Sozialrechtliche Abteilungen K 119/1998
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K 119/98 Vr I. Kammer Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Spira, Rüedi und Bundesrichterin Widmer; Gerichtsschreiber Grünvogel Urteil vom 26. Januar 2000 in Sachen Visana, Hauptsitz, Juristischer Dienst, Weltpoststras- se 19/21, Bern, Beschwerdeführerin, gegen S.________, 1928, Beschwerdegegner, und Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern A.- Der 1928 geborene S.________ war Mitglied der Krankenkasse Visana (nachfolgend: Visana). Im Jahre 1996 war er - wie bereits in den Vorjahren - auch der Abtei- lung K Komforta angeschlossen, welche u.a. bei ambulanten Behandlungen die Übernahme von 90 % der Kosten durch die Visana nach üblichem Privattarif vorsah. Am 2. April 1996 unterzog sich S.________ bei Dr. med. A.________ einer ambulanten Behandlung. Dieser stellte für seine Leistung insgesamt Fr. 471.60 in Rechnung, wovon Fr. 157.20 als Zuschlag nach Privattarif. Mit Verfügung vom 15. November 1996, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 24. Februar 1997, verweigerte die Visana S.________ die Rückerstattung dieses Zuschlags. B.- Eine dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwal- tungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 15. Juni 1998 gut, hob den angefochtenen Einspracheentscheid vom 24. Februar 1997 auf und wies die Visana an, S.________ 90 % des Privattarifzuschlags, ausmachend Fr. 141.50, zu bezahlen. C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Visana die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids. Während S.________ die Abweisung der Verwaltungs- gerichtsbeschwerde beantragt, schliesst sich das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) dem Rechtsbegehren der Visana an. Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1.- Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist einzu- treten, da sich diese - wie bereits von der Vorinstanz zutreffend festgehalten - gegen die Ablehnung von Leistun- gen aus der Zusatzversicherung K Komforta richtet. Die Visana hatte das Reglement dieser Zusatzversicherung im Jahre 1996 noch nicht dem neuen Recht angepasst; nach der Rechtsprechung zu Art. 102 Abs. 2 KVG bleibt deshalb der Sozialversicherungsrichter zur Beurteilung von Streitig- keiten, welche aus der Anwendung dieses Reglements erwach- sen, zuständig (BGE 124 V 136 Erw. 4b). 2.- a) Nach Art. 4 des Reglementes zur Zusatzversi- cherung K Komforta (in der 1996 gültigen Fassung; nach- folgend Reglement) übernimmt die Visana u.a. 90 % der Kos- ten nach üblichem Privattarif für wissenschaftlich aner- kannte diagnostische und therapeutische Massnahmen durch Ärzte. b) Das am 1. Januar 1996 in Kraft getretene KVG sieht in Art. 44 vor, dass die Leistungserbringer sich an die vertraglich oder behördlich festgelegten Tarife und Preise halten müssen und für Leistungen nach diesem Gesetz keine weitergehenden Vergütungen berechnen dürfen (Tarifschutz). Die Bestimmungen über die Vergütung für Mittel und Gegen- stände, die der Untersuchung oder Behandlung dienen, blei- ben vorbehalten (Abs. 1). Lehnt es ein Leistungserbringer ab, Leistungen nach dem KVG zu erbringen (Ausstand), so muss er dies jedoch der von der Kantonsregierung bezeichne- ten Stelle melden. Er hat in diesem Fall keinen Anspruch auf Vergütung nach dem KVG. Wenden sich Versicherte an sol- che Leistungserbringer, so müssen diese sie zuerst darauf hinweisen (Abs. 2). c) Gemäss Art. 102 Abs. 2 KVG sind Bestimmungen der Krankenkassen über Leistungen bei Krankenpflege, die über den Leistungsumfang nach Art. 34 Abs. 1 hinausgehen (sta- tutarische Leistungen, Zusatzversicherungen), innert eines Jahres nach Inkrafttreten des KVG dem neuen Recht anzupas- sen (Satz 1). Bis zur Anpassung richten sich Rechte und Pflichten der Versicherten nach dem bisherigen Recht (Satz 2). Die Krankenkasse ist verpflichtet, ihren Ver- sicherten Versicherungsverträge anzubieten, die mindestens den bisherigen Umfang des Versicherungsschutzes gewähren (Satz 3). Die unter dem früheren Recht zurückgelegten Ver- sicherungszeiten sind bei der Festlegung der Prämien anzu- rechnen (Satz 4). 3.- Streitig ist, ob der Beschwerdegegner Anspruch auf Entschädigung der von Dr. med. A.________ am 2. April 1996 durchgeführten Behandlung nach Privattarif hat, obwohl dieser Arzt keine Ausstandserklärung im Sinne von Art. 44 Abs. 2 KVG abgegeben hatte. Dabei ist unbestritten, dass das Reglement in der vorliegend massgebenden, 1996 gültig gewesenen Fassung dem neuen Recht noch nicht angepasst war (siehe auch Erw. 1 hievor). Die Vorinstanz geht davon aus, Art. 102 Abs. 2 Satz 2 KVG schliesse die Anwendung von Art. 44 KVG auf nach bis- herigem Recht weitergeführte Zusatzversicherungen aus, wes- halb die Visana dem Beschwerdegegner gestützt auf Art. 4 des Reglementes den auf Privattarif beruhenden Zuschlag zu 90 % bezahlen müsse. Demgegenüber argumentieren Beschwerde- führerin und BSV, eine aufschiebende Anwendung des in Art. 44 KVG vorgesehenen Tarifschutzes sei durch Art. 102 Abs. 2 Satz 2 KVG nicht gedeckt; Art. 4 des Reglementes käme nur dann zum Tragen, wenn ein Arzt den Ausstand nach Art. 44 Abs. 2 KVG erklärt und den Versicherten auf diesen Umstand vor der Behandlung aufmerksam gemacht habe. 4.- Nach dem Wortlaut von Art. 102 Abs. 1 und 2 KVG soll zwar der Versicherungsschutz im bisherigen Umfang in erster Linie bei denjenigen altrechtlichen Versicherten gewahrt bleiben, welche nach neuem Recht von Gesetzes wegen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung unterstellt sind. Auf Grund der Materialien ist indessen davon auszu- gehen, dass der Gesetzgeber mit Art. 102 KVG grundsätzlich alle im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen KVG beste- henden Versicherungsverhältnisse während einer relativ kur- zen Übergangsfrist weiter gelten lassen wollte (Botschaft des Bundesrates über die Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991, BBl 1992 I 214, 290; Amtl. Bull. 1992 S 1340, 1993 N 1907; zur Bedeutung der Materialien bei der Gesetzesauslegung vgl. BGE 124 V 189 Erw. 3a mit Hinwei- sen). Dieser gesetzgeberische Wille kommt auch in der Über- schrift "Bestehende Versicherungsverhältnisse" klar zum Ausdruck. Hätte der Gesetzgeber bestimmte, sich aus dem Privatpatientenstatus ergebende Leistungsansprüche, die unter dem bisherigen Recht durch die Krankenkassen erbracht werden durften, aber nach dem seit 1. Januar 1996 in Kraft stehenden KVG nicht mehr durch die obligatorische Kranken- pflegeversicherung erfasst sind, von der Besitzstandsgaran- tie des Art. 102 KVG ausnehmen wollen, hätte er unzweifel- haft eine entsprechende abweichende Anordnung getroffen (ebenso bezüglich der Bestimmungen, welche Versicherungs- nehmern ohne zivilrechtlichen Wohnsitz in der Schweiz An- spruch auf Kassenleistungen einräumen: RKUV 1997 KV Nr. 6 S. 164 Erw. 4b). Indessen verbietet insbesondere Art. 34 Abs. 1 KVG in Verbindung mit Art. 102 Abs. 2 KVG nicht, nach KVG zugelassene Leistungen in der Übergangszeit des Jahres 1996 zu höherem (Privatpatienten-)Tarif zu berech- nen. Art. 34 Abs. 1 KVG bestimmt nur, die Versicherer dürf- ten keine anderen Kosten als diejenigen für die Leistungen nach Art. 25-33 KVG übernehmen. Demnach greift der Tarif- schutz nach Art. 44 KVG für in Art. 25 ff. KVG vorgesehene Leistungen erst nach der Übergangszeit. 5.- Vorliegend steht ausser Frage, dass die Behandlung vom 2. April 1996 ausschliesslich vom KVG erfasste Leistun- gen umfasste, was zur Bestätigung des vorinstanzlichen Ent- scheides führt. Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. III. Dieses Urteil wird den Parteien, den Verwaltungsge- richt des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. Luzern, 26. Januar 2000 Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: