem Zeugnis der

Frau Dr. med. S.________ (vom 8. März 1997) bis 28. Februar
1997 zu 100 % und vom 1. bis 31. März 1997 zu 50 % arbeits-
unfähig war. Mit Verfügung vom 16. Juni 1997 lehnte die
Concordia es ab, Taggeldleistungen für die unfallbedingte
Arbeitsunfähigkeit ab 1. Januar 1997 auszurichten. Die
hiegegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom
7. August 1997 ab.

     B.- Das beschwerdeweise vorgebrachte Begehren, die
Concordia habe auch weiterhin Taggeldleistungen für die
Folgen des erlittenen Unfalles zu erbringen, hiess das Ver-
waltungsgericht des Kantons Luzern in Aufhebung des ange-
fochtenen Einspracheentscheids insofern gut, als es die
Krankenkasse verpflichtete, bis längstens Ende Juni 1997
Leistungen auszurichten. Zur Begründung führte es aus, die
Aufhebung der Taggeldversicherung sei erst auf diesen Zeit-
punkt erfolgt (Entscheid vom 12. August 1998).

     C.- Die Concordia führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Antrag um Aufhebung des kantonalen Entscheids.
     Während M.________ sinngemäss auf Abweisung der Ver-
waltungsgerichtsbeschwerde schliessen lässt, hat sich das
Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen lassen.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Streitig und zu prüfen ist, ob M.________ auch ab
dem 1. Januar 1997 ein Anspruch auf Ausrichtung von Tag-
geldleistungen für die durch den Unfall vom 28. Dezember
1996 bedingte Arbeitsunfähigkeit zusteht.
     Diese Frage ist in Anwendung des KVG, welches auf den
1. Januar 1996 in Kraft getreten ist, sowie der im Jahre
1996 gültig gewesenen Reglemente und Statuten der Concordia
zu beurteilen, da diejenigen Rechtsnormen zur Anwendung ge-

langen, die im Zeitpunkt der Verwirklichung des Sachverhal-
tes galten, auf den der streitige Anspruch gestützt wird
(BGE 122 V 35 f. Erw. 1; RKUV 1999 Nr. K 994 S. 321 Erw. 2
mit Hinweisen).

     2.- Umstritten ist zunächst, ob die Taggeldversiche-
rung auf den 31. Dezember 1996 - wie von der Beschwerdefüh-
rerin vorgebracht - oder gemäss den Erwägungen des vorin-
stanzlichen Entscheids erst auf Ende Juni 1997 aufgehoben
wurde.

     a) Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Bestim-
mungen über die Entstehung des Taggeldanspruchs (Art. 72
Abs. 2 Satz 1 KVG), dessen Dauer bei Vorliegen einer Er-
krankung oder eines Unfalles (Art. 72 Abs. 3 in Verbindung
mit Art. 1 Abs. 2 KVG) sowie die Kürzung der Leistung bei
teilweiser Arbeitsunfähigkeit (Art. 72 Abs. 4 KVG) richtig
wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden. Mit Hinweisen
auf die Lehre (Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht,
Basel/Frankfurt am Main 1996, S. 108 f.; ders., Bundesso-
zialversicherungsrecht, 2. Aufl., S. 269) legt es zudem
korrekt dar, dass die Krankenkassen in der Regelung der
Austrittsmodalitäten des Mitglieds aus der Taggeldeinzel-
versicherung - eine solche findet sich im Gesetz nicht -
auf Grund ihrer Privatautonomie innerhalb der Schranken der
wesentlichen Grundsätze der sozialen Krankenversicherung
prinzipiell frei sind (vgl. auch BGE 108 V 258 Erw. 2 mit
Hinweisen; RKUV 1984 Nr. K 576 S. 97 Erw. 4a; Gebhard
Eugster, Zum Leistungsrecht der Taggeldversicherung nach
KVG, in LAMal-KVG, Lausanne 1997, S. 551).

     b) Das Reglement der Concordia zur freiwilligen Tag-
geldversicherung, Ausgabe 1996, (nachfolgend: Reglement)
sieht in Art. 15 Ziff. 2 vor, dass die Versicherung unter
anderem durch Kündigung aufgehoben wird. Diese kann von den
Versicherten im Regelfall jederzeit unter Beachtung einer
dreimonatigen Kündigungsfrist jeweils auf den 30. Juni oder

31. Dezember erklärt werden (Art. 16 Ziff. 1 des Regle-
ments). Der Anspruch auf Leistungen (einschliesslich der-
jenigen für eine bestehende Arbeitsunfähigkeit) erlischt
mit dem Ende der Versicherung (Art. 22 des Reglements).

     c) aa) Unbestrittenermassen erfolgte die Austrittser-
klärung von M.________ (vom 19. November 1996) auf den
31. Dezember 1996, deren Empfang von der Beschwerdeführerin
am 20. November 1996 bestätigt wurde, im Hinblick auf die
reglementarische Bestimmung verspätet. Grundsätzlich ent-
faltet dieses einseitige, nicht annahmebedürftige Rechts-
geschäft seine Wirkung im Falle der nicht rechtzeitigen
Eingabe indes auf den nächstmöglichen Kündigungstermin
(RKUV 1991 Nr. K 873 S. 195 Erw. 4a mit Hinweisen auf
Rechtsprechung und Lehre), sodass das Versicherungsverhält-
nis vorliegend am 30. Juni 1997 beendet worden wäre.
     Fraglich erscheint nun jedoch, ob die Beschwerdeführe-
rin - wie von ihr geltend gemacht - nicht auf die Einhal-
tung der reglementarischen Kündigungsfristen verzichtet und
das Taggeldversicherungsverhältnis durch Übereinkunft im
Sinne von Art. 115 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und
Art. 6 des Obligationenrechts, dessen Normen insoweit An-
wendung finden, als sich diese mit dem Sozialversicherungs-
recht vereinbaren lassen (BGE 105 V 88 Erw. 2 mit Hinwei-
sen; Maurer, Bundessozialversicherungsrecht, a.a.O.,
S. 270; vgl. auch Maurer, Das neue Krankenversicherungs-
recht, a.a.O., S. 109), formlos aufgehoben wurde.

     bb) Dies ist - namentlich in Berücksichtigung des Um-
stands, dass die Taggeldversicherung nach KVG auf einem
Vertragsverhältnis beruht (Botschaft über die Revision der
Krankenversicherung vom 6. November 1991, BBl 1992 I 93
ff., insbesondere 202; Maurer, Das neue Krankenversiche-
rungsrecht, a.a.O., S. 108; Eugster, a.a.O., S. 551; ders.,
Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungs-
recht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, S. 196 Fn 878) und
die genannten Bestimmungen des OR deshalb subsidiär anzu-

wenden sind - zu bejahen. Nachweislich nahm die Beschwerde-
führerin den Antrag auf Versicherungsauflösung am 20. No-
vember 1996 in Empfang. In der Folge unterblieb eine Reak-
tion gegenüber ihrer Versicherten im Sinne eines Hinweises
auf die gemäss Reglement geltende dreimonatige Kündigungs-
frist sowie das Beharren auf deren Einhaltung. Dieses Ver-
halten ist als stillschweigende Einwilligung in einen vor-
zeitigen Kassenaustritt auf Ende Dezember 1996 zu werten
(Schönenberger/Jäggi, Zürcher Kommentar, Nr. 95 zu Art. 6
OR; Alfred Koller, Schweizerisches Obligationenrecht, All-
gemeiner Teil, Bd. I, Bern 1996, N 538; vgl. auch Art. 2
Abs. 1 VVG). Belegt wird dieses Ergebnis durch den Umstand,
dass beide Vertragsparteien übereinstimmend von der Aufhe-
bung der Taggeldversicherung - und der gleichzeitig gekün-
digten Zusatzversicherung NATURA - auf den 31. Dezember
1996 ausgingen: So wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwer-
de gerade dieser Punkt hervorgehoben und beruft sich doch
auch M.________, deren Behaftung der Beschwerdeführerin auf
dieser Grundlage nahe gelegen hätte, nicht einmal
andeutungsweise auf ein ihrer Meinung nach über diesen
Zeitpunkt hinaus bestehendes Versicherungsverhältnis. Ange-
sichts der Gewichtung der "Detailgestaltung des Versiche-
rungsverhältnisses durch Parteidisposition" (Eugster, Zum
Leistungsrecht der Taggeldversicherung nach KVG, a.a.O.,
S. 551) blieb es der Beschwerdeführerin unbenommen, im Ein-
zelfall auf die Einhaltung ihrer reglementarischen Bestim-
mungen zu Gunsten der Versicherten und deren ausdrücklichem
Wunsch entsprechend zu verzichten und das Vertragsverhält-
nis vorzeitig aufzulösen. Selbst wenn die Beschwerdegegne-
rin sich nachträglich auf die dreimonatige Kündigungsfrist
berufen hätte - was sie aber eben nicht getan hat -, wäre
ein derartiges Vorgehen als widersprüchliches und treuwid-
riges Verhalten (venire contra factum proprium) nach dem
Grundsatz von Treu und Glauben nicht zu schützen gewesen
(vgl. BGE 125 III 259 Erw. 2a; noch nicht veröffentlichtes
Urteil S. vom 26. Oktober 2000, B 42/99).

     Wie die Beschwerdeführerin demnach zutreffend aus-
führt, kann es angesichts dieser Sachlage nicht angehen,
den Parteien gegen ihren offenkundigen Willen eine Ver-
tragsverlängerung aufzudrängen, ohne dass eine diese Vor-
gehensweise legitimierende zwingende gesetzliche Bestimmung
vorläge. Die streitige Taggeldversicherung endigte somit am
31. Dezember 1996.

     3.- Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerdeführerin allen-
falls gestützt auf eine andere Rechtsgrundlage zur Ausrich-
tung von Taggeldleistungen nach dem 1. Januar 1997 ver-
pflichtet ist, da der Unfall vom 28. Dezember 1996 während
des noch bestehenden Versicherungsverhältnisses stattfand.

     a) Nach ständiger Rechtsprechung zu den altrechtlichen
Krankengeldversicherungen (Art. 12 und 12bis KUVG) waren
die Krankenkassen von Gesetzes wegen nicht verpflichtet,
Taggelder über den Zeitpunkt der Beendigung des Versiche-
rungsverhältnisses hinaus zu leisten (SVR 1998 KV Nr. 5
S. 13 Erw. 3 mit Hinweisen). Es gehörte vielmehr zu den
grundlegenden Elementen der sozialen Krankenversicherung,
dass der Leistungsanspruch sowohl bei Krankheit wie auch
bei Unfall gegenüber der Krankenkasse an die Mitgliedschaft
gebunden war und mit ihr endete (BGE 105 V 286 Erw. 3; EVGE
1967 S. 8 Erw. 1; RKUV 1995 Nr. K 957 S. 14 Erw. 4b; SVR
1998 KV Nr. 5 S. 13 Erw. 3 mit Hinweisen). Sahen die kas-
seninternen Bestimmungen eines Krankenversicherers demzu-
folge keine Ausnahme - auch nicht im Bereich der Unfall-
versicherung - zu diesem Grundsatz vor, bestand eine Leis-
tungspflicht nur für die Dauer der Mitgliedschaft (SVR 1998
KV Nr. 5 S. 13 Erw. 3; RKUV 1984 Nr. K 576 S. 98 Erw. 4b).

     b) Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE
125 V 110 Erw. 3 sowie 116 ff. Erw. 3b und c erkannt hat,
ist die nach altem Recht zur Dauer der Mitgliedschaft er-
gangene Rechtsprechung auch unter der Herrschaft des KVG
anwendbar. Die für jene Rechtsprechung massgeblichen Über-

legungen behalten auch unter neuem Recht ihre Gültigkeit
(vgl. namentlich RKUV 1984 Nr. K 576 S. 98 Erw. 4b); dies
gilt insbesondere auch mit Blick auf Art. 75 Abs. 1 KVG,
wonach die Taggeldversicherung nach dem Ausgabenumlagever-
fahren finanziert wird. Wie in der Krankengeldversicherung
nach KUVG besteht in der freiwilligen Taggeldversicherung
nach den Art. 67 ff. KVG demnach von Gesetzes wegen keine
nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses weiterbeste-
hende Leistungspflicht des Versicherers für Versicherungs-
fälle - so auch für Unfälle -, welche vor der Beendigung
des Versicherungsverhältnisses eingetreten sind. Die Be-
schwerdeführerin schuldet somit für die Zeit nach dem
31. Dezember 1996 Taggeldleistungen nur, soweit und so
lange sich eine derartige Verpflichtung aus ihren Regle-
menten oder Statuten ergibt.

     c) Vorliegend hat die Beschwerdeführerin im Rahmen der
ihr zustehenden Privatautonomie (vgl. Erw. 2a hievor) die
hier interessierende Frage insofern explizit beantwortet,
als sie in Art. 22 des Reglements mit dem Ende der Versi-
cherung das Erlöschen des Anspruchs auf Leistungen (auch in
Bezug auf eine bereits bestehende Arbeitsunfähigkeit) sti-
puliert, wobei sie, falls das Unfallrisiko mitversichert
ist, Krankheit und Unfall leistungsmässig gleichstellt
(Art. 27 des Reglements). Diese reglementarische Gestaltung
der Taggeldversicherung - insbesondere auch im Unfallbe-
reich - im Sinne der Begrenzung der Leistungspflicht auf
die Dauer des Vertragsverhältnisses enthält keine Elemente,
die den eingangs aufgezeigten allgemeinen Rechtsgrundsätzen
widersprechen würden; sie bewegt sich damit im Rahmen der
innerhalb der Schranken des Gesetzes (Art. 67 bis 77 KVG)
gewährleisteten Kassenautonomie, welche vom Gericht zu res-
pektieren ist.
     Aus dem Gesagten folgt, dass die Beschwerdeführerin
M.________ zu Recht lediglich einen Leistungsanspruch bis
31. Dezember 1996 zugestanden hat.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
     der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Lu-
     zern vom 12. August 1998 aufgehoben.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
     richt des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtli-
     che Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversiche-
     rung zugestellt.

Luzern, 28. Februar 2001

                    Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
             Der Präsident der I. Kammer:

              Die Gerichtsschreiberin: